Englisch: hyperpotassemia, hyperkalemia
Die Hyperkaliämie ist eine Elektrolytstörung, bei der eine erhöhte Konzentration des Serumkaliums vorliegt. Je nach Definition liegt der Grenzwert bei 5,0 bzw. 5,2 mmol/l; bei Kindern bei 5,4 mmol/l.
siehe auch: Hypokaliämie
Genaue epidemiologische Daten zur Hyperkaliämie in Deutschland stehen nicht zur Verfügung. Die retrospektiv auf Basis von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung geschätzte Prävalenz liegt bundesweit bei ungefähr 200.000 Personen/Jahr.[1] Die Inzidenz in der Normalbevölkerung wird auf 2 bis 3 % geschätzt.[2] Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung liegt sie sogar zwischen 40 und 50 %.[3]
Tendenziell sind Männer häufiger betroffen als Frauen und die Prävalenzrate steigt mit dem Alter an. Ein besonders hohes Risiko haben Patienten mit Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz oder Diabetes mellitus.
Oft ist eine Hyperkaliämie Folge einer verminderten renalen Ausscheidung i.R. einer akuten oder chronischen Niereninsuffizienz. Medikamente, die sich auf das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) auswirken, sind eine weitere häufige Ursache.
Mechanismus | Ursache |
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Verschiebung von intra- nach extrazellulär |
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Inadäquate Ausscheidung | Hemmung des RAAS |
Vermindertes distales Natrium-Angebot: | |
Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus:
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Renale Mineralokortikoidresistenz:
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Fortgeschrittene Niereninsuffizienz:
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Primäre Nebenniereninsuffizienz:
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Eine im Alltag sehr häufige Ursache für den Laborbefund einer Hyperkaliämie ist die Hämolyse bei der Blutabnahme, beispielsweise bei zu langer Stauung vor der Punktion, bei exzessiver Muskelarbeit ("Faustballen") oder zu schneller Aspiration des Blutes durch englumige Kanülen. Weitere Ursachen einer Pseudohyperkaliämie sind:
Eine zufällig und insbesondere unerwartet aufgetretene Hyperkaliämie sollte daher stets nochmals kontrolliert werden.
Die renale Ausscheidungskapazität beträgt mehr als das Doppelte der typischerweise mit der Nahrung aufgenommenen Kaliummenge (100 mmol/d), sodass eine exogen bedingte Hyperkaliämie bei normaler Nierenfunktion selten ist. Bei erhöhter Zufuhr bewirkt Aldosteron eine verstärkte Sekretion ins Tubuluslumen. Bei Patienten mit Diabetes mellitus und hyporeninämischem Hypoaldosteronismus oder chronischer Nierenerkrankung können jedoch kaliumreiche Lebensmittel (v.a. Tomaten, Bananen, Zitrusfrüchte) einen Beitrag zur Hyperkaliämie leisten.
Bei einem hyporeninämischen Hypoaldosteronismus, aufgrund von bestimmten Medikamenten sowie bei einem primären oder sekundären Hypoaldosteronismus führt die reduzierte Aldosteronfreisetzung aus der Nebennierenrinde zu einer Hyperkaliämie. Ein hyporeninämischer Hypoaldosteronismus findet sich insbesondere bei Diabetikern, älteren Patienten und bei Niereninsuffizienz. Bei 50 % der Patienten besteht begleitend eine Azidose mit reduzierter renaler Ausscheidung von Ammonium, positiver Anionenlücke im Urin und ein pH-Wert des Urins unter 5,5. Außerdem führt eine Volumenexpansion zur sekundären Zunahme der ANP-Freisetzung, sodass die Sekretion von Renin und Aldosteron zusätzlich gehemmt wird.
Ein primärer Hypoaldosteronismus entsteht meist autoimmun (Addison-Krankheit) bzw. im Rahmen einer polyglandulären Endokrinopathie. Die häufigste infektiöse Ursache ist die HIV-Infektion, wobei die Nebenniereninsuffizienz meist subklinisch ist und erst durch Stress, Einnahme von Ketoconazol oder bei akutem Absetzen von Glukokortikoiden manifest wird.
