von altgriechisch: διουρητικός ("diourētikós") - den Harn befördernd
Synonym: Harntreibendes Mittel
Englisch: diuretic
Ein Diuretikum ist ein Arzneimittel, das die Harnausscheidung (Diurese) fördert. Diuretika werden insbesondere zur Therapie von Ödemen und arterieller Hypertonie eingesetzt.
Die meisten Diuretika sind auch Saluretika, also Substanzen, die eine verstärkte renale Ausscheidung von Elektrolyten und sekundär von Wasser bewirken. Entsprechend muss beim Einsatz von Diuretika insbesondere auf Elektrolytverschiebungen geachtet werden. Davon abgegrenzt werden die Aquaretika, die primär die Ausscheidung von Wasser fördern.
Mittel, die eine gegenteilige Wirkung erzielen, nennt man Antidiuretika.
Grundsätzlich werden folgende Diuretika-Klassen unterschieden:
Die Wirkstoffgruppen repräsentieren nur die Diuretika im engeren Sinn. Darüber hinaus besitzen auch zahlreiche andere Substanzen eine harntreibende Wirkung als Teil ihres Wirkprofils, z.B. SGLT-2-Inhibitoren[1], Xanthine oder Ethanol.
Thiaziddiuretika und kaliumsparende Diuretika werden manchmal auch als kalziumsparende Diuretika zusammengefasst.
Fast alle Diuretika hemmen Transportprozesse im Tubulussystem der Niere. Die Wirkung erfolgt dabei meist von luminal. Da sie im proximalen Tubulus sezerniert werden, steigt die tubuläre Konzentration im Vergleich zur Plasmakonzentration deutlich an. Dies erklärt die scheinbar nierenspezifische Wirkung. Jedoch können unter anderem indirekt systemische Wirkungen über Abnahme des intravasalen Volumens (Hypovolämie) und Hyponatriämie mit Aktivierung des RAA-Systems (sekundärer Hyperaldosteronismus) entstehen.
Grundsätzlich gilt: Je weiter distal ein Diuretikum angreift, umso geringer ist der diuretische Effekt. Die Ursache liegt im vorherrschenden Natriumangebot.
Weiterhin unterscheiden sich die Diuretika hinsichtlich Wirkungseintritt und Wirkdauer und sorgen je nach Angriffsort für eine unterschiedliche Ausscheidung von Natrium (Na+)-, Kalium (K+)-, Calcium (Ca2+)-, Magnesium (Mg2+)-, Chlorid (Cl-)- und Bikarbonat (HCO3-)-Ionen. Die folgende Tabelle bezieht sich auf die Ausscheidung von Elektrolyten nach Gabe der Diuretika:
Klasse | Ausscheidung | Wirkungseintritt | Wirkdauer | |||||
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Na+ | K+ | Ca2+ | Mg2+ | Cl- | HCO3- | |||
Osmodiuretika | ↑↑↑ | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑↑ | ↑↑ | ↑↑ |
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Carboanhydrasehemmer | ↑↑ | ↑↑↑ | - | ↑/↓ | ↑ | ↑↑↑ |
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Thiaziddiuretika | ↑↑ | ↑↑ | ↓ | - | ↑↑ | ↑↑ |
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Schleifendiuretika | ↑↑↑ | ↑↑↑ | ↑↑↑ | ↑↑↑ | ↑↑↑ | ↑ |
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Kaliumsparende Diuretika | ↑↑ | ↓ | ↓ | ↓ | ↑↑ | ↑ |
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Aldosteronantagonisten | ↑↑ | ↓ | - | - | ↑↑ | ↑ |
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Ödeme entstehen insbesondere durch erhöhten hydrostatischen Druck (Herzinsuffizienz, Pfortaderhochdruck) und/oder verminderten kolloidosmotischen Druck (nephrotisches Syndrom, Leberzirrhose). In Folge sinkt das intravasale Volumen, sodass es zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems mit Wasser- und Natriumretention kommt. Diuretika vermindern das intravasale Volumen noch weiter, sodass eine überschießende Diurese insbesondere bei nephrotischem Syndrom (Thrombosegefahr) und dekompensierter Leberzirrhose (Hypovolämie bis Leberkoma) vermieden werden muss. Als Faustregel gilt: maximale Gewichtsreduktion bei Ödemen 2 kg pro Tag, bei alleinigem Aszites 1 kg/d.
