Erythrozyt
von altgriechisch: ἐρυθρός ("erythrós") - rot und κύτος ("kytos") - Zelle
Synonyme: Rotes Blutkörperchen, rote Blutzelle, Erythrocyt, Normozyt
Abkürzung: Ery
Englisch: erythrocyte, red blood cell, RBC
Definition
Als Erythrozyten bezeichnet man die zellulären Elemente des menschlichen Bluts, die den Blutfarbstoff Hämoglobin enthalten.
Morphologie
Gestalt und Oberfläche
Erythrozyten sind Zellen ohne Organellen, die aufgrund des fehlenden Zellkerns (Nucleus) nicht mehr zur Zellteilung fähig sind. Die gelegentlich noch Reste von Kernmaterial enthaltenden frühen Erythrozyten bezeichnet man als Retikulozyten.
Die Zellen haben eine bikonkave, abgeplattete Form mit einen Durchmesser von rund 7,5 µm und einer Dicke von ca. 2,5 µm (Normalverteilung nach der Price-Jones-Kurve). Sie enthalten weder ein endoplasmatisches Retikulum noch Ribosomen oder Mitochondrien. Der Energiegewinn erfolgt über anaerobe Glykolyse. Hauptbestandteil der Erythrozyten ist das Protein Hämoglobin, das ihnen ihre charakteristische rote Farbe verleiht und für den Sauerstofftransport verantwortlich ist. Die Hämoglobinmenge im Zytosol eines einzelnen Erythrozyten beträgt zwischen 28 und 36 Pikogramm (MCH). Jeder Erythrozyt enthält damit rund 280 Millionen Hämoglobinmoleküle.
Die spezielle Form der Erythrozyten vergrößert die Oberfläche der Zellen und verbessert dadurch den Gasaustausch. Zusätzlich wird die Flexibilität verbessert, was den Erythrozyten ermöglicht, durch Kapillaren zu wandern, deren Durchmesser kleiner ist als ihr eigener. Im Falle des Passierens enger Kapillaren können sich Erythrozyten verformen oder im Rahmen der Pseudoagglutination zu sogenannten Rouleaux zusammenlagern, um die Gefäße zu passieren.
Ein unter der Zellmembran befindliches und in diese einstrahlendes dichtes strukturgebendes Netz von Filamenten, das erythozytäre Zytoskelett, ermöglicht das Aufrechterhalten der bikonkaven Form. Einige Proteine, etwa Spektrin oder Ankyrin, sind für die Struktur essentiell.
Zellmembran
Die hohe Verformbarkeit der Erythrozyten wird durch einen speziellen Aufbau der Zellmembran ermöglicht. Sie besteht jeweils etwa zur Hälfte aus Lipiden (Phospholipide, Cholesterin) und Proteinen. Die tragende Doppellipidschicht besteht außen aus Phosphatidylcholin und Sphingomyelin, innen aus Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin und kleinen Mengen Inositolphosphaten. Diese assymmetrische Verteilung ist das Ergebnis von aktiven Transportprozessen, die durch Flippasen und Floppasen bewerkstelligt werden. Sie ist aus mehreren Gründen essentiell für die Funktion und Lebensdauer der Erythrozyten:
- Erythrozyten, die Phosphatidylserin in der Außenschicht ihrer Zellmembran exponieren, werden von Makrophagen erkannt und phagozytiert.
- Die erhöhte Exposition von Phosphatidylserin führt zu einer gesteigerten Adhäsion der Erythrozyten an Endothelzellen der Gefäßinnenseite.
- Phosphatidylserin und Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP2) interagieren mit Komponenten des Zytoskeletts (z.B. Spektrin) und erhöhten so die mechanische Stabilität der Erythrozyten.
