Höhenkrankheit
Synonym: Bergkrankheit
Englisch: altitude sickness
Definition
Der Begriff Höhenkrankheit bezeichnet Symptomenkomplexe, die bei einem Aufenthalt in großen Höhen - in der Regel ab 2.500 Metern über dem Meeresspiegel - auftreten können.
- ICD10-Code: T70.2 - Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe, einschließlich Höhenkrankheit
Einteilung
Nach der Symptomatik, dem Verlauf und der Expositionsdauer unterscheidet man:
- Akute Höhenkrankheit (D’Acosta-Krankheit, acute mountain sickness, AMS)
- Höhenhirnödem (HACE)
- Höhenlungenödem (HAPE)
- Chronische Höhenkrankheit (Monge's Disease)
- Höhenbedingte subakute pulmonale Hypertonie
- Weitere höhenbedingte Beschwerden
Epidemiologie
Fast 40 Millionen Menschen leben dauerhaft in Höhen über 2.400 Metern und rund 100 Millionen reisen jährlich zu Zielen im Hochgebirge, z.B. Skifahrer in die Alpen, religiöse Pilger nach Tibet, Bergsteiger zum Mount Everest. Geschätzt entwickeln 50% der Bergsteiger, die über einen Zeitraum von mindestens 5 Tagen auf Höhen von über 4.000 Metern aufsteigen, eine akute Höhenkrankheit. Ebenso ergeht es ca. 84% der Menschen, die direkt auf eine Höhe von 3.860 Metern fliegen. Die Inzidenzen von HACE und HAPE sind mit 0,1 bis 4% niedriger.
Physiologie
Aufgrund des sinkenden Luftdrucks in großer Höhe ist der Sauerstoffpartialdruck in der Einatemluft erniedrigt. Infolge sinkt der Diffusionsdruck, mit dem der Sauerstoff aus den Alveolen aufgenommen wird. Über den Karotissinus vermittelt, fängt der Körper kompensatorisch an zu hyperventilieren. Dies kann zur respiratorischen Alkalose und Dehydratation führen. Die Alkalose verringert wiederum den Atemantrieb im Schlaf mit resultierender Cheyne-Stokes-Atmung und Hypoxämie. Anfangs wird die Alkalose über renale Hemmung der Carboanhydrase und vermehrter alkalischer Harnausscheidung ausgeglichen (normaler pH-Wert im Blut).
Im weiteren Verlauf erhöht sich der Sympathikotonus und Erythropoetinspiegel. Folglich steigen der Hämoglobinwert, die Erythrozytenzellmasse, die Kapillardichte und die Zahl der Mitochondrien sowie der 2,3-Bisphosphoglyceratspiegel. Insgesamt wird damit die Sauerstoffverwertung verbessert. Trotzdem nimmt während des Aufstiegs die maximale Ausdauerleistung ab, etwa 1% pro 100 Meter Höhezunahme oberhalb von 1.500 Metern. Gleichzeitig steigt die Anfälligkeit für Kälteschäden durch die periphere Vasokonstriktion an. Wenn sich der Körper bei zu raschem Anstieg nicht akklimatisieren kann, treten höhenbedingte Erkrankungen auf.
siehe auch Höhenanpassung
Genetik
Der Transkriptionsfaktor HIF (Hypoxie-induzierter Faktor) reguliert im Körper die Sauerstoffversorgung der Zellen und ist an der Freisetzung von VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) im Gehirn, der Erythropoese und anderen physiologischen Funktionen in großer Höhe beteiligt. Das Gen EPAS1, das HIF 2α kodiert, scheint bei der Akklimatisierung von Tibetanern in großer Höhe eine wichtige Rolle zu spielen. Es führt bei ihnen zu niedrigeren Hämoglobinkonzentrationen als bei zugewanderten Han-Chinesen und schützt sie so vor einer Polyzythämie. Die unterschiedliche Prädisposition der Populationen, familiäre Häufung und Assoziation mit einigen genetischen Varianten sprechen für einen genetischen Einfluss. Für mindestens 17 Gene ist ein Zusammenhang nachgewiesen worden.
Akute Höhenkrankheit und Höhenhirnödem
Als akute Höhenkrankheit (AMS) wird die mildeste Verlaufsform der Höhenkrankheit bezeichnet. Es handelt sich um ein neurologisches Syndrom, das meist 6 bis 12 Stunden nach dem Aufstieg auftritt, sich oft ohne klinisch objektiven Befund jedoch mit unspezifischen Symptomen (Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit, Schwindel) manifestiert.
Die AMS ist eine klinische Diagnose, der Lake-Louise-AMS-Score kann bei der Diagnosestellung helfen. Differenzialdiagnostisch muss es von Erschöpfungszuständen, Dehydratation, Hypothermie, Hyponatriämie sowie Veisalgia nach Alkoholeinnahme abgegrenzt werden.
