Eisenmangelanämie
Synonyme: Anaemia oligosideraemica, sideropenische Anämie
Englisch: iron deficiency anemia
Definition
Die Eisenmangelanämie ist eine Störung des blutbildenden Systems, bei der es aufgrund eines Eisenmangels zu einer verminderten Erythrozytenzahl und Hämoglobinkonzentration (Anämie) kommt.
- ICD-10-Code: D50.0 - D50.9
Von der Eisenmangelanämie abgegrenzt wird die sideroachrestische Anämie, bei der eine Verwertungsstörung des aufgenommenen Eisens vorliegt.
siehe auch: Eisenstoffwechsel
Epidemiologie
Die Eisenmangelanämie ist die häufigste Anämieform. Die überwiegende Mehrheit (ca. 80 %) der Patienten sind Frauen (Mehrbedarf durch Menstruation, Gravidität und Laktation). In Europa leiden Schätzungen zufolge etwa 10 % der Frauen im gebährfähigen Alter unter einer Eisenmangelanämie, in Entwicklungsländern nach mehr als 50 %.
Ursachen
Die häufigste Ursache für Eisenmangelanämien ist der Eisenverlust durch chronische Blutungen. Als Blutungsquellen kommen unter anderem in Frage:
- Menstruation, Hypermenorrhö bzw. Menorrhagie (Frauen)
- Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt (z.B. Ulzera, Hämorrhoiden, Karzinome)
- Blutungen aus anderen Organen (Nase, Urogenitaltrakt, Gingiva)
- Operationen
- Traumata
- Blutspende, mehrfache Blutabnahmen (sog. Krankenhausanämie)
- Hämodialyse bei Niereninsuffizienten
Als weitere, in Industrieländern seltenere Ursachen, lassen sich eine mangelhafte Eisenzufuhr mit der Ernährung (z.B. bei bestimmten Formen des Vegetarismus) oder eine verminderte beziehungsweise gestörte Eisenresorption (z.B. bei Zöliakie, Morbus Crohn oder nach Gastrektomie) identifizieren. Darüber hinaus kann auch ein gesteigerter Eisenbedarf einen relativen Eisenmangel erzeugen, z.B. während der Schwangerschaft und Stillzeit, bei Wachstumsschüben in der Jugend oder bei Therapie mit Erythropoetin oder Vitamin B12.
Bei anderen Anämieformen wie der renalen Anämie und der Anämie bei chronischer Erkrankung kann zusätzlich ein Eisenmangel vorliegen. Außerdem liegt bei diesen beiden Anämieformen aufgrund einer inadäquat erhöhten Synthese von Hepcidin ein funktioneller Eisenmangel vor.
Symptome
Die Eisenmangelanämie zeigt ein relativ charakteristisches Symptommuster. Die Krankheitsanzeichen lassen sich dabei grob in drei Gruppen einteilen:
Allgemeine Anämiesymptome
- Blässe von Haut und Schleimhaut
- Körperliche Schwäche
- Belastungsdyspnoe
- Tachykardie
- Systolisches Herzgeräusch funktioneller Genese, d.h. aufgrund von Strömungsturbulenzen bei verminderter Viskosität und erhöhtem Herzzeitvolumen (DD: Endocarditis lenta mit Vitium)
Haut- und Schleimhautsymptome
- Trockene Haut und Pruritus
- Rillenbildung und Brüchigkeit der Nägel, Hohlnägel (Koilonychie)
- diffuse Alopezie
- Chronisch-rezidivierende Aphthen der Mundschleimhaut
- Plummer-Vinson-Syndrom: Sideropenische Schleimhautatrophie von Zunge, Oropharynx und Ösophagus mit Zungenbrennen und Dysphagie
- Mundwinkelrhagaden
Unspezifische psychische oder neurologische Störungen
- Kopfschmerzen
- Konzentrationsstörung
- Leichte Erregbarkeit
- Restless-Legs-Syndrom
- Pica-Syndrom
Diagnostik
Klinische Untersuchung
- Anamnese
- Inspektion
- Auskultation: Systolisches Herzgeräusch (manchmal)
Labor
Die Eisenmangelanämie zeigt die typischen Laborbefunde einer Anämie:
- verminderte Erythrozytenzahl
- verminderte Hämoglobin-Konzentration
- erniedrigter Hämatokrit
Außerdem ist häufig eine sekundäre Thrombozytose zu beobachten.
Blutbild
Im Blutbild zeigt sich die typische mikrozytäre, hypochrome Anämie; MCV und MCH sind vermindert. Als weitere Befunde finden sich:
- Morphologische Veränderungen der Erythrozytenmorphologie (Anulozytose, Poikilozytose, Anisozytose)
- Erythrozytenverteilungsbreite erhöht
- Mentzer-Index > 13
- Retikulozytenhämoglobin < 28 pg
- Anteil hypochromer Erythrozyten > 10 %
- M/H-Quotient < 0,9
Im Erythrozytogramm zeigt sich eine typische Verschiebung der Erythrozytenpopulation nach unten links.
