Synonyme: Tyrosinkinasehemmer, Tyrosinkinase-Hemmer, Tyrosinkinase-Inhibitor, TKI
Englisch: tyrosine-kinase inhibitor, TKI
Tyrosinkinaseinhibitoren, kurz TKI, sind Arzneistoffe, die verschiedene Tyrosinkinasen hemmen. Diese Enzyme haben eine wichtige Funktion bei der Aktivierung von zellulären Signalwegen. Die Tyrosinkinaseinhibitoren zählen neben den Serin/Threonin-Kinase-Hemmern (STKI) zur Gruppe der Proteinkinaseinhibitoren.
Tyrosinkinaseinhibitoren binden an verschiedene membranständige oder zytoplasmatische Tyrosinkinasen (z.B. EGF-Rezeptor, VEGF-Rezeptor) und hemmen dadurch ihre enzymatische Aktivität, die für die Aktivierung bestimmter Signaltransduktionswege in der Zelle verantwortlich ist. Auf diese Weise können unerwünschte intrazelluläre Signalkaskaden pharmakologisch mehr oder weniger spezifisch unterbrochen werden.
TKIs benutzen dabei 4 verschiedene Mechanismen: Sie konkurrieren entweder mit Adenosintriphosphat (ATP), der phosphorylierenden Einheit oder dem Substrat - oder sie binden außerhalb des aktiven Zentrums und beeinflussen dessen Aktivität allosterisch.
Tyrosinkinaseinhibitoren kommen in verschiedenen Indikationen zum Einsatz. Als Chemotherapeutika werden sie z.B. zur zielgerichteten Therapie ("Targeted Therapy") von malignen Tumoren genutzt - vor allem bei chronisch myeloischer Leukämie (CML), aber auch beim NSCLC oder bei Brustkrebs. Bei vielen in der Onkologie verwendeten Tyrosinkinasehemmern handelt es sich um Orphan Drugs, die nur bei Tumoren eingesetzt werden können, die eine bestimmte Mutation aufweisen. Ihre Anwendung setzt die Bestimmung des Tumorgenoms oder den immunhistochemischen Nachweis der Tyrosinkinase im Tumorgewebe voraus.
Weitere Indikationen sind chronisch-entzündliche Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und chronische Immunthrombozytopenie.
In der Gruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren lassen sich nach ihrem Zielprotein weitere Untergruppen differenzieren. Hemmt ein Arzneistoff mehrere Tyrosinkinasen, spricht man von einem Multikinase-Inhibitor. Die folgende Einordnung ist nicht trennscharf, da Multikinase-Inhibitoren manchmal auch nur der Tyrosinkinase zugeordnet werden, bei welcher der Tyrosinkinaseinhemmer die geringste mittlere inhibitorische Konzentration (IC50) aufweist. Weil ständig neue Wirkstoffe entwickelt werden, erhebt die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
MEK-Inhibitoren können sowohl den Tyrosinkinasehemmern als auch den Serin/Threonin-Kinase-Hemmern zugeordnet werden, da es sich bei MEKs um bispezifische Proteinkinasen handelt, die Serin-, Threonin- und Tyrosinreste phosphorylieren können.
ALK-Inhibitoren hemmen das Enzym anaplastische Lymphomkinase (ALK). ALK ist eine Rezeptortyrosinkinase, die eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des ZNS spielt. Das ALK-Gen kann auf mehrere Arten onkogenetisch wirken und spielt eine wichtige Rolle beim NSCLC.
Das Target der AXL-Inhibitoren ist die AXL-Rezeptortyrosinkinase, die aufgrund ihrer anfangs unbekannten Funktion auch UFO genannt wird. Das AXL-Gen ist ein Schlüsselfaktor für die Immunevasion und die Zytostatikaresistenz aggressiv wachsender und rasch metastasierender Tumore.
BCR-ABL-Inhibitoren sind TKIs, die überwiegend zur Erstlinientherapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) eingesetzt werden. Mehr als 90% der CML-Fälle werden durch das so genannte Philadelphia-Chromosom ausgelöst, bei dem das Fusionsgen BCR-ABL vorliegt. BCR-ABL-Inhibitoren hemmen das Genprodukt, eine konstitutiv aktive BCR-ABL-Tyrosinkinase.
BTK-Inhibitoren richten sich gegen die Bruton-Tyrosinkinase (BTK), die hauptsächlich von B-Zellen exprimiert wird. Das Einsatzgebiet der BTK-Inhibitoren sind vor allem B-Zell-Lymphome, aber auch Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose (MS).
CSF1R-Inhibitoren sind TKIs, die den Kolonie-stimulierenden Faktor-1-Rezeptor (CSF1R) hemmen, eine Rezeptortyrosinkinase, welche die Proliferation, Differenzierung und Funktion der Makrophagen beeinflusst.
EGFR-Inhibitoren binden an den EGF-Rezeptor (HER1 bzw. ErbB-1) und hemmen ihn dadurch.
