Schleifendiuretikum
Synonyme: NKCC-Inhibitor, Na-K-2Cl-Cotransporter-Inhibitor
Englisch: loop diuretic
Definition
Schleifendiuretika sind hochwirksame harntreibende Medikamente (Diuretika). Sie können die Urinproduktion – unter Flüssigkeitsersatz durch Infusionen – auf 30 bis 40 Liter pro Tag erhöhen.
Wirkmechanismus
Die Wirksamkeit der Schleifendiuretika beruht auf einer reversiblen Hemmung des Na-K-2Cl-Cotransporters im Nephron, genauer im dicken aufsteigenden Ast der Henle-Schleife. Über diesen Transporter werden Natrium- Kalium- und Chloridionen aus dem Tubuluslumen reabsorbiert und in Folge auch ein Teil des Primärharns.
Durch die Hemmung des Transporters wird die Wiederaufnahme der oben genannten Ionen aus dem Primärharn in den Körper verhindert, was zu einer erhöhten Salzkonzentration des Harns führt. Gleichzeitig verringert sich der osmotische Druck im Interstitium der Niere (verringerte Hypertonizität). Durch beide Effekte wird die Wassermenge im Harn erhöht und so die Harnausscheidung vermehrt.
Auf diese Weise können bis zu 40 % des Glomerulumfiltrats als Sekundärharn ausgeschieden werden. Zusätzlich kommt es zu einer vermehrten Ausscheidung von Kalium-, Calcium-, und Magnesiumionen. Ursache dafür ist eine Veränderung der transepithelialen Potentialdifferenz durch die Blockade des Na-K-2Cl-Cotransporters, sodass weder Calcium- noch Magnesiumionen aus dem Primärharn rückresorbiert werden. Darüber hinaus hemmen Schleifendiuretika das tubuloglomeruläre Feedback.
Noch vor Eintritt der diuretischen Wirkung führen Schleifendiuretika über eine verstärkte Prostaglandinsynthese zu einer Vasodilatation.[1] Letztere steigert die Nierenperfusion und führt zu venösem Pooling, was eine Vorlastsenkung des Herzens zur Folge hat. Voraussetzung ist eine intakte Prostaglandinsynthese. Entsprechend ist bei nephrektomierten Patienten sowie bei Vorbehandlung mit NSAR keine frühe Vasodilatation nachweisbar.
Schleifendiuretika sind die einzigen High-Ceiling-Diuretika, d.h. sie besitzen eine steile Dosis-Wirkungs-Kurve, sodass die Diurese über einen großen Bereich proportional zur Dosis gesteigert werden kann.
Pharmakokinetik
Schleifendiuretika können indikationsabhängig peroral oder parenteral verabreicht werden. Sie verfügen über eine gute orale Bioverfügbarkeit und einen schnellen Wirkeintritt. Die maximale Wirkung tritt etwa nach zwei Stunden ein. Die Wirkstoffe werden überwiegend renal ausgeschieden – sowohl durch glomeruläre Filtration als auch tubuläre Sekretion, nur zu einem Drittel [biliär]]. Die Plasmahalbwertszeit ist daher abhängig von der Nierenfunktion.
Substanzen
Der größte Teil der Schleifendiuretika sind Sulfonamid-Derivate. Zu den bekanntesten und am häufigsten benutzten Schleifendiuretika gehören:
Obsolet und in Deutschland nicht mehr verfügbar sind Azosemid, Etozolin und Etacrynsäure.
