(Weitergeleitet von Sclerose en plaque disseminée)
Synonyme: Encephalomyelitis disseminata, disseminierte Enzephalomyelitis, demyelinisierende Enzephalomyelitis, Entmarkungs-Enzephalomyelitis, Polysklerose, Sclerosis multiplex, Sclerose en plaque disseminée
Abkürzung: MS, ED
Englisch: multiple sclerosis, disseminated sclerosis
Die Multiple Sklerose, kurz MS, ist eine chronische, entzündlich-demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS).
Die Multiple Sklerose ist in Mitteleuropa die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Sie tritt meist bei jungen Menschen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Prävalenz in Europa beträgt 30 – 80 /100.000 Einwohner, die jährliche Inzidenz liegt bei 3,5 – 5 /100.000 Einwohner.
In Deutschland gibt es etwa 122.000, in Österreich etwa 8.500 Erkrankte. In der äquatorialen Zone gibt es weniger MS-Erkrankungen als in den nördlichen bzw. südlichen Breiten. Durch Zuwanderungsstudien konnte gezeigt werden, dass das nur für Menschen gilt, die in der frühen Kindheit umzogen, sodass die MS auch als späte Folge einer frühen Infektionskrankheit diskutiert wird. Direkt übertragbar ist die MS nicht, wie anhand von Studien mit Adoptivkindern festgestellt werden konnte.
Die Erkrankung tritt familiär gehäuft auf: Für Verwandte 1. Grades erhöht sich das Risiko, im Laufe des Lebens ebenfalls zu erkranken, um das 25-fache, bei Eineiigkeit auf 25- 30%. Zudem besteht eine Assoziation mit HLA-DR2.
Die Ursache für die Entstehung einer MS ist aktuell (2020) noch ungeklärt.
Folgende Risikofaktoren werden in Zusammenhang mit MS diskutiert:
Das wesentliche Merkmal der MS ist die im Gehirn und im Rückenmark verstreut auftretende Entzündung, die durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nerven entsteht. Die dadurch ausgelöste Demyelinisierung bedingt zunächst eine Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit, danach einen Untergang der Axone. Anfänglich kommt es häufig noch zu Remyelinisierungen mit gliöser Vernarbung.
Die Prädilektionsstellen für das Auftreten solcher Herde sind: Nervus opticus, periventrikuläre Hirnsubstanz, Hirnstamm, Kleinhirn, Frontallappen und die Hinterstränge, besonders im Zervikalmark.
Der genaue Pathomechanismus der MS ist noch nicht vollständig geklärt. In den Gehirnen erkrankter Versuchstiere ließ sich eine erhöhte Konzentration des Proteins CD44 nachweisen. Es scheint dafür verantwortlich zu sein, dass die zerstörten Myelinscheiden nicht mehr ersetzt werden.
In letzter Zeit (2020) verdichten sich die Hinweise, dass eine persistierende virale Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus eine entscheidende pathogenetische Rolle spielt. Die Virusinfektion stimuliert eine CD8+‑T‑Zell-Antwort, die eigentlich zur Viruselimination führen soll, jedoch unbeabsichtigt ZNS-Schäden verursacht. In diesem Zusammenhang wird oft von einem "bystander damage" gesprochen. Der genaue Mechanismus ist allerdings noch nicht vollständig geklärt.[1] Ebenso gibt es Hinweise, dass eine Reaktivierung der Viren eine Rolle beim Auslösen von MS-Schüben spielt.[2]
Es wird zwischen mehreren Verlaufsformen unterschieden:
Zudem kann das sogenannte Uhthoff-Phänomen auftreten. In Zusammenhang mit erhöhter Körpertemperatur (etwa bei Fieber, körperlicher Anstrengung, heißen Bädern oder heißem Wetter) kommt es zu einer passagere Verschlechterung der Symptomatik. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um einen "Pseudoschub".
Als Schub wird generell die subjektive oder objektive Verschlechterung der Symptome bezeichnet. Sie müssen eine Dauer von mindestens 24 Stunden und einen Mindestabstand von 30 Tagen zum vorherigen Schub haben und dürfen nicht während einer Infektion vorliegen.
Die Symptomatik manifestiert sich zumeist zwischen dem 15. und 45. Lebensjahr in Form von Frühsymptomen wie:
Im weiteren Verlauf sind u.a. folgende Symptome anzutreffen:
Begleitend können psychische Symptome wie Depressionen und emotionale Labilität auftreten.
Während die Entzündungen beim schubförmigen Verlauf in akuten Phasen auftreten und nach Abklingen der Inflammation meistens auch die Symptome wieder verschwinden, geht die Verstärkung der Symptome beim progredienten und sekundär progredienten Verlauf schleichend und beim fulminanten Typ sehr schnell vor sich.
Bei einem schubweisen Verlauf kommt es meist im Frühjahr und Sommer zu einer Verschlechterung der Symptomatik, während Schübe im Winter seltener sind. Diese Saisonalität hängt mit der erhöhten Melatonin-Produktion des Körpers in den dunkleren Wintermonaten zusammen.[3]
Da die Symptomatik häufig keine zweifelsfreie Diagnosestellung zulässt, werden zusätzliche neurologische und radiologische Untersuchungen durchgeführt. Als Hilfsmittel für die Einstufung des Behinderungsgrads hat sich die EDSS-Skala bewährt.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist bei Multipler Sklerose die primäre Bildgebung zur Diagnostik und Verlaufsbeobachtung. Sie ermöglicht eine Beurteilung der Krankheitsaktivität im Spontanverlauf oder unter Therapie.
