Folsäuremangel
Englisch: folate deficiency
Definition
Folsäuremangel ist eine Hypovitaminose, bei der die Versorgung mit dem Vitamin Folsäure nicht an den physiologischen Bedarf angepasst ist.
ICD-10-Code
- D52.- Folsäuremangelanämie
- E53.8 Mangel an sonstigen näher bezeichneten Vitaminen des Vitamin-B-Komplexes
Funktion
Folsäure ist ein lebenswichtiges Vitamin, welches als Koenzym bei der Übertragung von organischen Gruppen (z.B. Methyl-, Formylgruppen) dient. Dabei ist es insbesondere in der DNA-Synthese involviert. Entsprechend zeigt sich ein Folsäuremangel in erster Linie in Geweben mit hoher Proliferationsrate.
Die empfohlene tägliche Zufuhr beträgt 300 µg, bei Frauen mit Kinderwunsch, Schwangeren und Stillenden 400 µg pro Tag.
Ursachen
Die häufigste Ursache für einen Folsäuremangel ist eine unzureichende Zufuhr über die Nahrung. In Industrieländern wird der Mangel meist nur bei Menschen klinisch manifest, die gleichzeitig einen erhöhten Bedarf an Folsäure besitzen. Weitere Ursachen können bestimmte Medikamente sowie Erkrankungen mit Malabsorption sein.
Mangelnde Zufuhr
Ein nutritiv bedingter Folsäuremangel findet sich häufig bei Personen im hohen Alter, Neugeborenen, Alkoholikern oder Personen mit psychiatrischen Beeinträchtigungen. In Entwicklungsländern tritt ein Mangel unter anderem bei Kwashiorkor oder Skorbut auf.
Malabsorption
Eine Malabsorption von zugeführtem Folat findet sich insbesondere bei tropischer Sprue und Zöliakie. Seltene Ursachen ergeben sich nach Resektion des Jejunums oder partieller Gastrektomie, bei systemischen Infektionen, Sklerodermie oder Amyloidose.
Erhöhter Bedarf oder Verlust
Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist der Bedarf an Folsäure deutlich erhöht. Seit Einführung einer Folsäureprophylaxe in Industrieländern ist die Inzidenz von Neuralrohrdefekten, die auf einen Folsäuremangel zurückzuführen sind, deutlich zurückgegangen. Bei Früh- und Neugeborenen ist der Folsäurebedarf ebenfalls deutlich erhöht.
Pathologische Situationen, die einen erhöhten Bedarf an Folsäure verursachen, sind:
- Hämatologische Erkrankungen: Chronische hämolytische Anämien (insbesondere Sichelzellanämie, autoimmunhämolytische Anämie, Thalassämie), Osteomyelofibrose
- Malignome
- Entzündungen: Tuberkulose, Malaria, bakterielle Endokarditis, Morbus Crohn, Psoriasis, rheumatoide Arthritis
- Homocystinurie: Aufgrund kompensatorisch erhöhter Konversion von Homocystein zu Methionin
- angeborener Intrinsic-Faktor-Mangel
Bei Herzinsuffizienz, Lebererkrankungen und Hämodialyse geht Folsäure vermehrt mit dem Urin verloren.
Medikamente und Toxine
Medikamente bzw. Toxine, die einen Folsäuremangel auslösen können, sind u.a.:
- Folsäureantagonisten: Methotrexat, Pemetrexed, Trimethoprim (z.B. in Cotrimoxazol), Pyrimethamin
- Antikonvulsiva: Carbamazepin, Phenytoin, Primidon, Valproat, Barbiturate
- Sonstige: Sulfasalazin, Nitrofurantoin, Tetrazykline, Antituberkulotika, Triamteren, Metformin, Zidovudin
- Genussmittel: Alkohol, Tabakrauchen
Genetische Ursachen
Die sehr seltene hereditäre Folat-Malabsorption entsteht durch Mutationen im SLC46A1-Gen, welches für den protonengekoppelten Folattransporter (PCFT) kodiert.
Klinik
Ein Folsäuremangel führt zu einer megaloblastären Folsäuremangelanämie. Schwere Verläufe zeigen sich mit Abgeschlagenheit, verminderter Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Tachykardie und Schwindel.
Weiterhin erhöht ein Folsäuremangel bei schwangeren Frauen das Risiko für Frühgeburten sowie embryonale Neuralrohrdefekte und Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.
Ob ein Folsäuremangel auch neurologische Schäden wie beim Vitamin-B12-Mangel verursacht, ist umstritten. Assoziationen mit der Entwicklung einer Demenz sind beschrieben.
Diagnostik
Diagnostisch sollte die Erythrozyten-Folsäure gemessen werden, da der Folsäuresiegel im Blutserum ernährungsbedingten Schwankungen ausgesetzt ist. Bei Ausbildung einer Folsäuremangelanämie zeigen sich im Blutausstrich makrozytäre und hyperchrome Erythrozyten. Anschließend sollte eine ätiologische Klärung erfolgen.
Therapie
Neben einer kausalen Therapie erfolgt eine orale Substitution mit 5 mg/d Folsäure. Die Therapiedauer beträgt meist 4 Monate und sollte bis zur Normalisierung des Blutbildes fortgeführt werden. Bevor die Folsäure-Substitution begonnen wird, muss ein Vitamin-B12-Mangel ausgeschlossen und korrigiert werden, da sich sonst trotz Ansprechen der Anämie auf die Folsäuregabe eine Vitamin-B12-induzierte Neuropathie entwickeln kann. Falls die Ursache nicht behoben werden kann oder der Mangel mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederkehren wird, kann Folsäure langfristig substituiert werden.
Prophylaxe
Bei Patienten unter chronischer Dialyse oder parenteraler Ernährung wird eine Folsäureprophylaxe empfohlen. Auch vor und während einer Schwangerschaft sollte Folsäure in einer täglichen Dosis von 400 µg verabreicht werden. Bei Frauen, die bereits einen Fetus mit Neuralrohrdefekt zur Welt brachten, wird vor und während der nächsten Schwangerschaft eine Substitution mit 5 mg/d durchgeführt.
Bei frühgeborenen Säuglingen mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g wird während der ersten 6 Lebenswochen routinemäßig Folsäure gegeben. Dies gilt auch für Frühgeborene, die eine Austauschtransfusion benötigen, Schwierigkeiten beim Füttern haben sowie Zeichen einer Infektion, Erbrechen oder Diarrhö aufweisen.
Bei Gabe von Methotrexat und anderen Dihydrofolatreduktase-Hemmern kann zur Therapie oder Prävention eines Folsäuremangels Folinsäure (5-Formyl-Tetrahydrofolat) eingesetzt werden.