Indikationen
Schleifendiuretika werden insbesondere eingesetzt, um unnötige Wasseransammlungen im Körper auszuschwemmen, unabhängig von der Genese (kardiale, renale, hepatogene Ödeme). Indikationen sind:
- akute Herzinsuffizienz (v.a. bei Lungenödem)
- nephrotisches Syndrom
- arterielle Hypertonie, hypertensive Krise (v.a. bei Linksherzinsuffizienz)
- akutes Nierenversagen (bei Restdiurese)
- chronische Nierenerkrankung
- forcierte Diurese bei hyperkalzämischer Krise und selten bei Intoxikationen
- Nephroprotektion bei Rhabdomyolyse
- hypervolämische Hypernatriämie (zusammen mit 5%iger Glucoselösung)
- lebensbedrohliche Hyperkaliämie (zusammen mit Glukoselösung, Natriumhydrogencarbonat, Calciumgluconat)
- Hirnödem (additiv)
- Verbrennungen
Nebenwirkungen
Bei überschießender Diurese droht eine Dehydratation, die sich u.a. durch Schwindel, Schwäche und orthostatische Beschwerden, Kopfschmerzen und Durst zeigen kann. Durch den Flüssigkeitsverlust kann es zu einer Hämokonzentration kommen, deshalb ist es wichtig, bei einer Therapie mit Schleifendiuretika auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr zu achten.
Eine entstehende Hypokaliämie kann durch Gabe von Kaliumsalzen, wie z.B. Kaliumchlorid, kompensiert werden. Therapielimitierend kann auch eine sich allmählich entwickelnde Hyponatriämie sein. Sie kann nur langsam durch eine Begrenzung der Trinkmenge und eine Reduktion des Schleifendiuretikums korrigiert werden.
Weitere möglichen Nebenwirkungen sind u.a.:
- Hypokalzämie und Hypomagnesiämie: Durch die Hemmung des Na-K-2Cl-Cotransporters wird die Potentialdifferenz der Tubuluszelle gestört, die für eine adäquate Rückresorption benötigt wird
- Chloridverlust bis hin zur hypochlorämischen Alkalose
- Neigung zur Hyperglykämie
- Harnsäure-Retention, Hyperurikämie, akuter Gichtanfall
- Hörschäden: Hemmung des Ionentransport in der Stria vascularis des Innenohrs, insbesondere bei schneller intravenösen Injektion, meist reversibel, bei Etacrynsäure auch irreversible Schäden
- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (v.a. bei Etacrynsäure)
- allergische Reaktionen
Absetzeffekte
Nach Absetzen von Schleifendiuretika versucht der Körper, den Wasser- und Natriumverlust auszugleichen und setzt entsprechende Gegenregulationsmechanismen in Gang. Durch Stimulation des Sympathikus und die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) reduziert sich die glomeruläre Filtrationsrate und das Harnvolumen. Diesen Effekt bezeichnet man postdiuretische Natriumretention.
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff (v.a. gegen Sulfonamide)
- schwere Leberfunktionsstörungen
- Anurie (wirkungslos)
- schwere Hypokaliämie, Hyponatriämie und Hypovolämie
- Digitalisintoxikation
In der Schwangerschaft und Stillzeit sind die meisten Schleifendiuretika kontraindiziert, z.T. ist eine Anwendung unter strenger Indikationsstellung zu erwägen.
Im Gegensatz zu Thiaziden sind Schleifendiuretika auch bei schwer gestörter Nierenfunktion anwendbar.
Wechselwirkungen
- Blutdrucksenkende Pharmaka (z.B. Betablocker, Nitrate, Vasodilatatoren, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva, Alkohol): additive Wirkung
- Digitalis: verstärkte Digitaliswirkung
- Glukokortikoide, Laxantien: additive Kaliumausscheidung
- NSAR: verminderte diuretische und antihypertensive Effekte
- Lithium, Cyclophosphamid, 5-Fluorouracil, Methotrexat: verminderte renale Elimination mit verstärkter Wirkung und Toxizität der genannten Substanzen
- orale Antidiabetika, Urikostatika: verminderte Wirkung der genannten Substanzen
- ototoxische und/oder nephrotoxische Pharmaka (z.B. Aminoglykoside, Cisplatin): verstärkte Toxizität
Quellen
- ↑ Gerber und Nies Furosemide-induces vasodilation: Importance of the state of hydration and filtration Kidney international 1980
Literatur
- Gelbe Liste Pharmindex- Schleifendiuretika, abgerufen am 21.10.2022
- Silbernagel und Lang, Physiologischer Taschenatlas, 5. Auflage, Georg Thieme Verlag KG, 2018
um diese Funktion zu nutzen.