Hyperlipoproteinämie
Synonym: Hyperlipidämie
Englisch: hyperlipidemia
Definition
Eine Hyperlipoproteinämie, kurz HLP, ist eine Fettstoffwechselstörung, bei der bestimmte Lipoproteine und die von ihnen transportierten Lipide (Cholesterin, Triglyzeride) im Blut erhöht sind. Eine Hyperlipoproteinämie ist zunächst ein labormedizinisches Symptom, keine Diagnose.
siehe auch: Fettstoffwechselstörung
Nomenklatur
Die Begriffe "Hyperlipoproteinämie" und "Hyperlipidämie" werden in der klinischen Alltagssprache weitgehend synonym verwendet, da es durch die obligate Kopplung von Fetten an Lipoproteine im Blut keine Hyperlipidämien gibt, die nicht gleichzeitig auch Hyperlipoproteinämien sind. Der Begriff Hyperlipidämie fokussiert jedoch die Blutfette im engeren Sinn, der Begriff Hyperlipoproteinämie den Verbund aus Blutfetten und Apolipoproteinen.
Hintergrund
Hyperlipoproteinämien sind insbesondere in der westlichen Welt von großer Relevanz. Die Hypercholesterinämie bzw. die Erhöhung von LDL-Cholesterin ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Atherosklerose mit entsprechenden Komplikationen (z.B. KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall). Über 50 % der Bevölkerung in der westlichen Welt, die älter als 40 Jahre sind, haben erhöhte Cholesterinwerte.
Eine ausgeprägte Hypertriglyzeridämie kann außerdem zu einer akuten Pankreatitis führen.
Formen
Hypertriglyzeridämie
Bei hauptsächlich erhöhten Triglyzeriden bezeichnet man eine Hyperlipoproteinämie auch als Hypertriglyzeridämie. Der Referenzbereich für Triglyzeride im Blut liegt bei < 150 bis 200 mg/dl. Einige Stunden nach der Nahrungsaufnahme kann dieser Wert überschritten werden, was jedoch physiologisch ist und von der Nahrung und den Essgewohnheiten der Person abhängt. Erst wenn der Wert beim nüchternen Patienten über dem Normwert liegt, spricht man von einer Hypertriglyzeridämie.
Hypercholesterinämie
Eine Erhöhung des Gesamtcholesterins im Blut wird als Hypercholesterinämie bezeichnet. Auch hier ist der Wert nach der Nahrungsaufnahme physiologisch erhöht, wobei kurzfristige Schwankungen geringer ausfallen. Der Referenzbereich des Gesamtcholesterins liegt bei < 200 bis 225 mg/dl. Bereits ab einem Wert von 200 mg/dl kann ein erhöhtes Atheroskleroserisiko bestehen.
Kombinierte Hyperlipidämie
Bei einer kombinierten Hyperlipidämie sind die Triglyzerid- und Cholesterinwerte im Blut erhöht. Auch hier gelten die oben genannten Referenzbereiche.
Ursachen
Primäre Hyperlipoproteinämien
Primäre Hyperlipoproteinämien werden durch genetische Defekte hervorgerufen, welche die Apolipoproteine, ihre Rezeptoren oder andere in ihren Stoffwechsel eingebundene Proteine betreffen. Sie führen zu einer verminderten Synthese oder gestörten Funktion des betreffenden Proteins. Primäre Hyperlipoproteinämien werden mit unterschiedlichen Mustern vererbt, selten können sie auch durch Spontanmutationen entstehen.
Die Manifestation einer primären, vererbten Stoffwechselstörung kann zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden, manchmal sogar erst nach einigen Jahrzehnten. Der Erbgang ist ebenso zu beachten, auch bei der Familienplanung betroffener Patienten. Die Schwere der Symptomatik ist davon abhängig, ob ein heterozygoter, homozygoter oder polygener Defekt vorliegt.
