Familiäre Hypercholesterinämie
Definition
Die familiäre Hypercholesterinämie, kurz FH, ist eine überwiegend autosomal-dominant vererbte Fettstoffwechselstörung.
Nomenklatur
Der Begriff familiäre Hypercholesterinämie wird nicht einheitlich verwendet. Häufig ist nur die autosomal-dominante Hypercholesterinämie Typ 1 gemeint. Im weiteren Sinn fallen jedoch alle hereditären Formen der Hypercholesterinämie unter diesen Begriff, d.h. alle drei Typen der autosomal-dominanten Hypercholesterinämie (ADH) sowie die seltene autosomal-rezessive Hypercholesterinämie (ARH), die durch Mutationen im LDLRAP1-Gen entsteht. Im Weiteren wird der Fokus auf die deutlich häufiger vorkommenden autosomal-dominanten Formen gelegt.
Nach der veralteten Klassifikation nach Fredrickson ist die FH eine der möglichen Ursachen einer Hyperlipoproteinämie Typ IIa.
Epidemiologie
Die FH ist eine häufige monogene Störung. Die Allelfrequenz beträgt für die heterozygote Form (HeFH) ca. 1/250 bis 1/500. Die homozygote Form (HoFH) hat eine Prävalenz von 1/1.000.000.
Ätiologie
Ursache der FH sind verschiedene Mutationen, die in den meisten Fällen (85 bis 90 %) das Gen für den LDL-Rezeptor betreffen. Seltener kommt es zu einer Mutation im Gen für Apolipoprotein B-100 oder zu einer Gain-of-Function-Mutation im PCSK9-Gen.
Bei heterozygoten Trägern des LDL-Rezeptor-Defekts besteht ein Mangel, bei homozygoten oder compound-heterozygoten Personen ein Fehlen oder eine Dysfunktion des Rezeptors.
Formen
Gemäß den verschiedenen betroffenen Genen differenziert man folgende Formen der autosomal-dominanten Hypercholesterinämie:
Die drei Typen der FH sind phänotypisch, d.h. klinisch, nicht eindeutig unterscheidbar.
Pathophysiologie
Durch einen Funktionsverlust des LDL-Rezeptors sinkt die Fähigkeit der Leber, LDL-Cholesterin aus dem Blut zu eliminieren; IDL wird vermehrt in LDL umgewandelt. Die Folge ist eine Erhöhung des Plasmaspiegels von LDL-Cholesterin bei unveränderten Triglyzeridspiegeln.
Klinik
Heterozyogte FH
Heterozygote Merkmalsträger besitzen bereits ab der Geburt erhöhte Plasmaspiegel von LDL-Cholesterin, meist zwischen 200 und 450 mg/dl. Im Verlauf entstehen folgende Symptome:
- Sehnenxanthome (v.a. Handrücken, Achillessehne)
- Xanthelasmen
- Arcus lipoides corneae
- vorzeitige koronare Herzkrankheit (KHK): Unbehandelte Männer haben ein 50%iges Risiko, vor dem 60. Lebensjahr einen Myokardinfarkt zu erleiden, Frauen etwa sieben bis zehn Jahre später
Homozygote FH
Bei der seltenen homozygoten Form liegen die LDL-Cholesterinspiegel meist zwischen 400 und 1.000 mg/dl. Viele Patienten fallen in der Kindheit durch kutane Xanthome an den Händen, Handgelenken, Ellenbogen, Knien, Fersen oder dem Gesäß auf. Bereits in der Kindheit oder dem jungen Erwachsenenalter können sich atherosklerotische Komplikationen manifestieren (v.a. valvuläre oder supravalvuläre Aortenstenosen).
Die Symptome können atypisch sein. Die Erkrankung manifestiert sich häufig durch einen plötzlichen Herztod. Unbehandelt überleben rezeptornegative, homozygote Patienten selten die zweite Lebensdekade. Patienten mit Rezeptordysfunktion haben eine bessere Prognose, entwickeln aber fast immer vor dem 30. Lebensjahr eine klinisch auffällige vaskuläre Atherosklerose. Eine Atherosklerose der Karotiden und Femoralarterien entwickelt sich erst später im Leben und ist meistens ohne klinische Relevanz.
Diagnostik
Eine FH sollte immer bei LDL-Cholesterinspiegeln über 190 mg/dl erwogen werden, bei Kindern unter 16 Jahren ab 155 mg/dl. Die Diagnose kann klinisch gestellt werden bei:
- positiver Familienanamnese: Familienangehörige ersten Grades mit
- LDL-Cholesterin > 190 mg/dl
- oder vorzeitiger KHK (< 60 Jahre bei Frauen bzw. < 55 Jahre bei Männer)
- oder Xanthomen
- oder Nachweis von tendinösen Xanthomen
- oder Arcus corneae vor dem 45. Lebensjahr beim Indexpatienten
Die Diagnose kann anschließend durch molekulargenetische Untersuchungen der relevanten Gene bestätigt werden.
Differenzialdiagnosen
Therapie
Bei Patienten mit FH sollte der Plasmaspiegel von LDL-Cholesterin frühzeitig aggressiv gesenkt werden. Empfohlen wird eine Ernährung mit wenig gesättigten und trans-Fettsäuren, wobei fast immer Lipidsenker nötig sind. Als Ultima ratio kommt eine LDL-Apherese zum Einsatz.
Lomitapid, ein Inhibitor des mikrosomalen Triglyzeridtransferproteins (MTP) und Mipomersen, ein Antisense-Oligonukleotid zu Apolipoprotein B, sind in Deutschland zur Zeit (2022) nicht mehr bzw. nicht zugelassen.
Heterozygote FH
Bei heterozygoter FH sind Statine Substanzen der ersten Wahl, zweite Wahl sind Ezetimib, Anionenaustauscherharze oder PCSK9-Inhibitoren. Letztere erhöhen die Verfügbarkeit des LDL-Rezeptors.
Homozygote FH
Patienten mit homozygoter FH sprechen nur schlecht auf Statine an. Meist werden sie in Kombination mit Ezetimib eingesetzt. Weitere Möglichkeiten sind Anionenaustauscherharze. PCSK9-Inhibitoren wirken nur bei Patienten mit Rezeptordysfunktion, nicht bei rezeptornegativer FH. Meist ist eine LDL-Apherese nötig, in Einzelfällen kann sogar eine Lebertransplantation erwogen werden.