(Weitergeleitet von Vitamin B12-Mangel)
Englisch: vitamin B12 deficiency
Ein Vitamin-B12-Mangel ist eine Form des Vitaminmangels, bei dem der Körper weder genügend biologisch aktives Vitamin B12 (Cobalamin) gespeichert hat, noch genügend Vitamin B12 zugeführt wird.
Cobalamin ist Kofaktor für zwei Enzyme:
Cobalamin ist sekundär an vielen Stoffwechselwegen von Fettsäuren, Aminosäuren und Nukleinsäuren beteiligt und hat damit einen wichtigen Einfluss auf die Zellreifung und -teilung, besonders auf die Hämatopoese, die Myelinsynthese und die Syntheseleistung der epithelialen Geweben.
Der durchschnittliche tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt etwa 2 µg. Die einzige relevante Quelle für den Menschen sind tierische Lebensmittel (Fisch, Fleisch, Milchprodukte, Eier). Normalerweise ist in der Leber und in der Muskulatur so viel Vitamin B12 gespeichert, dass der Bedarf für durchschnittlich 2 bis 4 Jahre deckt ist.
Mit der Nahrung aufgenommenes Cobalamin wird überwiegend im Ileum aktiv resorbiert. Dafür ist Intrinsic Factor (IF) aus den Parietalzellen des Magens notwendig. Weiterhin unterliegt Cobalamin dem enterohepatischen Kreislauf.
Transcobalamin I befördert überschüssiges Cobalamin zur Leber, während Transcobalamin II die Zellen des Körpers mit Cobalamin versorgt.
Grundsätzlich kann ein erhöhter Bedarf an Vitamin B12 im Rahmen einer Schwangerschaft, bei Neugeborenen und Säuglingen, bei Leukämie und chronischen Infektionskrankheiten sowie nach wiederholter Hämodialyse zur Exazerbation eines subklinischen Vitamin-B12-Mangels führen.
Häufig liegt dem Mangel eine Malabsorption zu Grunde und nur selten eine inadäquate Nahrungsaufnahme. Weitere seltene Ursachen können unter anderem bestimmte Medikamente und Toxine sowie genetische Erkrankungen sein.
Ein nutritiv bedingter Cobalaminmangel kann bei Veganern auftreten, die auf jegliche tierische Produkte verzichten. Da der enterohepatische Kreislauf von Cobalamin intakt ist, entwickelt sich der Mangel meist nicht bis zu einer Anämie. Selten können auch Armut, Anorexie, chronischer Alkoholabusus oder psychiatrische Erkrankungen zu einer inadäquaten Nahrungsaufnahme führen.
Säuglinge von Müttern mit Cobalaminmangel werden mit zu geringen Körpervorräten geboren. Da die Muttermilch nur wenig Vitamin B12 enthält, entwickeln sie im 3. bis 6. Lebensmonat eine megaloblastäre Anämie, eine Wachstumsretardierung, eine mangelhafte psychomotorische Entwicklung und weitere neurologische Komplikationen. Der Mangelzustand kann sich u.a. durch häufiges Schreien ("Schrei-Baby") bemerkbar machen.
Diverse Medikamente bzw. Toxine können einen Vitamin-B12-Mangel verursachen. Dazu zählen insbesondere:
Die Prävalenz eines Vitamin-B12-Mangels bei jungen Erwachsenen wird auf 5 bis 10 % geschätzt. Bei älteren Erwachsenen steigt die Prävalenz auf 10 bis 30 %.[1] Als weitere Risikogruppen gelten:
Ein Vitamin-B12-Mangel kann asymptomatisch sein oder eine Vielzahl an Manifestationen verursachen, die zusammen oder vereinzelt vorliegen können. Den hämatologischen und neurologischen Störungen kann eine längere Periode mit diffusen Allgemeinsymptomen wie Leistungsabfall oder Inappetenz vorausgehen.
Ein Vitamin-B12-Mangel äußert sich in etwa 2/3 der Fälle zunächst oder überwiegend durch neurologische und/oder neuropsychiatrische Symptome. Gerade bei älteren Patienten ist es ratsam, bei Anzeichen von Altersdemenz und/oder Depression an einen Vitamin-B12-Mangel als Ursache zu denken.
Die meist asymptomatischen Patienten werden zufällig bei einer Blutuntersuchung durch ein erhöhtes MCV entdeckt. Bei schwereren Verläufen fallen die typischen Anämiesymptome auf (Abgeschlagenheit, verminderte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Tachykardie, Schwindel). Bei intramedullärer Hämolyse kann ein diskreter Ikterus entstehen.
