Herpes-simplex-Virusinfektion
von altgriechisch: ἕρπειν ("herpein") - kriechen und lateinisch: simplex - einfach
Synonyme: Herpes simplex, Herpesvirus-Infektion, HSV-Infektion, "Herpes" (umgangsprachl.)
Definition
Als Herpes-simplex-Virusinfektion oder einfach Herpes simplex bezeichnet man eine Infektionskrankheit, die durch verschiedene Herpes-simplex-Viren (HSV) hervorgerufen wird. Herpes simplex gehört zu den sexuell übertragbaren Krankheiten (STD).
Nomenklatur
Die Bezeichnung "Herpes simplex" ist insofern irreführend, als dass es sich keinesfalls immer um eine "einfache" Infektion handelt, sondern - vor allem bei Immunschwäche - komplizierte und protrahierte Verläufe auftreten können.
Erreger
Das Genom der Herpes-simplex-Viren besteht aus einer linearen, doppelsträngigen DNA (dsDNA) mit 152 kB. Es befindet sich in einem ikosaedrischen Kapsid, das aus 162 Kapsomeren aufgebaut ist. Weiterhin besitzt das Virus eine Hülle aus einer lipidhaltigen Membran. Zwischen der Virushülle und dem Kapsid befindet sich das Tegument.
siehe Hauptartikel: Herpes-simplex-Virus
Epidemiologie
HSV-Infektionen kommen weltweit und ganzjährig vor. Die Übertragung erfolgt primär durch Kontakt mit Ulzera oder durch Personen mit subklinischen Rezidiven, seltener auch durch Tröpfcheninfektion. Dabei kann sich das Virus an den Schleimhautoberflächen unbemerkt replizieren und nach Abschilferung ausgeschieden werden (Shedding). Kleine oberflächliche Defekte an der Haut, der Mundschleimhaut, den Konjunktiven oder an der Rektumschleimhaut dienen als Eintrittspforten. Asymptomatische Virusausscheidung kann bei Infizierten in 15-20 % jederzeit, also unabhängig von einem Rezidiv, vorkommen. Sie betrifft häufiger HSV-2 als HSV-1 und tritt v.a. im ersten Jahr nach Primärinfektion auf.
HSV-1
HSV-1 wird häufiger und meist in der Kindheit erworben, wobei nur eine kleine Minderheit bei der Primärinfektion klinische Zeichen aufweist. Über 90 % aller Erwachsenen besitzen im 5. Lebensjahrzehnt bereits HSV-1-Antikörper. In Deutschland beträgt die Seroprävalenz ca. 62 % bei 18- bis 24-Jährigen und 91 % bei 55- bis 64-Jährigen. Weltweit sind bis zum 50. Lebensjahr geschätzt 4 Milliarden Menschen infiziert.
HSV-2
Der Infektionsweg bei HSV-2 ist weniger klar. Meist findet die Primärinfektion im frühen Erwachsenenalter statt, verläuft aber in 2/3 der Fälle asymptomatisch. Die Übertragung erfolgt v.a. durch asymptomatische Virusausscheider.
HSV-2-Antikörper können i.d.R. nicht vor der Pubertät nachgewiesen werden und korrelieren mit der sexuellen Aktivität. In Deutschland beträgt die Seroprävalenz ca. 4 % bei 18- bis 24-Jährigen und 17 % bei 55- bis 64-Jährigen. Prostituierte weisen eine Seroprävalenz von 80 % auf. Die Prävalenz in Entwicklungsländern, v.a. in Mittelamerika, Südamerika und Afrika, ist deutlich höher als in Industrieländern. Die weltweite Inzidenz wird auf ca. 23,6 Mllionen Infektionen pro Jahr, die Prävalenz auf über 400 Millionen Infizierte geschätzt.
HIV
Neu auftretende oder bestehende HSV-2-Infektionen gehen mit einem zwei- bis vierfachen Anstieg einer HIV-1-Übertragung einher. Dieser Zusammenhang gilt für heterosexuelle Männer und Frauen in Entwicklungs- und Industrieländern. HSV-2 erhöht das Infektionsrisiko pro Koitus um das Sieben- bis Neunfache. Die HSV-2-Prävalenz bei HIV-1-Positiven in Europa beträgt ca. 30-70 %. Verantwortlich ist vermutlich die mit der HSV-2-Reaktivierung einhergehende persistierende lokale Entzündungsreaktion mit hohen Konzentrationen an CCR5-reichen CD4-positiven T-Zellen und dendritischen Zellen in der Submukosa der Genitalregion. Die antivirale Therapie kann die subklinische Entzündung nach Reaktivierung nicht reduzieren, da sie die Freisetzung kleiner Mengen von HSV-Antigen in die Schleimhaut vermutlich nicht verhindern kann.
Pathogenese
Das Herpes-simplex-Virus ist neurotrop und epidermotrop. Die Exposition des Herpes-simplex-Virus auf Schleimhäuten oder Hautläsionen ermöglicht die Invasion und anschließende Replikation in Zellen der Epidermis und Dermis. Diese Erstinfektion verläuft meist inapparent und erfolgt i.d.R. im Kindes- bzw. jungen Erwachsenenalter. Die Primärinfektion führt zu einer Besiedlung von sensorischen und/oder autonomen Nervenendigungen, wobei das Nukleokapsid intraaxonal zu den Perikarya in den Ganglien transportiert wird. Die Zeitspanne zwischen Eindringen in peripheres Gewebe und Ausbreitung in die Ganglien ist unbekannt.
Die weitere Ausbreitung des Virus erfolgt zentrifugal über die peripheren Nervenbahnen zu anderen Bereichen der betroffenen Schleimhäute, durch Mikrofusion benachbarter Epithelzellen sowie über eine Virämie, die bei 30-40 % der HSV-2-Erstinfizierten nachweisbar ist. Bei der Infektion mit HSV-1 ist v.a. das Ganglion trigeminale infiziert, wobei auch das Ganglion cervicale superius und das Ganglion cervicale inferius häufig betroffen sind. Bei anogenitalen Infektionen sind die sakralen Spinalganglien, autonome Ganglien sowie Nerven des Beckens infiziert.
