Amitriptylin
Handelsnamen: Saroten®, Tryptizol®, Amineurin® u.a.
Englisch: amitriptyline
Definition
Bei Amitriptylin handelt es sich um einen Wirkstoff aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva. Es wirkt stimmungsaufhellend und sedierend. In den gängigen Darreichungsformen liegt der Wirkstoff als Hydrochlorid-Salz vor.
Hintergrund
Amitriptylin war das erste Antidepressivum und über lange Zeit die Standardsubstanz bzw. Mittel der Wahl bei Depression. Mittlerweile sind selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) Mittel der Wahl.
Chemie
Amitriptylin hat die Summenformel C20H23N und eine molare Masse von 277,40 g/mol.
Wirkmechanismus
Man nimmt an, dass bei einer Depression das Gleichgewicht des serotonergen (Serotonin) und noradrenergen (Noradrenalin) Systems im ZNS gestört und die Reizbarkeit der Rezeptoren durch diese monoaminen Neurotransmitter verändert ist.
Amitriptylin hemmt unselektiv die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin in den Synapsen des zentralen Nervensystems (ZNS) und bewirkt so eine Steigerung der Konzentration der Neurotransmitter im synaptischen Spalt.
Weiterhin wirkt Amitriptylin antiadrenerg und antihistaminerg und vermittelt als Antagonist des Muskarinrezeptors anticholinerge Effekte.
In der ersten Woche tritt ein beruhigender Effekt ein (sedierend). Ein stimmungsaufhellender Effekt tritt in der Regel erst nach etwa 2 bis 3 Wochen ein.
Pharmakokinetik
Amitriptylin wird oral verabreicht. Die Substanz wird langsam resorbiert und unterliegt einem First-Pass-Metabolismus sowie einem enterohepatischen Kreislauf. Die Bioverfügbarkeit beträgt etwa 45%, die Plasmahalbwertzeit liegt zwischen 10 und 28 Stunden. Der Metabolit Nortriptylin weist eine Halbwertzeit von 30 Tagen auf.
Maximale Plasmaspiegel (cmax) werden nach 1 bis 5 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung von Amitriptylin beträgt 94 bis 97%, 3 bis 6 % liegen frei im Blutplasma vor. Die Substanz überwindet die Blut-Hirn-Schranke sowie die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch über. Ein Säugling nimmt über die Milch weniger als 1 % der Dosis auf, welche der Mutter appliziert wurde.
Amitriptylin wird in der Leber hauptsächlich durch N-Demethylierung, C-Hydroxylierung, N-Oxidation und Glucuronidierung metabolisiert. Die Metaboliten sind zum Teil pharmakologisch aktiv (Nortriptylin, (E)- und (Z)-10-Hydroxynortriptylin, (E)- und (Z)-10-Hydroxyamitriptylin, Amitriptylin-N-Oxid). Der Metabolit Nortriptylin liegt zu 8 bis 13 % frei im Plasma vor. Renal werden innerhalb von 24 Stunden weniger als 5 % der applizierten Dosis unverändert und 25 bis 50 % als inaktive Metaboliten (Glucuronide) ausgeschieden. 30 % werden biliär und über den Faeces ausgeschieden, 10 % unverändert auf biliärem Wege.
Indikationen
Amitriptylin wird eingesetzt bei Depression oder depressiver Verstimmung mit Erregtheit und ängstlicher Unruhe. Auch Schlafstörungen und bestimmte Schmerzarten können mit Amitriptylin behandelt werden.
Amitriptylin wird wegen seiner potenten anticholinergen Aktivität auch zur Unterdrückung der Speichelproduktion bei amyotropher Lateralsklerose (ALS) verschrieben.
