Anagrelid
Handelsnamen: Xagrid®, Agrylin®, Thromboreductin®
Synonyme: Anagrelidum, BL-4162A
Englisch: anagrelide
Definition
Anagrelid ist ein Arzneistoff, der die Thrombozytopoese hemmt und zur Behandlung der essentiellen Thrombozythämie eingesetzt wird.
Chemie
Anagrelid ist ein Imidazolidin-Derivat. Seine Summenformel ist C10H7Cl2N3O. Der chemische Name lautet:
- 6,7-Dichlor-3,5-dihydro-1H-imidazo[2,1-b]chinazolin-2-on (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 256,08 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 1,95. Die CAS-Nummer lautet 68475-42-3. Als Arzneistoff wird Anagrelidhydrochlorid-Monohydrat eingesetzt, das bei Raumtemperatur als weißes Pulver vorliegt und in Wasser sehr wenig löslich ist.[1]
Wirkmechanismus
Der genaue molekulare Wirkmechanismus ist bislang (2023) nicht geklärt. In vitro blockiert Anagrelid die Expression von Transkriptionsfaktoren GATA-1 und FOG-1, die für die Megakaryozytopoese erforderlich sind. Im Blut von Probanden, die mit Anagrelid behandelt wurden, wurde eine Verzögerung der postmitotischen Reifung der Megakaryozyten und eine Verringerung ihrer Größe und Ploidie festgestellt.
Darüber hinaus ist Anagrelid ein effektiver Hemmstoff der Phosphodiesterase 3 (PDE3).[1][2]
Pharmakokinetik
Anagrelid wird nach oraler Aufnahme zu 70 % resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach einer Stunde erreicht. Zur Plasmaproteinbindung und zum Verteilungsvolumen liegen keine Angaben vor. Die Biotransformation in der Leber erfolgt über das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP1A2 zu 3-Hydroxyanagrelid und weiter zum inaktiven Metaboliten 2-Amino-5,6-dichloro-3,4-dihydroquinazolin. Die Elimination der Metaboliten erfolgt mit dem Urin. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 1,3 Stunden.[2]
Indikationen
Anagrelid wird verabreicht als Zweitlinientherapie zur Verringerung der erhöhten Thrombozytenzahl bei Risikopatienten mit essentieller Thrombozythämie, die ihre derzeitige Therapie nicht vertragen oder deren erhöhte Thrombozytenzahl durch ihre derzeitige Therapie nicht auf ein akzeptables Maß gesenkt werden kann.[2]
Darreichungsform
Anagrelid steht in Form von Hartkapseln zur oralen Applikation zur Verfügung.
Dosierung
Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 1 mg pro Tag (2 x 0,5 mg); die Dosis kann wöchentlich um 0,5 mg angepasst und bis zu einer Einzeldosis von 2,5 mg gesteigert werden. Während der klinischen Testung wurden bis 10 mg pro Tag verabreicht.
Zielparameter der Dosisanpassung ist eine Thrombozytenzahl von unter 600x109/l (Idealwert zwischen 150x109/l und 400x109/l).[2]
Ein abruptes Absetzen der Behandlung muss aufgrund des Risikos eines plötzlichen Anstiegs der Thrombozytenzahl und potenziell tödlicher thrombotischer Komplikationen wie Hirninfarkten vermieden werden.[3]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen von Anagrelid sind:[2]
- Kopfschmerzen
- Palpitationen, Tachykardie, Schwindel
- Übelkeit, Anorexie, Erbrechen, Bauchschmerzen, Flatulenz, Durchfall
- periphere Ödeme
Bei Patienten jeden Alters mit bekannter Herzerkrankung, aber auch bei Patienten ohne Vorerkrankungen, kann es zu schwerwiegenden kardiovaskulären Nebenwirkungen wie Kardiomyopathie, Kardiomegalie, Herzinsuffizienz und Arrhythmien kommen.[4]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Anagrelid oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
- mittelgradige oder schwere Leberfunktionsstörungen
- Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 50 ml/min)
Klinische Studien
In einer klinischen Studie mit 800 Patienten, die an essentieller Thrombozythämie litten, war Anagrelid einer Vergleichstherapie mit Hydroxycarbamid in einigen Punkten unterlegen. Nach einer Behandlungszeit von 3 Jahren sank zwar die Thrombozytenzahl bei beiden Versuchsgruppen in vergleichbarem Maß, allerdings erlitten 14 % der Patienten aus der Anagrelid-Gruppe eine arterielle oder venöse Thrombose (oder eine Blutung), während es in der Hydroxycarbamid-Gruppe nur 9 % waren. Die Abbruchrate in der Anagrelid-Gruppe war signifikant höher. Eine Transformation in eine Osteomyelofibrose kam unter Anagrelidgabe ebenfalls häufiger vor.[5]
Schwangerschaft und Stillzeit
Frauen im gebärfähigen Alter sollten während der Behandlung mit Anagrelid entsprechende Verhütungsmethoden anwenden. Die Anwendung von Anagrelid während der Schwangerschaft nicht empfohlen.[2]
Tierexperimentell wurde ein Übertritt von Anagrelid in die Muttermilch nachgewiesen. Deshalb soll das Stillen während der Behandlung unterbrochen werden.[2]
Toxizität
Bei einer Überdosierung kann es zum lang anhaltenden Blutdruckabfall (Orthostase) mit begleitender Sinustachykardie kommen.[2]
Zulassung
Das Arzneimittel ist in der EU seit 2004, in den USA seit 1997 zugelassen.
ATC-Code
- ATC L01XX35 - Andere Antineoplastische Mittel
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Full prescribing Information Agrylin, FDA, abgerufen am 28.05.2023
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Xagrid, EMA, abgerufen am 28.05.2023
- ↑ Rote Hand Brief 22.02.2022, Takeda, abgerufen 28.05.2023
- ↑ Rote Hand Brief vom 23.01.2013, Shire Deutschland, abgerufen am 28.05.2023
- ↑ Harrison CN et al. Hydroxyurea Compared with Anagrelide in High-Risk Essential Thrombocythemia. N Engl J Med. 2005
Weblinks
- Drugbank - Anagrelide, abgerufen am 28.05.2023
- PubChem: 135409400
- MeSH: 67021139