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Primäre Myelofibrose

(Weitergeleitet von Osteomyelosklerose)

Synonyme: Osteomyelofibrose (OMF), Osteomyelosklerose (OMS), Myelofibrose mit myeloischer Metaplasie, chronische idiopathische Myelofibrose (CIMF)
Englisch: primary myelofibrosis, osteomyelofibrosis

1. Definition

Die primäre Myelofibrose, kurz PMF, ist eine seltene myeloproliferative Erkrankung (MPE) mit klonaler Proliferation der multipotenten hämatopoetischen Stammzelle. Sie führt im Verlauf zur progredienten Fibrose des Knochenmarks. Die Erkrankung wird in der klinischen Alltagssprache auch häufig noch als Osteomyelofibrose bezeichnet.

2. Epidemiologie

Die PMF ist eine seltene Erkrankung mit einer jährlichen Inzidenz von ungefähr 0,3 bis 1,5 pro 100.000 Einwohner.[1] Das mittleres Alter bei Diagnosestellung beträgt 60 bis 65 Jahre, jedoch sind 20 % der Patienten jünger als 65 Jahre und 11 % jünger als 46 Jahre. Männer sind etwas häufiger betroffen. Obwohl die PMF vermutlich nicht vererbbar ist, kommen familiäre Häufungen vor.

3. Ätiologie

Die Ursache der primären Myelofibrose ist aktuell (2019) noch unbekannt.

4. Pathophysiologie

Wie bei allen myeloproliferativen Erkrankungen lassen sich bei der PMF sogenannte Treibermutationen auf Ebene der hämatopoetischen Stammzelle finden. Die Folge ist eine Dysregulation von verschiedenen Signaltransduktionswegen, z.B. im JAK-STAT-Signalweg, die zur gesteigerten autonomen Proliferation der Zelle führen.

Mit 60 % der Fälle ist die JAK2-V617F-Punktmutation im Gen der JAK2-Kinase die häufigste genetische Veränderung, gefolgt von Mutationen im CALR-Gen, welches für Calreticulin kodiert (25 %). Bei ungefähr 8 % der Patienten liegt eine Mutation im MPL-Gen des Thrombopoietin-Rezeptors vor. In 9 % der Fälle findet man keine der drei Mutationen ("triple negativ"), einhergehend mit einer schlechteren Prognose.

Zusätzlich zu genannten DNA-Veränderungen finden sich weitere sogenannte Passengermutationen, z.B. in den Genen ASXL1, TET2 oder SRSF2.

Bei der progredient entstehenden Knochenmarkfibrose bei PMF handelt es sich um ein reaktives inflammatorisches Phänomen. Die erhöhte Konzentration von Interleukin-6, -2 und -8 sowie TNF-α, TGF-β, MGDF und VEGF sind vermutlich die entscheidenden Faktoren, welche die Fibrose auslösen.[2] Desweiteren wurde eine erhöhte Frequenz von Emperipolesis bei Patienten mit PMF beschrieben.[3] Hierbei handelt es sich um einen grundsätzlich physiologischen Prozess, bei dem eine Zelle in das Zytoplasma eines Megakaryozyten aufgenommen wird. Eine unphysiologische P-Selektin-Verteilung in Megakaryozyten kann selektiv zur Sequestrierung von eosinophilen Granulozyten führen.

Im Verlauf entsteht die klassische Trias aus:

Die entstehende Anämie ist bedingt durch multiple Faktoren:

5. Symptome

Die primäre Myelofibrose hat einen schleichenden Verlauf, wobei man eine präfibrotische (hyperproliferative) Früh- von einer fibrotischen Spätphase unterscheiden kann.

5.1. Frühphase

Initial ist die PMF meist asymptomatisch. Häufig wird sie in Form von unspezifischen Allgemeinsymptomen manifest, z.B. Müdigkeit oder B-Symptomatik (Gewichtsverlust, Fieber, Nachtschweiß). Grundsätzlich ähneln die Symptome der essentiellen Thrombozythämie (ET).

Schwere Komplikationen können durch Thromboembolien entstehen. Das Risiko liegt bei 1,7 % pro Patient pro Jahr, dabei ungefähr 50 % in atypischer Lokalisation (z.B. Pfortaderthrombose, Milzvenenthrombose, Budd-Chiari-Syndrom).