Latenz
Nach der Erstinfektion persistieren die Herpes-simplex-Viren in den Neuronen. Diese Latenz geht mit einer geringen Transkription von viraler RNA einher, wobei kein Virus isoliert werden kann. Insbesondere spezifische T-Zellen, aber auch Antikörper verhindern eine Reaktivierung durch Freisetzung von IFN-γ und durch Granzym-B-vermittelte Degradation des sog. Immediate-early-Proteins ICP4.
Reaktivierung
Wenn das Virus reaktiviert wird, kommt es zur normalen Expression viraler Gene sowie zur Replikation und Freisetzung von HSV. Anschließend können die Viren sich per anterogradem axonalen Transport ausbreiten. Vermutete Triggerfaktoren einer Reaktivierung sind UV-Strahlung, systemische oder lokale Immunsuppression, Fieber, Stress sowie Traumata der Haut und der Ganglien.
Bei Reaktivierung erreicht das Virus die dermoepidermale Junktionszone, wobei anschließend drei Möglichkeiten existieren:
- rasche Eindämmung der Infektion durch das Immunsystem (v.a. CD8-positive T-Zellen) in der Nähe der Reaktivierungszone
- Ausbreitung kleiner Virusmengen in die Epidermis mit Mikroulzerationen und subklinischer Virusfreisetzung
- ausgedehnte Replikation und Ausbreitung der Viren mit Nekrose der Epithelzellen und klinischem Rezidiv (Hautbläschen, Ulzerationen).
Klinik
Die im Volksmund oft schlichtweg als "Herpes" bezeichnete Bildung von Lippenbläschen sind in der Regel ein Ausbruch von HSV-1 mit oraler Lokalisation. Man bedenke jedoch, dass sich unter dem Begriff "Herpes" noch zahlreiche andere Viren mit anderen Folgen verbergen und diese Begriffswahl daher zu unspezifisch ist.
Grundsätzlich hängen die klinischen Merkmale und der Verlauf einer HSV-Infektion von der Lokalisation, dem Alter und dem Immunstatus des Patienten sowie vom Virustyp ab. Primärinfektionen verlaufen häufig asymptomatisch, können sich aber auch mit mukosalen (v.a. orolabial und genital), seltener extramukosalen Läsionen manifestieren. Im Vergleich zum Rezidiv ist der Verlauf länger und die Zahl der Komplikationen erhöht. Die Inkubationszeit kann zwischen einem Tag und 26 Tagen liegen, beträgt aber i.d.R. 6-8 Tage.
Die charakteristische Anordnung gruppierter Bläschen oder polyzyklisch begrenzter Erosionen wird als herpetiform bezeichnet.
Orofaziale HSV-Infektion
Primärinfektion
Eine Gingivostomatitis herpetica (Stomatitis aphthosa), Pharyngitis oder Tonsillitis sind die häufigsten Manifestationen einer HSV-1-Erstinfektion. Entsprechend sind v.a. Kinder und jüngere Erwachsene betroffen. Typische Symptome sind Fieber, Unwohlsein, Myalgien, Ess- und Schluckbeschwerden, Reizbarkeit und zervikale Lymphadenopathie. Die Läsionen betreffen den hinteren Rachen, den harten und weichen Gaumen, die Gingiva, die Zunge, die Lippen und das Gesicht. Die Beschwerden persistieren 3-14 Tage. Differenzialdiagnosen sind bakterielle Pharyngitis, Morbus Behcet, Mycoplasma-pneumoniae-Infektion sowie z.B. nicht-infektiöse pharyngeale Ulzera (z.B. Stevens-Johnson-Syndrom).
Reaktivierung
Eine Reaktivierung von HSV aus dem Ganglion trigeminale kann zu einer asymptomatischen Virusausscheidung im Speichel führen. Häufig kommen jedoch Ulzerationen am Rand des Lippenrots oder der Gesichtshaut hinzu. Der Herpes labialis stellt die häufigste Form einer HSV-1-Reaktivierung dar. 50-70 % der seropositiven Patienten nach Janetta-Operation und 10-15 % nach Zahnextraktion erleiden nach ca. 3 Tagen ein orolabiales HSV-Rezidiv. Differenzialdiagnostisch sind aphtöse, traumatische oder medikamenteninduzierte Ulzerationen zu erwägen.
Immunsuppression
Bei Immunsupprimierten Patienten können sich die Infektionen in tiefere (Schleim-)Hautschichten ausbreiten und zu Nekrosen, Blutungen, heftigen Schmerzen sowie Ess- und Schluckstörungen führen. Sie ähneln dabei klinisch Läsionen, die durch Chemotherapie, Verletzungen oder Pilz- und Bakterieninfektionen verursacht werden. Persistierende, ulzerative HSV-Infektionen finden sich v.a. bei AIDS-Patienten. Häufig kommen Koinfektionen mit Candida vor.
Bei Patienten mit atopischem Ekzem finden sich oft schwere orofaziale HSV-Infektionen, die sich schnell ausbreiten (Eczema herpeticatum) und z.T. auf innere Organe übergreifen.
Fazialisparese
HSV-1 stellt zusammen mit dem Varicella-Zoster-Virus (VZV) eine mögliche Ursache der "idiopathischen" Fazialisparese dar. Bei moderater bis schwerer Form werden daher antivirale Medikamente zusammen mit Glukokortikoiden verabreicht.
Genitale HSV-Infektion
Die Erstmanifestation eines Herpes genitalis verläuft bei HSV-1 und HSV-2 sehr ähnlich. Typische Symptome sind:
- Schmerzen
- Juckreiz
- Dysurie
- vaginaler und urethraler Ausfluss
- inguinale Lymphadenopathie
- bilaterale Läsionen am äußeren Genitale: Bläschen, Pusteln, schmerzhafte erythematöse Ulzera
- Allgemeinsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Myalgien)
Subklinische Fälle mit Nachweis von viraler DNA im Blut treten bei ca. 30 % d.F. auf. Bei über 80 % der Frauen mit Erstinfektion sind Zervix und Urethra befallen. Für eine Urethritis sprechen eine klare Schleimabsonderung und Dysurie. Gelegentlich manifestiert sich eine HSV-Infektion bei Frauen als Endometritis und Salpingitis, bei Männern als Prostatitis.
