Stressinkontinenz
Synonym: Belastungsinkontinenz
Englisch: stress incontinence
Definition
Als Stressinkontinenz bezeichnet man den unwillkürlichen Urinabgang (Harninkontinenz) bei intraabdomineller Druckerhöhung aufgrund einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Verschlussapparats der Harnblase (Musculus sphincter urethrae).
- ICD10-Code: N39.3
Ätiopathogenese
Verantwortlich für die Stressinkontinenz ist eine Schädigung des Bandapparates der Urethra und/oder eine Schwäche des Beckenbodens, häufig in Kombination mit einem Descensus von Vagina und Uterus.
Die Beckenbodenschwäche kann konstitutionell bedingt sein oder auch durch mehrere vaginale Geburten hervorgerufen werden. Übergewicht scheint ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung der Stressinkontinenz zu spielen, da eine Reduktion des Körpergewichts bei Übergewicht die Symptome günstig beeinflusst.
Die durch eine Lockerung der Ligamenta pubourethralia hervorgerufene Lockerung der mittleren Urethra verhindert die Kompression der Urethra bei intrabdomineller Druckerhöhung mit der Folge des unwillkürlichen Urinabgangs.
Einteilung
Die Einteilung einer Stressinkontinenz erfolgt meist durch die Klassifikation nach Stamey und Ingelman-Sundberg:
- Grad 1: unwillkürlicher Urinabgang bei schweren körperlichen Belastungen (z.B. Heben) oder bei plötzlichem Anstieg des abdominellen Drucks (z.B. Husten, Niesen, Lachen)
- Grad 2: unwillkürlicher Urinabgang bei leichten körperlichen Belastungen (z.B. Gehen, Aufstehen aus dem Bett)
- Grad 3: unwillkürlicher Urinabgang ohne Abhängigkeit von körperlichen Belastungen oder Körperposition
Eine weitere Einteilungsmöglichkeit bietet der von der European Association of Urology empfohlene Pad-Test:
Grad 1 | ≤ 10 ml Harnverlust |
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Grad 2 | 10 bis 25 ml Harnverlust |
Grad 3 | 25 bis 50 ml Harnverlust |
Grad 4 | > 50 ml Harnverlust |
Diagnostik
Zur grundlegenden Diagnostik gehört zunächst eine ausführliche Anamnese. Ein Harnwegsinfekt sollte durch einen Urinstatus ausgeschlossen werden. Es folgt die körperliche Untersuchung, die eine orientierende neurologische Untersuchung einschließen sollte. Weitere Untersuchungen (z.B. Zystoskopie, Urethrakalibrierung oder bildgebende Diagnostik) werden vom Grad der Blasenfunktionsstörung und dem Ausmaß der Beschwerden abhängig gemacht.
Therapie
Die Belastungsinkontinenz kann konservativ und operativ behandelt werden. Die Ausprägung der Stressinkontinenz sowie die Fähigkeit der Patientin, aktiv mitzuarbeiten, beeinflussen den Erfolg der konservativen Maßnahmen entscheidend.
Konservativ
Die Stressinkontinenz kann konservativ durch Beckenbodengymnastik behandelt werden. Sehr effektiv ist ein Biofeedback-Training mit akustischer oder visueller Rückkopplung.
Wenn Kontraindikationen für eine Operation bestehen, können ebenfalls Pessare zur Anhebung der Region des Blasenhalses und/oder des Uterus eingesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Schenkel des Musculus levator ani noch nicht zu weit auseinander klaffen. Vor einer Operation werden ebenfalls Pessare in Kombination mit östrogenhaltigen Cremes verordnet.
Medikamentös kann eine Stressinkontinenz mit selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI), wie Duloxetin oder Sympathomimetika (Midodrin) behandelt werden.
Eine Reduktion des Körpergewichts bei Übergewicht kann die Symptome einer Belastungsinkontinenz günstig beeinflussen.
Operativ
Da Descensus und Inkontinenz häufig gemeinsam auftreten, muss vor der Auswahl einer Operationsmethode abgewogen werden, welche Beschwerden im Vordergrund stehen. Eine larvierte Stressinkontinenz, d.h. das Vortäuschen einer Kontinenz durch eine Zystozele, sollte vor einer Operation ausgeschlossen werden.
Bei im Vordergrund stehender Stressinkontinenz wird die Urethra hinter der Symphyse stabilisiert, was am besten mit der Operation nach Burch funktioniert. Die Urethra kann ebenfalls über die Einlage eines Kunststoffbändchens (sog. tension free vaginal tape) stabilisiert werden.
Bei Defekten im Bereich der Muskulatur des Beckenbodens wird eine Scheiden-Damm-Plastik durchgeführt.