5.2. Spätphase

Im Verlauf entwickelt sich aufgrund der zunehmenden Knochenmarkfibrose eine Panzytopenie. Symptome entstehen durch den Mangel entsprechender Blutzellreihen, z.B.:

Aufgrund der extramedullären Blutbildung entstehen Knochenschmerzen, Splenomegalie und/oder Hepatomegalie. Die letzteren beiden können zu Bauchschmerzen und Appetitlosigkeit führen. Bei extremem Ausmaß kann es zu Aszites, pulmonaler Hypertonie, Darm- oder Ureterobstruktion, erhöhtem Hirndruck, Perikardtamponade oder Rückenmarkskompression kommen.

Die häufigsten Todesursachen sind:[4]

6. Differenzialdiagnostik

Die PMF muss abgegrenzt werden von der sekundären Myelofibrose. Dazu gehören z.B. Knochenmarkfibrosen bei:

Weitere Ursachen einer sekundären Myelofibrose sind Infiltration des Knochenmarks mit sekundärer Faservermehrung bei Tumorerkrankungen (Knochenmarkkarzinose) bzw. bei

Eine akute Myelofibrose bei akuter Megakaryoblasten-Leukämie (FAB-Typ M7) zeigt sich meist durch extreme B-Symptomatik und Panzytopenie ohne Hepatosplenomegalie.

Sowohl die Polycythaemia vera (PV) als auch die essentielle Thrombozythämie können im Verlauf zu einer sekundären Myelofibrose führen (Post-PV- bzw. Post-ET-Myelofibrose). Eine histologische Differenzierung ist dann nur durch vorherige Knochenmarkuntersuchungen möglich.

siehe auch: Myelophthise

7. Diagnostik

Die meisten Patienten fallen im Rahmen einer Routineuntersuchung durch eine Splenomegalie und/oder Veränderungen des Blutbildes auf.

7.1. Anamnese

  • Bauchschmerzen, Knochenschmerzen
  • B-Symptomatik
  • zurückliegende Thromboembolien oder Blutungen
  • Familienanamnese

7.2. Körperliche Untersuchung

7.3. Labor

7.4. Butausstrich

7.5. Molekulargenetische Diagnostik

Die molekulargenetische Untersuchung basiert auf einer Stufendiagnostik. Initial erfolgt ein Screening auf JAK2-Mutation; falls negativ, auf CALR-Mutation und anschließend auf MPL-Mutation.

Bei triple-negativen Patienten oder bei intialem Verdacht auf eine chronisch myeloische Leukämie (CML) sollte eine Testung auf das BCR-ABL-Fusionstranskript erfolgen.

Weiterhin können molekulare Hochrisikomutationen bestimmt werden, z.B. ASXL1, EZH2, DNMT3A, IDH1, IDH2 und SRSF2.

7.6. Knochenmarkuntersuchung

Diagnostisch entscheidend ist der Knochenmarkbefund. Dabei ist die Durchführung einer zytologischen Untersuchung aufgrund einer frustranen Aspiration (Punctio sicca) meist nicht möglich.

Die histologische Untersuchung einer Stanzbiopsie zeigt Cluster von reifungsgestörten Megakaryozyten mit hypolobulierten und hyperchromatischen Zellkernen. Weiterhin kommen Vorstufen der Granulopoese und Erythropoese mit Linksverschiebung und Dysplasien vor.

Das Ausmaß der Knochenmarkfibrose wird in drei Grade eingestuft:

  • I°: Leichte Faservermehrung (leichte, perivaskuläre Vermehrung, v.a. von retikulären Fasern)
  • II°: Deutliche Faservermehrung (dichte und diffuse Vermehrung retikulärer Fasern sowie fokal dickere Kollagenbündel, stellenweise Osteosklerose)
  • III°: Ausgeprägte Faservermehrung (Fibrose), sklerotische Knochenneubildung (Osteosklerose), Einengung der Knochenmarkräume (Osteomyelosklerose)

In der präfibrotischen Phase liegt keine wesentliche Retikulinfaservermehrung vor (≤ I°). In der fibrotischen PMF zeigt sich bereits bei Diagnosestellung eine Markfibrose II° bis III°.

