von altgriechisch: κοίλος ("koilos") - Bauch
Synonyme: Coeliakie, Glutenbedingte Enteropathie, glutensensitive Enteropathie, Gee-Herter-Heubner-Syndrom, Heubner-Infantilismus, idiopathische infantile Steatorrhö, einheimische Sprue
Englisch: celiac disease, coeliac disease, nontropical sprue, Gee's disease, Herter-Heubner disease
Die Zöliakie ist eine immunologische Erkrankung des Darmes ungeklärter Ursache, die durch in Getreide enthaltenen Proteine ausgelöst wird, die man unter dem Begriff Gluten zusammenfasst. Es kommt zu einer intestinalen Unverträglichkeit gegenüber den Getreideeiweißen. Bei Kindern und Erwachsenen mit entsprechender genetischer Veranlagung führt die Aufnahme von glutenhaltigen Lebensmitteln zu einer Immunreaktion des Darms mit chronischer Entzündung und Rückbildung der Dünndarmzotten (Atrophie).
ICD10-Code: K90.0
Die Zöliakie beginnt zumeist im Säuglingsalter mit der Aufnahme von Getreideprodukten, kann aber auch erst im Erwachsenenalter auftreten. Wichtigste Auslöser sind Dinkel, Weizen, Roggen und Gerste. Hafer kann die Erkrankung ebenfalls auslösen, wenn er Glutenverunreinigungen enthält. Eine Zöliakie tritt familiär gehäuft auf, sowie in Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen (u.a. Diabetes mellitus Typ 1, Hashimoto-Thyreoiditis, juvenile idiopathische Arthritis).
Die Prävalenz der Zöliakie weist deutliche geografische Unterschiede auf. In verschiedenen europäischen Ländern liegt sie - unter Einbeziehung der durch Screeninguntersuchungen diagnostizierten Fälle - zwischen 1:110 bis 1:500, wobei die meisten Fälle asymptomatisch sind, also nicht die typische Verlaufsform der Zöliakie aufweisen.
Die Inzidenz liegt etwa bei 1:1.000 bei Kindern, 1:5.000 bei Erwachsenen. Frauen sind häufiger von Zöliakie betroffen als Männer.
Die Zöliakie führt zu einer autoimmunologisch vermittelten Zottenatrophie mit deutlicher Vermehrung der T-Zellen in den Schleimhautepithelien. Die Gewebetransglutaminase (tTG) spielt bei der Pathogenese eine Schlüsselrolle. Sie ist u.a. in der extrazellulären Matrix basal der Enterozyten lokalisiert und katalysiert zwei Reaktionen: Transglutaminierung und Deamidierung.
Gliadin, das einen hohen Prolin- und Glutamin-Gehalt aufweist, bildet durch kovalente Bindungen außerhalb des aktiven Zentrums einen stabilen Komplex mit der tTG. Weiterhin deaminiert die tTG Glutamin zu Glutamat, wodurch sich die Affinität des Gliadins zu bestimmten MHC-Klasse-II-Komplexen (HLA-DQ2 und HLA-DQ8) auf antigenpräsentierenden Zellen erhöht. Diese HLA-Assoziation kann auch zur Diagnostik herangezogen werden.
Antigenspezifische T-Zellen erkennen mit ihrem T-Zell-Rezeptor das auf dem MHC-II-Komplex präsentierte Peptid und initiieren eine Immunreaktion. Infolge der Komplexbildung von tTG und Gladinpeptiden resultiert eine ausgedehnte Immunreaktion gegen die tTG selbst, was zur Bildung von Transglutaminase-Antikörpern (tTG-Ak) führt.
Die Aktivierung der T-Zellen löst eine vermehrte Produktion von Interferon-gamma und TNF-alpha aus und aktiviert B-Zellen und NK-Zellen. Die resultierende Entzündungsreaktion der Darmschleimhaut führt dann zu Zottenatrophie, Kryptenverbreiterung und Bürstensaumverlust.
Durch die Zottenatrophie ist im oberen Dünndarm die Resorption von Nährstoffen und Mikronährstoffen gestört. Typische Symptome sind u.a. Gedeihstörungen (mangelnde Größen- und Gewichtszunahme bei Kindern), ein vorgewölbtes Abdomen, Bauchschmerzen, chronische Diarrhoe, chronische Obstipation, Fettstühle, Anämie, depressive Verstimmungen und in Extremfällen auch ein Tabaksbeutelgesäß.
