Tacrolimus
Handelsnamen: Adoport®, Advagraf®, Crilomus®, Dailiport®, Envarsus®, Modigraf®, Prograf®, Protopic®, Tacni®, Tacpan®, TACRO-cell®, Takrozem®,
Synonyme: FR-900506, FK506, TAC
Englisch: tacrolimus
Definition
Tacrolimus ist ein Arzneistoff mit antibiotischer und starker immunsuppressiver Wirkung, der in der Transplantationsmedizin und in der Dermatologie eingesetzt wird.
Chemie
Tacrolimus ist ein komplexes Makrolidantibiotikum mit einem 23-gliedrigen Ring, das aus Streptomyces tsukubaensis isoliert wurde. Die Summenformel ist C44H69NO12. Der chemische Name ist
- (1R,9S,12S,13R,14S,17R,18E,21S,23S,24R,25S,27R)-1,14-Dihydroxy-12-[(E)-1-[(1R,3R,4R)-4-hydroxy-3-methoxycyclohexyl]prop-1-en-2-yl]-23,25-dimethoxy-13,19,21,27-tetramethyl-17-prop-2-enyl-11,28-dioxa-4-azatricyclo[22.3.1.04,9]octacos-18-ene-2,3,10,16-tetron (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 804,0 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 3,19. Die CAS-Nummer lautet 104987-11-3. Als Arzneistoff wird Tacrolimus-Monohydrat eingesetzt, ein bei Raumtemperatur kristallines Pulver, das in Wasser praktisch unlöslich ist.
Wirkmechanismus
Tacrolimus bindet im Zytosol an das Immunophilin FKBP-12. Es bildet sich ein Komplex aus Tacrolimus, FKBP-12, Calcium, Calmodulin und Calcineurin. Dieser Komplex blockiert als kompetitiver und selektiver Calcineurin-Inhibitor die Serin/Threonin-Phosphatase-Aktivität des Calcineurins. Die Blockade verhindert die Dephosphorylierung und die Translokation von NF-κB sowie von verschiedenen Faktoren aktivierter T-Zellen (nuclear factors of activated T-cells; NFAT).
Aus diesen Abläufen resultiert eine starke immunsuppressive Wirkung. Die Aktivierung von T-Zellen und die von T-Helfer-Zellen abhängige Proliferation von B-Zellen wird unterdrückt. Die für die Transplantatabstoßung verantwortliche Bildung von zytotoxischen Lymphozyten, die Synthese von Zytokinen (z.B. IL-2, IL-3, IL-4, IL-5, IL-6, IL-8, IL-10, GM-CSF, TNF-α, IFN-γ) und die Expression des Interleukin-2-Rezeptors werden supprimiert.[1][2]
Der Wirkungsmechanismus bei atopischem Ekzem ist bislang (2024) nicht vollständig geklärt. Neben der oben beschriebenen Immunsuppression wird die topische Wirkung mit einer Beeinflussung der Langerhans-Zellen in Verbindung gebracht.[3]
Pharmakokinetik
Tacrolimus wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert. Nach topischer Anwendung findet praktisch keine Resorption statt. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt durchschnittlich 20 - 25 % und wird durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme reduziert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 2 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt 99 %. Bezogen auf Vollblut wurde ein Verteilungsvolumen von 47,6 Liter (ca. 0,7 l/kgKG), bezogen auf Plasma von 1.300 Liter(ca. 19 l/kgKG) berechnet. In den Erythrozyten findet gegenüber dem Plasma eine 20-fache Anreicherung statt.
Tacrolimus passiert die Plazentaschranke und tritt in die Muttermilch über. Die Biotransformation beginnt bereits im Intestinum. In der Leber erfolgt die Metabolisierung über das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4 und CYP3A5. Die Metabolite sind für die immunsuppressive Wirkung nicht von klinischer Bedeutung und werden überwiegend mit den Fäzes ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 43 Stunden.[2][3]
Indikationen
Tacrolimus wird bei erwachsenen Patienten zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung bei Nieren- oder Lebertransplantation sowie zur Behandlung der Transplantatabstoßung eingesetzt, die sich gegenüber anderen Immunsuppressiva als therapieresistent erweist.[2]
Bei dieser Indikation konnte in verschiedenen Studien eine Überlegenheit gegenüber anderen Immunsuppressiva (beispielsweise Azathioprin, Cyclosporin A) gezeigt werden.