Hochauflösende T2-gewichtete Bildsequenzen eignen sich wegen ihrer hohen Sensitivität am besten dazu, das Läsionsausmaß zu erfassen. T1-gewichtete Aufnahmen mit Kontrastmittel (Gadolinium-DTPA) erleichtern das Erkennen neu aufgetretener aktiver Läsionen.
Typisch sind hyperintense Läsionen in T2-gewichteten Bildern oder in FLAIR-Sequenzen, die im periventrikulären Marklager (Dawson-Finger) und im Balken lokalisiert sind. Sie können auch juxtakortikal, infratentoriell oder intraspinal angesiedelt sein.[4]
Floride, aktiv-entzündliche Herde präsentieren sich in T1-gewichteten Bildern als Kontrastmittelaufnahme. Alte, "ausgebrannte" Herde mit zugrundeliegendem Axonverlust sind in T1-gewichteten Bildern als "black holes" zu identifizieren.
Die Diagnose kann mittels MRT anhand der sogenannten McDonald-Kriterien (2010) gestellt werden, die auf der Beurteilung der räumlichen und zeitlichen Dissemination beruhen.
Obwohl eine vollkommene Heilung der MS bis jetzt (2020) noch nicht möglich ist, sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Medikamenten entwickelt worden, die den Verlauf der MS positiv beeinflussen können.
In der Therapie des akuten Schubes kommen bei klinisch deutlicher Beeinträchtigung/Behinderung Kortikosteroide als Mittel der 1. Wahl zum Einsatz. Sie führen zu einer Verkürzung und Milderung des Schubes. Am häufigsten wird dabei aufgrund der geringeren mineralkortikoiden Wirkung, der hohen Rezeptoraffinität sowie guter Liquorgängigkeit Methylprednisolon verabreicht.
Die erste Durchführung der Hochdosistherapie sollte stationär erfolgen: Es erfolgt die Gabe von 500 bis 1000 mg Methylprednisolon als Kurzinfusion morgens i.v. für 3- 5 Tage. Unter Therapie sollten regelmäßige Elektrolyt- und Blutzucker-Kontrollen erfolgen. Nach Beendigung der Therapie sollte das Kortikosteroid langsam ausgeschlichen werden.
Als Therapie der 2. Wahl kommt die Plasmapherese oder Immunadsorption zum Einsatz.
Beachte: Nicht jeder leichte Schub ist behandlungsbedürftig (z.B. Parästhesien für Tage)!
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Die Verlaufstherapie erfolgt mit Immunmodulatoren und Immunsuppressiva als Monotherapie. Ziel der Verlaufstherapie ist die Freiheit von klinisch und kernspintomografisch messbarer Krankheitsaktivität.
Milde/Moderate Verlaufsform | (hoch)aktive Verlaufsform | ||
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Klinisch isoliertes Syndrom (KIS) | Glatirameracetat s.c. IFN-β 1a i.m./s.c. IFN-β 1b s.c. |
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Schubförmig remittierende MS (RRMS) | Dimethylfumarat p.o. Glatirameracetat IFN-β 1a i.m./s.c. IFN-β 1b s.c. PEG-IFN-β 1a s.c. Teriflunomid p.o. |
1. Wahl: Alemtuzumab i.v. Daclizumab s.c. Fingolimod p.o. Natalizumab i.v. Ocrelizumab i.v. | |
Sekundär chronisch progrediente MS (SPMS) | Mit aufgesetzten Schüben: IFN-β 1a/b s.c., Mitoxantron Ohne aufgesetzte Schübe: Mitoxantron | ||
Primär chronisch progrediente MS (PPMS) | Ocrelizumab |
Neben der medikamentösen Therapie können folgende Anwendungen durchgeführt werden, um die Symptome günstig zu beeinflussen:
Neuere Studien zeigen, dass der Einsatz autologer oder allogener zytotoxischer T-Zellen, die sich gegen EBV richten, signifikante klinische Resultate erzielt. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre erstmals eine Kausaltherapie der MS möglich.
Zudem gibt es erste Hinweise, dass Statine - bislang als Cholesterinsenker verwendet - die Anzahl der Krankheitsschübe deutlich reduzieren könnten.
Bislang ist es zu Beginn der Erkrankung kaum möglich, eine Prognose über den weiteren Verlauf zu stellen, was die betroffenen Patienten sehr belastet.
Es gibt mehrere Faktoren, die mit einer eher schlechteren Prognose assoziert sein könnten. Hierzu zählen initial zahlreiche Herde in der MRT mit vielen Schüben, ein polysymptomatischer Beginn mit Beteiligung pyramidaler oder zerebellärer Funktionssysteme, Krankheitsbeginn nach dem 35. Lebensjahr sowie männliches Geschlecht. Eine prognostische Bedeutung von Antikörpern gegen Bestandteile des Myelins wie MBP und MOG konnte bei neueren Untersuchungen nicht bestätigt werden.[5]
Nach 15 Jahren sind etwa 50 % aller MS-Patienten auf eine Gehhilfe angewiesen. Nach 25 Jahren ist ein Drittel nicht mehr gehfähig und der Großteil nicht mehr arbeitsfähig.
Nicht-kommerziell
Pharma
Tags: Autoimmunerkrankung, Entzündung, Multiple Sklerose, Rückenmark, Sklerose, Vorlage:nicht dokumentiert, ZNS
Fachgebiete: Immunologie, Neurologie
Diese Seite wurde zuletzt am 26. November 2020 um 16:26 Uhr bearbeitet.
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