Cholesteatom
Synonyme: Perlgeschwulst, Otitis media chronica epitympanalis (veraltet)
Englisch: cholesteatoma
Definition
Als Cholesteatom bezeichnet man eine nicht-neoplastische, epitheliale Wucherung in Mittelohr oder Mastoidraum, bei der es zu einer Akkumulation von Keratin kommt. Sie kann durch enzymatische und entzündliche Prozesse das umgebende Knochengewebe zerstören.
Einteilung
Die Einteilung des Cholesteatoms kann anhand verschiedener Gesichtspunkte erfolgen und ist in der Literatur nicht einheitlich. Die gängige Klassifikation unterscheidet nach Ätiologie, Lokalisation und Verlauf zwischen folgenden Formen:
Erworbenes Cholesteatom
Das erworbene Cholesteatom entsteht durch eine gestörte Mittelohrbelüftung oder mechanische Epithelmigration. Es ist die häufigste Form im Erwachsenenalter. Man unterscheidet weiter zwischen primär, sekundär und iatrogen erworbenem Cholesteatom.
| Einteilung | Ursache | Pathopysiologie | Tympanonbeteiligung |
|---|---|---|---|
| Primär erworbenes Cholesteatom | Retraktion der Pars flaccida des Trommelfells (attikales oder epitympanales Cholesteatom) | Durch chronischen Unterdruck im Epitympanon vertieft sich die Retraktionstasche und epitheliale Abschilferungen akkumulieren |
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| Sekundär erworbenes Cholesteatom | Bestehende Trommelfellperforation oder nach Trauma bzw. Otitis media chronica | Plattenepithel wandert über den Perforationsrand in die Paukenhöhle ein |
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| Iatrogenes Cholesteatom | Chirurgische Eingriffe im Mittelohr (z.B. Myringoplastik, Tympanotomie, Paukenröhrchen) | Plattenepithel wird ins Mittelohr implantiert |
Kongenitales Cholesteatom
Die kongenitale Form wird auch als genuines bzw. angeborenes Cholesteatom bezeichnet. Es beruht auf einer ektopen epithelialen Zellanlage im Mittel- oder Mastoidraum. Diese Zellen stammen aus Resten des ersten Kiemenbogens und persistieren hinter dem Trommelfell. Typisch ist eine weiße, perlmuttartige Läsion in der Paukenhöhle, meist bei Kindern zwischen 3 und 7 Jahren, ohne vorangegangene Otitis.
Sonderformen
- Residualcholesteatom: verbliebene Epithelreste nach Operation, meist in Recessus epitympanicus oder Sinus tympani
- Rezidivcholesteatom: neues Cholesteatom durch erneute Retraktion oder Reepithelisierung.
- Petrosus- und Apex-Cholesteatome: seltene Varianten mit Ausdehnung in Felsenbeinteile jenseits des Mastoids; meist residuell oder kongenital.
Pathogenese
Erworbenes Cholesteatom
Das primär erworbene Cholesteatom entsteht aus einer komplexen Wechselwirkung zwischen chronischer Ventilationsstörung, persistierender Entzündung und lokaler Gewebsdestruktion.
Der Ausgangspunkt ist fast immer eine chronische Tubendysfunktion, die einen Unterdruck im Epitympanon erzeugt. Dieser Unterdruck führt zur Retraktion der Pars flaccida und zur Ausbildung einer Retraktionstasche, deren Selbstreinigungsmechanismus versagt. In der Tasche sammeln sich desquamierte Keratinlamellen, die ein ideales Substrat für die bakterielle Besiedelung und Biofilmbildung sind. Die chronische bakterielle Kolonisation, typischerweise mit Pseudomonas aeruginosa oder Staphylococcus aureus, unterhält eine persistierende Entzündungsreaktion. Dabei werden proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-1β und IL-6 freigesetzt, die über NF-κB-, JAK/STAT- und MAPK-Signalwege die Hyperproliferation des Plattenepithels, die Fibroblastenaktivierung und die Osteoklastenstimulation vermitteln.
