Myelodysplastisches Syndrom
Synonyme: Myelodysplastische Neoplasie, Myelodysplasie
Englisch: myelodysplastic syndrome
Definition
Myelodysplastisches Syndrom, kurz MDS, ist ein Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe von erworbenen klonalen Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzelle des Knochenmarks. Folgen sind eine Knochenmarkinsuffizienz mit Zytopenien und ein erhöhtes Risiko für eine akute myeloische Leukämie (AML).
ICD10-Code: D46.-
Epidemiologie
Das MDS zeigt es eine steigende Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter. Dabei liegt das mittlere Manifestationsalter bei über 70 Jahren. Während die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung ungefähr 4/100.000/Jahr beträgt, steigt sie bei über 70-Jährigen auf 20 bis 50/100.000/Jahr. Somit gehört das MDS zu den häufigsten malignen hämatologischen Erkrankungen.
Bei Kindern kommt es selten vor, wobei myelomonozytäre Leukämien beobachtet werden. Das sekundäre MDS ist nicht altersabhängig.
Ätiologie
In über 90 % der Fälle handelt es sich um ein primäres (idiopathisches) MDS.
Sekundäre Formen entstehen durch Schädigung der hämatopoetischen Vorläuferzellen (Blasten) durch:
- vorangegangene Chemotherapie (z.B. Alkylantien, Topoisomerase-II-Hemmer)
- Strahlentherapie
- Radiojodtherapie
- Benzol und andere Lösungsmittel (Berufskrankheit BK-Nr. 1303 bzw. BK-Nr. 1318)
- erworbene aplastische Anämie, Fanconi-Anämie, Telomeropathie (z.B. Dyskeratosis congenita)
- myeloproliferative Neoplasien (z.B. Polycythaemia vera, essentielle Thrombozythämie)
- Trisomie 21
- hereditäre GATA2-Mutationen (z.B. MonoMac-Syndrom)
Pathophysiologie
Eine schrittweise Akkumulation von genetischen Schäden (z.B. Chromosomenaberrationen, Punktmutationen) führt im Verlauf zur Selektion einer malignen Stammzelle, die zunehmend die normale Hämatopoese verdrängt. Daraus resultiert eine zunehmende Produktion fehlerhafter und nicht voll funktionstüchtiger Blutzellen. Bei fast 90 % der MDS-Patienten lassen sich mindestens eine der zahlreichen bekannten Mutationen nachweisen.
Die pathophysiologische Bedeutung von veränderten Immunreaktionen und des Mikromilieus im Knochenmark ist aktuell (2023) nur unzureichend verstanden.
Befindet sich die Erkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium und ist der Anteil an defekten Zellen sehr hoch, besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer akuten myeloischen Leukämie.
Symptome
Anämie
In 70 bis 80 % der Fälle manifestiert sich das MDS durch eine Anämie, die bei 20 % der Patienten asymptomatisch ist und zufällig bei einer Routineuntersuchung auffälllt. Wenn bereits Symptome auftreten, zeigt sich die Anämie typischerweise durch Belastungsdyspnoe, Schwäche, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, herabgesetzte Leistungsfähigkeit, Schwindel, Blässe, Tachykardie sowie Kopfschmerzen.
Immunschwäche
Aufgrund einer Neutropenie bzw. Funktionsstörung der Granulozyten kann eine Immunschwäche entstehen. Etwa ein Drittel der Patienten leidet unter rezidivierenden Infekten, insb. des Respirationstraktes oder der Haut. Die Immunschwäche stellt auch bei der später eingeleiteten Therapie das Hauptproblem dar; die zur Anwendung kommenden Zytostatika schwächen den ohnehin schon belasteten Körper weiter.
Blutungsneigung
Fast die Hälfte der Patienten weist bereits bei Erstdiagnose eine Thrombopenie auf, jedoch sind initiale Blutungskomplikationen eher selten. Im Verlauf kann es zu Wundheilungsstörungen, Petechien, Zahnfleisch- und Nasenbluten sowie Hämatome nach leichten Traumen kommen. Schwere Blutungen, z.B. im ZNS oder in der Retina, sind möglich.