Diuretika führen weder zur erhöhten Ausscheidung von harnpflichtigen Substanzen noch zur grundsätzlichen Besserung der Nierenfunktion. Daher sind sie bei Niereninsuffizienz mit ausgeglichenem Wasser- und Elektrolythaushalt nicht indiziert.
Diuretika bewirken initial eine Blutdrucksenkung aufgrund des verminderten intravasalen Volumens, bei Dauergabe sinkt der periphere Gefäßwiderstand. Bevorzugt werden Thiazide verwendet, oft in Kombination mit ACE-Hemmern (kaliumneutral). Hierbei ist das verzögerte Wirkungsmaximum von mehreren Wochen zu beachten. Eine Dosissteigerung bewirkt keine höhere Blutdrucksenkung bei ansteigender Nebenwirkungsrate.
Als Diuretikaresistenz wird ein inadäquates Ansprechen auf die Gabe von Thiaziden und hohen Dosen von Schleifendiuretika bezeichnet. Ursachen sind ein vermindertes Angebot an Natrium und/oder eine erhöhte Natrium-Rückresorption:
In beiden Fällen kann dann eine sequentielle Nephronblockade erwogen werden. Dabei werden Schleifendiuretika und Thiazide zusammen verabreicht. Letztere sind in Kombinationstherapie selbst bei einer Niereninsuffizienz wirksam und in diesem Fall nicht kontraindiziert.
Weitere Ursachen einer Diuretikaresistenz können folgende Situationen sein:
Bei schwerer hypervolämischer Hyponatriämie (Verdünnungshyponatriämie) müssen Diuretika pausiert und eine strenge Salz- und Flüssigkeitsrestriktion eingehalten werden.
Nach Durchbrechung der Diuretikaresistenz können große Kalium- und Magnesium-Verlust auftreten, die entsprechend substitutiert werden müssen.
Je nach Dosis-Wirkungs-Kurve unterscheidet man:
siehe auch: Ceiling-Effekt
Zu den Thiaziddiuretika zählen unter anderem:
Es handelt sich um Benzothiadiazine bzw. Sulfonamidderivate, die meist mit kaliumsparenden Diuretika kombiniert werden. Die einzelnen Präparate zeigen eine ähnliche Wirkung bei unterschiedlicher Pharmakokinetik. Grundsätzlich sind sie geeignet für die Dauertherapie.
Unter Hydrochlorothiazid besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko für Basalzellkarzinome und Plattenepithelkarzinome.[2]
Schleifendiuretika sind die einzigen high-ceiling-Diuretika. Sie wirken von luminal und sind insbesondere für die Akuttherapie geeignet. Die Referenzsubstanz ist Furosemid (Lasix®). Weitere Präparate sind beispielsweise:
Etacrynsäure (Hydromedin®) unterscheidet sich in der Wirkungsweise von anderen Schleifendiuretika.
Der anfänglichen Phase einer extrem gesteigerten Natriumausscheidung folgt schnell eine Phase der kompensatorischen Natriumretention (postdiuretische Natriumretention, natriuretische Bremse).
Grundsätzlich ähnliche Nebenwirkungen wie bei Thiaziden:
Im Gegensatz zu Thiaziden sind Schleifendiuretika auch bei schwer gestörter Nierenfunktion anwendbar.
Zu den kaliumsparenden Diuretika zählen Amilorid und Triamteren. Sie stehen in Deutschland nur als Kombinationspräparate zur Verfügung, meist mit Thiaziden (z.B. Dytide®, Moduretik®). Hierbei können sie zur Reduktion der durch Thiazide hervorgerufenen Kaliumausscheidung führen.