Der Knochenabbau beruht auf einer gestörten Homöostase des RANKL/OPG-Systems. Eine Überexpression von RANKL und eine relative Hemmung von OPG fördern die Osteoklastogenese und führen zu einer fortschreitenden Resorption der knöchernen Strukturen des Mittelohres. Zusätzlich tragen PTHrP, Matrix-Metalloproteinasen (MMP-2, MMP-9) und Cathepsine zur osteolytischen Aktivität bei. Auf zellulärer Ebene zeigen die Keratinozyten der Cholesteatommatrix eine onkogenähnliche Signatur. Überaktivierte EGFR/MAPK-, Wnt/β-Catenin-, Notch- und Hippo-YAP/TAZ-Signalwege fördern Proliferation, Epithelmigration und Invasivität.
Diese Mechanismen erklären die klinische Beobachtung, dass ein Cholesteatom trotz histologisch benigner Struktur ein invasiv-destruktives Wachstum zeigt. Parallel wurden in den letzten Jahren nicht-kodierende RNAs als zentrale Regulatoren identifiziert. Beschrieben ist eine Überexpression von miR-21, miR-199a, miR-203 und miR-146a, die Entzündungs-, Proliferations- und Osteoklasten-Signalwege steuern. Diese epigenetischen Veränderungen gelten als Schlüsselfaktoren für chronische Persistenz und Rezidivneigung.
Biofilme wirken als zusätzliche Verstärker der chronischen Entzündung. Sie schützen Mikroorganismen vor Immunabwehr und Antibiotika und setzen kontinuierlich pathogenassoziierte Molekülmuster (PAMPs) frei, die über Toll-like-Rezeptor-Signalwege, insbesondere TLR-4, die Osteoklastenaktivität steigern.
Beim sekundär erworbenen Typ migriert im Rahmen einer chronischen Trommelfellperforation oder nach Trauma Plattenepithel vom äußeren Gehörgang über den Perforationsrand in die Paukenhöhle. Durch mechanische Irritation und chronische Infektion etabliert sich eine Epithelmatrix identisch zum primär erworbenen Typ. Der entzündliche und osteolytische Prozess verläuft über dieselben molekularen Signalwege, ohne dass eine Retraktionstasche vorausgeht.
Auch bei der iatrogenen Form ist der pathogenetische Prozess identisch mit dem des primär erworbenen Cholesteatoms. Sie entsteht jedoch durch epitheliale Implantation während chirurgischer oder diagnostischer Eingriffe. Gelangen vitale Plattenepithelzellen in das Mittelohr oder Mastoid, können sie sich dort autonom weitervermehren.
Kongenitales Cholesteatom
Das kongenitale Cholesteatom unterscheidet sich grundlegend vom erworbenen Typ, da es nicht durch Entzündung oder Tubendysfunktion, sondern durch embryologische Fehlentwicklung entsteht. Es handelt sich um eine epitheliale Entwicklungsanomalie, bei der ektop lokalisierte Plattenepithelinseln im Mittelohr oder petrosalen Apex persistieren und sich im Verlauf des Kindesalters proliferieren.
Embryologisch wird das Trommelfell und die Paukenhöhle im Verlauf der 10.–33. Schwangerschaftswoche von einem epithelialen Verschluss bedeckt – dem sogenannten "epithelial plug". Dies ist eine transiente epitheliale Zellmasse, die den Meatus acusticus externus und die mediale Trommelfellseite auskleidet. Unter physiologischen Bedingungen wird dieser Zellverband vor der Geburt vollständig resorbiert. Persistiert ein Teil dieses Epithels, kann sich daraus postnatal eine epitheliale Restinsel im anterosuperioren Quadranten der Paukenhöhle oder entlang der lateralen Kapsel des Promontoriums entwickeln. Histologisch und molekular entspricht das kongenitale Cholesteatom in Aufbau und Verhalten dem erworbenen Typ.