Formvarianten
Erythrozyten können neben der typischen bikonkaven Form auch in davon abweichender Gestalt vorliegen. Einige Formvarianten sind im Folgenden aufgeführt:
- Akanthozyt: Stachelzelle bei gestörten Phospholipidmetabolismus
- Anulozyt: Ringform bei hochgradigen Anämien
- Dakryozyt (Tear-Drop-Zelle): Tränenförmiger Erythrozyt
- Diskozyt: Bikonkave Scheibenform im strömenden Blut
- Echinozyt: Stechapfelform in hypertonen Lösungen
- Elliptozyt: Elliptische Form insbesondere bei hereditärer Elliptozytose
- Fragmentozyt (Schistozyt): Fragmentierter Erythrozyt z.B. infolge intravasaler Hämolyse oder mechanischer Schädigung
- Knizozyt: Trikonkaver Erythrozyt, z.B. bei hämolytischer Anämie
- Makrozyt: Vergrößerung bei Makrozytose, Perniziosa oder Folsäuremangel
- Megalozyt: Vergrößerung bei megaloblastärer Anämie
- Mikrozyt: Verkleinerung bei Eisen- oder Hämoglobinmangelerkrankungen
- Mikrosphärozyt: Kleine, kugelförmige Erythrozyten bei Kugelzellenanämie
- Sichelzelle (Drepanozyt): Formveränderung bei Sichelzellanämie
- Siderozyt: Eisengranula (Siderosomen) enthaltender Erythrozyt
- Sphärozyt: Kugelförmiger, normal großer Erythrozyt bei hämolytischer Anämie
- Stomatozyt: Gefaltete Napfform beim Passieren enger Kapillaren, bei Alkoholismus und hereditärer Stomatozytose
- Targetzelle: Ringförmige Anordnung des Hämoglobins bei Thalassämien, toxischen oder Eisenmangelanämien
Weitere morphologische Besonderheiten
- Anisozytose: Verkleinerung und Vergrößerung der Erythrozyten bei unterschiedlichen Formen der Anämie
- Basophile Tüpfelung: multiple, basophile Granula bei ungenügender Zellreifung
- Cabot-Ringe: Reste von Spindelmaterial bei Asplenie oder Störung der Erythropoese
- Heinz-Körper: Denaturierters Hämoglobin unter anderem bei Intoxikationen und Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel
- Howell-Jolly-Körperchen: Basophile Chromatinreste bei Asplenie
- Poikilozytose: Vorhandensein unterschiedlicher Formen von Erythrozyten bei allen schwergradigen Anämien
- Polychromasie: Unterschiedliche Anfärbbarkeit der Erythrozyten durch Unreife
Physiologie
Aufgaben
Erythrozyten sind zuständig für den Sauerstofftransport im Blut. Die Zellen nehmen in den Lungenkapillaren Sauerstoff aus den Alveolen auf und binden es an das Hämoglobin. Der Vorgang der Sauerstoffaufnahme vollzieht sich sehr schnell. Die Kontaktdauer zwischen Erythrozyt und Alveolarraum beträgt nur etwa 0,3 Sekunden.
Der an Hämoglobin gebundene Sauerstoff wird von den Erythrozyten in die Kapillaren der Körperperipherie transportiert. Dort wird der Sauerstoff wieder an das Gewebe abgegeben, was man als Desoxygenierung des Blutes bezeichnet.
In geringerem Umfang sind Erythrozyten auch für den Kohlendioxidtransport verantwortlich. Sie geben in der Lunge das in Form von Bicarbonat vorliegende oder an Hämoglobin gebundene Kohlendioxid ab.
Erythrozyten fördern die Bildung von Bicarbonat im Blut, da sie α-Carboanhydrasen enthalten, welche die im Plasma sehr langsam ablaufende Reaktion von Kohlenstoffdioxid und Wasser zu Kohlensäure um etwa das 107- fache beschleunigen.