Weitere Symptome
Aufgrund der Knochenmarkinsuffizienz kann es zur extramedullären Blutbildung mit Hepatosplenomegalie kommen. Sehr selten entstehen autoimmunologische Symptome (Arthritis, Vaskulitis, Sweet-Syndrom).
Diagnose
Entscheidend ist die zytomorphologische Begutachtung des Blutes und des Knochenmarks zur Identifizierung von Dysplasien. Eine Zellreihe wird als dysplastisch bewertet, wenn mindestens 10 der Zellen Dysplasien vorweisen. Anschließend kann eine Klassifizierung in eine der WHO-Typen erfolgen. Mit molekularen Markern kann die Diagnose eines MDS unterstützt werden und eine prognostische Beurteilung erfolgen.
Peripheres Blut
Die Anämie liegt entweder isoliert oder in Kombination mit einer Neutropenie und/oder einer Thrombozytopenie vor. Dabei handelt es sich meist um eine hyperchrome makrozytäre Anämie; sie kann jedoch auch normochrom und selten hypochrom sein. Im Blutbild sieht man typischerweise folgende Veränderungen:
- Serumeisen ↑
- Ferritin ↑
- Transferrin ↓
- Transferrinsättigung normal oder ↑
Eine isolierte Thrombozytopenie oder Leukozytopenie kommt nur sehr selten vor. Bei MDS-EB Typ 2 und CMML findet sich in 10 % der Fälle eine Leukozytose.
Als Zeichen der Dyshämatopoese finden sich im peripheren Blut folgende Auffälligkeiten:
- Poikilozytose, Anisozytose
- verringerte Retikulozytenzahl
- Polychromasie
- basophile Tüpfelung
- hypersegmentierte Granulozyten mit Döhle-Körperchen
- Pseudo-Pelger-Zellen: hyposegmentierte Granulozyten
- vergrößerte und hypogranulierte Thrombozyten
Weiterhin können Blasten im peripheren Ausstrich vorhanden sein. Ihre Zahl ist wichtig für die Einteilung des MDS.
Routinemäßig sollten weiterhin LDH, Folsäure, Vitamin B12 und Erythropoetin (EPO) bestimmt werden.
Knochenmark
Eine Knochenmarkpunktion ist für die Diagnose und Prognose entscheidend. Das Knochenmark ist meist normo- oder hyperzellulär. In 10 - 20 % der Fälle zeigt es jedoch eine Hypozellularität, welche die Abgrenzung zur aplastischen Anämie erschwert.
Die zytologische Untersuchung erfolgt in Eisen-, Esterase-, Pappenheim-, Peroxidase- und PAS-Färbung. Dabei finden sich folgende Befunde:
- Dyserythropoese: Kernanomalien, Ringsideroblasten, Megaloblasten, PAS-positive Erythroblasten
- Dysgranulopoese: Blastenvermehrung, hypogranulierte Myelozyten, selten Auerstäbchen, Pseudo-Pelger-Zellen, hypersegmentierte Neutrophile, Defekt der Myeloperoxidase
- Dysmegakaryopoese: Mikromegakaryozyten, mononukleäre Megakaryozyten
Zu den Blasten zählen Myeloblasten, Monoblasten, Promonozyten, Erythroblasten und Megakaryoblasten. Bei einem Blastenexzess kann die Diagnose eines MDS auch ohne Vorhandensein einer Dysplasie gestellt werden.
Die Durchflusszytometrie und Immunphänotypisierung spielt eine immer größere Rolle bei der Bestimmung des Blastenanteils und Beurteilung von Dysplasiezeichen.
Histologisch wird die Knochenmarkarchitektur und der Fibrosegrad bestimmt. Eine gesteigerte Expression von CD34 kann immunhistochemisch nachgewiesen werden und unterstützt die Diagnose des MDS.