Je nach erhöhter Lipoproteinfraktion werden die primären Hyperlipoproteinen traditionell nach Fredrickson in 5 Typen eingeteilt:
- HLP Typ 1: familiäre Hyperchylomikronämie
- HLP Typ 2: familiäre Hypercholesterinämie, familiäre kombinierte Hyperlipidämie
- HLP Typ 3: familiäre Dysbetalipoproteinämie
- HLP Typ 4: familiäre Hypertriglyzeridämie
- HLP Typ 5: Kombinierte Hyperlipidämie
Die Fredrickson-Klassifikation wird jedoch zunehmend durch die Einteilung nach molekulargenetischen Gesichtspunkten ersetzt. Zu den wichtigsten primären Hyperlipoproteinämien gehören:
- Familiäre kombinierte Hyperlipoproteinämie (Prävalenz ca. 1/100)
- Familiäre Hypertriglyzeridämie (Prävalenz ca 1 bis 2/100)
- Familiäre Hypercholesterinämie (Prävalenz bis zu 1/250 bis 1/500)
- Lipodystrophie
- Familiäre Hyperchylomikronämie
- ApoA-V-Mangel
- GPIHBP1-Mangel
- Sitosterolämie
- Cholesterinester-Speicherkrankheit
- Familiäre Dysbetalipoproteinämie
- Hepatische-Lipase-Mangel
Sekundäre Hyperlipoproteinämien
Sekundäre Hyperlipoproteinämien sind lediglich die Folge einer anderen Erkrankung. Die häufigsten Auslöser dafür sind:
- Kohlenhydratreiche Nahrung: Kohlenhydrate werden in der Leber zu Fettsäuren umgewandelt, die dann zu Triglyzeriden verestert und als Bestandteil von VLDL sezerniert werden.
- Alkohol: hemmt die hepatische Sekretion von Fettsäuren, sodass die Triglyzeridsynthese und VLDL-Sekretion verstärkt wird; außerdem führt es zu einem moderaten Anstieg der HDL-Spiegel
- Metabolisches Syndrom: Aus dem Fettgewebe werden vermehrt freie Fettsäuren zur Leber transportiert, wo sie zu Triglyzeriden verestert werden, die mit VLDL sezerniert werden. Außerdem erhöht die Hyperinsulinämie die Fettsäuresynthese in der Leber und die Insulinresistenz reduziert die Aktivität der Lipoproteinlipase (LPL), sodass es zur Hypertriglyzeridämie kommt. Die Folgen sind somit erhöhte Plasmaspiegel der Triglyzeride, Reduktion von HDL-Cholesterin und ein variabler Plasmaspiegel von LDL-Cholesterin (jedoch erhöhte Konzentration von small-dense-LDL).
- Nephrotisches Syndrom: vermutlich führt die Hypalbuminämie zu einer vermehrten hepatischen Proteinsynthese und zur exzessiven VLDL-Produktion
- Cushing-Syndrom: endogener oder exogener Glukokortikoidexzess führt zu erhöhter VLDL-Bildung und Hypertriglyzeridämie, meist mit niedrigem HDL-Cholesterin und z.T. mit leichten Erhöhungen des LDL-Plasmaspiegels.
- Hypothyreose: reduziert die hepatische LDL-Rezeptoraktivität und verzögert die LDL-Clearance. Folge ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin, außerdem sind erhöhte Spiegel von IDL und z.T. eine mäßiggradige Hypertriglyzeridämie möglich
- Chronische Niereninsuffizienz: häufig mit einer leichten Hypertriglyzeridämie durch Akkumulation von VLDL und VLDL-Remnants assoziiert
- Lebererkrankungen: Die Leber ist der Hauptort der Bildung und Clearance von Lipoproteinen.
- Infektiöse, medikamentös- und alkoholinduzierte Hepatitiden sind häufig mit einer erhöhten VLDL-Bildung und einer geringen bis moderaten Hypertriglyzeridämie assoziiert.
- Eine schwere Hepatitis und ein Leberversagen führen zur verminderten Lipoproteinsynthese und somit zum Absinken von Plasmacholesterin und Triglyzeriden
- Cholestase: kann zu ausgeprägter Hypercholesterinämie führen, da sie die Cholesterinausscheidung blockiert. Freies Cholesterin wird dann mit Phospholipiden verbunden und als Bestandteil eines lamellären Partikels, des sog. Lipoprotein X, in das Plasma sezerniert. Diese setzen sich in Hautfalten ab und führen zu palmaren, plantaren und eruptiven Xanthomen.
- Östrogene: führen zu einer erhöhten VLDL- und HDL-Synthese, sodass charakteristischerweise erhöhte Plasmatriglyzeridspiegel und HDL-Cholesterinspiegel die Folge sind.
Mischformen
Bei den meisten Hyperlipoproteinämien besteht eine Mischform aus genetischer Prädisposition und exogenen Faktoren. Bei vielen Patienten mit erhöhten Spiegeln von LDL-Cholesterin ohne Hinweis auf sekundäre Ursachen (außer Ernährung) oder monogenetischer Genese besteht eine polygene Hypercholesterinämie. Bei diesen Patienten spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle.