7.7. Diagnosekriterien

Die WHO-Kriterien aus dem Jahr 2016 unterscheiden erstmals zwischen der präfibrotischen (prePMF) und der fibrotischen PMF (overt PMF). Dabei kann die Diagnose jeweils gestellt werden, wenn alle Hauptkriterien und mindestens ein Nebenkriterium zutreffen.[5]

7.7.1. Präfibrotische PMF

Hauptkriterien Nebenkriterien
megakaryozytäre Proliferation und Atypien ohne Retikulinfibrose > I°, Hyperzellularität, granulozytäre Proliferation, häufig reduzierte Erythropoese Anämie
nicht erfüllte WHO-Kriterien für Differenzialdiagnosen (BCR-ABL-positive CML, PV, ET, fibrotische PMF, MDS) tastbare Splenomegalie
JAK2-, MPL- oder CALR-Mutation (oder weitere Passengermutationen bei triple negativen Patienten) oder kein Hinweis auf eine sekundäre Myelofibrose Leukozyten > 11.000/µl
erhöhte LDH

7.7.2. Fibrotische PMF

Hauptkriterien Nebenkriterien
megakaryozytäre Proliferation und Atypien mit Retikulin- und/oder Kollagenfibrose II° bis III° Anämie
nicht erfüllte WHO-Kriterien für Differenzialdiagnosen (BCR-ABL-positive CML, PV, ET, MDS) tastbare Splenomegalie
JAK2-, MPL- oder CALR-Mutation (oder weitere Passengermutationen bei triple negativen Patienten) oder kein Hinweis auf eine sekundäre Myelofibrose Leukozyten > 11.000/µl
erhöhte LDH
leukoerythroblastisches Blutbild

8. Risikostratifizierung

Der Verlauf bei PMF ist sehr heterogen. Zur Abschätzung der Prognose werden Scoring-Systeme wie das IPSS oder das DIPSS Plus verwendet.

8.1. IPSS

Das IPSS gilt nur für den Zeitpunkt der Diagnosestellung. Dabei wird für folgende Risikofaktoren jeweils ein Punkt vergeben:

  • Alter > 65 Jahre
  • B-Symptomatik
  • Anämie (Hb < 10 g/dl)
  • Leukozytose > 25.000/µl
  • Blasten im peripheren Blut ≥ 1 %
Prognosegruppe Punkte mediane Überlebenszeit
Niedrigrisiko 0 > 11 Jahre
Intermediärrisiko 1 1 ca. 8 Jahre
Intermediärrisiko 2 2 ca. 4 Jahre
Hochrisiko ≥ 3 ca. 2 Jahre

8.2. DIPSS Plus

Mit Hilfe des DIPPS Plus kann die Prognose zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung neu evaluiert werden. Der Hb-Abfall wird hierbei mit zwei Punkten gewichtet und unter anderem chromosomale Aberrationen berücksichtigt.[6]

Risikofaktor Punkte
IPSS Niedrigrisiko 0
IPSS Intermediärrisiko 1 1
IPSS Intermediärrisiko 2 2
IPSS Hochrisiko 3
Transfusionsbedarf (Erythrozytenkonzentrate) 1
Thrombozyten < 100.000/µl 1
ungünstiger Karyotyp (komplexer Karyotyp oder Aberrationen wie z.B. +8, Isochromosom 17q) 1
Prognosegruppe Punkte mediane Überlebenszeit
Niedrigrisiko 0 15,4 Jahre
Intermediärrisiko 1 1 - 2 6,5 Jahre
Intermediärrisiko 2 3 - 4 2,9 Jahre
Hochrisiko 5 - 6 1,3 Jahre

Weitere Scores (z.B. MIPSS-70plus) werden aktuell (2019) noch nicht im klinischen Alltag verwendet.[7] Für die sekundären Myelofibrosen existiert ein eigener Risikoscore, der MYSEC-Score.[8]

9. Therapie

9.1. Kurative Therapie

Die einzige kurative Behandlungsmöglichkeit ist eine allogene Stammzelltransplantation (SZT), die jedoch mit einer hohen Morbidität und Mortalität von 20 bis 30 % assoziiert ist. Weiterhin beträgt die Rezidivrate ungefähr 30 % nach 5 Jahren. Die allogene SZT wird erwogen bei ungünstiger Prognose (Intermediärrisiko 2, Hochrisiko), vorausgesetzt der Patient ist transplantationsfähig und nicht älter als ungefähr 70 Jahre.

