Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura
Synonyme: Moschcowitz-Syndrom (nach dem Erstbeschreiber), Morbus Moschcowitz, TTP
Englisch: thrombotic thrombocytopenic purpura
Definition
Die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, kurz TTP, ist ein Erkrankungsbild, das durch Thrombozytopenie, hämolytische Anämie und neurologische Symptome gekennzeichnet ist. Es zählt zu den thrombotischen Mikroangiopathien (TMA).
- ICD10-Code: M31.1
Einteilung
Man unterscheidet zwei Formen der TTP:
- cTTP: angeborene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura ("congenital TTP")
- íTTP: immunvermittelte bzw. erworbene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura ("immune-mediated TTP")
In der Literatur wird synonym zum Akronym iTTP auch die Abkürzung aTTP ("acquired TTP") verwendet. Die aktuelle nationale Leitlinie (Stand 2025) nutzt nur noch den Begriff iTTP.[1]
Ätiopathogenese
Ursache der TTP ist eine verminderte Aktivität der Metalloprotease ADAMTS-13, die große von-Willebrand-Faktor-Multimere (UL-vWF) spaltet. Der resultierende Überschuss ultralanger Multimere führt zu einer überschießenden Plättchenaggregation und Thrombenbildung im Bereich der Kapillaren (Mikrothromben). In der Folge kommt es zu einer mechanischen Zerstörung der Erythrozyten (Hämolyse) mit Ischämie des Versorgungsgebietes und Organschädigung.
Die Aktivitätsminderung von ADAMTS-13 kann in Folge eines Gendefektes (hereditäre TTP, Upshaw-Shulman-Syndrom) oder einer Autoimmunreaktion (sekundäre TTP) auftreten. Weitere mögliche Ursachen der sekundären TTP sind:
- Autoantikörperbildung im Rahmen einer Transplantatabstoßung (z.B. KMT)
- bakterielle Infektionskrankheiten
- verschiedene Medikamente (z.B. Ticlopidin, Cyclosporin u.a.)
Ein erhöhtes Risiko ist bei Gestosen (HELLP-Syndrom), HIV-Infektion und Krebserkrankungen zu verzeichnen.
Klinik
Die Symptomatik des TTP umfasst:
- Symptome der hämolytischen Anämie:
- leichter Ikterus
- verminderte Leistungsfähigkeit, Abgeschlagenheit
- Schwindel
- Ohrensausen
- Kopfschmerzen
- Tachykardie
- Ischämiebedingte Organbeteiligung:
- Niereninsuffizienz
- ZNS-Symptomatik mit progredienter Verschlechterung durch renal bedingte Urämie
- Verwirrung, Delir, Koma
- Krampfanfälle
Diagnostik
Neben der Anamnese bezüglich oben genannter Risikofaktoren und körperlicher Untersuchung erfordert die Diagnostik der TTP die Erhebung des neurologischen Status, sowie eine umfassende labordiagnostische Abklärung.
Labor
Das Blutbild zeigt eine normochrome normozytäre Anämie und eine Thrombozytopenie. Im Blutausstrich sind Fragmentozyten nachweisbar. LDH und Bilirubin sind erhöht, die Gerinnungsparameter meist normgerecht. Bei Nierenbeteiligung sind Elektrolyte und harnpflichtige Substanzen (Kreatinin, Harnstoff u.a.) erhöht.
Eine verminderte ADAMTS-13-Aktivität lässt sich direkt messen oder indirekt mittels gelelektrophoretischer Multimeranalyse des Plasma-vWF nachweisen. Darüber hinaus kann man die ADAMTS13-Antikörper bestimmen. Bei hereditärer Erkrankung kann eine genetische Untersuchung Aufschluss geben.
