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Morbus Still des Erwachsenen

Synonyme: Still-Syndrom des Erwachsenen, adultes Still-Syndrom, adulter Morbus Still
Englisch: Adult-onset Still's Disease, AoSD, adult Still disease

1. Definition

Der Morbus Still des Erwachsenen, kurz AoSD, ist eine sehr seltene autoinflammatorische Erkrankung. Bei Kinder und Jugendlichen spricht man von einer systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis (Still-Syndrom).

2. Epidemiologie

Die AoSD ist eine sehr seltene, weltweit vorkommende Krankheit. Bisher (2022) gibt es keine genauen epidemiologischen Daten. Schätzungen zufolge liegt die Inzidenz der Erkrankung zwischen 0,16 - 0,4 Fällen pro 100.000 Personen. In der europäischen Bevölkerung reichen die Prävalenzraten von 1-34 pro 1 Millionen Einwohner. Allerdings dürfte die Dunkelziffer aufgrund der schwierigen Diagnosestellung weitaus höher sein.

In rheumatologischen Fallserien sind Frauen mit 70 % häufiger betroffen, wohingegen in internistischem Patientenkollektiv Männer und Frauen etwa gleich häufig vorkommen.

Es gibt 2 Altersgipfel für das Auftreten dieser Erkrankung: zwischen dem 15. und dem 26. Lebensjahr, sowie zwischen dem 36. und dem 46. Lebensjahr. Das zweite Trimester der Schwangerschaft und die Wochenbettperiode erhöhen das Risiko eines Wiederauftretens der Erkrankung.

3. Ätiopathogenese

Die genaue Ursache der AoSD ist derzeit (2022) unklar. Man geht von einer genetischen Prädisposition aus, die - getriggert durch Umweltreize - zur Entwicklung einer Entzündungsreaktion führt.

3.1. Genetische Faktoren

In einigen Studien konnten unterschiedliche Assoziationen zwischen AoSD bzw. bestimmten Verlaufsformen und einigen HLA-Antigenen (z.B. HLA-Bw35, HLA-B17, HLA-DR2, HLA-DRB1) festgestellt werden. Weiterhin scheinen Polymorphismen im IL-18- oder MIF-Gen zur erhöhten Krankheitsanfälligkeit beitragen.

3.2. Umweltfaktoren

Bei Vorliegen einer genetischen Prädisposition scheinen infektiöse Auslöser (z.B. Röteln, Masern, EBV, Parvovirus B19, Yersinia enterocolitica) eine Immunreaktion zu triggern, wobei bisher kein eindeutiger Zusammenhang zu pathogenen Antigenen nachgewiesen werden konnte.

Darüberhinaus können vermutlich Malignome (z.B. Mamma-, Bronchialkarzinom, maligne Lymphome) ein AoSD triggern.

3.3. Pathophysiologie

Die AoSD ist gekennzeichnet durch eine Aktivierung von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen. Man geht davon aus, das Pathogen-assoziierte molekulare Muster (PAMPs) zur Aktivierung eines dysregulierten NLRP3-Inflammasoms führen, das eine Aktivierung und Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen (v.a. IL-1β und IL-18) sowie eine TH1-Reaktion auslöst. Gleichzeitig induzieren dendritische Zellen bei Aktivierung des TLR-7 eine TH17-Reaktion mit Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten.

IL-1β induziert dann auf autokrinem Weg seine eigene Synthese durch den IL-1R. IL-6 führt zur Akuten-Phase-Reaktion und Freisetzung von Ferritin. IL-18 löst eine durch NK-Zellen vermittelte Produktion von IFN-γ aus, die wiederum die Aktivierung von Makrophagen stimuliert.

Bei einer AoSD sind die NK-Zellen dysreguliert und ihre zytotoxische Funktion vermindert. In einigen Fällen entsteht eine reaktive hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH).

Die AoSD zeigt Ähnlichkeiten z.B. zum familiären Mittelmeerfieber und zum CAPS oder TRAPS. Eine Überaktivität und Dysregulation des unspezifischen Immunsystems steht im Vordergrund. Es fehlen z.B. Autoantikörper oder Autoantigen-spezifische T-Zellen. Das AoSD wird daher als multigene bzw. komplexe autoinflammatorische Erkrankung kategorisiert und stellt eine Schnittstelle zwischen Autoinflammation und Autoimmunerkrankung dar.

4. Klinik

Der Morbus Still des Erwachsenen zeichnet sich durch eine unspezifische Symptomatik aus. Zu den typischen Manifestationen zählen:

Interstitielle Lungeninfiltrate und Dyspnoe können vorkommen, eine pulmonale Hypertonie ist selten. Weiterhin kann es in bis zu 15 % d.F. zu einer HLH kommen. Weitere Komplikationen beschränkten sich weitestgehend auf Einzelfälle:

4.1. Verlaufsformen

AoSD hat bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedliche Verlaufsformen, daher können keine konkreten Prognosen des Krankheitsverlaufs gemacht werden. Jedoch sind 3 Verlaufsformen typisch für AoSD:

  • monozyklischer Verlauf (30 %): systemische, selbstlimitierte, einmalige Episode, die innerhalb von (meist neun) Monaten abklingt. Die meisten Patienten werden innerhalb eines Jahres asymptomatisch.
  • polyzyklischer (intermittierender) Verlauf (30 %): mehrere Schübe mit systemischen oder auf Gelenke beschränkte Symptome. Dazwischen Remissionen von einigen Wochen bis zu einigen Jahren. Meist nimmt der Schweregrad der Schübe zunehmend ab.
  • chronischer Verlauf (40 %): anhaltend aktive Erkrankung, die i.d.R. mit einer chronischen Gelenkdestruktion assoziiert ist.