Beim Höhenhirnödem (HACE) handelt es sich um dieselbe neurologische Störung, jedoch mit anderem Schweregrad. Das Leitsymptom ist eine diffuse Enzephalopathie mit Ataxie und Bewusstseinsstörung, meist aber ohne fokal-neurologische Ausfälle. Auch ein Papillenödem oder retinale Blutungen sind möglich.
Höhenlungenödem
Beim Hohenlungenödem (HAPE) handelt es sich um ein pulmonales Krankheitsbild, das unabhängig von einer AMS auftritt. Meist entsteht es zwei bis vier Tage nach Erreichen großer Höhe, selten später als 5 Tage. Erste Symptome sind eine starke Abnahme der Ausdauerleistung und ein trockener Dauerhusten (später produktiv und blutig tingiert). Im Verlauf stehenTachypnoe und Tachykardie im Vordergrund.
Chronische Höhenkrankheit und höhenbedingte subakute pulmonale Hypertonie
Die chronische Bergkrankheit (Monge-Krankheit) betrifft Personen, die dauerhaft oberhalb von 2.500 Metern leben. Sie wurde erstmals in Südamerika, später auch in Colorado und bei Han-Chinesen in Tibet beschrieben. Leitsymptome sind ausgeprägte Polyglobulie und mittelschwere bis schwere pulmonale Hypertonie. Als Komplikation kann sich ein chronisches Cor pulmonale entwickeln. Nach Umzug in tiefere Regionen verschwinden die Symptome wieder. Eine Therapie erfolgt duch Aderlässe und Acetazolamid.
Die höhenbedingte subakute pulmonale Hypertonie betrifft auch Höhenbewohner. Sie geht mit pulmonaler Hypertonie und Herzinsuffizienz, jedoch nicht mit einer Polyglobulie einher. Eine adulte und infantile Form wurde bei indischen Soldaten in großer Höhe und Neugeborenen von Han-Chinesen in Tibet beschrieben. Ein Wechsel in tiefere Lagen führt zur Heilung.
Weitere höhenbedingte Beschwerden
Schlafstörungen
Schlafstörungen betreffen eine verstärkte Cheyne-Stokes-Atmung und eine veränderte Schlafarchitektur mit längeren Leichtschlafphasen und Beinträchtigung des REM-Schlafs. Nach zunehmender Akklimatisation können die Betroffenen meist besser schlafen, sodass eine Beruhigung und Aufklärung in den meisten Fällen ausreicht. Sonst kann Acetazolamid (125 mg zur Nacht) die hypoxämischen Episoden und Schlafunterbrechungen durch die Cheyne-Stokes-Atmung verringern. Bei einer Kombinationstherapie mit Temazepam oder Zolpidem sollten Dosierungen von 10 mg nicht überschritten werden. Diazepam kann in großer Höhe zu Hypoventilation führen und ist daher kontraindiziert.
Gastrointestinalbeschwerden
Aufgrund des verminderten Luftdrucks und Expansion der Darmgase klagen Personen in Höhe oft über starke Blähungen. Besteht gleichzeitig eine Diarrhö, kann jedoch auch ein Infekt vorliegen (z.B. Giardiasis). Desweiteren kann der Aufenthalt in großer Höhe mit verstärkten Blutungen aus dem Magen und Duodenum einhergehen, der kausale Zusammenhang muss jedoch noch überprüft werden.
Höhenhusten
Besonders über 5.000 Metern ist der Höhenhusten gelegentlich so stark, dass es zu Rippenfrakturen kommt. Die Ursache ist vermutlich multifaktoriell: Kalte trockene Luft, hypobare Hypoxie, körperliche Anstrengung (Wasserverlust über die Atemwege). Trotz widersprüchlicher Datenlage kann ein Versuch mit einem langwirksamen Beta-2-Sympathomimetikum und einem Glukokortikoid, z.B. Salmeterol mit Fluticason, hilfreich sein. Meist verschwindet der Husten beim Abstieg wieder.
Weitere höhenbedingte neurologische Ereignisse
In großer Höhe sind andere Mechanismen an der Entstehung von transitorischen ischämischen Attacken (TIAs) und Schlaganfällen beteiligt, z.B. Migräne, Vasospasmen, hypokapnische zerebrale Vasokonstriktion). Die Betroffenen sind meist jünger und haben weniger Risikofaktoren für eine atherosklerotische Gefäßerkrankung als Patienten in tieferen Lagen. Auch Subarachnoidalblutungen, transiente globale Amnesien und Hirnnervenparesen sind in großer Höhe beschrieben. Vasovagale Synkopen treten häufig in mittlerer Höhe auf und klingen wieder ab, ohne dass abgestiegen werden muss. Krampfanfälle sind selten, Hypoxämie und Hypokapnie können aber bei prädisponierten Menschen einen Erst- oder Durchbruchsanfall auslösen. Grundlagen der Behandlung der meisten dieser neurologischen Erkrankungen sind Sauerstoffgabe (falls möglich) und sofortiger Abstieg.
