Hereditäre Sphärozytose
Synonyme: Kugelzellanämie, Kugelzellenanämie, Sphärozytose
Englisch: spherocytosis
Definition
Die hereditäre Sphärozytose oder Kugelzellenanämie ist eine genetisch bedingte hämolytische Anämie, die auf einem Strukturdefekt der Erythrozyten beruht.
- ICD-10-Code: D58.0
Ätiologie
Die hereditäre Sphärozytose kann durch verschiedene Genmutationen von Komponenten der erythrozytären Zellmembran und/oder des Zytoskeletts entstehen. Entsprechend zählt sie zu den korpuskulären hämolytischen Anämien. Grundsätzlich gibt es sowohl autosomal-rezessiv als auch autosomal-dominant vererbte Formen, wobei sich in 5 % der Fälle Neumutationen finden.
Gen | Protein | Erbgang | Besonderheit |
---|---|---|---|
ANK1, Genlokus 8p11.2 | Ankyrin | autosomal-dominant | häufigste Ursache (50 %) |
SLC4A1, Genlokus 17q21 | Bande-3-Protein (Anionen-Austauscher 1) | autosomal-dominant | ungefähr 25 % der Fälle |
SPTA1, Genlokus 1q22-q23 | Alpha-Spektrin | autosomal-rezessiv | selten |
SPTB, Genlokus 14q23-q24.1 | Beta-Spektrin | autosomal-rezessiv | selten |
EPB42, Genlokus 15q15-q21 | Band 4.2 | autosomal-rezessiv | selten |
Epidemiologie
Pathophysiologie
Infolge des Membran- bzw. Zytoskelettdefektes kommt es zu einem Formverlust der Erythrozyten. Dadurch verändert sich die platte, bikonkave Form der Zellen zur Kugelform, welche die kleinste Oberflächenspannung hat. Die Verformbarkeit dieser Mikrosphärozyten ist vermindert. Zusätzlich kommt es zu einer erhöhten Membranpermeabilität mit gesteigerter Glykolyse und erhöhtem ATP-Umsatz. Die Lebensdauer der Mikrosphärozyten ist deutlich herabgesetzt. Sie unterliegen in der Milz einer erhöhten Phagozytoserate.
Klinik
Der klinische Schweregrad unterliegt einem breiten Spektrum. Während sich milde Verläufe erst im Erwachsenenalter manifestieren können, präsentieren sich schwere Formen bereits in der Kindheit. Oft liegt eine kompensierte Hämolyse ohne Anämie vor. Im Rahmen von Infekten oder bei einer Schwangerschaft kann es zur transienten Verschlechterung kommen. Im Rahmen von Parvovirus B19-Infektionen kann es zu lebensbedrohlichen aplastischen Krisen kommen. Typische Zeichen sind:
- Allgemeine Anämiesymptome: Abgeschlagenheit, Leistungsminderung, Müdigkeit, Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Tachykardie, Schwindel
- Chronische Hämolyse: Ikterus, Splenomegalie, Gallensteine
- Hämolytische Krise: Fieber, Schüttelfrost, Bauch-, Rücken-, Kopfschmerzen, Hämoglobinurie
Diagnostik
- ggf. positive Familienanamnese
- Normochrome normozytäre Anämie (MCV und MCH normwertig)
- MCHC ↑
- Hämolyseparameter: LDH ↑ , indirektes Bilirubin ↑ , Haptoglobin ↓ , Retikulozytose
- Mikrosphärozyten ohne zentrale Aufhellung und Polychromasie im Blutausstrich
- Coombs-Test: negativ
- Verminderte osmotische Resistenz: Acidified Glycerol Lysis Test (AGLT), genaue Bestimmung mittels Gradientenektazytometrie nur in Speziallaboren
- EMA-Test: Durchflusszytometrische Untersuchung der Bindung von Eosin-5-Maleimid (EMA) an Bande-3-Protein; die Fluoreszenzintensität ist gegenüber normalen Erythrozyten um ca. 30 % vermindert
- SDS-Gelelektrophorese der Membranproteine
- Molekulargenetische Untersuchung: Nur in Spezialfällen aufgrund der zahlreichen Zielgene mit Heterogenität möglicher Mutationen
Therapie
Für die hereditäre Sphärozytose gibt es aktuell (2022) keine kausale Behandlung. Die veränderten Erythrozyten werden insbesondere in der Milz abgebaut, sodass eine Splenektomie die Erythrozytenüberlebenszeit verlängern kann. Die Indikation wird individuell je nach Schwere der Erkrankung gestellt. In schweren Fällen wird sie im Alter von 4 bis 6 Jahren durchgeführt, sonst eher später nach der Pubertät. Vorher sind entsprechende Impfempfehlungen einzuhalten. Zudem sollte vor einem Eingriff die Existenz einer Nebenmilz ausgeschlossen werden. Wird eine eventuell vorhandene Nebenmilz nicht mit entfernt, persistiert die klinische Symptomatik. Eine subtotale Splenektomie (ca. 10 ml Restmilzvolumen) scheint nachfolgende postoperative Risiken (z.B. Auftreten eines OPSI-Syndroms bzw. einer Sepsis) zu reduzieren.
Weiterhin steigt bei schwerer Hämolyse und nach Splenektomie der Folsäurebedarf. Daher sollte eine Substitution mit 1 mg/d Folsäure durchgeführt werden. Bei symptomatischer Cholelithiasis kommt eine Cholezystektomie in Frage.
Weblinks
- Eber S, Andres O S1-Leitlinie Hereditäre Sphärozytose, Stand 12.2016, abgerufen am 07.08.2019