Die chronische oder terminale Niereninsuffizienz ist eine sehr häufige Ursache der Hyperkaliämie. Solange die Kreatinin-Clearance über 20 ml/min beträgt bzw. keine Oligurie auftritt, entsteht meist keine Hyperkaliämie, da Kalium kompensatorisch verstärkt tubulär sezerniert und über den Dickdarm ausgeschieden wird. Bei unkontrollierter Zufuhr oder Einnahme bestimmter Medikamente steigt das Risiko.
Bei einem akuten Nierenschaden mit Oligurie entsteht ebenfalls häufig eine Hyperkaliämie. Bei Anurie steigt das Serumkalium täglich um etwa 1 mmol/l an.
Tubulointerstitielle Erkrankungen (z.B. bei Amyloidose, Sichelzellanämie, interstitieller Nephritis oder obstruktiver Uropathie) können ebenfalls zur Hyperkaliämie führen.
Hereditäre renale Ursachen der Hyperkaliämie werden als Pseudohypoaldosteronismus (PHA) bezeichnet:
Kalium hat einen wichtigen Einfluss auf das Ruhemembranpotential von Zellen: Es beruht auf der Differenz zwischen intra- und extrazellulärer Kaliumkonzentration. Das Bestreben von Kalium, durch Austritt aus der Zelle den osmotischen Gradienten auszugleichen, führt im Ruhezustand zu einer Spannung von −90 mV. Steigt die extrazelluläre Kaliumkonzentration, sinkt der Gradient und somit das Ruhepotenzial (der Wert wird weniger negativ). Die Zelle erreicht leichter das Schwellenpotential, durch das ein Aktionspotential eingeleitet wird; die Erregbarkeit steigt. Hierdurch werden Natriumkanäle teilweise geöffnet (ab ca. -60 mV). Dies hat zur Folge, dass bei einer Depolarisation kein kontinuierlicher Natriumeinstrom mehr erfolgen kann, da sich ein Teil der Natriumkanäle in der Refraktärzeit befindet (Depolarisationsblock). Das Resultat ist eine negativ inotrope und dromotrope Wirkung am Herzen sowie langfristig Paresen. Bei chronischen Kaliumstörungen sind die neuromuskulären Störungen geringer.
Eine Hyperkaliämie tritt immer im Kontext einer Grunderkrankung auf. Die spezifische Symptomatik der Hyperkaliämie ist sehr diskret, kann jedoch akut lebensbedrohlich werden.
Es existiert kein zuverlässiges Symptom, das auf die Gefahr einer Hyperkaliämie hinweist. Warnsymptome können sein:
Bereits eine geringe Zunahme des Serumkaliums verändert die Repolarisation des Herzens, bei weiterer Zunahme wird die intrakardiale Erregungsleitung gestört. Sowohl bradykarde als auch tachykarde Herzrhythmusstörungen sind möglich:
Im EKG äußert sich eine Hyperkaliämie durch:
Unabhängig von der Ursache können aufsteigende Paresen bis hin zur Zwerchfelllähmung und respiratorischer Insuffizienz entstehen (sekundäre hyperkaliämische Paralyse). An der Niere führt die Hyperkaliämie zur verminderten Fähigkeit zur Ausscheidung einer Säurelast, sodass eine metabolische Azidose entstehen kann.
Primär sollte an eine Pseudohyperkaliämie gedacht bzw. diese ausgeschlossen werden. Bei einem auffälligen EKG oder einem Serumkalium von über 6 mmol/l müssen sofortige Notfallmaßnahmen eingeleitet werden.
Durch eine ausführliche Anamnese und einer körperlichen Untersuchung können Hinweise auf zugrundeliegende Ursachen identifiziert werden. Insbesondere die Medikation, Ernährung, Risikofaktoren einer Niereninsuffizienz, der Blutdruck und der Volumenstatus sowie die Urinproduktion sollten evaluiert werden. Basislaborwerte (Elektrolyte, Kreatinin, Serumosmolalität, Blutbild) sollten untersucht werden.
