Ventrikuläre Extrasystole
Englisch: ventricular extrasystole
Definition
Ventrikuläre Extrasystolen, kurz VES, sind Extrasystolen, deren Ursprungsort unterhalb der Bifurkation des His-Bündels liegt.
- ICD-10: I49.3
Charakteristika
Ventrikuläre Extrasystolen sind grundsätzlich durch einen deformierten, verbreiterten QRS-Komplex charakterisiert. Da die Erregung einer ventrikulären Extrasystole in der Regel nicht retrograd geleitet wird, kommt es zu keiner Verschiebung des Grundrhythmus (Sinusrhythmus). Somit trifft nach einer ventrikulären Extrasystole die darauffolgende, normale Sinusaktion auf refraktäres Myokard und kann nicht weitergeleitet werden. Die Folge ist eine kompensierte Pause, d.h. der Abstand zwischen zwei normalen Herzaktionen liegt genau beim Zweifachen des RR-Abstandes.
Ausnahmen
- Ist der Ursprungsort einer ventrikulären Extrasystole genau am Bündelstamm des Tawara-Schenkels lokalisiert, kommt es zu einer orthotopen Leitung der Erregung über das Reizleitungssystem. Der QRS-Komplex ist nicht verbreitert; es findet sich jedoch eine kompensierte Pause als Kriterium für eine ventrikuläre Extrasystole.
- Bei einer ausgeprägten Sinusbradykardie kann die Sinusaktion nach einer ventrikulären Extrasystole auf wieder erregbares Myokard treffen. Dadurch fällt keine Normalaktion aus, die Pause nach der ventrikulären Extrasystole ist nicht kompensiert. Diese Form der ventrikulären Extrasystole wird als interponierte ventrikuläre Extrasystole bezeichnet.
Einteilung
... nach EKG-Morphologie
Ventrikuläre Extrasystolen können monomorph oder polymorph sein.
- Monomorphe ventrikuläre Extrasystolen entspringen in der Regel auch dem gleichen Erregungsort (monotop) und können sowohl organischer Ursache sein, als auch bei Gesunden auftreten.
- Polymorphe ventrikuläre Extrasystolen sind in der Regel polytop (unterschiedlichen Ursprungs) und immer Ausdruck einer Herzerkrankung.
... nach Regelmäßigkeit
Ventrikuläre Extrasystolen können in einer bestimmten Regelmäßigkeit auftreten oder in bestimmter Beziehung zum Sinusrhythmus stehen. Nach diesem Kriterium unterscheidet man:
- Kompensierte und interponierte VES (s.o.)
- 1:1-Extrasystolie (Bigeminus) - Abfolge von: Normalaktion - VES - Normalaktion - VES
- 1:2-Extrasystolie (Trigeminus) - Abfolge von: 1 Normalaktion - 2 VES - 1 Normalaktion - 2 VES
- 2:1-Extrasystolie - Abfolge von: 2 Normalaktionen - VES - 2 Normalaktionen - VES
- 1:3-Extrasystolie (Quadrigeminus) - Abfolge von: 1 Normalaktion - 3 VES - 1 Normalaktion - 3 VES
- 3:1-Extrasystolie - Abfolge von: 3 Normalaktionen - VES - 3 Normalaktionen - VES
- Couplet - 2 aufeinanderfolgende VES
- Triplet - 3 aufeinanderfolgende VES
- Salve - mindestens 3 aufeinanderfolgende VES
In der internationalen Literatur wird der Begriff "Trigeminus" bzw. "Trigeminie" häufig nicht für die 1:2-Extrasystolie, sondern für die 2:1-Extrasystolie verwendet, der "Quadrigeminus" entsprechend für die 3:1-Extrasystolie.
