(Weitergeleitet von Arthritis urica)
Synonym: Arthritis urica
Englisch: gout
Die Gicht ist die klinische Manifestation einer Hyperurikämie mit Uratausfällung in den Gelenken und anderen Geweben.
Eine Hyperurikämie ist definiert ab einem Serum-Harnsäurewert von über 6,5 mg/dl (390 µmol/L). Der Grenzwert entspricht der Löslichkeitsgrenze für Urat unter Standardbedingungen (Temperatur 37 °C, pH 7,4).[1] Für verschiedene Populationen existieren jedoch weitere labormedizinische Referenzbereiche.
Die Gicht ist neben dem Diabetes mellitus eine der häufigsten Stoffwechselkrankheiten in Industrieländern. Die Prävalenz beträgt ca. 1-2 % und nimmt mit dem Alter zu. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Männer sind etwa 10 mal häufiger betroffen, da bei Frauen Östrogene die renale Harnsäureausscheidung fördern.
Die Prävalenz der Hyperurikämie beträgt 15-25 % und ist abhängig von der Ernährung (z.B. purinreiche Ernährung, Alkoholkonsum).
Harnsäure entsteht als Abbauprodukt von Purinen und wird zu 80 % renal ausgeschieden. Purine werden über die Nahrung aufgenommen und entstehen beim Abbau von körpereigenen Zellen.
Nach der Ätiologie der zugrundeliegenden Hyperurikämie unterscheidet man zwischen der primären und der sekundären Gicht.
Die primäre Gicht tritt bei primärer Hyperurikämie auf. Diese genetisch determinierte Form findet sich in ca. 90 % der Patienten. Dabei liegt fast immer eine Störung der tubulären Harnsäureausscheidung vor. Aggravierende Faktoren sind dann zusätzlich purinreiche und calciumarme Ernährung sowie vermehrter Konsum von Alkohol und fruktosehaltigen Getränken. Meist ist die primäre Gicht verbunden mit einem metabolischen Syndrom.
Lediglich 1 % der Patienten mit primärer Hyperurikämie weisen eine vermehrte Harnsäuresynthese auf. Ursächlich sind z.B.:
Die sekundäre Gicht entsteht in Folge einer sekundären Hyperurikämie. Ursachen sind u.a.:
In einigen Fällen liegt auch vermehrte Harnsäurebildung bei gleichzeitig verminderter Harnsäureausscheidung vor, z.B. bei der Glykogenspeicherkrankheit Typ I.
Übersteigt die Serumkonzentration der Harnsäure die Löslichkeitsgrenze, fallen die Salze der Harnsäure (Urate) aus. Sie werden von Granulozyten unter Bildung von Laktat phagozytiert. Bei der anschließenden Apoptose der Immunzellen werden außerdem lysosomale Entzündungsmediatoren freigesetzt. Diese Prozesse führen zu einer Azidose in dem betroffenen Gewebe. Dadurch wird die Löslichkeitsgrenze von Harnsäure weiter herabgesetzt und Uratkristalle fallen vermehrt aus.
Für einen Gichtanfall genügt jedoch auch ein plötzlicher Anstieg der Harnsäurekonzentration, sodass nicht zwingend eine Hyperurikämie vorliegen muss. Des Weiteren kann auch ein schneller Abfall der Serumharnsäure aufgrund des Konzentrationsgefälles zwischen Serum und Gewebe einen akuten Gichtanfall auslösen.
Typische Trigger eines akuten Gichtanfalls sind:
Schreiten die Uratkristallablagerungen in tiefere Knorpelschichten und in das Knochengewebe fort, spricht man von einer chronischen Gicht. Hierbei finden sich Epitheloidzellen, mehrkernige Riesenzellen und Fremdkörpergranulome (Gichttophi).
Klinisch werden 4 Stadien der Gicht unterschieden:
In diesem Stadium wird eine krankhaft erhöhte Harnsäurekonzentration zufällig im Rahmen einer Laboruntersuchung auffällig.
Der akute Gichtanfall (Arthritis urica) entsteht durch Ausfällung von Uratkristallen in den Gelenkinnenraum. Dadurch kommt es zur Ergussbildung sowie zu lokalen und ggf. systemischen Entzündungszeichen. Häufig befallen sind die peripheren, kleinen Gelenke, da dort die Temperatur des Gewebes niedriger ist und Harnsäure somit leichter ausfällt:
Der Gichtanfall tritt typischerweise nachts auf, ist sehr schmerzhaft und klingt nach wenigen Tagen ab.
