Differentialblutbild
Synonyme: Differenzialblutbild, Diff-BB
Englisch: white blood cell differential, differential blood count, leukogram, differential count, differential hemogram
Definition
Das Differentialblutbild, kurz Diff-BB, ist eine Form des Blutbildes, bei der die Unterformen der Leukozyten differenziert und gezählt werden. Die Bestimmung erfolgt aus EDTA- oder Kapillarblut.
Verschiedene Blutzellen aus der Gruppe der Leukozyten
Verfahren
Das Differentialblutbild kann automatisch durch entsprechend ausgerüstete Hämatologiegeräte oder mikroskopisch erstellt werden. Dies wird im Namen nicht explizit unterschieden, obwohl es sich um völlig unterschiedliche Verfahren handelt. In der Laborroutine wird typischerweise zunächst ein automatisiertes Differentialblutbild erstellt. Bei Vorliegen bestimmter, definierter Kriterien wird ein mikroskopisches Differentialblutbild angeschlossen.
Automatisiertes Differentialblutbild
Die automatische Bestimmung erfolgt nach dem Prinzip der Durchflusszytometrie. Sie ist in der Lage, Neutrophile, Lymphozyten, Monozyten, Eosinophile und Basophile zu differenzieren. Dazu werden Zelleigenschaften wie die Impedanz, Lichtstreuung und Fluoreszenz herangezogen. Die Daten werden analysiert, automatisch kategorisiert und in Form eines Streudiagramms ("scatter diagram") ausgegeben. Da mit den Analysegeräten eine höhere Zellzahl ausgewertet wird als bei der Mikroskopie, liefert die Methode im Hinblick auf die Zellzahlen genauere Ergebnisse. Der Variationskoeffizient ist kleiner.
Mikroskopisches Differentialblutbild
Die Mikroskopie wird klassisch visuell beurteilt. Dies ist die ursprüngliche Methode, ein Differentialblutbild anzufertigen. Dafür wird eine Pappenheim-Färbung (May-Grünwald-Giemsa) durchgeführt. Typischerweise wird das Blutbild bei 600facher oder 1000facher Vergrößerung durchmustert. Der Untersuchende zählt 100, bei hoher Leukozytenzahl auch 200 Zellen aus und identifiziert sie anhand ihrer Morphologie.
Beim mikroskopischen Differentialblutbild werden keine Neutrophilen, sondern stattdessen Segmentkernige und Stabkernige angegeben. Mikroskopisch lassen sich auch abnorme Zellen wie Blasten differenzieren. Ferner kann man pathologische Veränderungen wie reaktive Lymphozyten, toxische Granulationen und Vakuolisierungen erfassen.
Seit einigen Jahren sind außerdem Systeme auf dem Markt, die ein automatisiertes Mikroskop mit einer Bildverarbeitungssoftware kombinieren und so ein (teil)automatische Beurteilung von Blutausstrichen ermöglichen.
Bei der Mikroskopie wird neben den Leukozyten auch die Morphologie von Erythrozyten und Thrombozyten beurteilt. Die Erythrozytenmorphologie wird umgangssprachlich auch als "rotes Differentialblutbild" bezeichnet. Außerdem können weitere auffällige Befunde, z.B. Blutparasiten (vor allem Plasmodien) erhoben werden.
Indikationen
Indikationen zur Anfertigung eines Differentialblutbildes sind u.a.
- Verdacht od. Ausschluss einer malignen hämatologischen Erkrankung
- Verdacht auf angeborene Erythrozytenstörung (z.B. Thalassämie, Sichelzellanämie, Sphärozytose)
- Verdacht auf Parasitämie (z.B. Plasmodien, Trypanosomen)
- Verdacht auf schwere systemische Erkrankung oder schwere Infektionen
- Verdacht auf EDTA-Pseudothrombozytopenie
Material
Für das Differentialblutbild wird 1 ml EDTA-Blut benötigt. Bei Kindern sollten es mindestens 0,25 ml EDTA-Blut sein. Für den Ausstrich werden 10 µl Blut auf den Objektträger pipettiert und mit einem zweiten Objektträger ausgestrichen. Anschließend lässt man den Ausstrich gut trocknen.
