Retikulozyt
Synonyme: Proerythrozyt, Erythrocytus reticularis, ER
Englisch: reticulocyte
Definition
Als Retikulozyt wird das unmittelbare Vorstadium eines Erythrozyten bezeichnet. Er entsteht aus einem orthochromatischen Erythroblasten und wird als junger ("unreifer") Erythrozyt gewertet.
Histologie
Retikulozyten sind etwas größer als Erythrozyten und stellen sich in der Romanowsky-Färbung etwas bläulicher dar. Sie sind wie die Erythrozyten kernlos, enthalten aber noch Reste von Zellorganellen und RNS, die man als Substantia granulofilamentosa bezeichnet. Diese Reste lassen sich lichtmikroskopisch nach Supravitalfärbung, z.B. mit Brillantkresylblau, als feines, granuliertes Netz darstellen.
Der Retikulozyt entwickelt sich durch Entfernung des endoplasmatischen Retikulums innerhalb von vier Tagen zum reifen Erythrozyten. Dabei verweilt er noch drei Tage im Knochenmark und einen Tag im peripheren Blut. Bei gesteigerter Erythropoese verschiebt sich dieser Ablauf und die Reifungszeit im peripheren Blut wird länger. Dies wird bei der Berechnung des Retikulozytenproduktionsindexes berücksichtigt.
Nach Heilmeyer werden mehrere Reifestufen unterschieden:
Reifestufe | Morphologie |
---|---|
Stufe 0 | Nukleolus |
Stufe 1 | Retikulum mit dichten Kumpen |
Stufe 2 | Locker organisiertes Retikulum |
Stufe 3 | Diffus organisiertes Retikulum |
Stufe 4 | Einige verstreute Granula (mindestens 2) |
Dabei müssen die Granula fern vom Zellrand liegen, um sie von Heinz-Körpern zu differenzieren.
Nach Sistieren der Hämoglobinsynthese und Kernausstoßung ist der Retikulozyt zum reifen Erythrozyten geworden.
Material
Für die Untersuchung werden 2 ml EDTA-Blut benötigt.
Referenzbereich
Der Anteil der Retikulozyten im peripheren Blut liegt bei Erwachsenen bei etwa 0,5 -1,5% (entsprechend 30.000–80.000 Zellen/µl Blut).
Referenzwerte für Kinder sind:
Alter | Retikulozyten [in % der Erys] |
---|---|
1. Lebenstag | 1,5 - 6,5 |
3. Lebenstag | 1,3 - 6,0 |
5. Lebenstag | 1,0 - 5,0 |
7. Lebenstag | 0,5 - 1,5 |
1-4 Wochen | 0,3 - 1,3 |
2 Monate | 0,3 - 1,5 |
3 Monate | 1,0 - 3,5 |
4 Monate | 0,5 - 2,5 |
6 Monate-1 Jahr | 0,3 - 1,3 |
2-12 Jahre | 0,1 - 1,3 |
13-17 J., männlich | 0,1 - 1,3 |
13-17 J., weiblich | 1,0 - 1,5 |
Interpretation
Erhöhte Werte
Das vermehrte Auftreten von Retikulozyten im Blut bezeichnet man als Retikulozytose. Sie ist das Zeichen einer gesteigerten Erythropoese (hyperregeneratorische Anämien) z.B. nach Blutverlusten oder Hämolysen. Ferner kann sie auftreten bei:
- chronischer Hypoxie
- Retikulozytenkrise unter Substitutionstherapie einer Eisen-, Vitamin B12- oder Folsäuremangelanämie (Therapiekontrolle)
Erniedrigte Werte
Erniedrigte Retikulozytenzahlen (Retikulopenie) sprechen für eine verminderte Erythropoese (hyporegeneratorische Anämien) z.B. bei:
- megaloblastärer Anämie (Vitamin B12- und Folsäuremangel)
- Eisenmangelanämie
- aplastischen Anämien
- renaler Anämie (Erythropoetinmangel)
- myelodysplastischem Syndrom (MDS)
- Zytostatikatherapie
- Strahlentherapie
- Panmyelopathie
- hämolytischer Transfusionsreaktion
- Virusinfekten (Parvovirus B19)
- Exposition gegenüber myelotoxischen Substanzen (Benzol)
Differentialdiagnostik
Zur Differentialdiagnose von Anämien können folgende Retikulozyten-abhängige Parameter bestimmt werden:
- Retikulozytenzahl
- Retikulozytenhämoglobin (Ret-Hb)
- Retikulozytenproduktionsindex (RPI)
- Retikulozytenindex
- Retikulozytenreifeindex (IRF-Wert)
um diese Funktion zu nutzen.