Klinik
Atherosklerose
Je nach Fettstoffwechselstörung kann ein variables Risiko einer Atherosklerose mit Folgeerkrankungen bestehen: KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall, pAVK. Im Vergleich zum Grenzwert von 200 mg/dl Gesamtcholesterin verdoppelt sich bei Erhöhung der Konzentration auf 250 mg/dl (durch LDL-Cholesterinerhöhung) die Infarktmorbidität, bei 300 mg/dl vervierfacht sich das Risiko. Aber auch bei 200 mg/dl ist das Infarktrisiko erhöht, wenn das HDL-Cholesterin < 35 mg/dl bzw. das LDL-Cholesterin über 150 mg/dl liegt.
Pankreatitis
Bei ausgeprägten Hypertriglyzeridämien (oft mit Vermehrung von Chylomikronen) kann es zu rezidivierenden Pankreatitiden kommen.
Weitere Symptome
- Xanthome finden sich in unterschiedlicher Ausprägungsform, z.B. eruptive Xanthome bei Hypertriglyzeridämie oder Handlinienxanthome bei familiärer Dysbetalipoproteinämie.
- Arcus lipoides corneae: bei Hypercholesterinämien und extremen HDL-Verminderungen
- Steatosis hepatis: bei Hypertriglyzeridämien, Adipositas, Diabetes mellitus, hohem Alkoholkonsum oder Abetalipoproteinämie
Diagnostik
Grundsätzlich sollten Lipid- und Lipoproteinspiegel (v.a. Triglyzeride) im Plasma nach 12-stündiger nächtlicher Nahrungskarenz gemessen werden. Zu den Basisparametern zählen Triglyzeride, Gesamtcholesterin, LDL- und HDL-Cholesterin im Serum. Bei trübem Serum kann ein Kühlschranktest zur Erfassung von Chylomikronen durchgeführt werden.
Gesamtcholesterin und Triglyzeride werden meist enzymatisch bestimmt. Anschließend wird das Cholesterin im Überstand nach Präzipitation der ApoB-haltigen Lipoproteine gemessen. Dieser Wert entspricht dem HDL-Cholesterin. VLDL wird durch Division der Triglyzeridwerte durch 5 berechnet. Zuletzt kann LDL-Cholesterin indirekt mittels der Friedewald-Formel bestimmt werden:
- LDL-Cholesterin = Gesamtcholesterin - VLDL - HDL-Cholesterin
Die Berechnung des LDL-Cholesterins wurde in den letzten Jahren zugunsten der direkten Bestimmung des LDL-C im Serum verlassen. Gründe dafür sind veränderte Leitlinien und die Unzuverlässigkeit der Friedewald-Formel bei Triglyzeridwerten über 400 mg/dl oder erhöhtem Lipoprotein (a).
Nach Bestimmung der veränderten Lipoproteinfraktionen können weitere Untersuchungen zum Ausschluss sekundärer Ursachen notwendig sein:
- Nüchternglukose bei Hypertriglyzeridämie zum Ausschluss eines Diabetes mellitus
- Proteinausscheidung im Sammelurin und Serumkreatinin bei Vorliegen eines nephrotischen Syndroms und einer chronischen Niereninsuffizienz
- Leberfunktionstests bei V.a. Hepatitis oder Cholestase
- Serum-TSH zum Ausschluss einer Hypothyreose
Primäre Fettstoffwechselstörungen werden durch Familienanamnese, Lipoproteinelektrophorese, Lipidanalyse bei Familienangehörigen und molekulargenetische Untersuchungen mit Nachweis des Gendefekts diagnostiziert.
Therapie
Zielparameter
Je nach Literatur existieren verschiedene Zielwerte für LDL-Cholesterin; die folgende Empfehlung bezieht sich auf die ESC-Leitlinie.[1]
Kardiovaskuläres Risiko | Beschreibung | LDL-Cholesterin-Zielwert (mg/dl) |
---|---|---|
Niedrig |
|
< 116 |
Moderat |
|
< 100 |
Hoch |
|
< 70 und Reduktion um mind. 50 % des Ausgangs-LDL |
Sehr hoch |
|
< 55 und Reduktion um mind. 50 % des Ausgangs-LDL |
† SCORE (systemic coronary risk estimation): berücksichtigt u.a. Alter, Geschlecht, Nikotinabusus, systolischen Blutdruck und Gesamtcholesterin; schätzt das 10-Jahres-Risiko für ein tödliches atherosklerotisches Ereignis |
Für HDL und Triglyceride existieren keine Zielparameter. Ein HDL-Wert von über 40 mg/dl (Männer) bzw. > 45 mg/dl (Frauen) ist ebenso mit einem niedrigeren Risiko assoziiert wie eine Triglyceridkonzentration von < 150 mg/dl.