Zunehmend wird die allogene SZT auch für Patienten mit niedrigerem Risikoscore erwogen. Sie kann sowohl mit einem Familien- als auch mit einem Fremdspender durchgeführt werden. Meist erfolgt vorher eine Konditionierung mit Fludarabin, Busulfan oder Ruxolitinib.

9.2. Ruxolitinib

Der orale Tyrosinkinaseinhibitor Ruxolitinib hemmt die Januskinasen JAK1 und JAK2. Er ist sowohl bei der PMF als auch bei der Post-PV- und Post-ET-Myelofibrose zugelassen. Ruxolitinib verringert die Symptome und die Splenomegalie. Weiterhin konnte ein signifikanter lebensverlängernder Effekt und ein Rückgang der Fibrose gezeigt werden.

Die Dosis orientiert sich an der Thrombozytenzahl und wird im Verlauf nach Wirkung und Nebenwirkung angepasst. Meist sprechen die Patienten innerhalb der ersten 12 Wochen an, jedoch sollten zur definitiven Beurteilung mindestens 6 Monate abgewartet werden. Ein abruptes Absetzen kann zu einem Entzugssyndrom führen.

Häufigsten Nebenwirkungen sind Anämie, Thrombopenie, Pneumonien, Harnwegsinfektionen und das Auftreten eines Herpes Zoster.

9.3. Momelotinib

Momelotinib hemmt ebenfalls die Januskinasen JAK1 und JAK2 und blockiert zusätzlich den Aktivin-A-Rezeptor Typ 1 (ACVR1). Die Zulassung erfolgte zur Behandlung einer Splenomegalie oder Symptomen einer mittelschweren bis schweren Anämie bei Patienten, die an PMF, Post-PV- und Post-ET-Myelofibrose leiden und bisher nicht mit einem Janus-Kinase-Inhibitor oder bereits mit Ruxolitinib behandelt wurden. Momelotinib wurde als Orphan Drug eingestuft.

9.4. Watchful Waiting

Bei Patienten der Niedrigrisiko- oder Intermediärrisiko 1-Gruppe ohne Symptome oder Splenomegalie kann aufgrund der relativ guten Prognose auf eine spezifische Therapie verzichtet werden. Regelmäßige Kontrollen sind jedoch empfohlen (Watchful Waiting)

9.5. Symptomorientierte Therapien

10. Literatur

  • Onkopedia Leitlinie, Stand Dez. 2018, abgerufen am 28.08.2019
  • Schwarz M, Riess H. Primäre Myelofibrose. In: Suttorp N, Möckel M, Siegmund B et al., Hrsg. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016.
  • Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018; S. 444–446

11. Quellen

  1. Tefferi A, Myelofibrosis with Myeloid Metaplasia, N Engl J Med 2000; 342:1255-1265, abgerufen am 28.08.2019
  2. Tefferi A Pathogenesis of myelofibrosis with myeloid metaplasia, J Clin Oncol. 2005 Nov 20;23(33):8520-30, abgerufen am 29.08.2019
  3. The frequency and significance of megakaryocytic emperipolesis in myeloproliferative and reactive states, Ann Hematol. 1992 Jun;64(6):273-6, abgerufen am 29.08.2019
  4. Hultcrantz M, Risk and Cause of Death in Patients Diagnosed With Myeloproliferative Neoplasms in Sweden Between 1973 and 2005: A Population-Based Study, Clin Oncol 33(20):2288-95, 2015, abgerufen am 28.08.2019
  5. Arber DA et al. The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia, Blood 2016 127:2391-2405, abgerufen am 28.08.2019
  6. Gangat N et al. [https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2010.32.2446 DIPSS Plus: A Refined Dynamic International Prognostic Scoring System for Primary Myelofibrosis That Incorporates Prognostic Information From Karyotype, Platelet Count, and Transfusion Status], J Clin Oncol 29:392-97, 2011; abgerufen am 28.08.2019
  7. Tefferi A et al. [https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2018.78.9867 MIPSS70+ Version 2.0: Mutation and Karyotype-Enhanced International Prognostic Scoring System for Primary Myelofibrosis], J Clin Oncol 36(17):1769-70, 2018, abgerufen am 28.08.2019
  8. Grinfeld J et al. Classification and Personalized Prognosis in Myeloproliferative Neoplasms, N Engl J Med 2018; 379:1416-1430, abgerufen am 28.08.2019

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