Nebenwirkungen
Amitriptylin hat eine ganze Reihe von nicht unerheblichen unerwünschten Wirkungen. Es führt u.a. zu
- Gewichtszunahme (wesentlich für schlechte Compliance vieler Patienten)
- anticholinergen Effekten: Mundtrockenheit, Miktionsstörungen, Obstipation, Sehstörungen durch Steigerung des Augeninnendrucks und Akkomodationslähmung, Delirium, Steigerung der Herzfrequenz, etc.
- Reduzierung der Krampfschwelle mit erhöhtem Risiko zerebraler Krampfanfälle (z.B. bei Überdosierung, Epileptikern, Alkohol- und Benzodiazepinentzug)
- feinschlägigem Tremor
- orthostatischer Hypotonie (α-sympatholytisch)
- kardialen Nebenwirkungen: Wirkungsverstärkung von Katecholaminen; kardiotoxisch mit negativ inotroper Wirkung, QRS-Verbreiterung bis hin zu Herzrhythmusstörungen
- sexuellen Funktionsstörungen
- Allgemeinsymptomen wie z.B. Schlafstörungen, innerer Unruhe, Müdigkeit, Sedierung, Übelkeit, Magenschmerzen sowie Leistungsstörungen
- allergischen bzw. toxischen Reaktionen: Exanthemen, Transaminasenanstieg, Cholestase, Ikterus, sehr selten Leukopenie[1] oder Agranulozytose
- Hyperhidrosis
- Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)
Bei plötzlichem Absetzen drohen Stimmungsschwankungen, Unruhe, grippeähnliche Symptome und vereinzelt ein erhöhtes Suizidrisiko.
Toxikologie
Eine Überdosierung kann eine Intoxikation hervorrufen. Eine Mischintoxikation in suizidaler Absicht muss in Betracht gezogen werden. Toxische Effekte treten ab einer Plasmakonzentration von 500 bis 600 ng/ml auf. Die letale Dosis wird mit einer Plasmakonzentration von circa 1.500 bis 2.000 ng/ml erreicht.
Toxische Effekte werden insbesondere durch muskarinantagonistische Wirkungen hervorgerufen. Neben einem verstärkten Auftreten der genannten Nebenwirkungen kann es zu Verwirrung, Agitiertheit, Krampfanfällen, Bewusstseinsstörungen, Bewusstlosigkeit, Koma, Atemdepression, Hypotonie und Herzrhythmusstörungen (z.B. Tachykardie, AV-Block 2. Grades und 3. Grades) kommen. Das Auftreten einer Azidose ist möglich. Der Tod tritt durch zentrale Atemlähmung und/oder Kreislaufversagen ein. Die ersten Vergiftungsanzeichen äußern sich unter Umständen erst nach 4 Stunden, das Vollbild der Intoxikation bildet sich innerhalb von 24 Stunden aus und aufgrund der langen Halbwertzeit (u.a. durch enterohepatischen Kreislauf) sind die Betroffenen gegebenenfalls über einen Zeitraum von 4 bis 6 Tagen gefährdet.
Ein spezifisches Antidot steht nicht zur Verfügung. Die Therapie einer Vergiftung erfolgt intensivmedizinisch und weitestgehend symptomatisch. Innerhalb von 1 bis 2 Stunden nach Applikation kann eine Magenspülung durchgeführt werden. Die Gabe von Aktivkohle hemmt die enterale Resorption von noch nicht aufgenommenen und biliär sezernierten Pharmaka (Wirkstoff und Metabolite). Gegen anticholinerge Effekte kann nötigenfalls Physostigminsalicylat verabreicht werden. Forcierte Diurese und Hämodialyse sind von geringem Nutzen.
Quellen
- ↑ Stermann J et al. Leukopenie - eine seltene unerwünschte Arzneimittelwirkung unter Amitriptylin. Swiss Med Forum. 2023;23(16):1018-1020 - Fallbericht, abgerufen am 21.04.2023
Literatur
- Benkert & Hippius: Kompendium Psychiatrische Pharmakotherapie, Springer, Heidelberg, 2011
siehe auch: Antidepressiva, Trizyklische Antidepressiva
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