Kaliumsparende Diuretika blockieren die Natriumkanäle im spätdistalen Tubulus und in den Sammelrohren. Dies führt zum Anstieg der Natriumausscheidung. Außerdem kommt es zur Hyperpolarisation der luminalen Zellmembran, sodass die tubuläre Kaliumsekretion absinkt. Das lumennegative transepitheliale Potenzial ist auch für die verminderte Ausscheidung von Protonen, Calcium und Magnesium verantwortlich.
Zu den Aldosteronantagonisten gehören insbesondere:
Aldosteronantagonisten haben einen späten Wirkungsbeginn und binden kompetitiv an den Aldosteronrezeptoren von der Kapillarseite im distalen Tubulus und Sammelrohr. Dadurch kommt es zur Hemmung der Natriumresorption und Kaliumsekretion.
Zu den Osmodiuretika gehören:
Osmodiuretika werden intravenös appliziert, anschließend glomerulär filtriert und nicht mehr rückresorbiert. Als hyperosmolare Lösungen binden sie freies Wasser, sodass ein isotoner Harn entsteht. Jedoch ist der absolute Verlust an Elektrolyten hoch. Da sie das intravasale Volumen erhöhen, kann es zur akuten Volumenbelastung des Kreislaufs kommen. Entsprechend sind sie kontraindiziert bei Herzinsuffizienz und kardialem Lungenödem, Dehydratation und intrakranieller Blutung.
Hauptanwendungen der Osmodiuretika sind:
Zu den Carboanhydrasehemmern zählen u.a. Acetazolamid (Diamox®), Brinzolamid und Dorzolamid. Sie besitzen kaum Bedeutung als Diuretikum, werden jedoch als Augentropfen (Dorzolamid, Brinzolamid) zur Verminderung der Kammerwasserproduktion bei Glaukom eingesetzt. Off label wird Acetazolamid bei der Höhenkrankheit verwendet, da es der respiratorischen Alkalose entgegenwirken kann.
Das Enzym Carboanhydrase (CA) kommt membrangebunden und zytoplasmatisch vor und katalysiert folgende Reaktion in beide Richtungen: CO2 + 2 H2O ⇌ H2CO3 + H2O ⇌ H3O+ + HCO3-. Im proximalen Tubulus sezerniert ein Natrium-Protonen-Antiporter Protonen im Austausch gegen Natrium in das Tubuluslumen. Dort entsteht dann aus Bikarbonat und den Protonen CO2 und H2O. Kohlendioxid diffundiert zurück in die Tubuluszelle und wird intrazellulär wieder zu Protonen und Bikarbonat umgewandelt. Natrium sowie Bikarbonat werden durch eine Natriumpumpe bzw. passiv in das Gefäßsystem transportiert.
Acetazolamid blockiert die renale Carboanhydrase und reduziert damit die Protonensekretion und vermindert die Rückresorption von Bikarbonat. Dadurch entsteht ein alkalischer bikarbonatreicher Harn und eine metabolische Azidose. Über einen unbekannten Mechanismus steigern sie auch die renale Phosphatausscheidung.
Die Wirkung von Diuretika kann dazu verwendet werden, Dopingtests zu täuschen, da die Konzentration im Harn nachweisbarer Substanzen durch die Verdünnung des Harns sinkt.
Von Boxern werden Diuretika gelegentlich genutzt, um kurzfristig vor dem Wiegen ihr Kampfgewicht zu reduzieren. Bodybuilder nutzen Diuretika vor Wettkämpfen, um die Muskeln besser hervortreten zu lassen.
Der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch von Diuretika durch Laien birgt ein erhebliches Risiko, da häufig mit falschen Dosierungen gearbeitet wird.
Tags: Diurese
Fachgebiete: Innere Medizin, Pharmakologie
Diese Seite wurde zuletzt am 8. Juli 2021 um 11:48 Uhr bearbeitet.
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