Klinik
Ventrikuläre Extrasystolen mit kompensierter Pause werden von Patienten häufig als Palpitation ("Aussetzer" oder "Herzstolpern") beschrieben. Eine frühe Extrasystole hat in der Regel bei kurzer diastolischer Füllung ein vermindertes Auswurfvolumen zur Folge. So können vorhandene Extrasystolen zu einem objektivierbaren Pulsdefizit führen.
In Einzelfällen kann eine hohe Anzahl an ventrikulären Extrasystolen langfristig zu einer Herzinsuffizienz führen. Hierbei liegen meist 20.000 bis 30.000 Extrasystolen pro 24 Stunden vor.
Risikostratifizierung
Bei ventrikulären Extrasystolen im Ruhe-EKG sollte für eine umfassende Beurteilung ein Langzeit-EKG durchgeführt werden. Bei Herzgesunden sind ventrikuläre Extrasystolen harmlos. Bei ihnen können Schlafentzug, Stress, sowie der Aufnahme von Alkohol, Nikotin oder Koffein zusätzliche Herzschläge auslösen. Ebenfalls können ein Kalium- oder Magnesiummangel Auslöser sein. Auch Erkrankungen der Schilddrüse können zu einer ventrikulären Extrasystolie führen.
Bei Patienten mit einer Herzerkrankung, insbesondere hochgradiger KHK oder Herzinsuffizienz sowie Zustand nach Herzinfarkt, können Extrasystolen zu lebensbedrohlichen Kammertachykardien und Kammerflimmern führen. Zur Risikostratifizierung hat sich die Lown-Klassifikation bewährt, in der ventrikuläre Extrasystolen hierarchisch eingeteilt werden.
Bei herzkranken Patienten gelten gehäufte polymorphe VES, der Bigeminus und Trigeminus und gehäufte Couplets und Salven als Warnsymptom. Ein besonderes Alarmsignal ist in diesem Zusammenhang das R-auf-T-Phänomen.
Der Lagetyp der Extrasystolen im Ruhe-EKG liefert Hinweise auf Ursprungsort. So deutet z.B. ein Steiltyp auf einen Ursprung im ventrikulären Ausflusstrakt oder der Aortenbasis hin.
Therapie
Bei Gesunden ist keine Therapie erforderlich. Nur ausnahmsweise kann bei starker subjektiver Befindlichkeitsstörung eine Therapie mit Betablockern oder einem Sedativum erfolgen, sofern hierfür keine Kontraindikationen bestehen. Häufig genügt es aber auch, Auslöser wie Stress oder Alkohol zu vermeiden. Sind ein Kalium- oder Magnesiummangel ursächlich für die Extrasystolen, lassen sich die Beschwerden durch eine kalium- und magnesiumreiche Ernährung oder gegebenenfalls die Einnahme von Kalium- oder Magnesiumpräparaten therapieren.
Bei ventrikulären Extrasystolen auf Grundlage einer Herzerkrankung ist eine Optimierung der Therapie der Grunderkrankung anzustreben. Klassische Antiarrhythmika sind kontraindiziert, da sie die Gesamtprognose verschlechtern (CAST-Studie). Als medikamentöse Therapie ist bei fehlenden Kontraindikationen die dauerhafte Gabe eines Betablockers ohne ISA (z.B. Bisoprolol, Metoprolol) sinnvoll. Diese verringern das Risiko einer Kammertachykardie bei ventrikulären Extrasystolen.
Ist es bereits (mehrfach) zu Kammertachykardie oder Kammerflimmern gekommen oder besteht aufgrund der Extrasystolen eine Herzinsuffizienz, sind nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren die Therapie der Wahl. Eine mögliche Option ist die Katheterablation der arrhythmogenen Herde. Mittels Hitze, die durch Radiofrequenzstrom erzeugt wird, kann der entsprechende Bereich verödet werden, so dass keine Extrasystolen mehr auftreten. Weitere Behandlungsoptionen sind ein implantierbarer Defibrillator oder spezielle chirurgische Verfahren zur Behandlung von Arrhythmien.
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