HER2/neu-Inhibitoren binden an die Rezeptortyrosinkinase HER2/neu aus der Familie ErbB-Membranrezeptoren.
FGFR-Inhibitoren binden an Rezeptortyrosinkinasen aus der FGFR-Familie ("fibroblast growth factor receptor"), deren Signalmolekül der Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF) ist. Sie entfalten durch die Hemmung des FGFR/ERK-Signalwegs einen antiproliferativen Effekt auf Tumorzellen.
FLT3-Inhibitoren hemmen den Zytokinrezeptor FLT3 (CD135), der zur Klasse III der Rezeptortyrosinkinasen gehört. Er wird auf der Oberfläche hämatopoetischer Stammzelle exprimiert. FLT3-Inhibitoren werden bei akuter myeloischer Leukämie (AML) eingesetzt.
JAK-Inhibitoren hemmen zytoplasmatische Januskinasen wie JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2. Diese Tyrosinkinasen werden durch die Bindung von Zytokinen an Rezeptoren auf der Zelloberfläche aktiviert.
KIT/PDGFRA-Inhibitoren hemmen die Rezeptortyrosinkinase KIT, die vor allem von hämatopoetischen Stammzellen (HSCs) und Mastzellen exprimiert wird, sowie den Thrombozytenwachstumsfaktor-Rezeptor PDGFRA.
MEK-Inhibitoren beinflussen den Ras/Raf/MAPK-Signalweg, indem sie die Proteinkinasen MEK1 und MEK2 hemmen. Dieser Signalweg ist bei vielen Tumoren überaktiv.
MET-Inhibitoren bzw. c-Met-Inhibitoren hemmen die enzymatische Aktivität der Tyrosinkinase c-Met. Eine Fehlregulation von c-Met stimuliert die Proliferation, Invasion und Metastasierung von Tumoren sowie die Angiogenese. Vertreter der MET-Inhibitoren sind:
RET-Inhibitoren hemmen die Rezeptortyrosinkinase RET, die an der Pathogenese bestimmter Formen des papillären Schilddrüsenkarzinoms, des NSCLC und des MEN-Syndroms beteiligt ist.
SYK-Inhibitoren sind Tyrosinkinaseinhibitoren, welche die zytosolische Milztyrosinkinase ("spleen tyrosine kinase", Syk) hemmen, die vor allem von hämatopoetischen Stammzellen exprimiert wird. Vertreter dieser Gruppe sind:
TRK-Inhibitoren sind TKIs, welche die Tropomyosinrezeptorkinasen TrkA, TrkB und TrkC hemmen. Mit ihnen therapiert man metastasierte solide Tumoren, bei denen ein NTRK-Fusionsgen nachgewiesen wurde.
VEGFR-Inhibitoren sind TKIs, die an VEGF-Rezeptoren binden. Sie sind essenziell für die Vaskulogenese und Angiogenese von Tumoren.
Multikinase-Inhibitoren hemmen mehrere Tyrosinkinasen gleichzeitig. Wenn ihre Wirkung bei einer Tyrosinkinase überwiegt, werden sie mitunter auch einer spezifischen Gruppe zugerechnet.
Ein limitierender Faktor des therapeutischen Einsatzes von Tyrosinkinasehemmern ist die Resistenzentwicklung der Tumorzellen gegen die verschiedenen Wirkstoffe. Die Resistenz kann primär vorhanden sein oder sich sekundär unter der Therapie entwickeln.
Eine Resistenz kann verschiedene Ursachen haben, u.a.:
Um Resistenzen der Tumorzellen durch Mutationen zu umgehen, werden fortlaufend neue TKIs entwickelt, die andere Bindungsstellen am Zielrezeptor besitzen.
Die pharmakokinetischen Eigenschaften vieler Tyrosinkinaseinhibitoren sind schlecht vorhersehbar und erschweren eine optimale Dosierung.[2] Im Einzelfall kann es dadurch zu einer verminderten Wirkung oder zu erhöhter Toxizität kommen. Obwohl die meisten TKIs mit fixen Dosierungsschemata angewendet werden, wird von einigen Autoren ein therapeutisches Drug Monitoring empfohlen, um die Behandlung zu optimieren.[2]
Die Affinität der Tyrosinkinaseinhibitoren zu den jeweils von ihnen gehemmten Tyrosinkinasen lässt sich durch die mittlere inhibitorische Konzentration, kurz IC50, quantifizieren. Je geringer der IC50-Wert, desto höher ist die therapeutische Potenz des Wirkstoffs.
Die Nebenwirkungen von Tyrosinkinaseinhibitoren sind substanzspezifisch, da sie vom jeweils unterbrochenen Signalweg abhängen. Sie können schwerwiegend sein, sind aber in der Regel geringer ausgeprägt als bei einer konventionellen Chemotherapie mit Zytostatika.
Fachgebiete: Hämatologie, Onkologie, Pharmakologie
Diese Seite wurde zuletzt am 17. Mai 2022 um 00:10 Uhr bearbeitet.
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