Reaktive Arthritis
Synonyme: Postinfektiöse Arthritis, chronische reaktive Arthritis
Englisch: reactive arthritis, chronic reactive arthritis, CRA
Definition
Als reaktive Arthritis, kurz ReA, bezeichnet man eine akute Entzündung eines oder mehrerer Gelenke, die vermutlich als immunologische Kreuzreaktion infolge einer bakteriellen Infektion eines anderen Organsystems (Urogenitaltrakt, Gastrointestinaltrakt) auftritt.
siehe auch: seronegative Spondylarthritis
Nomenklatur
Das Vollbild der reaktiven Arthritis wurde historisch als "Morbus Reiter" oder "Reiter-Syndrom" bezeichnet. Der namensgebende Arzt Hans Reiter hat während der NS-Zeit nationalsozialistische Ideologien wie die Rassenhygiene und die Euthanasie von körperlich und geistig behinderten Menschen unterstützt. Daher empfehlen internationale rheumatologische Fachgesellschaften stattdessen die Bezeichnung "urethro-okulo-synoviales Syndrom" bzw. ausschließlich den Oberbegriff "reaktive Arthritis" zu verwenden.
Epidemiologie
Ätiologie
Das Auftreten einer reaktiven Arthritis wird durch eine genetische Prädisposition begünstigt. In der kaukasischen Bevölkerung sind ca. 60 bis 80 % aller Betroffenen HLA-B27-positiv.
Der reaktiven Arthritis geht meist ein auslösender bakterieller Infekt voraus, der jedoch subklinisch verlaufen kann und daher häufig vom Patienten nicht bemerkt wird. Oft handelt es sich dabei um eine Urethritis, Zervizitis oder eine Enteritis. Erreger sind u.a.:
- bei Enteritis: z.B. Shigellen, Yersinien, Salmonellen, Campylobacter jejuni
- bei Urethritis: Chlamydia trachomatis (Serovar D-K), Mykoplasmen, Ureaplasma urealyticum, Gonokokken
Entsprechend differenziert man:
- postenteritische reaktive Arthritis
- posturethritische reaktive Arthritis
Wird die posturethritische reaktive Arthritis sexuell übertragen, spricht man auch von einer "sexually acquired reactive arthritis", kurz SARA. Die reaktive Arthritis ist indirekt mit einer HIV-Infektion assoziiert.
Pathogenese
Die Pathogenese der reaktiven Arthritis ist zur Zeit (2022) noch nicht eindeutig geklärt. Das HLA-B27-Antigenmerkmal spielt möglicherweise eine pathogenetische Rolle, da es sich mit den auslösenden Bakterien bestimmte Oberflächenantigene teilt (molekulare Mimikry). Hierdurch kann für Bakterienbestandteile eine Immuntoleranz entstehen bzw. es zu einer autoimmunologischen Kreuzreaktion kommen. Chlamydien können beispielsweise postinfektiös intrazellulär als inaktive Erreger persistieren, die dann bei genetischer Prädisposition die reaktive Arthritis auslösen.
Bei der reaktiven Arthritis handelt es sich um eine aseptische Arthritis, d.h. die bakteriellen Erreger lassen sich nicht aus der Synovialis oder Synovia anzüchten.
Symptome
Etwa 1 bis 6 Wochen nach dem Infekt treten die ersten Symptome der reaktiven Arthritis auf. Patienten klagen meist über Allgemeinsymptome wie Fieber und Gewichtsverlust.
Arthritis
Es zeigt sich eine i.d.R. asymmetrische, z.T. wandernde Oligo- oder Polyarthritis, die am häufigsten folgende Lokalisationen betrifft:
- Fuß: Sprunggelenk, Rückfuß, Mittelfuß, Vorfuß
- Kniegelenk
- Brust-, Lendenwirbelsäule, Iliosakralgelenk (ISG)
- seltener: Hand- und Fingergelenke, Halswirbelsäule, Hüftgelenk
Die Arthritis führt zu folgenden Beschwerden:
- Knieschmerzen (68 %)
- Fersenschmerzen (61 %): radiologisch sichtbare Veränderungen am Calcaneus nur in 16 % d.F.
- Schmerzen am Sprunggelenk (49 %)
- Schmerzen im Bereich der Zehengelenke (64 %) und Fingergelenke (42 %), Wurstfinger (52 %)
- Rückenschmerzen (61 %): Veränderungen im Röntgenbild (Sakroiliitis, Spondylitis) nur in 20 %
Hautveränderungen
Zum Teil treten charakteristische Hautveränderungen (früher als "Reiter-Dermatose" bezeichnet) auf:
- Keratoderma blennorrhagicum: hyperkeratotisches, papulopustulöses Exanthem, insbesondere an Fußsohlen und Handflächen, die der Psoriasis pustulosa ähneln. Im Verlauf schuppendes Erythem mit Konfluenz der Pusteln
- Balanitis circinata: scharf begrenzte, polyzyklische, scheibenförmige Erytheme an der Glans penis und am Präputium
- erythematosquamöse Herde an anderen Körperarealen, die der Psoriasis vulgaris ähneln
- aphthöse Läsionen im Mundraum
- Nagelveränderungen: subunguale Keratose, Onycholyse und Onychodystrophie
Weitere Symptome
Weitere extraartikuläre Symptome sind:
- Konjunktivitis (33 %)
- Iritis
- Aortitis (1–2 %)
- Amyloidose (selten)
Symptomkomplexe
Das klassische Vollbild ist durch die Trias bestehend aus Arthritis, Urethritis und Konjunktivitis bzw. Iritis gekennzeichnet (früher als "Reiter-Trias" bezeichnet). Treten zusätzlich die charakteristischen Hautveränderungen auf, wurde dieser Symptomkomplex "Reiter-Tetrade" genannt. Derart starke Ausprägung findet sich bei weniger als 33 % der Patienten.
