Lesch-Nyhan-Syndrom
nach dem US-Kinderarzt William L. Nyhan und dem Medizinstudenten Michael Lesch
Synonyme: Hyperurikämiesyndrom, HGPRT-Defizienz
Englisch: Lesch-Nyhan Syndrome, Lesch-Nyhan Disease, HGPRT Deficiency
Definition
Das Lesch-Nyhan-Syndrom, kurz LNS, ist eine seltene X-chromosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis. Es liegt ein vollständiger Mangel des Enzyms Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) vor, was zu einem erhöhtem Harnsäurespiegel im Blut und im Gewebe und zu Störungen im zentralen Nervensystem führt.
- ICD10-Code: E79.1
Erbgang
Beim Lesch-Nyhan-Syndrom handelt es sich um einen Gendefekt, der mit dem X-Chromosom rezessiv vererbt wird. Das bedeutet, dass fast nur männliche Nachkommen erkranken. Die weiblichen Nachkommen fungieren als Konduktorinnen des defekten Gens und erkranken nur, wenn sie homozygote Genträger sind - was selten vorkommt. Der Grund dafür ist das zweite, intakte X-Chromosom, mit dem die weiblichen Nachkommen den Gendefekt kompensieren können.
Häufigkeit
Die Krankheit wird - je nach Autor - mit einer Häufigkeit von 1:50.000 bis 1:100.000 angegeben.
Biochemie
Durch das Fehlen des Wiederverwertungsenzyms HGPRT kommt es zu Störungen im Purinstoffwechsel. Im Normalfall werden die Purinbasen zu 90% über den sog. Salvage Pathway recyclet und wieder zu fertigen Purinnukleotiden verarbeitet. Dabei helfen zwei Enzyme, die anfallende Purinbasen aus der Nahrung oder aus dem Abbau der Nukleotide, zusammen mit Phosphoribosylpyrophosphat (PRPP) zu Purinnukleotiden resynthetisieren. Die Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT) setzt Adenin zusammen mit PRPP wieder zu Adenosinmonophosphat (AMP) um. Die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) setzt Guanin bzw. Hypoxanthin, wieder zu Guanosinmonophosphat (GMP) bzw. Inosinmonophosphat (IMP) um.
Beim Lesch-Nyhan-Syndrom ist diese Möglichkeit, Purinbasen zu verstoffwechseln, gestört. Aufgrund des Gendefekts fehlt die HGPRT. Die Purinbasen Hypoxanthin und Guanin können nicht wieder in die entsprechenden Nucleosidmonosphosphate (IMP, GMP) umgewandelt werden. Die Folge ist eine Anreicherung der Purinbasen im Blut, die dann über die Xanthinoxidase zu schlecht wasserlöslicher Harnsäure oxidiert werden. Sobald nun die Harnsäureproduktion die Ausscheidungsfähigkeit der Nieren überschreitet, steigt der Harnsäurespiegel im Blut und im Gewebe an - es kommt zur Hyperurikämie. Die Ablagerung von Harnsäurekristallen an verschiedenen Körperstellen kann sich im Krankheitsbild der Gicht manifestieren.
Symptome
Bei der Geburt zunächst symptomlos, äußert sich die Störung nach sechs bis acht Wochen durch erhöhte Brechneigung und nach ca. zehn Monaten durch Hyperurikämie, eingeschränktem Bewegungsdrang und geistiger Retardierung. Aufgrund der Symptomatik kann das Lesch-Nyhan-Syndrom in verschiedene Schweregrade eingeteilt werden:
- In der milderen Form sind Erhöhungen des Harnsäurespiegels, die später in das Krankheitsbild der Gicht übergehen können, zu beobachten.
- Bei der stärkeren Form sind neben der Hyperurikämie bereits Tendenzen zum selbstverletzenden Verhalten (Autoaggression) erkennbar. Dabei ist zu beobachten, dass die meisten Kinder bei der Verstümmelung der Extremitäten eine Seitenpräferenz haben.
- Die schwerste Form der Erkrankung ist gekennzeichnet durch multiple neurologische Störungen (z.B. Hypotonie, Dystonie, Choreoathetose, Spastizität, Hyperreflexie) sowie eine starke Neigung zur Selbstverstümmelung (Mutilation), insbesondere an Lippen und Fingern. Im Unterschied zu den beiden anderen Formen sind bei der schwersten Form starke geistige Entwicklungsrückstände im Sinne einer Retardierung diagnostizierbar.
Diagnose
Eine Diagnosestellung erfolgt über die klinischen Symptome und biochemisch über die Messung der HGPRT-Aktivität. Auch ein direkter molekulargenetischer Nachweis der Erkrankung durch Sequenzanalyse der mRNA ist möglich.
Therapie
Eine Behandlung der Krankheit ist derzeit nicht möglich. Lediglich der erhöhte Harnsäurespiegel und die Begleitsymptome (Nervenschädigungen, Infektionen etc.) können therapiert werden. Dazu verwendet man Hemmstoffe der Xanthin-Oxidoreduktase. Das Medikament Allopurinol ist ein solcher Hemmstoff, der auch bei Patienten mit Gicht eingesetzt wird.
Dadurch werden die Purinbasen zwar nicht recyclet, jedoch auch nicht weiter zur Harnsäure abgebaut, deren übermäßige Ansammlung ja die Symptome des Lesch-Nyhan-Syndroms verursacht. Weiter ist eine purinarme Ernährung (kein Fleisch) zu empfehlen.
Letalität
In besonders schweren Fällen führt die Krankheit bereits im Kindes- oder Jugendalter zum Tode.