Psychische Symptome
Ein Delir mit plötzlicher Vigilanzänderung, Aufmerksamkeitsstörung, Desorientierung, optischen und akustischen Halluzinationen und Erregtheit kann bei Bergsteigern plötzlich auftreten. Auch Paniktattacken, oft nachts durch die Chenye-Stokes-Atmung ausgelöst, sind bekannt.
Vorerkrankungen
Für Fahrten ins Hochgebirge bei Personen mit bestimmten Vorerkrankungen existieren keine evidenzbasierten Leitlinien, sodass vorher Nutzen und Risiken individuell abgewogen werden müssen.
Arterielle Hypertonie
In großer Höhe ist mit einem vorübergehenden Blutdruckanstieg zu rechnen, gelegentlich entwickeln auch gesunde Wanderer einen pathologisch hohen Blutdruck, der sich jedoch beim Abstieg rasch normalisiert. Die Einnahme von Antihypertensiva bei Patienten mit arterieller Hypertonie sollte in der Höhe fortgesetzt werden. Eine Höhenkrankheit kommt bei Hypertoniepatienten nicht häufiger vor. Zur Behandlung symptomatischer Patienten werden Alphablocker (z.B. Prazosin) empfohlen.
Koronare Herzkrankheit
Der myokardiale Sauerstoffbedarf und die maximale Herzfrequenz sind in großer Höhe vermindert. Patienten mit koronarer Herzkrankheit, Zustand nach Myokardinfarkt, Angioplastie und/oder Bypass-Operation, sollten vor Reiseantritt ein Belastungs-EKG durchführen lassen. Ein positives Ergebnis wäre eine Kontraindikation für die Reise. Auch bei schlecht eingestellten Arrhythmien sollte ein Höhenaufenthalt vermieden werden. Weitere Daten zur Inzidenz eines plötzlichen Herztods fehlen.
Asthma bronchiale
Aufgrund der geringeren Allergenexposition und des erhöhten Katecholaminspiegels haben Asthmapatienten im Hochgebirge meist weniger Beschwerden als in tiefen Lagen. Trotzdem sollten Patienten ihre Medikamente weiter einnehmen. Bei schwerem Asthma sollte von einem Aufstieg abgeraten werden.
Schwangerschaft
Für eine normal verlaufende Schwangerschaft besteht kein besonderes Risiko bis 3.000 Metern Höhe (außer der meist schlechten medizinischen Infrastruktur). Für einen Aufstieg über 3.000 Meter fehlen verlässliche Daten, wegen der absinkenden Sauerstoffsättigung sollte davon abgeraten werden.
Adipositas
Vermutlich ist die Adipositas wegen der ausgeprägten nächtlichen Hypoxämie ein Risikofaktor für AMS. Die Hypoxämie kann außerdem zur pulmonalen Hypertonie und damit zu HAPE führen.
Sichelzellkrankheit
Bei Patienten mit Sichelzellkrankheit kann die große Höhe zur Sichelzellkrise führen.
Diabetes mellitus
Vor Reiseantritt sollte bei Patienten mit Diabetes mellitus eine Augenuntersuchung erfolgen. Insulindosen sind beim Aufstieg geringer als an Ruhetagen, Zucker sollte immer zur Verfügung stehen und Begleitpersonen gut informiert sein. Höhenaufenthalte bei Patienten mit oralen Antidiabetika sind unproblematisch.
Chronische Lungenerkrankung
Liegt der zu erwartende Sauerstoffpartialdruck in der Höhe unter 50 mmHg, sollte Sauerstoff mitgeführt werden und eine pulmonale Hypertonie vorher ausgeschlossen werden. Bei Patienten mit bullösem Lungenemphysem scheint es bis zu etwa 5.000 Metern zu keiner Expansion der Blasen oder zum Pneumothorax zu kommen. Für Patienten mit Lungenfibrose gibt es nur wenige Daten. Ein Pulsoximeter sollte mitgeführt werden.
Chronische Niereninsuffizienz
Meist werden kurze Aufenthalte bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung in großer Höhe gut toleriert, trotzdem besteht die Gefahr einer Verschlechterung bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz. Acetazolamid ist bei metabolischer Azidose kontraindiziert. Die Dosis muss bei einer GFR unter 50 ml/min reduziert werden, bei einer GFR unter 10 ml/min ist Acetazolamid kontraindiziert.
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Literatur
- Berghold F, Brugger H, Burtscher M et al: Alpin- und Höhenmedizin. 2015, Wien: Springer
- Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Jin J. Acute Mountain Sickness, JAMA. 2017 Nov 14;318(18):1840. doi: 10.1001/jama.2017.16077.
- Dekker MCJ et al. Mountain neurology, Pract Neurol. 2019 Jun 8. pii: practneurol-2017-001783
- Jensen JD, Vincent AL. High Altitude Cerebral Edema (HACE), StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2019-2018 Dec 24.
Bildquelle
- Bildquelle für Quiz: Rohit Tandon, Unsplash