Einige Autoren empfehlen eine Einteilung in lediglich zwei Formen, die auch von therapeutischer Relevanz ist:

  • systemische Verlaufsform
  • chronische artikuläre Form

5. Diagnostik

Der Morbus Still des Erwachsenen gilt aufgrund der unspezifischen Symptome und der komplizierten Diagnostik als Ausschlussdiagnose.

5.1. Labor

Im Labor fallen folgende unspezifische Veränderungen auf:

5.2. Pathohistologie

Pathohistologische Untersuchungen können bei der Erstdiagnostik hilfreich sein. Eine unspezifische interstitielle Entzündung ist der häufigste Befund bei Untersuchung des Myokards, der Lunge, der Leber und des Gastrointestinaltrakts. Als fulminante Komplikation ist eine hepatische Nekrose möglich.

Eine Knochenmarkpunktion kann ein Lymphom ausschließen oder eine Hämophagozytose bestätigen. Am häufigsten zeigt sich eine unspezifische bzw. reaktive granulozytäre Hyperplasie bzw. Hyperzellularität.

5.3. Bildgebung

Röntgenaufnahmen sind bei der Diagnosestellung des AoSD i.d.R. wenig hilfreich und zeigen nur unspezifische Befunde:

Eine Computertomographie (CT) kann eine Lymphadenopathie, eine Hepatosplenomegalie sowie seröse Ergüsse zeigen und Neoplasien ausschließen.

Bei Fieber unklarer Genese kann weiterhin ein PET-CT durchgeführt werden.

5.4. Diagnosekriterien

Zur Diagnosestellung können die Kriterien nach Yamaguchi und/oder Fautrel verwendet werden.

Yamaguchi-Kriterien
Hauptkriterien Nebenkriterien Ausschlusskriterien
Fieber > 39 °C für mind. 1 Woche Halsschmerzen Infektion
Arthralgie oder Arthritis für mind. 2 Wochen neu aufgetretene Lymphadenopathie  Malignom
typisches Exanthem Hepatomegalie oder Splenomegalie andere rheumatische Erkrankung (z.B. Vaskulitis)
Leukozytose > 10.000/mm3 mit > 80 % Neutrophile abnorme Leberfunktionstests
Fehlen von ANA oder Rheumafaktoren
mind. 5 Kriterien sind gefordert, davon mindestens 2 Hauptkriterien
Fautrel-Kriterien
Hauptkriterien Nebenkriterien
Fieber > 39 °C makulopapulöses Exanthem
Arthralgie Leukozytose > 10.000/mm3
transientes Erythem
Pharyngitis
neutrophile Granulozyten > 80 %
glykosyliertes Ferritin < 20 %
mind. 4 Hauptkriterien oder 3 Haupt- und 2 Nebenkriterien sind gefordert

6. Differenzialdiagnosen

Als mögliche klinische Differentialdiagnosen kommen in Frage:

Radiologisch ist ein Morbus Still insbesondere von folgenden Erkrankungen zu unterscheiden:

  • Psoriasisarthritis: ebenfalls Ankylose und Interphalangealgelenke häufiger als MCP betroffen. Periostitis kommt bei AoSD nicht vor.
  • chronische reaktive Arthritis: Fuß- und Sprunggelenke häufiger betroffen.
  • enteropathische Arthritis: häufiger axiale und proximale Gelenke betroffen

7. Therapie

AoSD kann aktuell (2022) nicht geheilt werden und wird entsprechend symptomatisch therapiert. Sie umfasst:

8. Prognose

Durch frühzeitige Diagnose und entsprechende Therapie können oben genannte Komplikationen verhindert und somit die weitere Prognose sowie die Lebensqualität der Erkrankten deutlich verbessert werden. Insgesamt scheint die AoSD eine relativ gutartige Erkrankung darzustellen, wobei die meisten Todesfälle auf Nebenwirkungen der Langzeitbehandlung zurückzuführen sind.

Eine Polyarthritis sowie Gelenkerosionen zu Beginn der Erkrankung weisen auf ein chronisches Fortschreiten und eine schlechte Prognose hin. Umgekehrt korreliert initial hohes Fieber mit einer monozyklischen Verlaufsform. Lymphadenopathie und Splenomegalie treten bei einer AOSD mit HLH häufiger auf. Splenomegalie weist außerdem auf einen steroidrefraktären Verlauf hin.

Weiterhin sind folgende Faktoren mit einer schlechten Prognose assoziiert:

  • hohe Leukozytose
  • Thrombozytopenie zu Beginn der Erkrankung
  • hohe Serumferritinspiegel
  • hohe ESR und CRP

9. Leitlinie

10. Literatur

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