Die Chromosomenanalyse deckt in mehr als die Hälfte der Fälle Aberrationen auf; dabei sind in 15 % ein bis zwei Chromosomen betroffen. In 10 % der Fälle liegen komplexe Aberrationen von mindestens drei Chromosomen vor. Mithilfe der FISH-Untersuchung können die häufig betroffenen Chromosomen 5, 7 und 8 weiter beurteilt werden.
Durch eine molekulargenetische Untersuchung gelingt zum einen die Abgrenzung der Differenzialdiagnosen (z.B. JAK2-, CALR- oder MPL-Mutation bei einer myeloproliferativen Neoplasie; KIT-D816V-Mutation bei systemischer Mastozytose), zum anderen der Nachweis MDS-typischer Mutationen. Besonders ungünstige Veränderungen sind ASXL1, RUNX1, TP53 und EZH2.
Klassifikation
Die Einteilung beruht auf der aktuellen WHO-Klassifikation von 2016 (Stand 2019).[1]. Die FAB-Klassifikation wird für das MDS heutzutage (2019) nicht mehr verwendet.
Typ | Dysplastische Reihen | Zytopenien | Ringsideroblasten (% der erythroiden Zellen) | Blasten im Knochenmark (KM) und peripheren Blut (PB) | Karyotyp | |
---|---|---|---|---|---|---|
MDS-SLD | 1 | 1 - 2 |
|
|
jede, außer del(5q) | |
MDS-MLD | 2 - 3 | 1 - 3 | ||||
MDS-RS-SLD | 1 | 1 - 2 |
| |||
MDS-RS-MLD | 2 - 3 | 1 - 3 | ||||
MDS del(5q) | 1 - 3 | 1 - 2 | irrelevant | Del(5q), ggf. weitere Aberration (außer del(7q) oder Monosomie 7) | ||
MDS-EB Typ 1 | 0 - 3 | 1 - 3 |
|
irrelevant | ||
MDS-EB Typ 2 |
| |||||
MDS-U mit 1 % peripheren Blasten | 1 - 3 | 1 - 3 |
| |||
MDS-U mit Einlinien-Dysplasie und Panzytopenie | 1 | 3 |
|
jede, außer del(5q) | ||
MDS-U mit Nachweis MDS-definierender zytogenetischer Abnormalität | 0 | 1 - 3 | < 15 % (bei > 15 % MDS-RS-SLD) | MDS-definierende zytogenetische Abnormalität | ||
Abkürzungen:
|
Im Vergleich zur vorherigen WHO-Klassifikation von 2008 finden sich unter anderem folgende Unterschiede
- vormals refraktäre Anämie, refraktäre Neutropenie sowie refraktäre Thrombozytopenie werden als MDS-SLD zusammengefasst
- refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS) wird als MDS-RS bezeichnet
- refraktäre Anämie mit Blastenexzess (RAEB) wird als MDS-EB klassifiziert
Als gesonderte Gruppe werden die myelodysplastisch-myeloproliferativen Neoplasien (MDS/MPN) abgegrenzt. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, die sich sowohl wie ein MDS als auch wie eine myeloproliferative Erkrankung manifestieren können. Dazu zählen:
- Chronische myelomonozytäre Leukämien (CMML 0, CMML I, CMML II)
- MDS/MPN mit SF3B1-Mutation und Thrombozytose (früher: refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten und Thrombozytose, RARS-T)
- MDS/MPN mit Neutrophilie (früher: atypische chronisch myeloische Leukämie, aCML)
- MDS/MPN, NOS (nicht näher klassifizierbar)
Differenzialdiagnostik
Zu den Differenzialdiagnosen eines MDS gehören andere Anämieformen, z.B. die megaloblastäre Anämie durch Vitamin-B12- oder Folsäuremangel oder die seltene kongenitale dyserythropoetische Anämie (CDA). Bei Hypozellularität des Knochenmarks muss eine aplastische Anämie abgegrenzt werden.