Wenn eine Frau bereits zuvor eine HSV-1-Infektion durchgemacht hat, manifestiert sich ein Herpes genitalis mit geringeren Allgemeinsymptomen und heilt auch schneller ab. Die Rezidivraten hängen vom Subtyp ab: Nach einem Jahr beträgt die Rate bei Erstinfektion mit HSV-2 90 %, bei HSV-1 nur 55 %.
Weiterhin können HSV-1 und HSV-2 rektale und perianale Infektionen verursachen. Die HSV-Proktitis ist meist mit Analverkehr assoziiert und führt zu anorektalen Schmerzen, Ausfluss, Tenesmen und Obstipation. Auch eine asymptomatische perianale Ausscheidung von HSV kann vorkommen. Ursächlich ist eine Reaktivierung latenter HSV-Infektionen im sakralen Dermatom mit Reaktivierung in Epithelzellen der perianalen Region nach früheren genitalen Infektionen. Perianale herpetische Läsionen finden sich gehäuft unter Zytostatikatherapie bei Immunsupprimierten. Ausgedehnte Läsionen mit/ohne Proktitis kommen häufig bei HIV-Infizierten vor.
Periunguale HSV-Infektion
Eine periunguale Infektion kann als Komplikation einer HSV-1- oder HSV-2-Primärinfektion auftreten. Ursächlich ist eine Inokulation des Virus über eine epidermale Verletzung oder ein direktes Einbringen des Virus z.B. durch berufliche Exposition. Symptome sind Erythem, Ödem und lokale Schmerzen am infizierten Finger sowie Bläschen oder Pusteln an der Fingerspitze. Oft besteht Fieber und eine epitrochleäre bzw. axilläre Lymphadenopathie.
Die Hautveränderungen können rezidivieren. Entscheidend ist eine rechtzeitige Diagnose, um Übertragungen und unnötige chirurgische Eingriffe zu vermeiden. Eine antivirale Therapie wird i.d.R. empfohlen.
Herpes gladiatorum
Grundsätzlich kann HSV jede Hautregion infizieren. Als Herpes gladiatorum, auch Herpes traumaticus genannt, wird eine mukokutane HSV-Infektion des Gesichts, der Ohren, des Thorax und der Hände bei Ringkämpfern bezeichnet. Die Übertragung wird begünstigt durch Hautverletzungen während der Kämpfe.
HSV-Infektionen des Auges
Eine HSV-Infektion des Auge ist die häufigste Ursache einer Erblindung in der westlichen Welt. Die Herpeskeratitis geht einher mit akuten Schmerzen, Sehstörungen, Chemosis, Konjunktivitis und dendritischen Läsionen der Kornea (Keratitis dendritica). Topische Glukokortikoide aggravieren die Symptome. Rezidive sind häufig, wobei auch tiefergelegene Strukturen des Auges zerstört werden können.
Die Chorioretinitis stellt meist eine Manifestation einer disseminierten HSV-Infektion dar und tritt v.a. bei Neugeborenen oder HIV-Patienten auf. Weiterhin kann HSV (und auch VZV) eine nekrotisierende Retinitis verursachen.
HSV-Infektionen des Nervensystems
HSV-Enzephalitis
Ungefähr 10-20 % der akuten sporadischen Virusenzephalitiden werden durch HSV verursacht. Die Inzidenz der HSV-Enzephalitis wird auf 2,3/1.000.000/Jahr geschätzt. Dabei sind v.a. Personen zwischen 5 und 30 Jahren sowie über 50-Jährige betroffen. Über 95 % d.F. werden durch HSV-1 ausgelöst.
Bei Kindern und jungen Erwachsenen kann eine Primärinfektion zur Enzephalitis führen. Vermutet wird, dass das Virus über den Bulbus olfactorius auf neurotropem Weg in das ZNS eindringt. Die meisten Erwachsenen mit HSV-Enzephalitis zeigen vor dem Auftreten neurologischer Symptome klinische oder serologische Anzeichen einer mukokutanen HSV-Infektion. Pathogenetisch liegt eine Reaktivierung einer latenten ZNS-Infektion oder eine Reaktivierung von latent persistierenden Viren in Ganglien des Nervus trigeminus oder in den Ganglien autonomer Nerven zu Grunde. Bei Familien mit gehäuft vorkommender HSV-Enzephalitis konnten weiterhin genetische Polymorphismen identifiziert werden. Die peripheren mononukleären Zellen dieser Patienten sezernieren bei der HSV-Immunantwort weniger Interferone. Vereinzelt bedingen auch genetische Veränderungen (z.B. TLR3-Genmutationen) sporadische Fälle einer HSV-Enzephalitis.
Die Enzephalitis zeigt sich durch plötzlichen Fieberanstieg und fokale neurologische Symptome, v.a. durch Störungen im Temporallappen. Eine klinische Unterscheidung z.B. zu anderen viralen Enzephalitiden ist schwierig. Zur Frühdiagnostik dient der Nachweis von HSV-DNA im Liquor mittels PCR. Die Antikörpertiter im Liquor und Serum steigen i.d.R. erst ab dem 10. Tag nach Erkrankungsbeginn an, sodass sie nur retrospektiv auswertbar sind. Eine Hirnbiopsie mit Nachweis von HSV-Antigen ist zwar sehr sensitiv, aber nur selten durchführbar.
HSV-Meningitis
Bei 3-15 % der Patienten mit aseptischer Meningitis kann HSV-DNA im Liquor nachgewiesen werden. Sie tritt meist gemeinsam mit einer genitalen HSV-Erstinfektion auf und manifestiert sich als akute, selbstlimitierende Erkrankung mit Kopfschmerzen, Fieber und leichter Photophobie. Die Krankheitsdauer beträgt meist 2-7 Tage. Typisch ist eine lymphozytäre Liquorpleozytose. Neurologische Folgeerscheinungen sind selten.