Hypercholesterinämie
Nichtmedikamentöse Therapie
Ein regelmäßiges körperliches Training führt zu einer LDL-Senkung, HDL-Erhöhung und Triglyzeridsenkung mit weiteren positiven Effekten auf Komorbiditäten (z.B. Diabetes mellitus). Eine ausgewogene Ernährung wirkt atherosklerose-protektiv und soll das LDL-Cholesterin um weitere 20 bis 60 mg/dl senken. Empfohlen wird u.a.:
- Fettreduktion auf < 30 % der Gesamtkalorien
- gesättigte tierische Fette meiden
- pflanzliche Fette mit einfach- und mehrfach-ungesättigten Fettsäuren bevorzugen
- Eiweiß: mind. 15 % der Gesamtkalorien
- Ballaststoffe: 20 bis 30 g/d
- Cholesterinzufuhr auf < 300 mg/d senken (beeinflusst jedoch das LDL-Cholesterin vermutlich nur gering)
- Überwicht durch kalorisch ausgewogene Kost und Bewegung reduzieren
- regelmäßiger Konsum von Seefischen mit hohem Gehalt am Omega-3-Fettsäuren
Medikamentöse Therapie
Die Indikation zur medikamentösen Therapie richtet sich nach dem LDL-Wert und dem kardiovaskulären Risiko. Bei monogenetischer Hypercholesterinämie oder gesicherter kardiovaskulärer Krankheit sollte frühzeitig begonnen werden. Je größer das kardiovaskuläre Risiko, desto größer der Nutzen der lipidsenkenden Therapie.
Dabei gelten Statine als Lipidsenker der Wahl. Bei Unverträglichkeit können Ezetimib und alternativ Austauscherharze eingesetzt werden.
Ist die Monotherapie nicht ausreichend, wird die Kombination eines Statins mit Ezetimib empfohlen. Ferner können auch Statine mit Fenofibrat verabreicht werden. PCSK9-Hemmer sind nur bei sehr hohem kardiovaskulärem Risiko indiziert, wenn die Therapie mit Statin und Ezetimib ausgereizt wurde und der LDL-Wert noch über 140 mg/dl beträgt.
Lipidapherese
Kann eine LDL-Reduktion nicht durch Lebensstilmodifikation und medikamentöser Therapie erreicht werden, existieren Verfahren zur Elimination von LDL aus dem Plasma oder aus dem Vollblut (z.B. Immunadsorption, DALI-Verfahren). Sie sind indiziert bei
- homozygoter familiärer Hypercholesterinämie
- therapieresistenter Hypercholesterinämie unter Berücksichtigung des Gesamtrisikoprofils
- Hyperlipoproteinämie (a) und progredienter kardiovaskulärer Krankheit
siehe Hauptartikel: Lipidsenker, Lipidapherese
Hypertriglyzeridämie
Im Allgemeinen besteht die Indikation einer Therapie ab Triglyzeridwerten von > 500 mg/dl, um das Risiko einer akuten Pankreatitis zu reduzieren. Das Risiko von atherosklerotischen Krankheiten bei Hypertriglyzeridämie ist umstritten, jedoch sollte bei sehr hohem kardiovaskulärem Risiko und Nüchterntriglyzeriden von über 200 mg/dl eine Pharmakotherapie erwogen werden.
Grundsätzlich wird wie bei der Hypercholesterinämie initial eine Lebensstilmodifikation empfohlen. Dabei gelten folgende Besonderheiten:
- strengere Alkoholkarenz
- Gewichtsreduktion bedeutsamer
- Gesamtfettmenge anfangs reduzieren auf 30 % der Gesamtkalorien
- Mono- und Disaccharide meiden, komplexe Kohlenhydrate bevorzugen
- bei Chylomikronämie maximale Einschränkung der Fettzufuhr und evtl. mittelkettige Fettsäuren einsetzen
Weiterhin ist eine medikamentöse Therapie in vielen Fällen nötig. Eingesetzt werden insbesondere:
Literatur
- Steinhagen-Thiessen E, Kassner U. 421 Störungen des Lipoproteinmetabolismus. In: Suttorp N, Möckel M, Siegmund B et al., Hrsg. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016.
Quellen
- ↑ Mach F, Baigent C et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS), European Heart Journal, 31.08.2019, abgerufen am 08.11.2019
- ↑ BfArM Omega-3-Fettsäuren Risikobewertungsverfahren, 18.06.2019, abgerufen am 17.10.2019