Weiterhin sollten andere hämatologische Neoplasien berücksichtigt werden:
- akute Leukämien (insbesondere akute Erythroleukämie)
- myeloproliferative Neoplasien (z.B. primäre Myelofibrose)
- Haarzellleukämie
- Large-Granular-Lymphocyte-Leukämie (LGL-Leukämie)
Nach der WHO-Definition zeigt ein Blastenanteil im Blut oder im Knochenmark von über 20 % eine AML und keine MDS mit Blastenexzess an. Der IPSS-Score (s.u.) erfasst jedoch Patienten mit bis zu 30 % Blasten.
Schwierig ist die Abgrenzung zu reaktiven Veränderungen des Knochenmarks, z.B. bei Sepsis, chronischen Infekten, HIV, Tuberkulose. Bestimmte Substanzen können weiterhin einen toxischen Knochenmarkschaden verursachen, z.B. Alkohol, NSAR oder Blei. Weitere Differenzialdiagnosen sind unter anderem die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, ein Hypersplenismus oder eine Immunthrombozytopenie.
Prognose
Um die geeignete Therapie zu finden und die Krankheit so gut wie möglich zu charakterisieren, spielt die Prognose beim MDS eine wichtige Rolle. Die meisten Patienten versterben infolge von Komplikationen der Panzytopenie. Ein Drittel der Patienten stirbt an Erkrankungen, die nicht im Zusammenhang mit dem MDS stehen. Bei einem therapiebedingten MDS ist die Prognose meist sehr ungünstig. Dabei zeigen die meisten Patienten innerhalb weniger Monate einen Progress zu einer therapierefraktären AML.
Es existieren zwei Scoringsysteme: Das internationale Prognose-Scoringsystem (IPSS) sowie das revidierte IPSS (IPSS-R).[2]
IPSS
IPSS ist ein validiertes Prognosesystem, das zur Risiko-Abschätzung bei MDS-Patienten Anwendung findet.
Punkte | Medullärer Blastenanteil (%) | Periphere Zytopenie | Zytogenetische Risikogruppe |
---|---|---|---|
0 | 0 - 4 | 0 - 1 | Niedrig |
0,5 | 5 - 10 | 2 - 3 | Mittel |
1 | - | - | Hoch |
1,5 | 11 - 20 | - | - |
2 | 21 - 29 | - | - |
als Zytopenie gilt:
| |||
zytogenetische Risikogruppe:
|
Risikogruppe | Score | mediane Überlebenszeit (Monate) |
---|---|---|
niedriges Risiko | 0 | 68 |
intermediäres Risiko I | 0,5 - 1 | 42 |
intermediäres Risiko II | Score 1,5 - 2 | 14 |
hohes Risiko | ≥ 2,5 | 5 Monate |
IPSS-R
Punkte | Zytogenetik | Blasten (%) | Hb-Wert (g/dl) | Thrombozyten (/nl) | Neutrophile (/nl) |
---|---|---|---|---|---|
0 | A | ≤ 2 | ≥ 10 | ≥ 100 | ≥ 800 |
0,5 | - | - | - | 50 - ≤ 100 | < 800 |
1 | B | 2 bis ≤ 5 | 8 bis ≤ 10 | ≤ 50 | - |
1,5 | - | - | < 8 | - | - |
2 | C | 5 - 10 | - | - | - |
3 | D | > 10 | - | - | - |
4 | E | - | - | - | - |
Zytogenetik:
|
Risikogruppe | Score | mediane Überlebenszeit (Monate) |
---|---|---|
sehr niedriges Risiko | < 1,5 | 106 |
niedriges Risiko | > 1,5 - 3 | 64 |
intermediäres Risiko | > 3 - 4,5 | 36 |
hohes Risiko | > 4,5 - 6 | 19 |
sehr hohes Risiko | > 6 | 10 |
Therapie
Neben der supportiven Therapie erfolgt grundsätzlich eine individuelle Abwägung der Therapieoptionen je nach Patientenwunsch, Allgemeinzustand, Alter, Komorbiditäten, genetischen Veränderungen sowie IPSS-Score.
Supportive Therapie
Die Basisbehandlung umfasst supportive Maßnahmen. Dazu zählen unter anderem:
- Erythrozytenkonzentrate je nach klinischem Zustand
- Eisenchelatoren bei häufiger Bluttransfusion um eine sekundäre Hämochromatose zu verhindern.