Weiterhin ist HSV die häufigste Ursache der rezidivierenden lymphozytären Meningitis (Mollaret-Meningitis). Die Diagnose wird durch HSV-Antikörper oder persistierender HSV-DNA im Liquor gestellt.
Weitere Manifestationen
HSV (sowie auch VZV) kann zu Dysfunktionen des Nervensystems, insbesondere der Sakralregion, führen. Folgen sind:
- Taubheit, Kribbelparästhesien in Gesäßbereich und Perianalregion
- Harnverhalt
- Obstipation
- Impotenz
- Liquorpleozytose
Die Symptome klingen langsam innerhalb von Tagen bis Wochen ab. Teilweise halten Hypästhesien und/oder Paresen der unteren Extremität Monate an.
Selten geht eine HSV-Infektion mit einer Querschnittsmyelitis mit rasch progressiver symmetrischer Paralyse der unteren Extremität oder einem Guillain-Barré-Syndrom einher. Im Rahmen einer Reaktivierung kann das periphere Nervensystem z.B. in Form einer Fazialisparese oder einer kranialen Polyneuritis betroffen sein. Vorübergehende Hypästhesien im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus oder Störungen des Vestibularorgans treten häufig auf. Ob eine antivirale Behandlung die Beschwerden bessern und die Häufigkeit reduzieren kann, ist unklar.
Viszerale HSV-Infektionen
...des Ösophagus
Die HSV-Ösophagitis kann durch eine kontinuierliche Ausbreitung einer oropharyngealen HSV-Infektion oder durch eine Reaktivierung ausgelöst werden. Bei letzterer wandert das Virus über den Nervus vagus zur Ösophagusschleimhaut. Hautsymptome sind:
- Odynophagie
- Dysphagie
- retrosternale Schmerzen
- Gewichtsverlust
- multiple ovale Ulzerationen auf erythematösem Grund mit/ohne fleckig weiße Pseudomembranen
Dabei ist v.a. der distale Ösophagus betroffen. Die Abgrenzung zu einer Candida-Ösophagitis oder Ulzerationen durch thermische Schädigung, Strahlung oder ätzende Substanzen ist nur zytologisch möglich. Eine systemische antivirale Therapie reduziert Ausmaß und Dauer der Symptome und führt zur Abheilung der Ulzerationen.
...der Lunge
Eine HSV-Pneumonie tritt fast nur bei stark immunsupprimierten Patienten auf. Dabei entsteht sie durch kontinuierliche Ausbreitung einer Tracheobronchitis in das Lungenparenchym. Im Verlauf entsteht meist eine fokal-nekrotisierende interstitielle Pneumonie. Superinfektionen mit Bakterien, Pilzen und Parasiten sind häufig. Die Letalität iiegt unbehandelt bei über 80 %.
HSV kann außerdem gelegentlich aus den unteren Atemwegen bei langzeit-intubierten Patienten isoliert werden, vermutlich infolge einer trachealen HSV-Reaktivierung mit lokaler Tracheitis. Eine Ausbreitung ins Lungenparenchym muss dabei frühzeitig detektiert werden.
Auch bei ARDS kann HSV gelegentlich aus den unteren Atemwegen isoliert werden. Der Zusammenhang sowie der Einfluss antiviraler Substanzen auf die Morbidität und Letalität bei Patienten mit ARDS ist jedoch unklar.
...der Leber
HSV führen selten zu einer Hepatitis bei immunkompetenten Patienten. Sie ist gekennzeichnet durch Fieber, Anstieg von Bilirubin und Aminotransferasen sowie durch Leukopenie. Eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) kann komplizierend auftreten.
Disseminierte HSV-Infektion
Insbesondere bei Immunsuppression, Unterernährung und Verbrennungen kann HSV sich systemisch ausbreiten und auch Pankreas, Dünndarm, Dickdarm, Nebennieren sowie das Knochenmark befallen. Vereinzelt werden Monoarthritiden, Nebennierennekrosen, Thrombozytopenie und Glomerulonephritiden als Komplikation einer HSV-Infektion beschrieben. In seltenen Fällen kommt es während einer Schwangerschaft zur Disseminierung einer Primärinfektion mit HSV, am ehesten im letzten Trimenon.
Die Diagnose einer disseminierten HSV-Infektion erfolgt über den Nachweis von HSV-DNA im Plasma oder Vollblut.
Herpes neonatorum
Neugeborene sind am häufigsten von HSV-Infektionen der inneren Organe und/oder des ZNS betroffen. Die Letalität beträgt unbehandelt 65 %, unter adäquater Therapie 15 %. Nur < 10 % der Neugeborenen mit zentralnervöser Infektion entwickeln sich normal. Hautläsionen bei einer neonatalen HSV-Infektion entwickeln sich, wenn überhaupt, oft erst im späteren Verlauf. Die Inzidenz beträgt 1/6.000-20.000 Geburten.
Ursächlich ist in 50-70 % d.F. HSV-2, in 30-50 % d.F. HSV-1. Der Herpes neonatorum entsteht i.d.R. perinatal durch Kontakt mit infektiösen Genitalsekreten unter der Geburt. Kongenitale Infektionen sind auch möglich. Weiterhin kann ein Herpes neonatorum durch postnatalen Kontakt mit Familienangehörigen mit orolabialer HSV-1-Infektion entstehen. Zuletzt sind auch nosokomiale Übertragungen beschrieben. Die höchste Erkrankungswahrscheinlichkeit besteht für Neugeborene, wenn deren Mütter erst kurz vor der Geburt eine HSV-Primärinfektion erworben haben.