Ergeben sich weder Hinweise auf eine Umverteilung noch auf eine zu hohe Kaliumzufuhr folgt eine Urinuntersuchung: Typischerweise ist die Kaliumausscheidung mit dem Urin vermindert (< 40 mmol/d). Neben der Natriumkonzentration im Urin ist die Berechnung des transtubulären Kaliumgradienten (TTKG) notwendig: K-Urin/K-Serum x Serum-Osmolalität/Urin-Osmolalität.
Ein TTKG unter 5 zeigt eine verminderte distale Kaliumsekretion an. Durch die Gabe von Fludrocortison und erneuter Berechnung des TTKG ergeben sich weitere Hinweise auf die zugrundeliegende Ursache:
Bei einer leichten Hyperkaliämie (Serumkalium < 6,0 mmol/l) basiert die Therapie auf:
Bei mittelgradiger (6,0 - 6,4) oder schwerer Hyperkaliämie (> 6,5) sowie bei EKG-Veränderungen handelt es sich um einen Notfall, sodass weitergehende Maßnahmen notwendig sind:
Maßnahme | Indikation | Wirkungseintritt | Wirkdauer |
---|---|---|---|
Calciumgluconat i.v. | jeder Notfall | nach 1 - 3 min | 30 - 60 min |
Glukose-Insulin-Infusion i.v. | jeder Notfall | 15 - 30 min (maximaler Effekt nach 30 bis 60 min) |
4 - 6 h |
Salbumatol per inhalationem | Notfall | 15 - 30 min | 2 - 4 h |
Natriumbikarbonat i.v | metabolische Azidose, Reanimation bei Hyper-K |
15 - 30 min | einige Stunden |
Furosemid und isotone Kochsalzlösung i.v. | jeder Notfall | 15 - 30 min | 6 h |
Kationenaustauscherharz p.o oder rektal | kann mit allen Therapieformen kombiniert werden | nach 1 - 3 h, maximaler Effekt nach 6h |
4 - 6 h |
Hämodialyse | Anurie, Therapieversagen der anderen Maßnahmen | sofort bzw. nach Anlage eines [[Shaldon-Katheter) | Anwendungsdauer |
Intravenöse Kalziumgaben schützen das Herz bis Maßnahmen zur Korrektur der Hyperkaliämie wirken. Das Serumkalium selbst wird dadurch nicht gesenkt. Kalzium erhöht die Reizschwelle des Aktionspotenzials und reduziert die Exzitabilität ohne dabei das Ruhemembranpotenzial zu verändern. Empfohlen wird die intravenöse Gabe von 10 ml 10%iges Kalziumglukonat oder 4 ml 10%iges Kalziumchlorid über 2 bis 3 Minuten unter Überwachung der Herzfunktion. Die Wirkung setzt nach 1 bis 3 Minuten ein und hält für 30 bis 60 Minuten an. Bei unveränderten EKG-Befunden kann die Dosis erneut gegeben werden. Eine Hyperkalzämie verstärkt die Toxizität von Digoxin und muss bei diesen Patienten vorsichtig gegeben werden.
Insulin senkt die Kaliumkonzentration im Plasma, indem es Kalium in die Zelle verschiebt. Empfohlen wird die intravenöse Gabe von 10 IE Normalinsulin in Kombination mit 50 ml einer 40%igen Glukoselösung (bzw. 25 g Glukose) über 15 bis 30 Minuten unter regelmäßiger Blutzuckerkontrolle. Die Wirkung setzt nach 10 bis 20 Minuten ein, das Wirkungsmaximum wird nach 30 bis 60 Minuten erreicht und hält für 4 bis 6 Stunden an. Glukose ohne Insulin führt aufgrund des osmotischen Effekts zur Verschlimmerung der Hyperkaliämie. Bei Hyperkaliämie und Glukosekonzentration über 200 mg/dl sollte Insulin ohne Glukose gegeben werden.