Lebenszyklus
Erythrozyten werden im Knochenmark im Verlauf der Erythropoese aus hämatopoetischen Stammzellen (CFU-E) gebildet, passieren verschiedene Zwischenstufen (z.B. Proerythroblast, Makroblast, basophiler Erythroblast) bis hin zum Retikulozyten. Dieser enthält noch Reste von rRNA, die lichtmikroskopisch als feine gitterartige Strukturen sichtbar sind (Substantia granulofilamentosa). Im peripheren Blut erfolgt die endgültige Reifung zum kern- und organellenlosen Erythrozyten.
Zu ihrer Entwicklung ist das von den Nieren gebildete Hormon Erythropoetin nötig. Erythrozyten sind Verbrauchszellen. Nach einer Lebensdauer von etwa 120 Tagen werden sie in Leber, Milz und Knochenmark von Makrophagen abgebaut. Wenn sie Stressfaktoren ausgesetzt sind, verkürzt sich ihre Lebenszeit. Die Erythrozyten gehen dann in die Eryptose (Apoptose der Erythrozyten) über und werden anschließend abgebaut. Das in ihnen enthaltene Eisen wird von den Makrophagen in Form von Hämosiderin zwischengelagert und wiederverwendet.
Stoffwechsel
Da Erythrozyten keine Mitochondrien enthalten, müssen sie die notwendige Energie für ihren Stoffwechsel auf andere Weise erzeugen. Die Energiegewinnung erfolgt daher auf dem Weg der anaeroben Glykolyse. Das aus Glucose entstandene Pyruvat wird dabei zu Lactat reduziert. Erythroyzten enthalten ein spezielles Isoenzym der Pyruvatkinase, das man als PKR bezeichnet. Es katalysiert eine stark exergone Reaktion, bei der aus Phosphoenolpyruvat das Pyruvat entsteht. Bei einem Mangel dieses Enzyms, kommt es zu schwerwiegenden Funktionsstörungen, die zur Hämolyse führen.
Menge
Im Blutkreislauf eines gesunden Erwachsenen zirkulieren 24 bis 30 Billionen Erythrozyten (24-30 x 1012), die eine Gesamtoberfläche von mehr als 4.500 m² aufweisen. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als ein halbes Fußballfeld. Im Rahmen der Erythropoese werden täglich rund ein Prozent der Erythrozyten erneuert, was einer Bildungsrate von mehr als 3.000.000 Erythrozyten pro Sekunde entspricht.
Immunologie
Auf der Membranoberfläche der Erythrozyten befindet sich ein dichter Mantel aus Glykoproteinen, welche die Blutgruppen eines Menschen determinieren. Diese Glykoproteine stellen starke Oberflächenantigene dar, die vom Immunsystem als körpereigen oder körperfremd erkannt werden können. Die Funktion vieler dieser Membranproteine ist heute aufgeklärt.
Die wichtigste menschliche Blutgruppe, das AB0-System, basiert auf Unterschieden in einfachen Kohlenhydratketten. Erythrozyten tragen, im Gegensatz zu Thrombozyten, wenige oder gar keine HLA-Antigene.
Labordiagnostik
Erythrozytenzahl
Die Erythrozytenzahl ist einer der am häufigsten bestimmten Laborwerte des menschlichen Bluts und wird durch automatische Zählgeräte bestimmt. Ihr Referenzwert beträgt:
- bei Männern 4,8-5,9 Mio./µl bzw. 4,8-5,9/pl
- bei Frauen 4,3-5,2 Mio./µl bzw. 4,3-5,2/pl
Bei Kindern können die Werte abweichen. Neugeborene weisen häufig eine physiologische Polyglobulie mit einer Erythrozytenanzahl von 4,5 bis 6,5 Mio./µl auf.
Erythrozytenindizes
Die Indizes MCH, MCV und MCHC sind weitere wichtige Kennwerte zur Charakterisierung von Erythrozyten:
- MCH: Diese Abkürzung steht für Mean Corpuscular Haemoglobin und gibt den mittleren Hämoglobin-Gehalt eines einzelnen Erythrozyten an.