Anders als beim erworbenen Cholesteatom fehlt jedoch der entzündlich bedingte Stimulus. Das Wachstum erfolgt autonom und verdrängend, ohne initiale Entzündungsreaktion oder Biofilmbeteiligung. Immunhistochemische und genetische Studien weisen darauf hin, dass Apoptose-regulierende Defekte während der embryonalen Resorptionsphase der Epithelanlage eine entscheidende Rolle spielen. Persistierende Zellen zeigen eine Überexpression von p63, Ki-67 und EGFR, was auf eine gesteigerte proliferative Aktivität hinweist. Diese Marker ähneln denen des erworbenen Cholesteatoms.
Sobald eine Infektion hinzutritt oder die Matrix in Kontakt mit entzündeter Mukosa gerät, unterliegt das kongenitale Cholesteatom den selben destruktiven Mechanismen wie das erworbene Cholesteatom. Im Frühstadium bleibt das Wachstum jedoch entzündungsfrei, verdrängend und lokal begrenzt.
Lokalisation
Die Lokalisation eines Cholesteatoms korreliert eng mit seinem Entstehungsmechanismus. Zwischen erworbenen, sekundär erworbenen, iatrogenen und kongenitalen Formen bestehen charakteristische topographische Unterschiede, die klinisch und chirurgisch wichtig sind.
| Typ | Ursprung | Hauptlokalisation | Typische Ausbreitung |
|---|---|---|---|
| Primär-erworben | Retraktion Pars flaccida | Pars flaccida, Attikus, Epitympanon | posterosuperior ins Antrum und Mastoid |
| Sekundär-erworben | Perforation, chronische Otitis | Pars tensa, Mesotympanon | medial/posterior in Sinus tympani und Hypotympanon |
| Iatrogen | Epithelimplantation nach OP | variabel je nach Eingriff | lokal begrenzt oder diffus, entlang Operationsfeld |
| Kongenital | embryonaler Epithelrest | anterosuperior hinter intaktem Trommelfell | verdrängend in Richtung Promontorium und Gehörknöchelchen |
Primär erworbenes Cholesteatom
Das primär erworbene Cholesteatom entsteht in über 90 % der Fälle im Bereich der Pars flaccida des Trommelfells, also am Epitympanon bzw. Attikus. Von dort breitet es sich typischerweise in das Antrum mastoideum aus und kann sekundär den Aditus ad antrum, die laterale Attikwand (Scutum), den Sinus tympani und die Facialiswand (laterale Wand des Canalis nervi facialis im tympanalen Segment) erreichen. Die häufigste Wachstumsrichtung ist superior und posterior, entlang der Gehörknöchelchenkette und der lateralen Mastoidzellen.
Je nach anatomischer Ausdehnung unterscheidet man:
- Attikales oder Pars-flaccida-Cholesteatom: Ursprung im oberen Trommelfellabschnitt, typischer posterosuperiorer Verlauf in den Attikus und das Antrum.
- Sinus-tympani- oder Posterior-mesotympanales Cholesteatom: sekundärer Ausbreitungstyp in den Rezessus posterior und entlang des Sinus tympani, häufig mit Facialisbeteiligung.
- Pantympanales oder ausgedehntes Cholesteatom: Involviert Attikus, Mesotympanon und Hypotympanon; fortgeschrittene, destruktive Spätform.
Primär erworbene Formen an der Pars tensa sind in der Regel atypische Retraktionstaschen im posterosuperioren Quadranten (meist bei ausgeprägter Tubendysfunktion und flächenhafter Retraktion der gesamten Trommelfellmembran). Sie werden in der Literatur als "atypische Pars-tensa-Retraktionen" geführt.
Sekundär erworbenes Cholesteatom
Das sekundär erworbene Cholesteatom entsteht meist im Bereich einer zentralen oder marginalen Trommelfellperforation der Pars tensa und breitet sich von dort in das Mesotympanon aus. Die Epithelmigration erfolgt entlang des Perforationsrandes in Richtung Promontorium und Recessus fenestrae vestibuli sowie Recessus fenestrae cochleae. Von dort kann das Wachstum sowohl nach posterior (in den Sinus tympani und die Mastoidzellen) als auch nach inferior (in das Hypotympanon) erfolgen. Im Gegensatz zur primär erworbenen Form bleibt der Epitympanalbereich anfangs häufig ausgespart.
