Psychotherapie
Definition
Als Psychotherapie bezeichnet man die Behandlung psychischer Störungen und seelischer Belastungszustände durch wissenschaftlich fundierte psychologische Verfahren. Ziel ist die Verminderung von Symptomen, die Verbesserung der psychosozialen Funktionsfähigkeit und Lebensqualität sowie eine nachhaltige Veränderung dysfunktionaler Erlebens-, Verhaltens- und Beziehungsmuster.
Abgrenzung
Psychotherapie unterscheidet sich von Beratung oder Coaching durch ihren Fokus auf Störungen mit Krankheitswert und die Durchführung durch entsprechend qualifizierte Behandler.
Hintergrund
Die moderne Psychotherapie entwickelte sich im 20. Jahrhundert aus mehreren theoretischen Strömungen. Früh prägend war die Psychoanalyse nach Freud, aus der sich später die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie entwickelte. Parallel entstanden verhaltenstherapeutische Ansätze auf Basis lerntheoretischer Modelle. Daneben formierten sich unter dem Sammelbegriff humanistische Verfahren mehrere Ansätze, darunter die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, existentiale und psychodramatische Therapieformen. Sie teilen ein ressourcen- und wachstumsorientiertes Menschenbild, unterscheiden sich jedoch methodisch.
Aktuelle Psychotherapiekonzepte integrieren zunehmend Erkenntnisse aus Neurobiologie, Emotions- und Lernforschung sowie aus der Psychotherapieforschung. Neben spezifischen Techniken spielen allgemeine Wirkfaktoren wie die therapeutische Beziehung, Motivation, Erwartungshaltung und Ressourcenaktivierung eine zentrale Rolle.
Indikationen
Psychotherapie wird u. a. eingesetzt bei:
- Depressiven Störungen
- Angst- und Zwangsstörungen
- Posttraumatischen Belastungsstörungen
- Persönlichkeits- und Essstörungen
- Suchterkrankungen
- Psychosomatischen und somatoformen Störungen
- Anpassungs- und Belastungsreaktionen
Sie unterstützt zudem die Therapie schwerwiegender somatischer Erkrankungen, z.B. die maligner Tumoren. Hier dient sie zur Krankheitsverarbeitung und Funktionsanpassung.
Formen
In der Psychotherapie entwickelten sich zunächst zwei Hauptrichtungen, die auch heute noch zu den erstattungsfähigen Verfahren im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung zählen:
- die Psychoanalyse (in erster Linie zunächst durch Sigmund Freud begründet) sowie
- die aus den behavioristischen Theorien heraus entwickelte Verhaltenstherapie.
Darüber hinaus finden noch folgende Verfahren Anwendung und sind erstattungsfähig:
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die sich aus der Psychoanalyse entwickelte und mit ihr zu den psychodynamischen Verfahren gehört
- Systemische Therapie, die psychische Störungen im Zusammenhang mit ihrem sozialen Umfeld betrachtet und behandelt.
Psychoanalyse
Die Psychoanalyse basiert auf einem Entwicklungsmodell des "Ich" als steuernde Instanz zwischen dem "Es" und "Über-Ich" auf dem Boden eigener triebhafter Bedürfnisse.
Dabei können Konflikte zwischen dem entsprechenden "Lust-" und "Realitätsprinzip" entstehen, die oft zunächst mithilfe der "Abwehrmechanismen" aus dem Bewusstsein ins Unbewusste verdrängt werden. Gelingt es dem Ich dauerhaft nicht, diese Konflikte auf optimale Weise zu lösen, kommt es zur Entwicklung einer Neurose – als "soboptimale" Konfliktlösung, da die "Triebabfuhr" nicht mehr auf das ursprüngliche Ziel der Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist.
Die Psychoanalyse versucht nun über Bewusstmachung und Wiedererleben des inzwischen unbewussten ursprünglichen Konflikts im Rahmen eines Übertragungsprozesses auf den Psychoanalytiker, eine "Nachreifung" des Ichs über die Entwicklung diesmal optimaler Konfliktlösungen zu erreichen.
Verhaltenstherapie
Nach dem behavioristischen Modell bilden sich menschliche Verhaltensweisen als Folge von Lernprozessen auf der Basis von "Reiz-Reaktions-Schemata". Sie manifestieren sich gewissermaßen "erfolgsorientiert" – je nachdem ob das zugrundeliegende "Ziel" im Sinne einer Bedürfnisbefriedigung erreicht wird, oder nicht.
Sind diese erlernten Konditionierungen vorwiegend irrationaler Natur, kommt es jedoch zu "fehlerlernten" Emotionen oder Verhaltensweisen, die in der Folge oft zu einem Leidensdruck führen. Ziel einer Verhaltenstherapie ist, diese irrationalen Strukturen des Denkens, Fühlens und Handelns durch neu erlernte, rationale Alternativen zu ersetzen und einzuüben.
