Synonyme: atrioventrikulärer Block, AV-Blockierung
Englisch: atrioventricular block
Der AV-Block ist eine Herzrhythmusstörung, die durch Leitungsstörungen zwischen Vorhöfen (Atrien) und Herzkammern (Ventrikel) entsteht. Die Erregungsleitung ist dabei aufgrund eines anatomischen oder funktionellen Hindernisses verzögert oder unterbrochen.
Ursachen eines AV-Blocks sind funktioneller oder struktureller Natur. Die funktionell bedingten AV-Blocke sind oft reversibel, letztere hingegen meist irreversibel.
Ein erhöhter Vagotonus während des Schlafes oder bei durchtrainierten Personen kann zu AV-Blockierungen jeglichen Schweregrades führen. Ein transienter AV-Block aufgrund des erhöhten Vagotonus kommt bei bis zu 10 % der jungen Erwachsenen vor.
Ein Karotissinussyndrom, vasovagale Synkopen sowie Husten- und Miktionssynkopen können ebenfalls mit AV-Blockierungen einhergehen.
Vorübergehende metabolische sowie endokrine Störungen können zu meist reversiblen AV-Blockierungen führen. Ursächlich sind z.B.
Zahlreiche pharmakologische Wirkstoffe können zu einem AV-Block führen, u.a.:
Infektionserkrankungen betreffen oft das Erregungsleitungssystem. Die Lyme-Borreliose befällt in 50 % das Myokard. 10 % der Patienten mit Lyme-Karditis entwickeln einen AV-Block, der meist reversibel ist, aber eine passagere Schrittmachertherapie erfordern kann.
Weitere infektiöse Ursachen sind:
Ein iatrogener AV-Block kann bei Mitral- oder Aortenklappenoperationen, selten bei thorakaler Bestrahlung und in der Folge einer Katheterablation entstehen. Ein AV-Block als Komplikation nach Korrektur von Ventrikel- oder Vorhofseptumdefekten ist selten, nach Korrektureingriffen bei Transposition der großen Gefäße (TPA) dagegen häufiger.
Die idiopathische progressive Fibrose des Erregungsleitungssystem ist eine der häufigsten Ursachen eines AV-Blocks. Sie beginnt oft in der 4. Lebensdekade und wird durch Atherosklerose, Hypertonie und Diabetes mellitus beschleunigt. Dabei unterscheidet man zwischen:
Familiäre Formen des AV-Blocks treten u.a. durch Mutationen im SCN5A-Gen (Lokus 3p22.2) auf. Erbliche Erkrankungen wie Kearns-Sayre-Syndrom, myotone Dystrophie Typ 1 und Typ 2, fazioskapulohumerale Muskeldystrophie oder Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie sind ebenfalls mit AV-Blockierungen assoziiert.
Ein kongenitaler AV-Block wird bei komplexen kardialen Fehlbildungen beobachtet (z.B. bei TPA, ASD vom Ostium-primum-Typ, VSD, Endokardkissendefekte oder Single-Ventricle-Defekten). Weiterhin kann ein kongenitaler AV-Block trotz strukturell normalem Herz bei Kindern von Müttern mit systemischem Lupus erythematodes (SLE) auftreten.
Der AV-Knoten wird aus dem Ramus nodi atrioventricularis der rechten Koronararterie (RCA) und dem ersten Septalast des Ramus interventricularis anterior (RIVA) der linken Koronararterie (LCA) mit Blut versorgt.
Eine koronare Herzkrankheit (KHK) kann zu passageren oder persistierenden AV-Blockierungen führen. Ein akuter Myokardinfarkt (AMI) geht in 10-25 % d.F. mit einem meist erst- oder zweitgradigen AV-Block einher. Höhergradige AV-Blockierungen entstehen tendenziell häufiger bei inferiorem als bei anteriorem AMI. Weiterhin führen inferiore Infarkte eher zu einem schmalkomplexigen stabilen Ersatzrhythmus, anteriore Infarkte eher zu Blockierungen des distalen AV-Knotens oder im Bereich des His-Bündels bzw. Tawara-Schenkels mit infolge breitkomplexigem, instabilem Ersatzrhythmus und schlechterer Prognose.
Zu den autoimmunen und infiltrativen Erkrankungen, die zu einem AV-Block führen können, zählen:
Selten bedingen maligne Erkrankungen (Lymphom, Mesotheliom, Melanom) einen AV-Block.
Ein AV-Block kann asymptomatisch verlaufen, aber je nach Ausprägung (Verzögerung oder komplette Blockierung der Leitung, Frequenz des Ersatzrhythmus) auch zu einer beträchtlichen Reduktion der Herzfrequenz führen, sodass die Pumpleistung des Herzens hämodynamisch wirksam abfällt. Entsprechende Symptome sind Übelkeit, Schwindel, Dyspnoe und Synkopen (Adams-Stokes-Anfall). Weiterhin kann ein AV-Block eine Herzinsuffizienz oder eine Angina pectoris verschlechtern. Ein hochgradiger AV-Block kann potentiell letal verlaufen.