HSV und Schwangerschaft
Ungefähr 20 % der Schwangeren sind HSV-2-seropositiv. Ist eine Frau zu Beginn der Schwangerschaft seropositiv, kann man keine Auswirkungen auf den Fetus beobachten. Eine Erstinfektion mit HSV-1 oder HSV-2 birgt jedoch mehrere Komplikationen. Insbesondere im dritten Trimenon kann es zu einer viszeralen Disseminierung, einer Frühgeburt oder einer intrauterinen Wachstumsretardierung kommen. Eine transplazentare Transmission des Virus auf das Kind kann selten zum Spontanabort führen. Die HSV-Übertragung von der Mutter auf das Kind findet in 30-50 % d.F. statt, wenn Frauen kurz vor der Geburt eine HSV-Erstinfektion entwickeln. Das höchste Risiko besteht bei einer primären genitalen HSV-1-Infektion. Ob die antivirale Therapie das Übertragungsrisiko reduzieren kann, ist unklar.
Grundsätzlich ist das klinische Bild eines rezidivierenden genitalen Herpes, die Häufigkeit subklinischer und klinisch apparenter Infektionen und die Dauer von Läsionen, Schmerzen und Symptomen bei Schwangeren und nicht schwangeren Frauen identisch. Rezidive sind in der Schwangerschaft häufiger. Die hohe HSV-2-Seroprävalenz und die niedrige Inzidenz neonataler Infektionen sprechen für ein niedriges Risiko einer HSV-Infektion des Neugeborenen. Das Risiko bei Reaktivierung von HSV-2 zum Zeitpunkt der Entbindung beträgt < 1 %, bei Reaktivierung von HSV-1 ist das Risiko etwas höher. Trotzdem ist die peripartale Übertragung der Infektion für die meisten Fälle des Herpes neonatorum verantwortlich. Die Schnittentbindung ist nicht bei allen Frauen mit rezidivierendem Herpes genitalis indiziert, muss aber bei Frauen erwogen werden, die zum Zeitpunkt der Entbindung das Virus ausscheiden. Nur 2 % der HSV-2-seropositiven Frauen weisen HSV-2 im Zervixsekret bei der Entbindung auf, nur 1 % der Neugeborenen entwickeln infolge eine Infektion. Protektiv wirken dabei maternale Antikörper. Wöchentliche virologische Kontrollen vor Geburt oder eine Amniozentese werden nicht empfohlen.
Indikationen zur Schnittentbindung sind:
- Läsionen der Zervix oder des äußeren Genitales am Entbindungstermin
- Virusnachweis durch Abstrich der Genitalschleimhaut und PCR
- HSV-Primärinfektion im letzten Trimenon
Diagnostik
Die Diagnose eines Herpes-simplex-Infektion erfolgt anhand der klinischen Symptome sowie durch Laboruntersuchungen.
Direkter Erregernachweis
Der direkte Virusnachweis kann in der Zellkultur oder durch die Detektion von HSV-Antigenen bzw. HSV-DNA im Bläscheninhalt oder Liquor erfolgen. Die Viruskultur benötigt ca. 48 Stunden und weist die höchste Spezifität auf. In der Zellkultur verursachen HSV einen zytopathischen Effekt. Die Kulturanlage ist indiziert, wenn die Empfindlichkeit gegenüber antiviralen Medikamenten geprüft werden soll.
HSV-Antigene können durch spezifische Antikörper mit hoher Sensitivität mittels Immunfluoreszenz oder ELISA nachgewiesen werden. HSV-DNA wird aus Abstrich- oder Biopsiematerial sowie Liquor mittels PCR identifiziert. Die PCR stellt das sensitivste Verfahren für mukosale oder viszerale Infektionen dar.
Die Sensitivität der Virusisolation und des Antigen- oder DNA-Nachweis ist höher bei:
- Verwendung von Bläscheninhalt als bei ulzerativen Läsionen
- bei Erstinfektion als bei Rezidiv
- bei Immunsupprimierten im Vergleich zu immunkompetenten Personen.
Die Subtypisierung des Virus ist aus epidemiologischen Gründen nützlich und erlaubt die Einschätzung der Rezidivrate nach Erstinfektion.
Serologie
Während der ersten Wochen nach Infektion entwickeln sich typspezifische und typübergreifende Antikörper gegen HSV, die dann lebenslang persistieren. Die allgemeinen HSV-Antikörper sind nützlich zur Abgrenzung seronegativer Personen von denen mit zurückliegender HSV-1- oder HSV-2-Infektion, z.B. zum Nachweis einer Primärinfektion bei positivem direktem Virusnachweis. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen den beiden Virussubtypen ist aber nicht möglich.
Serologische Assays zum Nachweis von IgG-Antikörpern gegen das typspezifische Glykoprotein G sind kommerziell verfügbar und Erlauben die Unterscheidung zwischen HSV-1 (Glykoprotein G1) und HSV-2 (Glykoprotein G2).
Der Serostatus eines Patienten variiert je nach Phase der Erkrankung. In der Frühphase der Erkrankung finden sich insbesondere IgM-Antikörper. Nach einer Latenzzeit von 1 bis 2 Wochen kommt es zu einer Serokonversion zu IgG-Antikörpern.
Verlauf | IgM | IgG |
---|---|---|
Akute primäre Infektion | ↑ | signifikanter Titeranstieg bei Kontrolle nach 1 bis 2 Wochen |
Ausgedehnte Rezidive | ↑ | signifikanter Titeranstieg bei Kontrolle nach 1 bis 2 Wochen |
Lokalrezidiv | ↔/↑ | oft kein Anstieg |
Zurückliegende Infektion | ↔ | ↑↑ |
↑ = leicht erhöht; ↑↑ = mittel bis stark erhöht; ↔ = keine Veränderung
Weitere Diagnostik
Neben dem direkten und indirekten Erregernachweis existieren noch weitere diagnostische Methoden, die aber weder zur Differenzierung der HSV-Typen noch zur Abgrenzung gegenüber VZV geeignet sind:
- Tzanck-Test: Giemsa-Färbungen (nach Wright oder Papanicolaou) von Abstrichen vom Grund frischer Bläschen zeigen Riesenzellen und intranukleäre Einschlusskörperchen. Die Sensitivität ist jedoch gering.
- Elektronenmikroskopie: mittels Negative Staining (Kohlebedampfung) von Blasenmaterial kann Virusmaterial innerhalb von Stunden identifiziert werden. Eine weitere Unterteilung ist jedoch nicht möglich.
