Synonym: AML
Englisch: Acute myeloid leukemia
Die akute myeloische Leukämie, kurz AML, ist eine biologisch heterogene, maligne Erkrankung des blutbildenden Systems. Die akut auftretende Form der Leukämie des myelozytären Systems tritt bevorzugt bei Erwachsenen über 60 Jahren auf. Sie verläuft unbehandelt infaust.
Die AML hat ihren Häufigkeitsgipfel im Erwachsenenalter (ca. 80% der Fälle). Ihre altersunabhängige Inzidenz beträgt etwa 3-4 Fälle pro 100.000 Einwohnern im Jahr. In der Altersgruppe über 70 Jahre steigt sie auf über 100 Fälle pro 100.000 Einwohner an.
Die akute myeloische Leukämie wird durch eine Reihe sehr unterschiedlicher zytogenetischer Veränderungen ausgelöst, welche auf der Ebene des Genoms (Monosomien, Trisomien), der Chromosomen (Translokationen, Inversionen) und/oder der Gene (Genmutationen) auftreten können. Meist betreffen die o.a. Veränderungen den hochproliferativen Progenitorpool, d.h. CD34+/CD38+-Zellen, seltener den Stammzellpool (CD34+/CD38--Zellen).
Die genaue Ursache dieser zytogenetischen Veränderungen ist nicht bekannt. Umweltfaktoren spielen jedoch eine große Rolle. So kann die Exposition gegenüber Benzol und anderen Mineralölprodukten, Herbiziden oder Pestiziden das Leukämierisiko deutlich steigern. Unter den Medikamenten zählen Zytostatika zu den wichtigsten Auslösern einer AML. Weitere Risikofaktoren sind Zigarettenrauchen und ionisierende Strahlung. Als seltenere Ursachen kommen vererbte genetische Faktoren wie die Trisomie 21 (ca. 20-fach erhöhtes Risiko) oder die Fanconi-Anämie in Frage.
Eine AML kann auch sekundär aus einer anderen hämatologischen Vorerkrankung wie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) oder der Osteomyelofibrose hervorgehen.
Es gibt eine Vielzahl verschiedener Mutationen, die auf zellulärer Ebene für die AML verantwortlich sind. Sie unterscheiden sich nicht nur interindividuell, sondern auch intraindividuell, d.h. selbst bei einem Patienten können verschiedene Mutationen ("Subklone") festgestellt werden, deren Zusammensetzung sich im Laufe der Erkrankung auch ändern kann. Beispiele für typische AML-Mutationen sind die interne Tandemduplikation FLT3-ITD und die t(15,17)-Translokation. Am häufigsten finden sich bei der AML Mutationen in den Genen FLT3, NPM1 und DNMT3A sowie in den sogenannten WIT-Genen (WT1, IDH1, IDH2 und TET2).[1]
Die akute myeloische Leukämie ist durch einen so genannten Differenzierungsblock auf der Ebene der myeloischen multipotenten Progenitorzelle gekennzeichnet. Das Knochenmark gibt die unreifen Myeloblasten aufgrund mangelnder Kapazität ins Blut ab.
Im Blut finden sich Vorstufen der Granulozytopoese (Promyelozyten, Myeloblasten, Monozyten). Diese imponieren meist als Zellen mit großem Kern und wenig Zytoplasma. Im Zytoplasma der Granulozyten sind sog. Auerstäbchen (lysosomale Abbauprodukte) nachweisbar, die Peroxidase-positiv sind. Es fehlen die ausdifferenzierten, funktionsfähigen Granulozyten im peripheren Blut.
Im Knochenmark sieht man eine Verdrängung der Erythropoese und Megakaryopoese, die zur einer Depletion von Granulozyten, Thrombozyten und Erythrozyten führt. Die leukämischen Infiltrate sind makroskopisch grau-rot.
Bei der AML handelt es sich um ein akutes Krankheitsbild, weshalb sich Allgemeinsymptome (Schwäche, Fieber, Nachtschweiß) typischerweise mit kurzer Anamnese zeigen. Da sich die leukämischen Zellen in Knochenmark und Blut ausbreiten, entwickeln sich Symptome einer gestörten Hämatopoese:
Weitere organspezifische Symptome sind Splenomegalie, Hepatomegalie und selten auch Lymphknotenschwellungen.
