Antidepressivum
Englisch: antidepressive drug
Definition
Antidepressiva sind Medikamente, die zur Therapie von Depressionen eingesetzt werden. Daneben besitzen Antidepressiva zahlreiche andere Anwendungsbereiche, z.B. in der Schmerztherapie, bei Angst-, Panik- und Zwangsstörungen.
Einteilung
In der Literatur wird die Einteilung der Antidepressiva sehr unterschiedlich gehandhabt. Die hier gewählte Unterteilung hat daher nicht den Anspruch der Allgemeingültigkeit. Nach strukturchemischen und biochemisch-pharmakologischen Eigenschaften unterscheidet man zwischen:
Trizyklische Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva haben ein sehr breites Spektrum an pharmakologischen Wirkungen. Bei einmaliger bzw. kurzfristiger Gabe zeigen sie eine hemmende Wirkung auf die Wiederaufnahme der Monoamine Noradrenalin und Serotonin aus dem synaptischen Spalt, während sie die Dopaminwiederaufnahme nur geringfügig beeinflussen. Bei langfristiger Gabe verändern sie die zentralnervösen Rezeptoren (z.B. Downregulation zentraler β-Rezeptoren, Aktivierung postsynaptischer α-Rezeptoren, Verstärkung GABAerger Aktivität im Frontalhirn). Ferner beeinflussen trizyklische Antidepressiva den Histamin-Spiegel in bestimmten Teilen des Gehirns.
Trizyklische Antidepressiva besitzen grundsätzlich eine stimmungsaufhellende (thymoleptische) Wirkung. Substanzspezifisch bestehen mehr antriebssteigernde (thymeretische) oder antriebshemmende bzw. sedierende Eigenschaften.
Die anfängliche Antriebssteigerung kann vermehrt zu suizidalen Handlungen führen. Erst nach 2 bis 3 Wochen tritt der thymoleptische Effekt ein. Aufgrund der ausgeprägten Nebenwirkungen ist die therapeutische Bedeutung der trizyklischen Antidepressiva inzwischen (2023) deutlich zurückgegangen.
Während sie zur Behandlung von Depressionen üblicherweise nicht mehr als First-Line-Therapie gelten, finden sie noch Off-Label Verwendung, z.B. zur Behandlung von Migräne und chronischen Schmerzen oder neuropathischen Schmerzen.
Man unterscheidet zwischen drei Substanzgruppen:
Substanzgruppe | Nebenwirkungen | Besonderheiten |
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Amitriptylin-Typ |
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Desipramin-Typ |
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Imipramin-Typ |
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Die wichtigsten Vertreter sind:
Gruppe | Freiname | Charakteristika |
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Amitriptylin-Typ | Amitriptylin | Standardsubstanz, stimmungsaufhellend, sedierend |
Doxepin | stimmungsaufhellend, sedierend, Einsatz auch als Schlafmittel | |
Opipramol | sedierend, nur schwach antidepressiv | |
Trimipramin | stimmungsaufhellend, sedierend, Einsatz auch als Schlafmittel | |
Desipramin-Typ | Desipramin | stimmungsaufhellend, aktivierend |
Nortriptylin | stimmungsaufhellend, aktivierend, Metabolit von Amitriptylin | |
Imipramin-Typ | Imipramin | stimmungsaufhellend, historisch erstes Antidepressivum |
Clomipramin | stimmungsaufhellend |
Tetrazyklische Antidepressiva
Tetrazyklische Antidepressiva wirken stimmungsaufhellend und sedierend. Dazu zählen:
Freiname | Charakteristika |
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Maprotilin |
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Mianserin |
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Mirtazapin |
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Mianserin und Mirtazapin werden auch als NaSSA (Noradrenergic and Specific Serotonergic Antidepressant) zusammengefasst.
Selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI)
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, kurz SSRI, verhindern selektiv die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt. Sie weisen einen den trizyklischen Antidepressiva gleichwertigen antidepressiven Effekt bei besserer Verträglichkeit und nur geringer Toxizität auf. Daher sind sie Mittel der Wahl bei Depression und bei Angst- und Zwangsstörungen. Häufigste Nebenwirkungen sind Appetitlosigkeit (aber auch gesteigerter Appetit), Übelkeit, Erbrechen und sexuelle Funktionsstörungen. Sie wirken nicht sedierend, sondern häufig antriebssteigernd. Zu den SSRI zählen:
Atypische Antidepressiva
Atypische Antidepressiva sind eine heterogene Wirkstoffgruppe mit selektiver Wirkung auf die Wiederaufnahmemechanismen der biogenen Amine. Sie weisen i.d.R. eine bessere Verträglichkeit als trizyklische Antidepressiva auf. Sie wirken nicht anticholinerg und besitzen kaum kardiale Nebenwirkungen.
