Retikulozytenhämoglobin
Synonyme: CHr, Ret-He, Ret-Hb
Definition
Als Retikulozytenhämoglobin, kurz Ret-Hb, bezeichnet man den Hämoglobingehalt der Retikulozyten, d.h. die durchschnittliche Menge an Hämoglobin pro einzelnem Retikulozyten, gemessen in pg oder fmol.
Hintergrund
Die Reifungszeit der Retikulozyten beträgt wenige Tage und sie zirkulieren nur etwa 24 bis 48 Stunden im peripheren Blut. Daher ist das Ret-Hb ein sehr früher und aktueller Marker eines funktionellen Eisenmangels.
Es existieren, je nach Hersteller des Analysegeräts, unterschiedliche Bezeichnungen für das Retikulozytenhämoglobin. Die Firma Siemens benutzt z.B. den Namen CHr, die Firma Sysmex den Namen Ret-He. Um solche industriell geprägten Ausdrücke zu vermeiden, könnte man, analog zum Hämoglobingehalt der Erythrozyten (MCH, "mean corpuscular hemoglobin") den Begriff MRH ("mean reticulocyte hemoglobin") verwenden.
Indikation
Die Bestimmung des Retikulozytenhämoglobins kann in der Anfangsphase einer Erythropoetin-Therapie zur Abkärung einer zusätzlichen Eisensubstitution indiziert sein. Durch Bestimmung des Ret-Hb können Patienten erkannt werden, die eine zusätzliche Eisenzufuhr benötigen.
Der Hämoglobinwert, das mittlere zelluläre Volumen (MCV) oder die mittlere zelluläre Hämoglobinkonzentration (MCH) zeigen erst nach Wochen signifikante Veränderungen.
Material
Für die Untersuchung werden 2 ml EDTA-Blut benötigt.
Methode
Heute übliche, höherwertige Hämatologiegeräte zählen die Zellen des Blutbildes mit Hilfe der Durchflusszytometrie. Die Retikulozyten können hierbei durch RNA-Farbstoffe Fluoreszenz-markiert und separat ausgewertet werden. Der Hämoglobingehalt wird dabei aus der Fluoreszenzintensität und der Lichtstreuung der Einzelpartikel ermittelt und als Verteilungskurve ausgegeben. Der MRH ist der Mittelwert der Einzelmessungen.
siehe auch: Retikulozytenzahl, Retikulozytenreifeindex
Referenzbereich
- 28-35 pg Hämoglobin (Hb) je Retikulozyt
Der genaue Wert ist abhängig vom jeweiligen Messverfahren.
Interpretation
Das Retikulozytenhämoglobin ist ein früher Marker eines funktionellen Eisenmangels. Es wird deshalb im Rahmen der Diagnostik von Eisenmangelanämien bestimmt. Es erlaubt eine relativ zeitnahe Betrachtung des Eisenmangels, da die Reifungszeit der Retikulozyten nur wenige Tage beträgt und sie nur 1-3 Tage im peripheren Blut zirkulieren.
Eine plötzlich auftretende Änderung der Eisenversorgung, z.B. die Erschöpfung des Eisenspeichers durch eine Blutung, wird am Retikulozytenhämoglobin schon nach 48-72 Stunden sichtbar. Demgegenüber reagiert die Erythrozytenpopulation mit einer durschschnittlichen Überlebenszeit von 120 Tagen stark verzögert. Umgekehrt normalisiert sich der MRH-Wert nach einer effektiven Eisensubstitution sofort, während die Erythrozyten noch mehrere Wochen mikrozytär und hypochrom bleiben. Im steady state sind MCH und MRH annähernd gleich hoch.
Für ein im Verhältnis zum MCH niedriges Retikulozytenhämoglobin gibt es außer Eisenmangel noch eine weitere, wichtige Ursache: eine Infektion bzw. Akute-Phase-Reaktion. Bei einer länger bestehenden Entzündungsreaktion kommt es zur Anämie bei chronischer Erkrankung, weil der Körper das Eisen zurückhält. Die Erniedrigung des Ret-Hb ist quasi ein Vorstadium dieser Anämie. Eine entzündliche Reaktion kann man durch das fallende MRH binnen Stunden diagnostizieren. Den stärksten Effekt haben bakterielle Infektionen. Bei einer wirksamen Antibiotikatherapie steigt das Retikulozytenhämoglobin wieder an und kann so zum Monitoring der Infektion benutzt werden.[1]
Unterscheiden kann man die beiden Ursachen über das Ferritin. Bei Eisenmangel ist es niedrig, bei Eisenrestriktion durch eine Entzündungsreaktion normal oder erhöht.
Das Retikulozytenhämoglobin gehört zum Schema der Anämiediagnostik nach Thomas. [2]
Erniedrigt bei:
- funktionellem Eisenmangel
- Eisenmangelanämie
Quellen
- ↑ Weimann A et al: Delta-He, Ret-He and a New Diagnostic Plot for Differential Diagnosis and Therapy Monitoring of Patients Suffering from Various Disease-Specific Types of Anemia. Clin Lab 2016; 62(4):667-677
- ↑ Thomas L, Thomas Ch, Heimpel H: Neue Parameter zur Diagnostik von Eisenmangelzuständen. Deutsches Ärzteblatt 2005; 102(9): A 580-586
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