Myelophthise
von altgriechisch μυελός ("myelos") - Mark, φθίσις ("phthísis") - Verbrauch, Atrophie
Synonym: Sekundäre Myelofibrose
Englisch: myelophthisis, myelophthisic anemia
Definition
Myelophthise beschreibt eine reaktive Veränderung des Knochenmarks infolge einer Verdrängung der hämatopoetischen Stammzellen, insbesondere durch Tumorzellen.
Nomenklatur
Der Begriff Myelophthise wird insbesondere in der angloamerikanischen Literatur verwendet, ist jedoch nicht einheitlich definiert.
In Deutschland gilt die Myelophthise meist nicht als eigenständige Entität. In diesem Sinne ist sie mit einer sekundären Myelofibrose gleichzusetzen. Selten wird die primäre Myelofibrose auch als Ursache einer Myelophthise gezählt. Die aplastische Anämie wird weiterhin als Panmyelophthise bezeichnet.
Ätiologie
Tumorzellen können das Knochenmark infiltrieren, entsprechend kann eine Myelophthise durch folgende Erkrankungen verursacht sein:
- Knochenmarkkarzinose: Mamma-, Bronchial-, Prostatakarzinom oder Neuroblastom
- myeloproliferative Erkrankungen: Polycythaemia vera (Post-PV-Myelofibrose), essentielle Thrombozythämie (Post-ET-Myelofibrose), chronisch myeloische Leukämie
- systemische Mastozytose
- akute Leukämien, insbesondere akute Megakaryoblasten-Leukämie (FAB-Typ M7)
- Lymphome, z.B. Hodgkin-Lymphom, Multiples Myelom, Haarzellleukämie
- myelodysplastisches Syndrom
Weitere Ursachen einer Myelophthise sind:
- Infektionen, z.B. durch Mykobakterien (Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium avium), Pilze, HIV, Leishmanien
- Sarkoidose
- Hyperparathyreoidismus
- Kollagenosen (z.B. systemischer Lupus erythematodes)
- primäre autoimmune Myelofibrose (AIMF)[1]
- pulmonale Hypertonie
- Morbus Gaucher
- Osteopetrose
- Spätfolge einer Strahlentherapie
- Gray-platelet-Syndrom
Pathophysiologie
Die Myelophthise ist charakterisiert durch drei pathophysiologische Mechanismen, die zeitgleich auftreten:
- Fibroblasten proliferieren im Markraum, vermutlich aufgrund einer dysregulierten Synthese von Wachstumsfaktoren (PDGF, TGF-β). Die Folge ist eine Knochenmarkfibrose.
- Aufgrund der Verdrängung der Hämatopoese kommt es zur extramedullären Blutbildung in der Milz, der Leber und in Lymphknoten. Dieser Prozess wird als myeloide Metaplasie bezeichnet. Sie ist bei einer Infiltration des Knochenmarks durch Tumorzellen jedoch verhältnismäßig gering ausgeprägt
- Ineffektive Erythropoese
Symptome
Meist stehen die Symptome der Grunderkrankung im Vordergrund. Die vermehrte Blutbildung in der Milz bedingt eine Splenomegalie, die dann bei starker Ausprägung zu Bauchschmerzen, Sättigungsgefühl und Kachexie führen kann. Weiterhin können Symptome einer Anämie vorliegen, z.B. Blässe, Tachykardie und Belastungsdyspnoe.
Diagnostik
Die Identifikation der zugrundeliegenden Ursache ist entscheidend, insbesondere um behandelbare Grunderkrankungen auszuschließen.
Blutuntersuchung
Die Myelophthise zeigt sich typischerweise mit einer normochromen normozytären Anämie. Charakteristisch ist ein leukoerythroblastisches Blutbild, d.h. das Vorkommen unreifer Erythrozyten-Vorstufen (z.B. Normoblasten) und Leukozyten-Vorstufen (z.B. Myelozyten).
Weitere Auffälligkeiten sind unter anderem:
- Anisozytose
- Dakryozyten und andere Veränderungen der Erythrozytenmorphologie (Poikilozytose)
- Leukozytose
- Thrombopenie oder Thrombozytose mit Riesenthrombozyten
Knochenmarkuntersuchung
Meist ist eine Knochenmarkpunktion notwendig, um die Diagnose zu sichern bzw. Differenzialdiagnosen auszuschließen. Dabei ist die Durchführung einer zytologischen Untersuchung aufgrund einer frustranen Aspiration (Punctio sicca) meist nicht möglich, sodass eine histologische Untersuchung einer Stanzbiopsie erfolgen muss.
Das Ausmaß der Knochenmarkfibrose wird dabei in drei Grade eingestuft:[2]
- I°: Leichte Faservermehrung (leichte, perivaskuläre Vermehrung, v.a. von retikulären Fasern)
- II°: Deutliche Faservermehrung (dichte und diffuse Vermehrung retikulärer Fasern sowie fokal dickere Kollagenbündel, stellenweise Osteosklerose)
- III°: Ausgeprägte Faservermehrung (Fibrose), sklerotische Knochenneubildung (Osteosklerose), Einengung der Knochenmarkräume (Osteomyelosklerose)
Diagnosekriterien
Für die Post-PV- bzw. Post-ET-Myelofibrose existieren Diagnosekriterien: Dabei müssen alle Hauptkriterien und mindestens zwei Nebenkriterien erfüllt sein.[3]
Hauptkriterien | Nebenkriterien |
---|---|
PV bzw. ET in der Vorgeschichte | leukoerythroblastisches Blutbild |
Knochenmarkfibrose II° bis III° | Anämie
|
zunehmende Splenomegalie (Zunahme >5 cm unterhalb des linken Rippenbogens oder neu diagnostizierte palpable Milzvergrößerung) | |
Entwicklung von mindestens zwei B-Symptomen: Gewichtsverlust (> 10 % in 6 Monaten), Nachtschweiß, Fieber unklarer Ursache (> 37,5 °C) | |
bei ET: Erhöhte LDH |
Differenzialdiagnosen
Entscheidend ist die Abgrenzung zur primären Myelofibrose (PMF). Hierbei handelt es sich um eine eigenständige myeloproliferative Erkrankung. Bei einer Post-PV- bzw. Post-ET-Myelofibrose ist eine histologische Differenzierung nur durch vorherige Knochenmarkuntersuchungen möglich.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der zugrundeliegenden Erkrankung. Supportive Therapien wie Bluttransfusionen dienen der Besserung der Beschwerden.
Literatur
- Ashorobi D, Munakomi S Myelophthisic Anemia, StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2019, abgerufen am 29.08.2019
- Schulz C. Anämie bei Myelophthise. In: Suttorp N, Möckel M, Siegmund B et al., Hrsg. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016.
Quellen
- ↑ Pullarkat V et al. Primary autoimmune myelofibrosis: definition of a distinct clinicopathologic syndrome, Am J Hematol. 2003 Jan;72(1):8-12, abgerufen am 29.08.2019
- ↑ Thiele J et al. European consensus on grading bone marrow fibrosis and assessment of cellularity, Haematologica. 2005 Aug;90(8):1128-32, abgerufen am 29.08.2019
- ↑ Arber DA et al. The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia, Blood 2016 127:2391-2405, abgerufen am 28.08.2019
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