Die Termini Reiter-Syndrom, Reiter-Trias usw. sollten, wie bereits zuvor erläutert, aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit von Hans Reiter nicht mehr verwendet werden.
Diagnostik
Bei anamnestischen oder persistierenden Symptomen sollte generell bei jeder undifferenzierten Arthritis ein direkter Erregernachweis angestrebt werden. Da bei der reaktiven Arthritis eine zeitliche Latenz zwischen der Primärinfektion und dem Auftreten der Symptome liegt, ist der direkte Erregernachweis häufig nicht mehr möglich. In diesem Falle wird ein indirekter serologischer Nachweis von Erregerantikörpern durchgeführt.
Zur Diagnosestellung führt schließlich die Kombination aus typischer Anamnese (vorausgegangener enteritischer oder urethritischer Infekt), charakteristischer Klinik, passenden Laborbefunden (HLA-B27, Infektnachweis, mäßig bis deutlich erhöhte unspezifische Entzündungsparameter) und Zeichen in der Bildgebung.
Labormedizin
Da reaktive Arthritiden meist mit einer Latenzzeit zum auslösenden Infekt auftreten, ist der Erregerdirektnachweis nur in Einzelfällen erfolgreich und sinnvoll, daher sollte primär eine serologische Abklärung stattfinden.
Für den direkten Erregernachweis werden eine Stuhlprobe, ein Urethraabstrich oder Punktate benötigt. Für die serologische Diagnostik braucht man 4 ml Serum.
Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die serologische Diagnostik bei reaktiver Arthritis:
Klinik | Diagnostik | |
---|---|---|
Postinfektiöse (reaktive) Arthritis | nach Enteritis | |
nach Urogenital-Infektion | ||
nach Zeckenbiss |
| |
Viren |
Bildgebung
Initial wird eine Röntgenuntersuchung der betroffenen Gelenke durchgeführt. Frühzeichen können in der Magnetresonanztomographie (MRT) entdeckt werden. Entscheidende diagnostische Hinweise sind:
- Calcaneus: Erosionen und Enthesitis am Tuber calcanei
- Zehen und seltener Finger: Wurstfinger, Periostitis
- Achsenskelett: bilaterale, häufig asymmetrische Sakroiliitis und klobige, asymmetrische paravertebrale Ossifikationen (Parasyndesmophyten)
siehe Hauptartikel: reaktive Arthritis (Radiologie)
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch sollten andere Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (z.B. eine rheumatoide Arthritis) ausgeschlossen werden.
Radiologisch zeigt die reaktive Arthritis eine große Ähnlichkeit zur Psoriasisarthritis. Weitere Differenzialdiagnosen sind neben der rheumatoiden Arthritis die Spondylitis ankylosans und die enteropathische Arthritis.
Therapie
Die Behandlung der reaktiven Arthritis richtet sich nach dem Grad der Ausprägung und dem Verlauf. Sind die auslösenden Erreger noch nachweisbar, sollte primär eine erregergerechte Infektsanierung erfolgen, ggf. mit Partnersanierung. Bei florider Infektion besteht diese aus einer Antibiotikatherapie.
Ansonsten ist die Therapie der reaktiven Arthritis rein symptomatisch. Sie umfasst u.a.:
- Physiotherapie
- Physikalische Therapie (z.B. Kryotherapie)
- NSAR
- bei hochakutem Verlauf oder Iridozyklitis: intraartikuläre oder passagere systemische Gabe von Glukokortikoiden
- bei prolongiertem Verlauf und Übergang in eine chronische Spondylarthritis: Sulfasalazin oder Methotrexat
- TNF-Hemmer nur in Einzelfällen
Prognose
Die Mehrzahl aller Fälle (etwa 80 %) heilt nach 12 Monaten aus. Patienten mit wenigen Symptomen zeigen günstigere Verläufe als Patienten, die das Vollbild aufweisen.
Merkspruch
Die klassische symptomatische Trias der reaktiven Arthritis (bestehend aus: Konjunktivitis, Urethritis und Arthritis) lässt sich durch den folgenden Merkspruch besser verinnerlichen:
Can’t see, can’t pee, can’t climb a tree |
Literatur
- Laborlexikon.de, aufgerufen am 04.02.2021
- Gerd Herold: Innere Medizin (2020), S. 671
- Labor-Karlsruhe: Erregerdiagnostik infektiös bedingter Arthritiden
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