Pathohistologie
Pathohistologisch verursacht HSV unspezifische Läsionen aus dünnwandigen Bläschen oder Ulzerationen im Stratum basale, mehrkernigen Zellen mit nukleären Einschlusskörperchen, Nekrosen und einer akuten Entzündungsreaktion. Bei nachlassener Virusreplikation kommt es zur meist narbenlosen Reepithelialisierung.
Therapie
HSV-Infektionen können prinzipiell durch eine systemische antivirale Therapie behandelt werden. Die Therapie kann die Dauer der Haut- und Schleimhautläsionen sowie der weiteren Symptome verkürzen. Sie führt jedoch weder zur Eliminierung einer latenten Infektion, noch beeinflusst sie Risiko, Häufigkeit oder Schweregrad von subklinischen oder klinischen Rezidiven nach Therapiebeendigung. Bei Infektionen des Auges und bei leichten kutanen Manifestationen können auch topische Medikamente verabreicht werden.
Bei seropositiven Immunsupprimierten (z.B. während der Induktion einer Chemotherapie oder nach Organtransplantation) kann die antivirale Therapie eine Reaktivierung verhindern.
Wirkstoffe
Aciclovir
Aciclovir ist ein Purinnukleosidanalogon und gilt als Medikament der Wahl bei Herpes simplex. Es wird durch die virale Thymidinkinase phosphoryliert und interferiert anschließend mit der viralen DNA-Polymerase und hemmt die Virusreplikation. Die humane DNA-Polymerase ist um den Faktor 30-50 weniger empfindlich gegen Aciclovir.
Bei leichten Erkrankungsformen wird Aciclovir i.d.R. per os verabreicht. Der Wirkstoff kann auch topisch als Creme, Gel oder Salbe angewendet werden, wobei Externa nur eine geringe Effektivität aufweisen, da sie bereits in der Frühphase sowie in etwa 2-stündigen Abständen aufgetragen werden müssen.
Bei schweren Manifestationen (z.B. HSV-Enzephalitis), Immunsupprimierten oder Neugeborenen ist eine intravenöse Therapie notwendig. Die Liquorspiegel von Aciclovir betragen 30-50 % des Plasmaspiegels, sodass bei ZNS-Infektionen höhere Dosen verabreicht werden. Die wichtigste Nebenwirkung ist eine transiente Nierenfunktionsstörung, meist durch Kristallisation von Aciclovir im Nierenparenchym. Diese kann durch langsame Infusion über eine Stunde und ausreichende Hydratation vermieden werden. Vor und während der Therapie sollte das Serumkreatinin bestimmt werden und ggf. eine Dosisanpassung erfolgen.
Aciclovir wird außer zur Behandlung von Primär- und Sekundärinfektionen auch prophylaktisch in der Frühphase nach einer Knochenmarktransplantation eingesetzt. Bei häufigen oder schweren Rezidiven kann es im Rahmen einer Suppressionsbehandlung auch über Monate bis Jahre eingesetzt werden.
Valaciclovir
Valaciclovir stellt die inaktive Vorstufe von Aciclovir dar und hat eine größere Bioverfügbarkeit, sodass es in größeren Intervallen verabreicht werden kann. Es weist durchschnittlich eine ebenso hohe Blutkonzentration wie intravenös appliziertes Aciclovir auf, sodass es auch eine perorale Alternative bei Immunsuppression darstellt.
Famciclovir
Famciclovir ist ebenfalls ein Purinnukleosidanalogon, das im Gastrointestinaltrakt und in der Leber zu Penciclovir metabolisiert wird. Das Nebenwirkungsprofil ist mit dem von Aciclovir vergleichbar. In der Schwangerschaft darf es nicht eingesetzt werden. Famciclovir ist in Deutschland nur zur Behandlung des Herpes genitalis zugelassen.
Ganciclovir
Ganciclovir ist ebenfalls gegen alle replizierenden Herpesviren wirksam, v.a. gegen das humane Zytomegalievirus (CMV). Es muss intravenös oder intravitreal appliziert werden. Die hohe Knchenmarktoxizität mit Gefahr einer Granulozytopenie begrenzt seinen Einsatz. Valganciclovir stellt ein oral applizierbares Prodrug von Ganciclovir dar.
Brivudin
Brivudin ist ein Nukleosidanalogon, das zunächst durch virale Kinasen aktiviert wird. Anschließend katalysiert die virale DNA-Polymerase den Einbau des aktivierten Brivudins in die DNA, wodurch eine Nonsense-DNA entsteht. Brivudin ist im Gegensatz zu Aciclovir nicht nephrotoxisch oder hepatotoxisch. Es ist jedoch in Deutschland nur für die Behandlung von Herpes zoster bei immunkompetenten Erwachsenen zugelassen.
Therapieschemata
Orofaziale HSV-Infektionen
Bei immunkompetenten Patienten mit orofazialer Erstinfektion wird i.d.R. Aciclovir p.o. (5 x 200 mg/d) über 5-10 Tage bzw. bis zur Abheilung, Aciclovir i.v. (3-5 mg/kgKG/d) über 7-10 Tage oder Valaciclovir p.o. (2 x 2 g/d) für 1 Tag empfohlen.
Bei Rezidiven kann eine rechtzeitige Gabe während des Prodromalstadiums die Schmerzen lindern und die Heilung beschleunigen. Empfohlen wird Aciclovir p.o. (2-3 x 400 mg/d oder 5 x 200 mg/d) über 5 Tage. Alternativ kann Valaciclovir p.o. (1-2 x 250-500 mg/d) für 3-5 Tage verabreicht werden. Des Weiteren können im Prodromal- und Eruptionsstadium des Herpes labialis virustatische Cremes und Gels (z.B. Idoxuridin, Aciclovir, Foscarnet oder Cidofovir) die Abheilung beschleunigen und die Beschwerden lindern. Auch Melissenextrakt-haltige Cremes oder lokale Wärme kann hilfreich sein. Im Bläschenstadium wird eine austrocknende und ggf. antiseptische Lokaltherapie empfohlen (z.B. 2%ige Clioquinol-Lotion, Menthol-Eisenoxid-Zinkpaste, Franzbranntwein oder gerbstoffhaltige Zinkschüttelmixtur). Im Krustenstadium kann 5 %ige Panthenol-Creme aufgetragen werden. Mundspülungen bieten sich bei Befall der Mundschleimhaut an.