Klinische Chemie
Die Laborparameter des Eisenstoffwechsels zeigen folgendes Muster:
- Serumeisen: erniedrigt
- Serumferritin: erniedrigt
- Transferrin: erhöht
- Löslicher Transferrin-Rezeptor (sTfR): erhöht
- Transferrinsättigung: erniedrigt
- Zinkprotoporphyrin: erhöht
Die Bestimmung des Serumeisens spielt für die Diagnostik keine Rolle. Entscheidend für die Diagnose ist eine Erniedrigung des Serumferritins. Bei Lebererkrankungen und Entzündungen kann Ferritin jedoch erhöht sein, daher sollte parallel eine CRP-Bestimmung erfolgen. In diesen Situationen erkennt man einen Eisenmangel an der verminderten Transferrinsättigung.
siehe auch: Erklärvideo zur Diagnostik der Eisenmangelanämie
Differenzialdiagnosen
Verdünnungsanämien
Im Rahmen einer Schwangerschaft muss differenzialdiagnostisch an eine Schwangerschaftshydrämie gedacht werden. Diese Verdünnungsanämie entsteht durch Zunahme der Gesamthämoglobinmasse bei stärkerer Zunahme des Blutvolumens. Bei Schwangeren wird erst ab einem Hämoglobinwert von unter 11 g/dl von einer Anämie gesprochen.
Weiterhin muss eine Sportleranämie (runner's anemia) bedacht werden. Auch diese basiert auf eine stärkere Zunahme des Plasmavolumens im Vergleich zur Hämoglobinmasse.
Andere hypochrome Anämien
Weitere hypochrome mikrozytäre Anämien finden sich bei Thalassämien sowie selten beim myelodysplastischen Syndrom sowie bei der Anämie bei chronischen Krankheiten. Sehr seltene Ursachen sind eine Aluminiumintoxikation, Bleiintoxikation, Vitamin B6-Mangel und Kupfermangel.
Ursachendiagnostik
Deutlich schwieriger als die Feststellung der Eisenmangelanämie selbst kann die Lokalisation der in Frage kommenden Ursache sein. Sie konzentriert sich zunächst auf den Ausschluss möglicher Blutungsquellen und schließt u.a. die Untersuchung des Magen-Darm-Trakts (Blut im Stuhl) und des Urogenitaltrakts ein. Bei jungen Frauen ist an eine Hypermenorrhoe zu denken. Zum Ausschluss einer gestörten Eisenaufnahme kann ein Eisenresorptionstest durchgeführt werden.
Therapie
Die Kausaltherapie umfasst die Beseitigung der Blutungsursache. Symptomatisch erfolgt die Eisensupplementation, in der Regel per os.
Bei begleitender Niereninsuffizienz oder chronisch entzündlichen Erkrankungen ist aufgrund der erhöhten Hepcidin-Spiegel eine orale Gabe vermutlich wenig effektiv. In diesem Fall sollte Eisen parenteral appliziert werden. Weitere Indikationen einer intravenösen Eisensupplementation sind:
- Malabsorptionssyndrom
- schwere Nebenwirkungen bei oraler Therapie
- geringe Therapieadhärenz
- lange Anwendungsdauer
- unter Therapie mit Erythropoetin
Anwendung
Bei oraler Therapie wird standardmäßig 1 x 100 mg Fe(II) pro Tag auf nüchternen Magen eingenommen. In der Regel sollte die Substitution 3 bis 6 Monate nach Verschwinden der Anämie fortgesetzt werden. Das Zielferritin von 100 µg/dl sollte dabei erreicht werden. Falls eine Woche nach Beginn Retikulozyten und Hb nicht ansteigen, muss an eine falsche Einnahme, Resorptionsstörung, fortbestehende Blutung oder falsche Diagnose gedacht werden.
Bei parenteraler Therapie sollten möglichst Dextran-freie hochmolekular-stabile Komplexe und keine Mischspritzen verwendet werden. Beispielsweise eignet sich Eisen-(III)-Carboxymaltose bis 1.000 mg (1 x/Woche) am besten als Kurzinfusion in 100 ml NaCl 0,9 %. Zielwerte sind eine Transferrinsättigung von 20 bis 45 % sowie ein Serumferritin von 100 µg/dl. Letzteres sollte dabei frühestens 8 bis 12 Wochen nach letzter i.v.-Gabe gemessen werden, sonst können falsch hohe Werte vorkommen.
Nebenwirkungen
Bei oraler Therapie stehen gastrointestinale Beschwerden im Vordergrund. In solchen Fällen kann Eisen während oder nach der Mahlzeit eingenommen werden, obwohl es dadurch schlechter resorbiert wird. Weiterhin können Eisentabletten zu einer Schwarzfärbung des Stuhls führen. Bei Kindern kann das zufällige Verschlucken von Eisentabletten lebensbedrohlich sein (letale Dosis 3 g Eisen-II-Sulfat). Als Antidot eignet sich Deferoxamin.
Durch neuere Eisenpräparate ist die parenterale Eisengabe heute sehr viel besser verträglich. Trotzdem besteht das Risiko einer Thrombophlebitis. Weiterhin kann es zu Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Übelkeit und Erbrechen, Metallgeschmack und anaphylaktischem Schock kommen.