Tacrolimus ist auch zur Behandlung des mittelschweren bis schweren atopischen Ekzems indiziert, wenn herkömmliche Therapiemaßnahmen (z.B. topische Glukokortikoide) nicht ausreichend wirksam sind oder nicht vertragen werden.[3]
In kleinen klinischen Studien wurde Tacrolimus auch bei Colitis ulcerosa eingesetzt, wenn eine systemische Steroidtherapie nicht ausreichend wirksam war. Tacrolimus kann für diese Indikationen in Deutschland nur off-label eingesetzt werden.[4]
Darreichungsform
Tacrolimus steht in Form von Granulat, Hartkapseln, oder Retardtabletten zur oralen Anwendung zur Verfügung. Ferner gibt es ein Infusionslösungskonzentrat zur parenteralen Anwendung und Salben zur topischen Anwendung.
Dosierung
Als orale Anfangsdosierung werden zur Prophylaxe der Nierentransplantatabstoßung 0,20 - 0,30 mg/kgKG, zur Prophylaxe der Lebertransplantatabstoßung von 0,10 - 0,20 mg/kgKG mit einmaliger morgendlicher Verabreichung empfohlen.
Abstoßungsreaktionen werden teilweise mit höherer Dosierung, zusätzlicher Glukokortikoidtherapie und kurzfristiger Applikation monoklonaler/polyklonaler Antikörper behandelt.[2]
Bei topischer Behandlung wird 0,1 %ige Salbe zweimal täglich angewendet und bis zur Abheilung der betroffenen Hautbereiche fortgesetzt. Sobald eine klinische Besserung eingetreten ist, sollte die Anwendungshäufigkeit reduziert oder nur noch 0,03 %ige Salbe eingesetzt werden.[3]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (≥ 15%) von Tacrolimus bei systemischer Anwendung sind:[1]
- Nierenfunktionsstörungen
- Hypertonie
- Fieber
- Infektanfälligkeit (CMV-Infektionen, Bronchitis, Harnwegsinfektionen)
- Tremor
- Leukopenie, Anämie
- Periphere Ödeme, Perikarderguss
- Übelkeit, Bauchschmerzen, Obstipation, Diarrhö
- Kopfschmerzen
- Insomnie
- Sensomotorische Polyneuropathie
- Hyperglykämie (Auslösung eines Diabetes mellitus Typ 1), Hyperkaliämie, Hypomagnesiämie, Hyperlipämie
Unter der Behandlung kann es zu teilweise schweren neurologischen und psychiatrischen Störungen kommen (z.B. Parkinsonismus, Optikusneuropathie, Status epilepticus, posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom, Leukenzephalopathie, chronische inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, bipolare Störung, Psychose).[5]
Wechselwirkungen
Die Immunsuppression wird durch eine Verdrängung von Tacrolimus aus der Plasmaproteinbindung (z.B. durch nichtsteroidale Antiphlogistika, orale Antikoagulanzien oder orale Antidiabetika) und durch starke CYP3A4-Inhibitoren (z.B. HIV-Proteaseinhibitoren, Azol-Antimykotika, Makrolid-Antibiotika, Nefazodon, Cobicistat, Idelalisib, Ceritinib, Grapefruitsaft) verstärkt, sodass es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen (Nephrotoxizität, Neurotoxizität, Kardiotoxizität) kommen kann.
Durch starke CYP3A4-Induktoren (z.B. Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin, Apalutamid, Enzalutamid, Mitotan, Johanniskraut-Präparate) kommt es zum Wirkungsverlust mit der Gefahr der Transplantatabstoßung.