Ein AV-Block wird mithilfe eines Oberflächen-EKGs (12-Kanal- oder Langzeitableitung) diagnostiziert. Bei Vorliegen eines AV-Blocks sollte vor der definitiven Therapie eine Ursachenabklärung erfolgen, um z.B. reversible Formen kausal zu behandeln.
Nach dem Ausmaß der Blockierung werden verschiedene Grade des AV-Blocks unterschieden. Eine Differenzierung mittels EKG ist prognostisch und therapeutisch relevant:
Der AV-Block II° (v.a. Typ II) kann mit einer Reihe nicht übergeleiteter P-Wellen assoziiert sein (paroxysmaler AV-Block). Dies spricht für eine gravierende Erkrankung des Erregungsleitungssystem und stellt eine Indikation zur permanenten Schrittmachertherapie dar.
Ein AV-Block kann suprahisär, d.h. in den Vorhöfen bzw. im AV-Knoten (intranodal) oder infranodal (im His-Bündel, den Tawara-Schenkeln und im Purkinje-System) entstehen. Insbesondere bei asymptomatischen Patienten ist die Lokalisationsdiagnostik entscheidend, da Prognose und Therapie davon abhängen. Orientierend kann mithilfe eines Oberflächen-EKG auf die Lokalisation des Blocks rückgeschlossen werden:
Weiterhin kann auch anhand des Schweregrades auf die Lokalisation geschlossen werden:
Aufgrund der unterschiedlichen autonomen Innervation von AV-Knoten und infranodalem Erregungsleitungssystem verlangsamen Vagusmanöver (z.B. Valsalva-Manöver, Karotissinusmassage) die Leitung im AV-Knoten, führen aber nur zu geringen Effekten auf das infranodale Gewebe.
Umgekehrt verbessern Atropin, Isoproterenol und körperliche Belastung die Leitung durch den AV-Knoten und verschlechtern die infranodale Leitung. Bei kongenitalem AV-Block III° und schmalkomplexigem Ersatzrhythmus erhöht die körperliche Belastung die Herzfrequenz, bei erworbenem komplettem AV-Block (v.a. bei breitem QRS-Komplex) nicht.
Für eine detailierte Lokalisationsdiagnostik ist eine elektrophysiologische Untersuchung (EPU) mit His-Bündel-EKG notwendig. Sie kann bei Patienten mit Synkopen und vermuteter höhergradiger AV-Blockierung indiziert sein, v.a. wenn nicht-invasive Untersuchungen die Ursache nicht aufklären können, oder bei struktureller Herzerkrankung mit symptomatischer ventrikulärer Tachykardie. Bei erworbenem komplettem AV-Block spielt die EPU nur eine geringe Rolle, da eine Schrittmachertherapie fast immer indiziert ist.
Das His-Bündel-EKG wird durch einen Katheter am oberen Rand des Trikuspidalklappenrings aufgezeichnet. Es zeigt die lokale atriale Erregung, das His-Elektrogramm und die lokale ventrikuläre Erregung, sodass bei gleichzeitiger Ableitung des Oberflächen-EKGs die intraatriale, AV-nodale und infranodale Leitungszeiten bestimmt werden können. Als AH-Intervall wird die Zeit von der frühesten Auslenkung des atrialen Elektrogramms in der His-Bündel-Ableitung bis zum His-Elektrogramm bezeichnet. Es spiegelt die Leitung des AV-Knotens wider und beträgt normalerweise < 130 ms. Das HV-Intervall, die Zeit vom His-Elektrogramm bis zum Beginn des QRS-Komplexes im Oberflächen-EKG, beträgt < 55 ms und zeigt die Leitungszeit durch das His-Purkinje-System an.
Grundsätzlich sollten bei einem AV-Block kausale oder verstärkende Ursachen identifiziert und beseitigt werden (z.B. Absetzen bradykardieauslösender Medikamente, Korrektur von Elektrolytveränderungen). Die Gabe von Atropin, Isoproterenol oder Orciprenalin kann bei AV-nodal lokalisiertem Block hilfreich sein, ist jedoch bei infranodaler Lokalisation (z.B. AV-Block II° Typ Mobitz II) kontraindiziert.
Zur kurzfristigen Überbrückung bzw. Stabilisierung kann eine temporäre Schrittmacherstimulation notwendig sein:
Ist ein Block distal des AV-Knotens nicht prompt reversibel, ist i.d.R. ein permanenter Schrittmacher notwendig.
Eine Schrittmacherimplantation ist z.B. indiziert bei:
Grundsätzlich erfolgt die Indikationsstellung individuell. Asymptomatische Patienten mit AV-Block I° oder II° Typ Mobitz I benötigen i.d.R. keinen permanenten Schrittmacher. Jedoch kann eine Implantation z.B. bei ausgeprägtem symptomatischem AV-Block I° (PR-Intervall > 300 ms) erwogen werden.
Tags: Herz, Herzrhythmusstörung
Fachgebiete: Kardiologie
Diese Seite wurde zuletzt am 9. April 2021 um 17:26 Uhr bearbeitet.
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