Esketamin
Handelsnamen: Ketanest S®, Esketamin Inresa®, Spravato®
Synonym: S-Ketamin
Englisch: esketamine
Definition
Esketamin ist ein Arzneistoff aus der Klasse der Injektionsanästhetika. Durch seinen raschen und potenten Wirkeintritt, bei weitgehendem Erhalt der Spontanatmung und der Schutzreflexe, wird es vor allem in der Notfallmedizin verwendet.
Chemie
Esketamin ist ein Cyclohexanon-Derivat und das S-Enantiomer des Ketamins. Es ist also konstitutionell mit Ketamin identisch, unterscheidet sich jedoch in der Konfiguration. Der Wirkstoff zeigt eine etwa doppelt so hohe Affinität zu NMDA-Rezeptoren und hat damit eine deutlich höhere analgetische und anästhetische Potenz als das R-Enantiomer.[1] Die Summenformel lautet C13H16ClNO, das Molekulargewicht beträgt 237,74 g/mol.
Die racemische Synthese erfolgt ausgehend von 2-Chlorbenzaldehyd, das mit Acetanhydrid in das Nitril überführt wird. Das Nitril geht eine Grignard-Reaktion mit Cyclopentanmagnesiumbromid zum Keton ein. Nach Bromierung, Umsetzung mit Methylamin und Ansäuern findet eine Umlagerungsreaktion zum Ketamin statt, welches dann in seine Enantiomere getrennt werden kann.
Esketamin ist gut wasserlöslich und liegt als Handelspräparat in einer leicht sauren Lösung vor.
Wirkmechanismus
Esketamin bewirkt eine dissoziative Anästhesie. Dieser Zustand ist durch eine gute Analgesie bei nur oberflächlichem Schlaf und erhaltenen Schutzreflexen und Muskeltonus gekennzeichnet. Die Krampfschwelle wird nicht gesenkt.
Die Wirkung beruht auf einem nicht-kompetitiven Antagonismus an NMDA-Rezeptoren. Dabei wird der Rezeptor für den exzitatorischen Neurotransmitter Glutamat blockiert. Dies verhindert die Öffnung der Ionenkanäle, die für Natrium, Kalium und Calcium durchlässig sind. In tiefen Bereichen des Thalamus und auf spinaler Ebene wird somit die Schmerzwahrnehmung blockiert. Außerdem wirkt Esketamin im Groß- und Zwischenhirn und führt hier zu Amnesie und Sedierung.
Esketamin hat zudem eine sympathikotone Wirkung, wodurch es hyperton, positiv inotrop/chronotrop und bronchodilatativ wirkt. Die Bronchodilatation ist allerdings im Vergleich zum R-Enantiomer schwächer ausgeprägt.
Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik ähnelt der des Ketamins. Maximale Plasmakonzentrationen bei intravenöser Gabe werden nach einer Minute erreicht. Bei intramuskulärer Verabreichung beträgt die Bioverfügbarkeit 93 %. Die Plasmaproteinbindung liegt bei 47 %. Der metabolische Abbau erfolgt hauptsächlich in der Leber über CYP3A4. Durch Demethylierung entsteht das anästhetisch wirksame Norketamin.
Die terminale Eliminationshalbwertszeit liegt zwischen 79 Minuten (kontinuierliche Infusion) und 186 Minuten (niedrig dosierte i.v.-Gabe). Die Elimination der Metabolite erfolgt überwiegend renal. Esketamin weist im Vergleich zu Ketamin eine schnellere Elimination auf, was für eine bessere Steuerbarkeit in der klinischen Anwendung spricht.[2]
Indikation
Indikationen für Esketamin sind:[2][1][3]
- Einleitung und Durchführung einer Allgemeinanästhesie (Vollnarkose), gegebenenfalls in Kombination mit Hypnotika und/oder Opioiden
- Ergänzung der Regionalanästhesie
- Intubation im Status asthmaticus in Kombination mit einem Muskelrelaxans, wenn andere spezifische Maßnahmen nicht erfolgreich waren (allerdings weniger bronchodilatativ als das R-Enatniomer)
- Schmerzbekämpfung in der Notfallmedizin bei akuten starke Schmerzen, insbesondere
- traumatisch bedingt, oder bei
- immobilisierenden Rückenschmerzen ("akute Lumbago")
Bei der intramuskulären Narkoseeinleitung in der Kinderanästhesie wird Esketamin meist alleine verwendet. Bei anderen Indikationen erfolgt in der Regel eine Kombination mit einem Benzodiazepin (z.B. Midazolam), um Nebenwirkungen wie Alpträumen entgegenzuwirken.
Darüber hinaus ist Esketamin in Form eines Nasensprays (Spravato®) durch die FDA[4] und die EMA[5] zur Behandlung therapieresistenter Depressionen zugelassen.