Tacrolimus ist nicht kompatibel mit Polyvinylchlorid (PVC); zur Herstellung einer Tacrolimus-Suspension dürfen keine Medizinprodukte (Sonden, Spritzen usw.) aus PVC verwendet werden.
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Tacrolimus oder gegen andere Makrolid-Derivate sowie gegen einen sonstigen Bestandteil (z.B. entölte Phospholipide aus Sojabohnen) des Arzneimittels.
Schwangerschaft und Stillzeit
Vaterschaft
Bei Vätern, die mit Tacrolimus behandelt werden, muss bei Kinderwunsch keine Umstellung der Therapie erfolgen.[6]
1. Trimenon
Aufgrund der vorliegenden Daten war bei insgesamt mehr als 1.000 exponierten Schwangeren keine Teratogenität zu erkennen. Eine stabil auf Tacrolimus eingestellte Patientin sollte nicht umgestellt werden.[6]
2. und 3. Trimenon
Bei nierentransplantierten Schwangeren wurden häufiger Präeklampsie, Gestationshypertonie, Frühgeburtlichkeit, Schnittentbindungen und Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 2.500 g („low birth weight“) beobachtet, die durch die Grunderkrankung der Schwangeren bedingt und nicht als spezifische Arzneimitteleffekte zu werten sind. Tacrolimus scheint häufiger zu einem Gestationsdiabetes zu führen. Bei den Neugeborenen wurden in Einzelfällen eine Hyperkaliämie und passagere Einschränkungen der Nierenfunktion beobachtet.[6]
Stillzeit
Unter Tacrolimus darf gestillt werden.[6]
Toxizität
Bei Überdosierungen von Tacrolimus bis 7 mg/kgKG sind keine vital bedrohlichen Symptome aufgetreten.[7] Über verstärkte Nebenwirkungen wie Tremor, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Infektionen, Urtikaria, Lethargie sowie Störungen der Leber- und Nierenfunktion wurde berichtet.[2] Es ist davon auszugehen, dass es zum Nierenversagen und zu schweren neurotoxischen Störungen kommen kann.[5] Eine primäre Giftentfernung kann durch Verabreichung von Aktivkohle innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Ein spezifisches Antidot steht bisher (2024) nicht zur Verfügung. Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.
ATC-Code
- D11AH01 - Dermatika - Mittel zur Behandlung der atopischen Dermatitis, exkl. Corticosteroide
- L04AD02 - Antineoplastische und immunmodulierende Mittel - Immunsuppressiva - Calcineurin-Inhibitoren
Geschichte
Der Wirkstoff wurde 2002 von der Pharmafirma Fujisawa auf den Markt gebracht. 2005 wurde Fujisawa mit dem Pharmaunternehmen Yamanouchi zum neu gegründeten japanischen Konzern Astellas fusioniert, bei dem seitdem die Patente liegen.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Full Prescribing Information Prograf, FDA, abgerufen am 16.04.2024
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Advagraf, EMA, abgerufen am 16.04.2024
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Protopic, EMA, abgerufen am 16.04.2024
- ↑ Aktualisierte S3-Leitlinie Colitis ulcerosa (Version 6.1). AWMF-Registriernummer: 021-009, abgerufen am 16.04.2024
- ↑ 5,0 5,1 Verona P et al. Tacrolimus-Induced Neurotoxicity After Transplant: A Literature Review. Drug Saf. 2024
- ↑ 6,0 6,1 6,2 6,3 Tacrolimus. embryotox.de, abgerufen am 17.04.2024
- ↑ Leikin JB, Paloucek FP. Poisoning and Toxicology Handbook. 4th ed., CRC Press/Taylor & Francis Group, Boca Raton 2008
Weblinks
- Drugbank - Tacrolimus , abgerufen am 16.04.2024
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Tacrolimus, abgerufen am 16.04.2024
- PharmaWiki - Tacrolimus, abgerufen am 16.04.2024
- PubChem: 445643
- MeSH: 68016559