- MCV: Diese Abkürzung steht für Mean Corpuscular Volume und gibt das mittlere Volumen eines einzelnen Erythrozyten an.
- MCHC: Diese Abkürzung steht für Mean Corpuscular Haemoglobin Concentration und gibt die mittlere Hämoglobin-Konzentration im Erythrozyten an.
Falls nicht ohnehin andere Laborwerte wie Hämatokrit und Hämoglobinkonzentration zur Verfügung stehen, kann aus jeweils zwei der Werte der dritte berechnet werden. Hierfür gilt:
- MCHC = MCH / MCV
Erythrozytenverteilungsbreite
Die Erythrozytenverteilungsbreite (EVB) beschreibt die Spanne zwischen kleinsten und größten Erythrozyten. Eine erhöhte EVB ist Hinweis auf Anisozytose.
Erythrozytenmorphologie
Genauere Aussagen über die Erythrozytenmorphologie können mikroskopisch im sogenannten "Roten Differentialblutbild" getroffen werden. Dazu wird ein Blutausstrich angefertigt.
Erythrozytogramm
Die grafische Darstellung der Erythrozytenmesswerte mit Hilfe eines Hämatologiegerätes bezeichnet man als Erythrozytogramm. Die einzelnen Ergebnisse für Erythrozytenvolumen und -hämoglobingehalt werden dabei als Punktwolke ausgegeben.
Stoffwechselaktivität
Bei bestimmten Fragestellungen können intrazelluläre Parameter in Erythrozyten untersucht werden, z. B. Folsäure oder Thiopurin-Methyltransferase.
Neonatologie
Neugeborene besitzen noch fetale Erythrozyten, deren Charakteristika sich von denen der normalen, adulten Erythrozyten unterscheiden. Die Erythrozyten von Neugeborenen sind makrozytär, das MCV liegt bei 99-113 fl. Auch das MCH (33,0-38,0 pg) ist gegenüber dem des Erwachsenen erhöht. Aufgrund dieser Charakteristika ist Lebenszeit der Erythrozyten bei Neugeborenen auf 70-80 Tage verkürzt, da sie weniger verformbar als adulte Erythrozyten sind.
Die Erythrozyten des Neugeborenes enthalten etwa 80% fetales Hämoglobin (HbF) und nur etwa 20% HbA. Aufgrund des fetalen Hämoglobins haben die Erythrozyten eine erhöhte Sauerstoffaffinität, also eine bessere O2-Aufnahme, aber eine schlechtere O2-Abgabe. Der HbF-Anteil ist bei Frühgeborenen höher als bei reifen Neugeborenen. Nach dem 15. Lebenstag nimmt der HbF-Anteil kontinuierlich ab und erreicht im Alter von 6 Monaten nahezu die Werte des Erwachsenen.
Pathologie
Eine pathologisch verminderte Anzahl an Erythrozyten bezeichnet man als Erythrozytopenie, eine vermehrte Anzahl als Erythrozytose oder Polyglobulie. Stoffwechselstörungen, Eisen- oder Vitaminmangel, myeloproliferative Erkrankungen und genetische Veränderungen (z.B. Sichelzellenanämie, Thalassämie, Kugelzellenanämie) können zu pathologischen Veränderungen der Erythrozyten und/oder zum Erythrozytenmangel und damit zum Mangel an Hämoglobin führen. Diese Störungen werden in der klinischen Medizin unter dem Begriff "Anämie" zusammengefasst.
Myeloproliferative Erkrankungen können umgekehrt auch zu einer vermehrten Bildung von Erythrozyten führen - beispielsweise bei der Erythrämie oder der Polycythaemia vera.
Beim Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel führt die Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Acetylsalicylsäure) oder Nahrungsmittel zu einer Hämolyse.
Podcast
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