Als interkritische Phase wird das Intervall zwischen zwei akuten Gichtanfällen bezeichnet. Es verläuft in der Regel ohne Symptome. Die pathologischen Veränderungen an den Gelenken schreiten jedoch ungehindert fort.
Bei längerem Bestehen und ohne adäquate Therapie entsteht eine chronische Gicht. Heutzutage handelt es sich jedoch um ein seltenes Krankheitsbild. Folgende Manifestationen können dabei beobachtet werden:
Komplikationen der Gicht betreffen insbesondere die Niere. Dabei unterscheidet man zwischen:
Die Gicht wird durch eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung des Patienten diagnostiziert. Der Verdacht auf eine Gicht ergibt sich insbesondere bei Vorliegen folgender Faktoren:
Anschließend muss eine Nierenfunktionsstörung, ein metabolisches Syndrom sowie eine Tumorerkrankung z.B. durch Bestimmung von Serumkreatinin und Nüchternblutzucker sowie durch Anfertigung eines Differentialblutbildes ausgeschlossen werden.
In unklaren Fällen kann eine eine Gelenkpunktion mit Synovialanalyse erfolgen, jedoch handelt es sich nicht um eine Routinediagnostik. Neben einer Leukozytose zeigen sich in der Polarisationsmikroskopie negativ doppelbrechende Natriumuratkristalle.
Wenn eine Gelenkpunktion nicht möglich ist oder der Verdacht auf eine chronische Gicht besteht, sind bildgebende Verfahren möglich:
Weiterhin spricht ein Therapieansprechen auf Colchicin für eine Gicht. Diese diagnostische Maßnahme ist jedoch i.d.R. nicht notwendig.
Bei einer Gicht sollten grundsätzlich Maßnahmen zur Reduktion einer Hyperurikämie getroffen werden. Dazu zählen:
Eine medikamentöse Harnsäuresenkung ist indiziert, wenn einer der folgenden Faktoren vorliegt:
Ziele der medikamentösen Therapie sind:
Dabei werden folgende Substanzen eingesetzt:
Kann keine ausreichende Senkung der Harnsäurewerte erreicht werden, können Urikostatika und Urikosurika auch kombiniert werden. Bei gleichzeitig bestehender Hypertonie sollte Losartan, bei Hyperlipidämie vorzugsweise Fenofibrat eingesetzt werden
In den ersten Wochen nach Therapiebeginn mit Urikostatika oder Urikosurika besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Gichtanfällen. Daher ist nach einem Gichtanfall zwingend eine begleitende Anfallsprophylaxe notwendig. Dazu gehört:
Bei Urikosurika sind außerdem prophylaktische Maßnahmen indiziert, um das Risiko einer Urolithiasis zu reduzieren. Dazu zählen:
Bei einem akuten Gichtanfall werden NSAR und/oder Glukokortikoide verabreicht. Die Therapie wird bis einige Tage nach Abklingen der Symptomatik fortgesetzt. Bei fehlendem Ansprechen oder Kontraindikationen kommt Colchicin in Frage.
Bei mehr als drei Gichtanfällen pro Jahr oder fehlender Wirksamkeit der genannten Wirkstoffe kann der Interleukin-1β-Antikörper Canakinumab erwogen werden.
Obwohl Kälte ein Risikofaktor für das Ausfällen von Uratkristallen ist, eignet sich die lokale Kryotherapie in der Akutphase zur Schmerzlinderung.
Bereits während des akuten Gichtanfalls kann eine harnsäuresenkende Therapie begonnen werden.
Bei häufigen akuten Gichtanfällen, chronischer Gicht (incl. Gichtarthropathie und chronischer Niereninsuffizienz) sollte der Harnsäurewert auf < 5 mg/dl gesenkt werden. In einigen Fällen ist es notwendig, das Urikolytikum Pegloticase über internationale Apotheken zu erwerben. Dabei sind jedoch potentiell schwere Nebenwirkungen zu berücksichtigen.
Durch Verhaltensmaßnahmen (z.B. Essgewohnheiten) kann eine Hyperurikämie und eine damit einhergehende Gicht vermieden werden. In besonderen Situationen, z.B. bei geplanter Chemotherapie, kann neben Urikostatika und Urikosurika auch das Urikolytikum Rasburicase zur Hyperurikämie-Prophylaxe eingesetzt werden.
Fachgebiete: Allgemeinmedizin, Endokrinologie u. Diabetologie, Innere Medizin
Diese Seite wurde zuletzt am 9. Juni 2020 um 22:23 Uhr bearbeitet.
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