Referenzbereiche
Erwachsene
Zelltyp | Relativer Anteil [%]* | Absolute Anzahl [/µl] |
---|---|---|
Stabkernige neutrophile Granulozyten | 3 - 5 | 150 - 400 |
Segmentkernige neutrophile Granulozyten | 50 - 70 | 3.000 - 5.800 |
Eosinophile Granulozyten | 1 - 4 | 50 - 250 |
Basophile Granulozyten | 0 - 1 | 15 - 50 |
Monozyten | 3 - 7 | 285 - 500 |
Lymphozyten | 25 - 45 | 1.500 - 3.000 |
Kinder
Zelltyp | Relativer Anteil [%]* | Absolute Anzahl [/µl] |
---|---|---|
Stabkernige neutrophile Granulozyten | 0 - 10 | 0 - 1.200 |
Segmentkernige neutrophile Granulozyten | 25 - 65 | 2.000 - 7.800 |
Eosinophile Granulozyten | 1 - 5 | 80 - 600 |
Basophile Granulozyten | 0 - 1 | 0 - 120 |
Monozyten | 1 - 6 | 80 - 720 |
Lymphozyten | 25 - 50 | 2.000 - 6.000 |
Säuglinge
Zelltyp | Relativer Anteil [%]* | Absolute Anzahl [/µl] |
---|---|---|
Stabkernige neutrophile Granulozyten | 0 - 10 | 0 - 1.500 |
Segmentkernige neutrophile Granulozyten | 22 - 65 | 2.250 - 9.750 |
Eosinophile Granulozyten | 1 - 7 | 90 - 1.050 |
Basophile Granulozyten | 0 - 2 | 0 - 300 |
Monozyten | 7 - 20 | 630 - 3.000 |
Lymphozyten | 20 - 70 | 1.800 - 10.500 |
* Relativer Anteil an der Gesamtleukozytenzahl
Es wird dringend empfohlen, die Absolutzahl für die Beurteilung des Differentialblutbildes zu benutzen, da die prozentualen Angaben irreführend sein können.
Aussagekraft
Differenzierung der Neutrophilen
Eine Erhöhung der Anzahl der neutrophilen Granulozyten wird als Neutrophilie bezeichnet. Sie kann unter anderem ein Hinweis auf Infektionen, Entzündungen und Neoplasien sein. Das Gegenteil ist die Neutropenie, eine Verminderung der neutrophilen Granulozyten. Ist die Neutropenie besonders stark ausgeprägt, liegt eine Agranulozytose vor.
Weitere Befunde der Neutrophilen sind die Links- und die Rechtsverschiebung. Eine Linksverschiebung bezeichnet dabei das vermehrte Auftreten unreiferer Formen der neutrophilen Granulozyten, zum Beispiel bei einer Vermehrung der Stabkernigen bei bakterieller Infektion. Eine Rechtsverschiebung bezeichnet das vermehrte Auftreten von übersegmentierten Neutrophilen (z.B. bei Vitamin-B12-Mangel bzw. perniziöser Anämie).
- Anmerkung: Die Bezeichnungen "Linksverschiebung" und "Rechtsverschiebung" stammen aus Zeiten, in denen die Zählung nicht automatisiert erfolgte. Die Tasten zur Eingabe der unreifen Formen waren auf der linken Seite des Bediengerätes angebracht.
Befunde der anderen Zellreihen
- Eine Eosinophilie bezeichnet die Erhöhung der Eosinophilen (z.B. bei Parasitenbefall), die Basophilie eine Erhöhung der Basophilen (z.B. bei bestimmten Formen der Leukämie).
- Die Thrombozytenerhöhung wird als Thrombozytose bezeichnet (Beispiel Essentielle Thrombozythämie), eine Erniedrigung als Thrombozytopenie (Beispiel Heparin-induzierte Thrombozytopenie).
- Monozytenerhöhungen werden als Monozytose bezeichnet und kommen beispielsweise bei einer Tuberkulose vor.
- Ein vermehrtes Auftreten von Lymphozyten wird als Lymphozytose (z.B. bei viralen Infektionen wie Masern), eine Verminderung hingegen als Lymphozytopenie (z.B. bei HIV-Infektion) bezeichnet.
- Eine Depression aller Zellinien der Myelopoese wird als Panzytopenie bezeichnet.
- Bei einem Auftreten von Vorläuferzellen der Hämatopoese im Differentialblutbild spricht man von einem leukoerythroblastischen Blutbild.
siehe auch: kleines Blutbild, großes Blutbild