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Bleivergiftung

(Weitergeleitet von Bleiintoxikation)

Synonym: Bleiintoxikation, Plumbismus, Saturnismus
Englisch: lead intoxication

1. Definition

Eine Bleivergiftung ist eine akute oder chronische Erkrankung, die durch Aufnahme des toxischen Schwermetalls Blei entsteht.

2. Ursachen

Eine Bleivergiftung entsteht durch die Aufnahme von Blei über den Gastrointestinaltrakt, per Inhalation oder über die Haut (transkutan), u.a. durch:

  • berufliche Exposition
  • bleihaltige Wasserleitungen
  • bleihaltige Salben (Schönheitspflege)

3. Toxikologie

3.1. Betroffene Organsysteme

Blei hat eine inhibierende Wirkung auf verschiedene Enzyme und schädigt somit viele Organsysteme des menschlichen Körpers. Betroffen sind unter anderem:

Die Wirkung hängt von der Höhe der Bleikonzentration im Blut ab.

Im Tierversuch zeigt Blei darüber hinaus eine kanzerogene Wirkung, bei Einhaltung des MAK-Wertes (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) besteht jedoch kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen.

Bei Schwangeren wirkt Blei nachgewiesenermaßen fruchtschädigend.

Schwere akute Vergiftungen führen zum Koma und können in einen Tod durch Kreislaufversagen münden.

3.2. Grenzwerte

Gemäß den Empfehlungen der WHO sollte der Blutbleispiegel den Wert von 100 µg/l nicht überschreiten. Laut den technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) beträgt der biologische Grenzwert (BGW) 150 µg/l.

3.3. Pharmakokinetik

Aufgenommenes Blei gelangt zunächst in das Blut, wo es sich zu 95 % an Erythrozyten bzw. Plasmaproteine bindet. Von hier aus verteilt es sich in den verschiedenen Geweben bzw. Organen (z.B. Leber, Lunge, Milz, Nieren, Gehirn) und hat dort eine Halbwertzeit von rund 20 Tagen.

Das Blei aus den Weichgeweben wird zu einem Teil ausgeschieden, zum anderen Teil als schwerlösliches tertiäres Bleiphosphat in Knochen und Zähnen eingelagert. Hier hat Blei eine sehr lange Halbwertszeit, die – abhängig vom Knochenturnover – zwischen 5 und 30 Jahren liegt. Dadurch kann es auch ohne Bleizufuhr von außen zum Anstieg des Blutbleispiegels kommen, wenn in größerem Umfang Knochensubstanz abgebaut wird, z.B. bei Therapie mit Glukokortikoiden oder Immobilisation. Blei kann ebenfalls bei Änderungen der Stoffwechsellage – z.B. bei Fieber, Calciummangel oder Schwangerschaft – relativ rasch mobilisiert werden (Bleikrise). Die Elimination erfolgt über die Galle, Stuhl und Urin.

Blei ist plazentagängig und kann daher von der Mutter auf den Embryo bzw. den Fetus übergehen und ihn schädigen.

4. Symptome

Der klinische Verlauf einer Bleivergiftung lässt sich in verschiedene Entwicklungsstadien einteilen:

  • Klinisch stummes Vorstadium ("Bleiträger")
  • Kritisches Anfangsstadium ("Präsaturnismus")
  • Ausgeprägte Bleierkrankung ("Saturnismus")
  • Langzeitfolgen

Die Stadien sind jedoch nicht scharf abgegrenzt und Überschneidungen möglich.

4.1. Klinisch stummes Vorstadium

Bleivergiftungen äußern sich zunächst durch subikterische Skleren, herabgesetzten Hautturgor, fahle bräunliche Blässe sowie blasse Schleimhäute (Bleikolorit).

4.2. Kritisches Anfangsstadium

Es folgt das kritische Anfangsstadium, das u.a. durch Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Kopf- und Gliederschmerzen gekennzeichnet ist. Relativ frühe Anzeichen der Bleivergiftung sind chronische Obstipation und andere gastrointestinale Symptome.

4.3. Ausgeprägte Bleierkrankung

Das Vollbild der Bleivergiftung ist geprägt durch heftige, lang andauernde, schmerzhafte, abdominelle Koliken, die sogenannten Bleikoliken. Obstipation und Erbrechen können das klinische Bild ergänzen. Häufig besteht eine Bleianämie, die u.a. zu einer Tachykardie führt. Gelegentlich können Ulzera im Magen oder Zwölffingerdarm auftreten. In einigen Fällen kommt es zur Lähmung des Arms. Dabei ist die Gebrauchshand stets stärker betroffen. Die oft beschriebene klassische Fallhand durch Extensorenschwäche bzw. Radialislähmung ist eher selten. Am Zahnfleisch kann sich eine sichtbare, bläulichgraue Ablagerung (Bleisaum) bilden.