β2-Sympathomimetika (z.B. Salbutamol) sind zur Akutbehandlung gut geeignet und wirken zusammen mit Insulin und Glukose additiv auf die Senkung der Kaliumkonzentration im Plasma. Jedoch reagieren ca. 20 % der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz resistent. Empfohlen wird die Verneblung von 10 bis 20 mg in 4 ml physiologischer Kochsalzlösung und Inhalation über 10 Minuten. Die Wirkung setzt nach ca. 30 Minuten ein, erreicht ihr Maximum nach 90 Minuten und hält für ca. 2 bis 6 Stunden an. Mögliche Nebenwirkungen sind eine Hyperglykämie und eine Tachykardie, sodass die Gabe u.a. bei bekannter Herzerkrankung vorsichtig erfolgen sollte.
Bei metabolischer Azidose kann die intravenöse Gabe von Bikarbonat zur langsamen Reduktion (nach ca. 4 bis 6 Stunden) der Kaliumkonzentration führen. Empfohlen wird die Infusion in isotoner oder hypotoner Flüssigkeit (z.B. 50 bis 100 ml einmolarer bzw. 8,4%iger Lösung über 30 Minuten).
Natriumpolystyrolsulfonat (NaPSS) tauscht im Gastrointestinaltrakt Natrium gegen Kalium aus und erhöht somit die Kaliumausscheidung mit dem Stuhl. In Deutschland ist ein Kombinationspräparat mit Sorbitol sowie zwei ohne Sorbitol zugelassen. Mögliche Nebenwirkungen sind Hypernatriämie und Hypertonie.
Außerdem sind drei kalziumhaltige Polystyrolsulfate (CaPSS) verfügbar. Diese verursachen keine Natriumbelastung und keine Hypernatriämie, sollten aber nicht bei Hyperkalzämie eingesetzt werden. Die Wirkung auf die Kaliumkonzentration setzt nur langsam ein und erfordert wiederholte Gaben nach 4 bis 6 Stunden: Das Wirkmaximum wird nach bis zu 24 Stunden erreicht. Um einen schnelleren Wirkungseintritt zu erzielen, kann die Gabe von 30 bis 60 g als rektaler Einlauf in 150 bis 250 ml Flüssigkeit (z.B. Wasser oder 10%ige Glukoselösung) erfolgen.
Darmnekrosen sind eine seltene, aber meist tödliche Komplikation von NaPSS, insbesondere bei reduzierter Darmmotilität. Sorbitol scheint das Risiko zu erhöhen. Aus diesem Grund wird das Konzept der Kationenaustauscherharze in Deutschland zunehmend verlassen.
Zwei neuartige Therapieoptionen können als supportive Maßnahme insbesondere bei Patienten mit Herz- und/oder Niereninsuffizienz die notwendige Fortsetzung bzw. die optimale Dosierung der kardio- und nephroprotektiven Therapie (z.B. ACE-Hemmer) ermöglichen:
Bei Hypovolämie mit Oligurie und reduzierter distaler Ausscheidung von Natrium (und entsprechend reduzierter Ausscheidung von Kalium) sollte eine intravenöse Kochsalzlösung verabreicht werden.
Bei Hypervolämie oder während der Hydratation können bei ausreichender Nierenfunktion Schleifendiuretika und Thiazide gegeben werden.
Die Hämodialyse ist die effektivste Methode zur Reduktion der Kaliumkonzentration im Plasma, die Peritonealdialyse ist weniger effektiv. Die entfernte Kaliummenge hängt u.a. vom Dialysat und der Blutflussrate ab.
Tags: Elektrolytstörung, Kalium, Präanalytik
Fachgebiete: Innere Medizin, Labormedizin
Diese Seite wurde zuletzt am 4. Januar 2022 um 22:04 Uhr bearbeitet.
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Dr. med. univ. Daniela Gritschacher
Student/in (andere Fächer)