Score
Da eine schnelle Messung der ADAMTS-13-Aktivität meist nicht möglich ist, werden Prognoseinstrumente (Scores) eingesetzt, um die Wahrscheinlichkeit einer TTP unter Berücksichtigung der klinischen und laborchemischen Parameter abzuschätzen:[2]
| Parameter | PLASMIC-Score | French-Score |
|---|---|---|
| Thrombozytenzahl | < 30 x 109/l (1 Punkt) | < 30 x 109/l (1 Punkt) |
| Kreatininwert | < 2 mg/dl (1 Punkt) | < 2,26 mg/dl (1 Punkt) |
| Hämolyseparameter | Retikulozytenzahl > 2,5 % oder
Haptoglobin nicht nachweisbar oder indirektes Bilirubin > 2 mg/dl (1 Punkt) |
– |
| Assoziierte Konditionen | Keine aktive Krebserkrankung (1 Punkt)
Keine Transplantation von Organen oder hämatopoetischen Stammzellen in der Vorgeschichte (1 Punkt) |
– |
| MCV | < 90 fL: (1 Punkt) | – |
| INR | < 1,5: (1 Punkt) | – |
| ANA | – | Positiv (1 Punkt) |
Die Auswertung der Scores erfolgt anhand der Punktevergabe und teilt die Wahrscheinlichkeit in gering, mittel und hoch ein:
| Wahrscheinlichkeit | PLASMIC-Score | French-Score |
|---|---|---|
| Gering | 0 - 4 Punkte | 0 Punkte |
| Mittel | 5 Punkte | 1 Punkt |
| Hoch | 6 - 7 Punkte | 2 - 3 Punkte |
Erreicht der French-Score 0 Punkte, wird die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines TTP mit 2 % angegeben. Bei 1 Punkt beträgt sie 70 % und bei 2 Punkten 94 %. Beim PLASMIC-Score können insgesamt 7 Punkte erreicht werden. Ein geringes Risiko wird hier mit einer Wahrscheinlichkeit von 4 % angegeben. Bei 5 Punkten liegt ein TTP zu 24 % vor, bei 6 und 7 Punkten zu 62 % bzw. 82 %.[2]
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostisch sollten in Erwägung gezogen werden:
- Gerinnungsstörungen, insbesondere Thrombozytopathien mit petechialen Blutungen und Purpura
- nephrogene Enzephalopathie
| ITP | TTP | DIC |
|---|---|---|
| IgG-Antikörper gegen Thrombozyten | Endotheldefekt | Überschuss/Aktivierung von Thrombin |
| INR und PTT normal | INR und PTT normal | INR und PTT erhöht |
| Fibrinogen und D-Dimer normal | Fibrinogen und D-Dimer normal | Fibrinogen erniedrigt, D-Dimer erhöht |
| weniger symptomatisch | stärker symptomatisch | stärker symptomatisch |
Therapie
Die Therapie einer iTTP unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der cTTP-Behandlung.[1]
Therapie eines akuten TTP-Schubes
Wird ein akuter TTP-Schub vermutet, sollte unverzüglich eine Blutprobe zur Bestimmung der ADAMTS-13-Aktivität entnommen werden.
Bereits bei hinreichendem klinischem Verdacht muss eine Akuttherapie eingeleitet werden. Diese umfasst Plasmaaustausch (PEX), systemische Glukokortikoide und Caplacizumab. Die Therapie sollte innerhalb von 24 Stunden, idealerweise aber 4 bis 8 Stunden, nach Stellen der Verdachtsdiagnose beginnen. Der tägliche Plasmaausausch wird bis zum vollständigen Abklingen der Symptomatik fortgesetzt und kann anschließend auf ein zweitägiges Intervall reduziert werden.
Wenn kein Plasmaaustausch möglich ist, dann wird eine sofortige Verlegung in ein TTP-Zentrum empfohlen. Bis dahin sollte die Gabe von Fresh-Frozen-Plasma (FFP) und Glukokortikoiden erfolgen.
Zusätzlich ist bei Erstdiagnose oder Rezidiv die Gabe von Rituximab im Rahmen eines Off-label-Use (Stand 2025) zur Prophylaxe empfohlen.
Thrombozytenkonzentrate sind ausschließlich bei lebensbedrohlichen Blutungen indiziert.
Bei sekundärer TTP richtet sich die Behandlung nach der kausalen Therapie der Grunderkrankung, z.B. durch:
- Antibiotikatherapie bei bakterieller Infektion
- Absetzen oder Überprüfung potenziell auslösender Medikamente
- Therapie zugrunde liegender Erkrankungen
Therapie der iTTP
Die Therapie der iTTP gleicht der Behandlungs-Trias im Falle eines akuten TTP-Schubes (PEX + Glukokortikoide + Caplacizumab).
Aktuelle Studien (Stand 2025) zeigen, dass der frühe zusätzliche Einsatz von Rituximab mit einer verkürzten Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation, einer reduzierten Mortalität sowie einem geringeren Rezidivrisiko assoziiert ist.
Therapie der cTTP
Bei einer cTTP stehen zwei Therapieoptionen zur Verfügung: rekombinantes ADAMTS13 (rADAMTS13) oder Plasmatherapie.
Dabei hängt die Intensität der Behandlung vom klinischen Schweregrad ab. Asymptomatische Patienten können gegebenenfalls engmaschig beobachtet werden. Allerdings wurde insbesondere bei jüngeren Betroffenen eine erhöhte Inzidenz zerebrovaskulärer Ereignisse beschrieben, weshalb eine regelmäßige Substitutionstherapie erwogen werden sollte.
Nachsorge
Die Nachsorge umfasst eine regelmäßige Kontrolle der ADAMTS-13-Aktivität, in der Regel vierteljährlich. Bei ADAMTS ≤ 20 % besteht ein hohes Rezidivrisiko, weshalb eine präemptive Anti-CD20-Therapie (Rituximab) empfohlen werden kann.[1]
Darüber hinaus werden häufig neurokognitive, psychische und fatigue-assoziierte Spätfolgen nach einer TTP-Episode beobachtet. Daher sollte die Nachsorge zusätzlich eine psychologische Betreuung, neurokognitive Verlaufskontrollen sowie bei Bedarf rehabilitative Maßnahmen umfassen.
siehe auch: von-Willebrand-Faktor, Blutgerinnung, Thrombozyt
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung (GTH): S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der thrombotisch thrombozytopenischen Purpura (TTP). Version 1.0/2025, abgerufen am 28.10.2025
- ↑ 2,0 2,1 Chiasakul et al. Clinical and laboratory diagnosis of TTP: an integrated approach. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 2018(1):530-538. 2018