Bei massiver Intoxikation kommt es zu enzephalopathischen Symptomen wie z.B. starken Kopfschmerzen, passageren Verwirrtheitszuständen, Gesichtszuckungen und Funktionsstörungen im Bereich der Hirnnerven, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen und Epilepsie.

Durch Mobilisierung des im Knochen eingelagerten Bleis oder durch hohe Neuaufnahme können Bleikrisen mit schmerzhaften Koliken und Nierenfunktionsstörungen entstehen.

4.4. Langzeitfolgen

Als Spätwirkung der Bleiintoxikation wurden Schrumpfnieren und eine chronische Enzephalopathie beschrieben. Vorzeitige Alterung wird ebenfalls als Folge chronischer Bleiexposition angenommen.

5. Diagnostik

Erste diagnostische Hinweise liefern die typischen klinische Symptome und die Anamnese der Patienten. Im Blutbild zeigt sich als Zeichen einer Erythropoese-Störung eine basophile Tüpfelung der Erythrozyten. Im Urin kann man eine erhöhte Ausscheidung von Delta-Aminolävulinsäure nachweisen. Blei behindert den Abbau der Delta-Aminolävulinsäure und erhöht somit deren Ausscheidung. Es ist allerdings zu bedenken, dass die Delta-Aminolävulinsäure im Urin erst ansteigt, wenn das freie, nicht an Plasmaproteine gebundene Blei massiv erhöht ist.

6. Labormedizin

Der Bleiwert kann aus arbeitsmedizinischen Gründen zur Überwachung exponierter Personen, aber auch aus diagnostischen Gründen im Rahmen einer akuten Vergiftung oder einer chronischen Intoxikation bestimmt werden.

6.1. Material

Die Bestimmung des Bleiwertes kann in 4 ml Heparin- oder EDTA-Blut bzw. in 50 ml vom 24h-Urin erfolgen.

6.2. Referenzbereiche

6.2.1. Vollblut

Die Bestimmung erfolgt aus dem Vollblut. Der biologische Grenzwert für den Blutbleispiegel liegt bei 150 µg/l. Für Frauen im gebärfähigen Alter sind diese Werte nicht gültig.

6.2.2. Urin

Im Urin gelten für Frauen, Männer und Kinder folgende Grenzwerte:

Wert [µg/dl] Bewertung
0,3-1,8 unbelastet
11 Biologischer Grenzwert (BGW)
> 25 potentiell toxischer Bereich, weitere Abklärung notwendig

6.3. Sonstige Laborbefunde

Untersuchung Befund
Blutbild
Delta-Aminolävulinsäure im Urin
  • > 5,0 mg/d
  • Norm: 0,4-5,0 mg/d
Koproporphyrin III im Urin
  • > 75 µg/d
  • Norm: 15-75 µg/d
Protoporphyrin im (Heparin-)Blut
  • > 50 µg/dl
  • Norm: bis 50 µg/dl

6.4. Anmerkung

Bei Arbeitern in der Zink-Galvanik, die gegenüber Blei exponiert sind, wurde festgestellt, dass Zink bei Bleibelastungen von 0,49 % w/w in der Zinkschmelze die Bleiwerte reduziert. Die Zinkkonzentration im Blut lag bei ca. 800 µg/l, die Bleikonzentration bei ca. 158 µg/l. Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass bei zinkbelasteten Menschen die Bleibelastung nicht so prävalent ist. Zink induziert Metallothionein, das Blei bindet und ausscheidet. In der Induktion von Metallothionein könnte ein Therapieansatz für Blei- oder andere Schwermetallvergiftungen liegen.

7. Therapie

Therapeutisch stehen Komplexbildner wie Penicillamin oder Äthylendiamintetraessigsäure (Na2CaEDTA) zur Verfügung. Die Infusionstherapien sollten nur stationär durchgeführt werden, da diese zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können. Zu beachten ist zudem, dass ein zunächst abgesenkter Blutbleispiegel durch Umverteilungsvorgänge wieder ansteigen kann.