Selektive Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Hemmer (SSNRI)
Zu den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Hemmern (SSNRI) zählen:
- Duloxetin: Einsatz auch bei neuropathischen Schmerzen und Belastungsinkontinenz, nicht sedierend
- Venlafaxin: Mittel der Wahl bei Depression, Einsatz auch bei Angststörungen, nicht sedierend
- Milnacipran
Selektive Noradrenalin-Dopamin-Reuptake-Hemmer (SNDRI)
Als selektiver Noradrenalin-Dopamin-Reuptake-Hemmer (SNDRI) wirkt:
- Bupropion: Einsatz auch im Rahmen einer Nikotinentwöhnung und zur Gewichtsreduktion
Selektive Noradrenalin-Reuptake-Hemmer (NARI)
Zu den selektiven Noradrenalin-Reuptake-Hemmern (NARI) zählen:
Trazodon
Trazodon ist ein sedierender Serotonin-Reuptake-Hemmer und ein 5-HT2-Rezeptor-Antagonist. Außerdem wirkt er über eine α2-Blockade.
Weitere Wirkstoffe
Weitere Wirkstoffe, die jedoch nicht in Deutschland verfügbar sind:
- Vilazodon: SSRI, partieller Agonist von 5-HT1A-Rezeptor
- Vortioxetin: multimodales Antidepressivum, Wirkung auf Serotoninrezeptoren sowie Serotonintransporter, auch Modulation von anderen Neurotransmittersystemen [1]
- Levomilnacipran: stärker selektive Noradrenalin-, als Serotonin-Wiederaufnahmehemmung
MAO-Hemmer
MAO-Hemmer hemmen den Abbau von Noradrenalin und Serotonin. Dazu zählen:
- Moclobemid: reversibler MAO-Hemmer, aktivierend
- Tranylcypromin: irreversibler MAO-Hemmer, aktivierend
Sonstige Antidepressiva
- Agomelatin: Melatoninrezeptor-Agonist und gleichzeitiger 5-HT2c-Antagonist
- Esketamin: NMDA-Antagonist, in Form von Nasenspray
- Tianeptin
- Johanniskraut
Neuroleptika mit antidepressiver Wirkung
Einige eigentlich als Neuroleptika klassifizierte Psychopharmaka weisen eine antidepressive Wirkung auf. Hierzu zählen:
Nebenwirkungen
Typische Nebenwirkungen
Typischerweise treten folgende Nebenwirkung auf:[2]
- Kardiovaskuläre Nebenwirkungen: QT-Verlängerung, Hypertension (am wenigsten ausgeprägt bei SSRI)
- GI-Nebenwirkungen: je nach Gruppe Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö bzw. Obstipation, Appetitlosigkeit, Gewichtsveränderungen (bei längerer Anwendung meist Gewichtszunahme)
- Mundtrockenheit
- Orthostatische Hypotonie
- Schwindel
- vermehrtes Schwitzen
- Miktionsstörungen bis hin zum Harnverhalt
- Herabsetzung von Libido und Potenz
- Mydriasis und Akkommodationsstörungen (v.A. trizyklische Antidepressiva)
- feinschlägiger Tremor
- Müdigkeit oder Schlafstörungen
- Erhöhtes Blutungsrisiko durch verminderte Wirkung von Serotonin auf Plättchenaggregation (hauptsächlich SSRI, Venlafaxin)
Seltene, aber ernsthafte Nebenwirkungen
- Krampfanfälle
- Delirante Syndrome
- Veränderungen des weißen Blutbildes
- Cholestase
- Kardiomyopathien
- Suizid-Gedanken, suizidales Verhalten
Kontraindikationen
Aufgrund der Vielfältigkeit der Arzneistoffe ist die Liste nicht vollständig und nicht jede Kontraindikation betrifft zwingendermaßen jeden Arzneistoff. Die häufigsten Kontraindikationen sind:
Allgemein
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- Kombination mit MAO-Hemmern (Serotonin-Syndrom)
- Verlängertes QT-Intervall bzw. Einnahme mit Arzneimitteln, die QT-Zeit verlängern
Trizyklische Antidepressiva
- Prostatahyperplasie
- unbehandeltes Engwinkelglaukom
- Schäden an Leber oder Herz
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Antidepressiva wird kontrovers diskutiert. Auf der Basis einer kritischen Sichtung von über 500 klinischen Studien lässt sich keine Wirksamkeit belegen, die über den Placebo-Effekt hinausgeht.[3] Allerdings liegen noch wenig Daten zu neueren Antidepressiva (z.B. Esketamin) vor.
Quellen
- ↑ Chen et al. Vortioxetine: Clinical Pharmacokinetics and Drug Interactions Clinical Pharmakokinetics 57: 673-686. 2018
- ↑ Sheng-Min et al. Addressing the Side Effects of Contemporary Antidepressant Drugs: A Comprehensive Review. Chonnam Med J. 54(2):101-112. 2018
- ↑ Munkholm, Paludan-Müller und Boesen Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis BMJ Open. 9:e024886. 2019
Literatur
- Moraczewski und Aedma Tricyclic Antidepressants. StatPearls Publishing, Treasure Island. 2022 (online)
- Gelbe Liste Pharmindex Abgerufen 01.06.2023
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