Bei über 6-8 Rezidiven pro Jahr kann eine Prophylaxe mit Aciclovir p.o. (2-3 x 400 mg/d) für 1 Jahr erwogen werden.
Herpes genitalis
Bei Erstinfektion und Herpes genitalis sind folgende Therapien möglich:
- Aciclovir p.o. 5 x 200 mg/d oder 3 x 400 mg/d für 7-14 Tage
- Valaciclovir p.o. 2 x 500 mg/d für 7-14 Tage
- Famciclovir p.o. 3 x 250 mg/d für 5 Tage oder 2 x 250 mg/d für 7-14 Tage
- bei schwerer Erkrankung oder neurologischen Komplikationen (z.B. Meningitis) kommt Aciclovir i.v. (5-10 mg/kgKG alle 8 Stunden) für 5 Tage zum Einsatz
Für symptomatische Rezidive existieren ebenfalls eine Vielzahl an möglichen Schemata:
- Aciclovir p.o. 2-3 x 400 mg/d oder 4-5 x 200 mg/d über 5 Tage
- Valaciclovir p.o. 2 x 500 mg/d über 5 Tage
- Famciclovir p.o. 2 x 125 mg/d über 5 Tage
- Kurzzeittherapien, z.B.:
- Aciclovir p.o. 3 x 800 mg/d für 2 Tage
- Valaciclovir p.o. 2 x 500 mg/d für 3 Tage
- Famciclovir einmalig 2 x 750-1.000 mg, einmalig 1.500 mg oder Einmalgabe von 500 mg gefolgt von 2 x 250 mg/d über 3 Tage
Bei über 6-8 Rezidiven pro Jahr wird eine Prophylaxe mit Aciclovir p.o. (2-3 x 400 mg/d), Famciclovir p.o. (2x 125 mg/d) oder Valaciclovir p.o. (1 x 1 g/d oder 1-2 x 500 mg/d) über 1 Jahr empfohlen.
Mukokutane Infektionen bei Immunsuppression
Eine akute, symptomatische Erstinfektion oder ein Rezidiv bei immunsupprimierten Patienten wird mit i.d.R. initial mit Aciclovir i.v. (5-10 mg/kgKG alle 8 Stunden) behandelt. Nach 2-7 Tagen bzw. bei klinischer Besserung kann auf eine orale Gabe von Aciclovir (4-5 x 400 mg/d) über 14-21 Tage umgestellt werden. Alternativen sind
- Famciclovir p.o. 2-3 x 500 mg/d über 7-14 Tage
- Valaciclovir p.o. 2 x 500 mg/d über 7-14 Tage
- Aciclovir p.o. 4-5 x 400 mg/d über 7-14 Tage
Zur Prophylaxe von Rezidiven in den ersten 30 Tagen nach Organtransplantation wird Aciclovir i.v. (3 x 5 mg/kgKG/d) oder p.o. (3-5 x 400-800 mg/d) oder Valaciclovir p.o. (2 x 500 mg/d) verabreicht. Bei langfristiger Immunsupression kann auch eine Langzeitprophylaxe durchgeführt werden. Weiterhin ist zu beachten, dass Valaciclovir p.o. (2 g/d) bei Nieren- und Knochenmarktransplantation auch das Risiko einer CMV-Infektion reduzieren kann. Jedoch wird die chronische Applikation von Valaciclovir p.o. (4 g/d) bei HIV-Patienten mit einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) in Verbindung gebracht. Bei HIV-Infizierten reduzieren Aciclovir p.o. (2 x 400-800 mg/d), Valaciclovir p.o. (2 x 500 mg/d) oder Famciclovir p.o. (2 x 500 mg/d) die Reaktivierung von HSV.
Ekzema herpeticatum
Bei einem Ekzema herpeticatum sollte über 7 Tage bzw. bis zur klinischen Ausheilung Aciclovir i.v. (3 x 5-10 mg/kgKG/d) verabreicht werden. In milden Fällen kann Aciclvir p.o. (5 x 200-400 mg/d) oder Famciclovir p.o. (3 x 250 mg/d) über 5-10 Tage eingesetzt werden.
Periunguale HSV-Infektionen
Eine periunguale Infektion wird mit Aciclovir p.o. (5 x 200 mg/d oder 3 x 400 mg/d) über 7-10 Tage therapiert.
HSV-Proktitis
Die Krankheitsdauer einer HSV-Proktitis kann durch Aciclovir p.o. (5 x 400 mg/d) verkürzt werden. Bei Immunsupprimierten oder schwerer Infektion wird Aciclovir i.v. (5 mg/kgKG alle 8 Stunden) verabreicht.
Viszerale HSV-Infektionen
Bei einer HSV-Ösophagitis kann Aciclovir i.v. (15 mg/kgKG/d) oder eine orale Therapie mit Valaciclovir oder Famciclovir versucht werden. Bei einer Pneumonie wird ebenfalls Aciclovir i.v. (15 mg/kgKG/d) erwogen.
Disseminierte HSV-Infektionen werden empirisch mit Aciclovir i.v. (5 mg/kgKG alle 8 Stunden) behandelt. Ob die Therapie die Letalität reduziert, ist jedoch unklar.
HSV-Infektionen der Augen
Bei einer akuten Keratitis werden topisch Trifluorothymidin, Vidarabin, Idoxuridin, Aciclovir, Penciclovir, Zidofovir oder Interferone appliziert. Teilweise ist ein Débridement notwendig. Topische Glukokortikoide sind kontraindiziert.