Einige Unterformen der AML können spezifische Symptome hervorrufen. So kann bei einer Schleimhautinfiltration durch Blasten bei der myelomonozytären (M4) und monozytären (M5) Leukämie eine Gingivahyperplasie auffallen.
Die Basisdiagnostik der AML umfasst neben Anamnese und körperlichen Untersuchung (Zeichen der gestörten Hämatopoese, Organvergrößerungen) eine Blutuntersuchung einschließlich Differentialblutbild. Typische Befunde sind hierbei:
Eine Sicherung der Diagnose folgt durch eine anschließende Knochenmarkpunktion. Zur Diagnosestellung müssen mehr als 20% Vorstufen (Blasten) im Knochenmark oder peripheren Blut vorliegen.
Zur genauen Einteilung in die FAB-Klassifikation können weitere Untersuchungen, z.B. Immunphänotypisierung, Zytogenetik und Molekulargenetik (NPM1, CEBPA, FLT3) angezeigt sein.
Ist der Patient für eine Stammzelltransplantation vorgesehen, erfolgt zusätzlich die HLA-Typisierung und die Überprüfung des CMV-Status.
Die aktuell (2022) gültige Einteilung der AML erfolgt nach der WHO-Klassifikation von 2016. Diese richtet sich nach molekular- und zytogenetischen Kriterien und unterteilt in die folgenden Subgruppen:
Aus zytogenetischer Sicht werden die akuten myeloischen Leukämien in 3 prognostische Gruppen eingeteilt:
Die Einteilung erfolgt nach den Vorschlägen der French-American-British Cooperative-Group (FAB, FAB-Klassifikation) und richtet sich nach zytomorphologischen Kriterien.
Eine detailliertere Darstellung mit Zytochemie und Abberationen findet sich auf der eigenen Seite der FAB-Klassifikation.
Grundsätzlich besteht die kurative Therapie der AML aus einer intensivierten Chemotherapie, die in mehrere Phasen unterteilt wird.
Ist ein sofortiger Therapiebeginn notwendig, z.B. aufgrund eines lebensbedrohlichen Leukostasesyndroms, werden die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen nicht abgewartet und direkt eine Induktionstherapie nach dem sogenannten Standardschema eingeleitet - auch "7+3-Schema" genannt. Dieses besteht aus der Gabe von Cytarabin an den Tagen 1 bis 7 mit einem Anthracyclin (z.B. Daunorubicin) an den Tagen 1 bis 3. Wird im Verlauf eine FLT3-Mutation nachgewiesen, erfolgt die zusätzliche Gabe des Multikinase-Inhibitors Midostaurin.
Eine weitere Therapieoption mit kurativem Ansatz ist die allogene Stammzelltransplantation. Sie wird empfohlen bei einer
Im Anschluss an die allogene Stammzelltransplantation wird bei FLT3-ITD-positiven AML-Patienten eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Sorafenib angestrebt.[2]
Eine potentiell kurative Therapie kommt nur bei Patienten in Betracht, die max. 75 Jahre alt sind und wenige Komorbiditäten aufweisen. Andernfalls ist die Therapie palliativ ausgerichtet. Hier bieten sich unterschiedliche Optionen an:
Zur Behandlung der akuten Promyelozytenleukämie (M3) werden auch Vitamin-A-Präparate (z.B. ATRA) eingesetzt.
Durch die Induktionstherapie wird bei ca. 70% der Patienten eine Vollremission (vollständige Normalisierung des Blutbilds, komplettes Fehlen extramedullärer Manifestationen) erreicht.
Leider lassen sich bei vielen Patienten nicht alle leukämischen Zellen zerstören, weshalb die 5-Jahres-Überlebensrate bei rund 30 % liegt und sich nur bei ca. 20 % der Patienten eine Langzeitremission einstellt.
Prognostisch ungünstige Faktoren für den Verlauf und die Therapie einer AML sind u.a.:
Fachgebiete: Hämatologie
Diese Seite wurde zuletzt am 1. April 2022 um 13:28 Uhr bearbeitet.
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