8. Vergiftungen mit Bleiakylenen

Bleiakylene (z.B. Bleitetraäthyl und Bleitetramethyl) kommen vor allem in Vergaserkraftstoffen (als "Antiklopfmittel") oder Flugbenzin vor. Es handelt sich um lipophile Substanzen, die Aufnahme erfolgt daher meist über die Haut.

8.1. Symptome

Bei akuten Vergiftungen mit Bleiakylenen können Erregungszustände, Halluzinationen und Krämpfe auftreten.

Chronische Vergiftungen können Depressionen und manische Zustände auslösen. Zudem kommt es durch erhöhte Aktivität des Parasympathikus zur Schädigung der Nebennieren, die sich durch Müdigkeit, Bradykardie, Blutdruckabfall und Abfall der Körpertemperatur äußert. Potenz- und Libidostörungen treten ebenfalls auf.

9. Arbeitsmedizin

Erkrankungen, die durch Kontakt mit Blei oder seine Verbindungen im beruflichen Kontext ausgelöst werden, sind in der Liste der Berufskrankheiten unter der BK-Nr. 1101 gelistet.

Blei kommt bei der Herstellung, Verarbeitung und Verwendung von Bleifarben, Akkumulatoren, Batterien, Bleiglas, einzelnen Kunststoffen sowie keramischen Lasuren vor. Primäre Gefahrenquellen sind insbesondere Arbeitsverfahren, bei denen Blei oder seine Verbindungen in Staub-, Rauch- oder Dampfform auftreten. Die Resorption findet dann vor allem über die Atemwege statt. Eine Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt ist ebenfalls möglich, jedoch in der Regel weniger gefährlich.

Die Inhalation von bleihaltigen Stäuben und Bleidämpfen ist z.B. möglich in folgenden Tätigkeitsbereichen:

  • Bei der Zinkverhüttung
  • Schleifen von Fugen, die mit bleihaltigem Lötzinn behandelt wurden
  • Schweißen, Trennen oder Brennschneiden bleihaltiger Materialien oder bleifarbenbedeckter Metallteile
  • Entfernung älterer bleihaltiger Anstriche mittels Bürste oder Strahlverfahren
  • Verarbeitung von bleihaltigen Abfallmaterialien
  • Verwendung von Bleiverbindungen als Stabilisatoren und Gleitmittel in der Kunststoffindustrie
  • Herstellung bleihaltiger Glasuren, Dekors, Kristallgläser
  • Batterien- und Akkumulatorenindustrie
  • Bleiherstellung, Bleischmelzen
  • Reinigen von mit Bleibenzin betriebenen Motoren, in denen Bleioxyd oder Bleihalogenide als Verbrennungsrückstand vorkommen

Der Kontakt mit metallischem Blei, Bleirohren, Bleilettern (z.B. im graphischen Gewerbe) oder mit bleihaltigem Benzin an Tankstellen stellt i.d.R. keine spezifische Gesundheitsgefahr dar.

9.1. Grenzwerte

Die maximale Arbeitsplatz-Konzentration (MAK) für Blei beträgt 0,004 mg/m3, gemessen als einatembare Fraktion.

9.2. Prävention

Die Aufnahme von Blei durch Inhalation von Bleistäuben muss durch Absaugung und andere Maßnahmen verhindert werden. Außerdem muss ggf. ein Atemschutz verwendet werden sowie eine persönliche Schutzausrüstung. Ferner gilt ein Ess-, Trink- und Rauchverbot am Arbeitsplatz. Arbeitskleidung ist nach der Arbeit zu wechseln.

Obsolet ist inzwischen die präventive Gabe von Milch oder Penicillamin.

Die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung richtet sich nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und den dazu veröffentlichten Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR). Zu beachten ist die mögliche Bleibelastung im Privatbereich durch kontaminierte Lebensmittel, durch Trinkwasser (z.B. Bleirohre) oder durch bleihaltige Gegenstände.

10. Quellen

11. Literatur

  • Lohs K, Elstner P, Stephan U et al.: Fachlexikon Toxikologie. 4. Auflage, 2009. Springer Verlag
  • Trautmann et al.: Allergiediagnose Allergietherapie. 1. Auflage, 2006. Thieme Verlag
  • H-J. Seidel, G. Enderle, Arbeitsmedizin Fort- und Weiterbildung, Kurs B, Urban & Fischer Verlag, 1. Auflage, 2003
  • Michael Busch, Kompendium Arbeitsmedizin, 10. Auflage, 2021
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