Weiterhin kann eine Thrombozytopenie zu Einblutungen führen, die vor allem bei gleichzeitigem Vitamin-C-Mangel oder mangelernährten Alkoholikern auftreten. Die Anämie, geringe Leukozytopenie sowie die verminderte Funktion der Phagozyten bei Vitamin-B12-Mangel prädisponieren für Infektionen des Respirations- und Urogenitaltrakts.
Ein Mangel an Vitamin B12 führt zu verschiedenen neurologischen Manifestationen, wobei der genaue Pathomechanismus unklar ist. Vermutet wird eine Akkumulation von S-Adenosylhomocystein im zentralen Nervensystem. Die neurologischen Symptome des Vitamin-B12-Mangels können den Patienten subjektiv schon stark beeinträchtigen, bevor sie mit objektiven Messmethoden festgestellt werden können. Äußert sich ein Vitamin-B12-Mangel zuerst durch psychiatrische Symptome, werden sie vom Untersucher häufig falsch interpretiert.
Neben dem Knochenmark und dem Nervensystem ist auch das Epithel von Mund, Magen, Dünndarm, Respirations- und Urogenitaltrakt betroffen. Dies zeigt sich zum Beispiel in Form einer Hunter-Glossitis mit glatter, roter Zunge und Zungenbrennen. Weitere möglichen Symptome sind Mundwinkelrhagaden, Burning-Mouth-Syndrom, Aphthen, Anorexie bzw. Gewichtsverlust, Diarrhö oder Obstipation, Infertilität, subfebrile Temperaturen sowie eine reversible melaninbedingte Hyperpigmentierung der Haut.
Aufgrund des erhöhten Plasmaspiegels von Homocystein steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Venenthrombose, Myokardischämie, Lungenembolie).
Bei Vorliegen einer funikulären Myelose sollte eine MRT durchgeführt werden. In der T2-Wichtung und in der FLAIR-Sequenz zeigen sich Signalanhebungen in den Hintersträngen und im zerebralen Marklager (zerebrale Leukenzephalopathie).
In unklaren Fällen kann eine Knochenmarkbiopsie notwendig sein: Hier zeigt sich eine ineffektive Hämatopoese, wobei die Stammzellen intakt sind. Physiologischerweise beträgt das Verhältnis der granulopoetischen zu erythropoetischen Zellen 3 : 1, bei Vitamin-B12-Mangel verschiebt sich dieser G-E-Index zugunsten der Erythropoese. Megaloblasten zeigen sich mit einem breiten Zytoplasma, großen Zellkernen mit lockerer Chromatinstruktur und Kernabspaltungen. Aufgrund einer Störung der Granulopoese erkennt man Riesen-Metamyelozyten und große stabkernige Granulozyten.
Außerdem sollte eine Ursachenabklärung erfolgen, z.B. durch Bestimmung von IF-Autoantikörpern, Parietalzell-Antikörpern (PCA) oder mittels Schilling-Test.
Neben der Vitamin B12-Substitution sollte die Grunderkrankung therapiert werden. Falls eine kausale Therapie nicht möglich ist, muss Cobalamin lebenslang substitutiert werden. Dabei existieren verschiedene Strategien:
In Deutschland wird meist initial 6 x 1.000 µg Hydroxocobalamin in Abständen von 3 bis 5 Tagen intramuskulär injiziert. Dies reicht in der Regel zum Auffüllen des Leberspeichers. Die lebenslange Erhaltungstherapie erfolgt mit 1.000 µg intramuskulär alle 3 Monate, sofern die kausale Therapie nicht möglich ist. In gewissen Situationen, z.B. bei perniziöser Anämie oder funikulären Myelose, können auch höhere Dosierungen notwendig sein.[2]
Die Therapie kann kann auch per os erfolgen. Dazu wird meist Cyanocobalamin verwendet. Resorptionsstörungen kann man durch die Erhöhung der oralen Dosis auf das 1.000fache überwinden, also Milligram statt Mikrogramm, um die dauerhaften Injektionen zu vermeiden.
Während der Substitutionstherapie sollten Folsäure, Kalium und Eisen kontrolliert und gegebenenfalls substitutiert werden, da aufgrund der gesteigerten Erythropoese ein vermehrter Bedarf besteht. Eine passagere Thrombozytose unter Therapie kann auftreten. Bei sehr hohen Werten kann aufgrund des erhöhten Thromboembolierisikos die Gabe von ASS erwogen werden.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Tags: B12, Cobalamin, Demenz, Depression, Funikuläre Myelose, Hypovitaminose, Perniziöse Anämie, Vitamin B12, Vitaminmangel
Fachgebiete: Allgemeinmedizin, Gerontologie, Hämatologie, Innere Medizin, Kinderheilkunde, Neurologie, Pränatalmedizin, Psychiatrie
Diese Seite wurde zuletzt am 28. Juli 2022 um 08:17 Uhr bearbeitet.
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