Prophylaxe vor chirurgischen Eingriffen
Chirurgische Eingriffe (z.B. Janetta-Operation, lumbale Bandscheibenoperationen) können zu einer HSV-Reaktivierung führen. Die Gabe von Aciclovir i.v. (3 x 3-5 mg/kgkG/d) oder p.o. (2 x 800 mg/d) 48 Stunden vor dem Eingriff und für eine Dauer von 3-7 Tagen kann das Risiko reduzieren. Alternativ kommen Valaciclovir p.o. (2 x 500 mg/d) oder Famciclovir (2 x 250 mg/d) in Frage.
ZNS-Infektionen
Eine HSV-Enzephalitis wird mit Aciclovir i.v. (10 mg/kgKG alle 8 Stunden bzw. 30 mg/kgKG/d) für mindestens 10-14 Tage behandelt. Die Behandlung kann beendet werden, wenn keine HSV-DNA im Liquor nachweisbar ist.
Es existieren keine Studien zur antiviralen Therapie bei aseptischer HSV-Meningitis. Wenn die systemische Therapie indiziert ist, wird Aciclovir i.v. (15-30 mg/kgKG/d) empfohlen. Bei einer Radikulitis bzw. Dysfunktion des autonomen Nervensytems wird ebenfalls Aciclovir i.v. erwogen.
Herpes neonatorum
Alle Neugeborenen mit Verdacht auf Herpes neonatorum sollten mit Aciclovir i.v. (60 mg/kgKG/d alle 8 Stunden) für 21 Tage behandelt werden. Weiterhin wird für 3-12 Monate eine Erhaltungstherapie mit Aciclovir p.o. durchgeführt.
Schwangerschaft
Aciclovir hat keine unerwünschten Wirkungen beim Fetus oder beim Neugeborenen und kann während der Schwangerschaft und der Stillzeit angewendet werden. Häufig wird bei einem erstmaligen Herpes genitalis während der Schwangerschaft eine Therapie mit Aciclovir (3 x 400 mg/d) oder Valaciclovir (2 x 500-1.000 mg/d) für 7-10 Tage empfohlen. Ob die antivirale Therapie das Übertragungsrisiko reduzieren kann, ist unklar.
Die Behandlung mit Aciclovir in der Spätschwangerschaft verringert bei Frauen mit rezidivierendem Herpes genitalis die Häufigkeit von Schnittenbindungen, schützt aber vermutlich ebenfalls nicht vor einer Übertragung aus das Neugeborene.
Resistenz
Wird HSV trotz ausreichender Aciclovirdosis und wirksamem Blutspiegel aus persistierenden Läsionen isoliert, muss eine Aciclovirresistenz erwogen werden. Aciclovir-resistente HSV-Stämme weisen häufig eine modifizerte Substratspezifität bei der Phosphorylierung von Aciclovir auf. Dabei besteht eine Kreuzresistenz mit Valaciclovir und Penciclovir. Des Weiteren existieren Stämme mit veränderter Spezifität der Thymidinkinase, sodass der Stamm sensitiv gegenüber Penciclovir, aber nicht gegenüber Aciclovir ist. Teilweise kann eine höhere Dosis an Aciclovir hilfreich sein.
Klinisch relevante Resistenzen treten fast nur bei Immunsupprimierten auf. Dabei sind HSV-2-Stämme häufiger resistent. Die Häufigkeit von resistenten Stämmen ist in den letzten 30 Jahren nahezu konstant, vermutlich aufgrund einer geringeren Virulenz der resistenten Stämme. Therapeutisch kommen folgende Optionen in Frage:
- Foscarnet i.v. (40-80 mg/kgKG alle 8 Stunden) bis Abheilung der Läsion: Pyrophosphatanalogon, das die virale DNA-Polymerase unabhängig von der Thymidinkinase hemmt. Wird nur bei sehr stark ausgedehnten mukokutanen HSV-Infektionen, häufig jedoch bei schweren CMV-Infektionen eingesetzt.
- Trifluorothymidin, 1%igem Cidofovir-Gel: einmal täglich über 5-7 Tage
- topisches Imiquimod
- Cidofovir i.v. (5 mg/kgKG/Woche): nur geringe Datenlage
- Pritelivir: experimenteller Wirkstoff, der den HSV-spezifischen Helikase-Primase-Komplex hemmt
- Brincidofovir: experimenteller Wirkstoff, der ein oral applizierbares Derivat von Cidofovir darstellt.
Prävention
Kondome reduzieren die Wahrscheinlichkeit der HSV-Transmission, v.a. in Phasen asymptomatischer Virusausscheidung. Jedoch kann HSV bei Vorliegen von herpetischen Läsionen auch bei Verwendung eines Kondoms durch Haut- oder Schleimhautkontakte übertragen werden. Das Übertragungsrisiko von HSV-2 auf einen Sexualpartner konnte medikamentös bisher nur durch Valaciclovir (1 x 500 mg/d) reduziert werden.
Frauen ohne bekannten Herpes genitalis wird dazu geraten, während des 3. Trimenons auf den vaginalen Geschlechtsverkehr zu verzichten, wenn bei ihrem Partner ein Herpes genitalis bekannt ist.
Seropositiven Frauen wird ab der 36. Schwangerschaftswoche häufig die prophylaktische Gabe von Aciclovir empfohlen. Die erwünschte Verringerung der Virusausscheidung und des Reaktivierungsrisikos ist jedoch umstritten.
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Bildquelle
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Literatur
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin. 2020 ABW Wissenschaftsverlag
- AWMF Leitlinie Virale Meningoenzephalitis, Stand 2012, abgerufen am 04.09.2020
- Gross G. Herpes-simplex-Virusinfektionen, Der Hautarzt. 55, 818-830, 2004, abgerufen am 04.09.2020
- Malisiewicz B, Schöfer H. Diagnostik und Behandlung genitoanaler Ulzera infektiöser Genese, Hautarzt 66, 19–29 (2015), abgerufen am 04.09.2020
- Bhatta AK et al. Vertikale Übertragung des Herpes‐simplex‐Virus: eine Aktualisierung, JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, 16: 685-693, abgerufen am 04.09.2020