- Thrombozytenkonzentraten bei klinischen Blutungszeichen
- großzügig Gabe von Antibiotika im Falle von Infektionen; eine grundsätzliche Antibiotika-Prophylaxe ist nicht empfohlen
- Impfung gegen Pneumokokken und Influenza
- Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten (Romiplostim, Eltrombopag) können zu einer signifikanten Verbesserung der Thrombozytenzahl führen
Die Ansprechrate von rekombinantem Erythropoetin beim Niedrigrisiko-MDS, ggf. in Kombination mit G-CSF, kann mit Hilfe des Nordic-Scores ausgerechnet werden:
Wert | Score | |
---|---|---|
Endogener EPO-Spiegel im Serum | < 100 U/l | + 2 |
100 - 500 U/l | + 1 | |
> 500 U/l | - 3 | |
Verabreichte Transfusionen | < 2 pro Monat | + 2 |
≥ 2 pro Monat | -2 |
Bei einem Wert ≥ 1 liegt die Ansprechrate bei ca. 74 %, bei -1 bis +1 bei 23 %, bei einer Summe < -1 nur 7 %. Sollte nach 6 Monaten noch kein Ansprechen beobachtet worden sein, sollte die EPO-Gabe beendet werden.
Niedrigrisiko-MDS
Als Niedrigrisiko-MDS werden Patienten der IPSS-Klasse "niedrig" und "intermediär I" bzw. IPSS-R-Klasse "sehr niedrig", "niedrig" und "intermediär" bezeichnet.
Watchful waiting
Bei Fehlen von zytogenetischen Hochrisiko-Veränderungen und asymptomatischem Verlauf genügt es mitunter, den Patienten regelmäßig zu untersuchen. Eine Therapie ist hier zunächst nicht notwendig (Watchful Waiting).
Lenalidomid
Lenalidomid ist eine immunmodulatorische Substanz, die bei singulärer Deletion an Chromosom 5 bei ungefähr 60 % der Patienten zur Transfusionsunabhängigkeit und bei einem Teil der Patienten zur zytogenetischen Remission führen kann. Weiterhin kommt Lenalidomid in Frage bei Patienten mit nur einer Zusatzaberration (außer von Chromosom 7). Wenn nach 4 Monaten kein Effekt sichtbar ist, sollte die Therapie beendet werden. Mutationen in TP53 sind assoziiert mit einer Lenalidomid-Resistenz und erhöhter Rezidivrate. Als wichtige Nebenwirkungen können eine Verschlechterung der Leukozyten- und Thrombozytenzahlen sowie eine Risikoerhöhung für tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien auftreten.
Immunsuppressive Therapie
Bei hypozellulärem Knochenmark, günstiger Prognose und geringer Transfusionsbedürftigkeit können zum Teil immunsuppressive Medikamente, analog zur aplastischen Anämie, eingesetzt werden. Verwendet werden Antithymozytenglobulin, Cyclosporin A und der Anti-CD52-Antikörper Alemtuzumab, jedoch nur in hämatologischen Zentren bei Patienten unter 60 Jahren, < 5 % Blasten im Knochenmark, Expression von HLA-DR15 und normaler Zytogenetik.
Allogene Stammzelltransplantation
Bei Patienten mit gutem Zustand, Hochrisiko-Zytogenetik und/oder Panzytopenie kann bei geeignetem Spender eine allogene Stammzelltransplantation (SZT) zur Heilung führen.
Hochrisiko-MDS
Zum Hochrisiko-MDS zählen Patienten der IPSS-Gruppe "intermediär II" und "hoch" sowie IPSS-R-Gruppe "hoch" und "sehr hoch".