In den letzten Jahrzehnten fand eine Verschiebung vom Vollbild mit massiven Durchfällen und Gewichtsverlust hin zu den nun häufiger vorkommenden stillen oder oligosymptomatischen Formen statt. Sie sind gekennzeichnet durch:
In seltenen Fällen kann sich auf dem Boden einer Zöliakie nach Jahren ein Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom (EATL) entwickeln.
Als Funktionstest werden eingesetzt:
Bestimmt werden u.a. Antikörper gegen deamidierte Gliadinpeptide (Anti-DGP), Endomysium-Antikörper (EMA) und Transglutaminase-Antikörper (IgA-tTG) durch indirekte Immunfluoreszenz bzw. ELISA.
Leitlinienkonform sollte der IgA-Serumspiegel mitbestimmt werden, da im Falle eines angeborenen IgA-Mangels das Ergebnis falsch-negativ ist. Bei diesen Patienten können ersatzweise die IgG-Antikörper gegen Transglutaminase (IgG-tTG) oder Gliadinpeptide (Anti-DGP IgG) bestimmt werden.
Die Bestimmung krankheitsauslösender HLA-Merkmale (HLA-DQ2, HLA-DQ8) via PCR ermöglicht eine Ausschlussdiagnostik. Diese Merkmale kommen zwar auch bei Gesunden vor, haben aber einen sehr hohen negativen prädiktiven Wert. Wenn bei einem Patienten weder HLA-DQ2.2, -DQ2.5 noch -DQ8 vorliegen, ist eine Zöliakie sehr unwahrscheinlich.
Die histologische Sicherung der Diagnose erfolgt durch eine Dünndarmbiopsie, die im Rahmen einer Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) durchgeführt wird. Es müssen mindestens 40 T-Lymphozyten auf 100 Epithelzellen vorhanden sein. Die typische Morphologie des Biopsats umfasst:
Ein Verlust oder subtotaler Verlust an Zotten bei erhöhten intraepithelialen Lymphozyten reicht histologisch für die Diagnose aus. Auch die Kapselendoskopie des Dünndarmes kommt in ausgewählten Fällen zum Einsatz.
Für die Diagnostik der Zöliakie galt die Dünndarmbiopsie lange Zeit als Goldstandard. In der aktuellen S2k-Leitlinie (Stand 2022) wird initial eine serologische Untersuchung empfohlen. Bei einem positiven Befund erfolgt anschließend eine ÖGD. Bei Kindern kann auf die ÖGD verzichtet werden, sofern der IgA-tTG-Titer das Zehnfache des oberen Normwertes übersteigt und das Ergebnis mittels zweiter Serumprobe und Bestimmung von Endomysium-Antikörper bestätigt ist.
Die Zöliakie wird in verschiedene Unterformen eingeteilt, die durch unterschiedliche klinische oder diagnostische Kriterien gekennzeichnet sind.
Auf der histologischen Untersuchung der Schleimhautbiopsie basiert die Klassifikation nach Marsh. Sie bewertet die Anzahl intraepithelialer Lymphozyten (IEL), sowie die Form der Krypten und Zotten.
Typ | IEL | Krypten | Zotten |
---|---|---|---|
0 | < 40/100 | normal | normal |
1 | > 40/100 | normal | normal |
2 | > 40/100 | hyperplastisch | normal |
3a | > 40/100 | hyperplastisch | leicht verkürzt |
3b | > 40/100 | hyperplastisch | stark verkürzt |
3c | > 40/100 | hyperplastisch | fehlen ganz |
4 | < 40/100 | normal | fehlen ganz |
Die Therapie besteht in der lebenslangen glutenfreien Ernährung. Auch geringste Glutenmengen können Schäden an der Dünndarmschleimhaut verursachen. Spuren von Gluten können in den verschiedensten Lebensmitteln enthalten sein, beim Einkauf ist deshalb besondere Vorsicht geboten. Zu den bei Zöliakie erlaubten Nahrungsmitteln gehören unter anderem Reis, Mais, Fisch, Fleisch, Soja, Kartoffeln und Gemüse.
Glutenfreie Produkte sind mit dem Symbol der „durchgestrichenen Ähre“ gekennzeichnet, was ein Produkt als „glutenfrei“ ausweist bzw. sind als „glutenfrei“ gekennzeichnet.
Tags: Dünndarm, Ernährung, Gliadin, Gluten, HLA-Assoziation, K90, Protein, Resorption
Fachgebiete: Ernährungsmedizin, Gastroenterologie
Diese Seite wurde zuletzt am 10. Juni 2022 um 23:56 Uhr bearbeitet.
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