Systemische Therapie
Die systemische Therapie betrachtet Symptome im Kontext sozialer Beziehungen. Psychische Störungen werden nicht ausschließlich als intrapsychische Phänomene verstanden, sondern als Teil von Interaktions- und Kommunikationsmustern. Eingesetzt werden u. a. zirkuläre Fragen, Ressourcenaktivierung, Reframing und Musterunterbrechung. Die systemische Therapie ist seit 2019 als Richtlinienverfahren anerkannt.
Weitere Formen
In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden diese Richtungen einerseits weiterentwickelt, z. B. durch die Individualpsychologie nach Alfred Adler oder durch Aufnehmen kognitiver Elemente bei der Analyse und Veränderung von bewertungsrelevanten Inhalten bei der Verhaltenstherapie.
Andererseits entwickelten sich daneben auch weitere psychotherapeutische Richtungen, wie beispielsweise die Gesprächspsychotherapie oder die Gestalttherapie, die eher auf humanistischen Persönlichkeitsmodellen beruhen. Sie betonen sowohl die Fähigkeit als auch das Recht auf Selbstbestimmung der Patienten in Bezug auf ihre subjektive Wahrnehmung als auch auf eine Veränderung von Inhalten ihres persönlichen Bezugsrahmens oder ihres individuellen Selbstkonzeptes.
Durchführung
Psychotherapie kann ambulant, teilstationär oder stationär stattfinden – als Einzel-, Gruppen- oder Mehrpersonentherapie. Die Dauer reicht von Kurz- bis Langzeitbehandlung. Grundlage sind manualisierte und leitlinienorientierte Konzepte mit gemeinsam festgelegten Therapiezielen. Typische Bestandteile sind strukturierte Gesprächsführung, Psychoedukation, Exposition, Konfliktbearbeitung, kognitive Techniken, Ressourcenarbeit, Training emotionaler und sozialer Kompetenzen sowie regelmäßige Verlaufsreflexion und Anpassung.
Zunehmend etabliert sind digitale und internetbasierte Interventionen sowie Blended-Care-Formate, bei denen Online- und Präsenzbehandlung kombiniert werden.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren ist durch zahlreiche randomisierte Studien und Metaanalysen belegt.[1][2] Für häufige Störungsbilder wie Depression, Angst- und Traumafolgestörungen zeigen sich signifikante Effekte im Vergleich zu Kontrollbedingungen. Unterschiede zwischen anerkannten Verfahren fallen im Gesamtergebnis häufig geringer aus als angenommen; allgemeine Wirkfaktoren – insbesondere therapeutische Beziehung, Motivation und Passung – tragen wesentlich zum Behandlungserfolg bei.[3]
Ein Teil der Patienten remittiert jedoch nicht vollständig oder beendet die Therapie vorzeitig. Verlaufsmonitoring, Rückfallprophylaxe und individualisierte Behandlungsansätze gewinnen daher zunehmend an Bedeutung.[1]
Berechtigte Berufsgruppen
Die selbständige Ausübung von Psychotherapie in Deutschland ist fünf Berufsgruppen vorbehalten, wobei lediglich die ersten vier für die Abrechnung bei den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen sind:
- Fachärzte für Psychosomatische Medizin oder Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
- Ärztliche Psychotherapeuten (sonstige Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie)
- Psychologische Psychotherapeuten (mit eigener Approbation nach dem PsychThG)
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychologen, Sozialpädagogen oder Pädagogen mit Approbation nach dem PsychThG)
- Heilpraktiker oder Heilpraktiker für Psychotherapie (in Besitz der Heilkundeerlaubnis nach dem HPG)
Daneben findet man inzwischen Psychotherapie als fest integriertes Angebot vieler Kliniken, da durch die wachsende Anzahl psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der Bedarf an zumindest begleitender Behandlung psychotherapeutischer Art mehr und mehr notwendig erscheint.
Versorgung
Psychotherapie ist Teil der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. Anerkannte Richtlinienverfahren sind Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und systemische Therapie. Die Versorgungslage ist regional unterschiedlich, Wartezeiten können erheblich variieren. Neue Versorgungsformen wie psychotherapeutische Sprechstunden, Akutbehandlung, Gruppentherapie sowie digitale Angebote sollen den Zugang erleichtern und Versorgungslücken verringern.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Lambert, Bergin & Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, Wiley, 2013
- ↑ Cuijpers et al., Psychotherapy for Depression Across Different Age Groups: A Systematic Review and Meta-analysis, JAMA psychiatry, 2020
- ↑ Wampold und Imel, The great psychotherapy debate: The evidence for what makes psychotherapy work, 2. Auflage, Routledge/Taylor & Francis Group, 2015