Digitalisintoxikation
Synonyme: Digitalisvergiftung, Herzglykosidintoxikation
Definition
Eine Digitalisintoxikation ist eine Vergiftung mit Digoxin, Digitoxin oder anderen herzwirksamen Steroidglykosiden.
Hintergrund
Herzglykoside besitzen eine geringe therapeutische Breite. Schon bei therapeutischen Plasmakonzentrationen können - vor allem bei älteren Patienten - Nebenwirkungen auftreten. Der therapeutische Serumspiegel für Digoxin liegt etwa zwischen 0,8 und 2 ng/ml, für Digitoxin zwischen 10 und 25 ng/ml.
Ätiologie
- Iatrogen, meist durch nicht beachtete Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (z.B. Verapamil oder Diltiazem bei Digitoxin)
- Akzidentelle oder suizidal motivierte Überdosierung durch den Patienten
- Ingestion von Pflanzen, die Herzglykoside enthalten (z.B. Fingerhut)
Klinik
Eine leichte Digitalisintoxikation zeigt sich durch gastrointestinale Beschwerden, wie Appetitlosigkeit, Nausea, Erbrechen, Diarrhoe oder Bauchschmerzen. Ein Grund dafür ist die Reizung der chemorezeptiven Triggerzone in der Medulla oblongata.
Weiterhin entstehen neurotoxische Störungen, wie
- Müdigkeit
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Störungen der Farbwahrnehmung (Gelbgrünsehen)
- leichte Verwirrtheit bis hin zu Halluzinationen, Delir, Krämpfe und Koma
Bei einer schweren Digitalisintoxikation kommt es außerdem zu vielfältigen Herzrhythmusstörungen (HRST):
- Bradykarde HRST, z.B. AV-Block, selten Sinusbradykardie bis hin zur Asystolie. Sie sind durch die negativ dromotrope Wirkung der Herzglykoside bedingt.
- Tachykarde HRST, z.B. ventrikuläre Extrasystolen (VES), ventrikuläre Tachykardien bis hin zum Kammerflimmern, selten supraventrikuläre Extrasystolen (SVES) oder supraventrikuläre Tachykardien. Sie entstehen durch die positiv bathmotrope Wirkung.
Typisch ist die Kombination von VES mit AV-Blockierungen. Zum Tod kommt es meist durch Kammerflimmern, seltener durch Asystolie.
Bei der akuten Intoxikation droht des Weiteren eine Hyperkaliämie, die in eine Hypokaliämie mit Hyperkaliurie übergehen kann.
Therapie
Bei einer leichten bzw. chronischen Intoxikation reicht meist das Absetzen des Herzglykosids für wenige Tage, bis sich die Plasmaspiegel normalisiert haben.
Bei akuten Intoxikationen ist eine kausale und symptomatische Behandlung notwendig.
Kausale Therapie
- Minderung der Giftaufnahme durch Aktivkohle, ggf. vorher Magenspülung bzw. Induziertes Erbrechen (hierbei erhöhte Asystoliegefahr durch Vagusstimulation, daher vorherige Atropingabe)
- Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs durch Colestyramin
- Hämoperfusion (bei Digitoxin); Hämodialyse wirkungslos
- Digitalis-Antitoxin in sehr schweren Fällen
Symptomatische Therapie
- Serumkalium sollte im oberen Normbereich liegen, ggf. Kaliumgabe nötig, ggf. Natriumbikarbonat bei Hyperkaliämie
- bei bradykarden HRST: Atropin, ggf. passagerer Herzschrittmacher
- bei komplexen ventrikulären HRST: Lidocain, Magnesium, Defibrillation und Kardioversion bei Kammerflimmern oder hämodynamisch wirksamen lebensbedrohlichen Tachyarrhythmien
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