Allogene Stammzelltransplantation
Bei allen Patienten mit Hochrisiko-MDS sollte zunächst die Möglichkeit einer allogenen SZT geprüft werden (HLA-Typisierung). Sie stellt das bisher einzige kurative Verfahren dar. Bei > 10 % Blasten im Knochenmark wird vorher eine Induktionstherapie mit Azacitidin oder intensiver Chemotherapie durchgeführt. Die Indikation konnte inzwischen auf Patienten im Alter von über 70 Jahren erweitert werden. Bei HLA-identen Familien- oder Fremdspendern ergeben sich Langzeitheilungsraten von 40 % bei einer transplantationsassoziierten Mortalität von bis zu 20 %. Bei einem Rezidiv nach SZT kann Azacitidin in Kombination mit Spenderlymphozyten in 30 % zur kompletten Remission führen.
Epigenetische Therapie
Azacitidin ist ein Pyrimidinanalogon, das statt Cytosin in die DNA eingebaut wird. Neben direkter zytotoxischer Wirkung auf proliferierende Zellen verhindert der Wirkstoff die Methylierung von CpG-Inseln in der DNA durch irreversible Hemmung der DNA-Methyltransferase. Diese epigentische Therapie führt zu einer statistisch signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens von 6 bis 9 Monaten im Vergleich zur alleinigen supportiven Therapie.
Azaciditin wird sieben Tage lang täglich subkutan für mindestens vier Zyklen in vierwöchentlichen Intervallen eingesetzt. Es wird bei Patienten verwendet, die nicht für eine allogene SZT in Frage kommen. Dabei sprechen ungefähr 50 % der Patienten an (Verbesserung der Blutwerte oder Remission im Knochenmark). Die Therapie sollte dann bis zum Verlust des Ansprechens fortgeführt werden. Anschließend wäre der Einsatz von Decitabin oder die Kombination mit einem Bcl-2-Hemmer möglich.
Die wichtigste Nebenwirkung ist das Risiko einer Myelosuppression mit Abfall der peripheren Blutzellzahlen.
Chemotherapie
Eine intensive Chemotherapie analog zu AML-Protokollen wird nur selten durchgeführt. Bei Hochrisikopatienten unter 70 Jahren ohne Begleiterkrankungen kann sie zwar in 60 % zur Vollremission führen, jedoch kommt es in über 85 % der Fälle zu Rezidiven. Bei ungünstigem Karyotyp ist kein Effekt zu erwarten. Zur Überbrückung bis zur SZT kann eine Chemotherapie sinnnvoll sein.
Eine nicht-intensive Chemotherapie (z.B. niedrigdosiertes Cytarabin, niedrigdosiertes Melphalan) kann nach Ausschöpfen anderer Optionen im Einzelfall eine sinnvolle Alternative darstellen.
Weitere Arzneistoffe
In der Erforschung befinden sich u.a.
Prävention
Maßnahmen zur Früherkennung sind aktuell (2019) noch nicht etabliert. Bei älteren gesunden Menschen wurden MDS-typische Mutationen beobachtet, ohne dass ein MDS vorlag (CHIP, clonal hematopoiesis of indeterminate potential). Jedoch ist das Risiko, ein MDS zu entwickeln, auch für Personen mit CHIP nur geringgradig erhöht (< 1 % pro Jahr).[3]
Weblinks
- Bildatlas onkodin- KM-Befunde des MDS
- Patienten Information zu MDS
- Hofmann WK et al. Onkopedia Guidelines, Stand 06.2018, abgerufen am 19.08.2019
Literatur
- Nachtkamp K et al. Myelodysplastische Syndrome. Neue Methoden zu Diagnostik, Prognoseabschätzung und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2023
- Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018
Quellen
- ↑ Ming Hong, Guangsheng He The 2016 Revision to the World Health Organization Classification of Myelodysplastic Syndromes, J Transl Int Med. 2017 Sep; 5(3): 139–143, abgerufen am 19.08.2019
- ↑ Greenberg PL et al. Revised International Prognostic Scoring System for Myelodysplastic Syndromes, Blood 2012 120:2454-2465, abgerufen am 20.08.2019
- ↑ Saft L et al. p53 protein expression independently predicts outcome in patients with lower-risk myelodysplastic syndromes with del(5q), Haematologica June 2014 99: 1041-1049, abgerufen am 20.08.2019