Darreichungsformen
Esketamin wird in Form einer Injektionslösung oder als Nasenspray verabreicht.
Dosierung
- Einleitung einer Allgemeinanästhesie: 0,5 - 1 mg/kgKG bzw. 2 - 4 mg/kgKG i.m.
- Dauerinfusion: 0,5 - 3 mg/kgKG pro Stunde
- Ergänzung einer Regionalanästhesie: 0,125-0,25 mg/kgKG pro Stunde
- Analgesie:[1][3]
- 0,125 - 0,25 mg/kgKG i.v. oder alternativ
- 0,25 - 0,5 mg/kgKG nasal per MAD (Off-label-use)
Die Angaben dienen als Orientierung - je nach Zustand des Patienten kann eine Dosisanpassung erforderlich sein.[2]
- Therapieresistente Major Depression[5]
- Erwachsene < 65 Jahre: Initialdosis Tag 1: 56 mg nasal; anschließend weiter 56 mg oder 84 mg zweimal wöchentlich
- Erwachsene ≥ 65 Jahre: Initialdosis Tag 1: 28 mg nasal; anschließend weiter 28 mg, 56 mg oder 84 mg zweimal wöchentlich, alle Dosisänderungen sind in 28-mg-Schritten durchzuführen.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Folgende Nebenwirkungen sind bekannt:[2]
- Aufwachreaktionen wie lebhafte Träume, Schwindel
- tonisch-klonische Muskelkontraktionen, die Krämpfen gleichen können
- Nystagmus
- verschwommenes Sehen, Doppeltsehen, Zunahme des intraokulären Drucks
- Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz, temporäre Tachykardie, Arrhythmie
- Hypotonie
- erhöhter Sauerstoffverbrauch, Laryngospasmus, temporäre Atemdepression
- Übelkeit und Erbrechen
- Exanthem
- Hypersalivation
- Lokalreaktionen: Schmerzen und Erythem an der Injektionsstelle
Vor allem im präklinischen Setting ist die Aufklärung und Abschirmung des Patienten aufgrund der veränderten, dissoziativen Wahrnehmung wichtig. Neben einer ruhigen und freundlichen Atmosphäre kann die "Traumqualität" durch positive Suggestion verbessert werden ("Durch dieses Medikament werden Sie sehr schöne und angenehme Träume haben").[6][7]
Wechselwirkungen
Folgende Wechselwirkungen sind bekannt:[2]
- In Kombination mit Xanthinderivaten (z.B. Theophyllin, Aminophyllin) kann eine Absenkung der Krampfschwelle eintreten.
- Blutdrucksteigerung in Kombination mit Schilddrüsenhormonen, indirekt wirkenden Sympathomimetika und Vasopressin
- Abschwächung der Nebenwirkungen, aber auch Verlängerung der Wirkdauer in Kombination mit Schlafmitteln (insbesondere Benzodiazepinen und Neuroleptika)
- verlängerte Aufwachphase in Kombination mit Barbituraten und Opiaten
- Die Wirkung bestimmter Muskelrelaxantien wie Suxamethonium oder Pancuronium kann verlängert sein.
- CYP3A4-Inhibitoren und -Induktoren führen zu einer erhöhten bzw. erniedrigten Esketamin-Dosis im Blut.
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- Patienten, für die ein erhöhter Blutdruck oder ein gesteigerter Hirndruck ein ernsthaftes Risiko darstellt
- schlecht eingestellte oder nicht behandelte Hypertonie
- Eklampsie und Präeklampsie
- nicht oder ungenügend behandelte Hyperthyreose
- Verwendung als alleiniges Anästhetikum bei Patienten mit manifesten ischämischen Herzerkrankungen
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Analgesie, Sedierung und Anästhesie in der Notfallmedizin, Anästh Intensivmed 2020, abgerufen am 10.11.2024
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Fachinformation von Ketanest S 5 mg/ml, Gelbe Liste, abgerufen am 11.1.2019
- ↑ 3,0 3,1 Esketamin, RescueLex - Fachwissen für Rettungsdienst und Klinik, abgerufen am 10.11.2024
- ↑ Full Prescribing Information Spravato, FDA, abgerufen am 08.02.2025
- ↑ 5,0 5,1 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Spravato, EMA, abgerufen am 08.02.2025
- ↑ Ketamin in der Anästhesiologie, Himmelseher S und Wilhelm W, Die Anästhesiologie 10.05.2017, abgerufen am 10.11.2024
- ↑ The effect of suggestion on unpleasant dreams induced by ketamine administration., Cheong SH, Lee KM, Lim SH et al 2011, abgerufen am 10.11.2024