Topographisch dominieren:
- Mesotympanales Cholesteatom: Ursprung an der Trommelfellperforation, Ausdehnung medialwärts auf Ossikel, Promontorium und Hypotympanon.
- Posterior-mesotympanales Cholesteatom: sekundärer Typ mit Tendenz zur Facialis- und Labyrinthnähe.
Sekundär-erworbene Formen an der Pars flaccida sind sehr selten.
Iatrogenes Cholesteatom
Das iatrogene Cholesteatom kann prinzipiell in jedem Abschnitt des Mittelohres auftreten, abhängig von der Stelle der epithelialen Implantation. Typische Lokalisationen sind:
- Operationsareale nach Tympanoplastik, Parazentese oder Paukenröhrchen-Einlage (meist anteroinferior oder posterosuperior im Trommelfellbereich).
- Randzonen der Myringoplastik oder Tympanotomie (Einheilungsdefekte, Epithelversprengung).
- Retroaurikuläre Radikalhöhlen oder verbliebene Mastoidhöhlenreste nach unvollständiger Canal-Wall-Down-Sanierung.
Kongenitales Cholesteatom
Das kongenitale Cholesteatom zeigt eine klar definierte, bevorzugte Lokalisation. Es liegt typischerweise hinter intaktem Trommelfell, im anterosuperioren Quadranten der Paukenhöhle, oft medial des Crus breve des Incus oder nahe des Semicanalis musculi tensoris tympani. Weitere, seltener betroffene Regionen:
- Sinus tympani (posteriores kongenitales Cholesteatom)
- Hypotympanon
- Petrosapex oder Infralabyrinthregion (bei petrosalem kongenitalem Typ)
Symptome
Das klinische Erscheinungsbild eines Cholesteatoms ist variabel und hängt von Lokalisation, Ausdehnung und Komplikationsstadium ab. Im Frühstadium kann es über längere Zeit symptomarm oder asymptomatisch verlaufen. Typische Beschwerden treten meist erst bei sekundärer bakterieller Infektion oder ossikulärer Zerstörung auf.
Das Leitsymptom des erworbenen Cholesteatoms ist eine chronische, übelriechende Otorrhoe. Der Ausfluss ist meist fötid, schmierig und persistiert trotz lokaler Antibiotikatherapie. Die Ursache liegt in der chronisch infizierten, keratinhaltigen Matrix mit bakterieller Biofilmbildung. Hinzu kommt häufig eine progrediente Schallleitungsschwerhörigkeit, verursacht durch Erosion der Gehörknöchelchenkette (vor allem Amboss und Steigbügel) oder durch Fixation der Gehörknöchelchen im Granulationsgewebe.
In fortgeschrittenen Fällen kann sich eine kombinierte Schwerhörigkeit entwickeln, wenn Entzündung und Osteolyse auf das Labyrinth übergreifen. Ohrenschmerzen sind kein konstantes Frühsymptom. Sie treten meist erst bei akuter Superinfektion oder periostaler Beteiligung auf. Eine plötzliche Schmerzexazerbation bei bestehender chronischer Otorrhoe kann auf eine Mastoiditis, Sinusphlebitis oder intrakranielle Komplikation hinweisen. Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus und Fieber sind unspezifische, aber prognostisch relevante Begleitsymptome, insbesondere bei intratemporaler oder intrakranieller Ausbreitung. Eine periphere Fazialisparese kann Ausdruck einer Destruktion der Facialiswand oder einer Entzündung des Canalis nervi facialis sein.
Beim Pars-flaccida-Cholesteatom finden sich häufig diskrete, lange übersehene Verläufe mit chronischer Sekretion und langsam progredienter Hörminderung als Erstmanifestation. Das Pars-tensa- bzw. mesotympanale Cholesteatom zeigt demgegenüber meist frühzeitigere Entzündungszeichen, stärkere Otorrhoe und raschere ossikuläre Destruktionen. Beim kongenitalen Cholesteatom stehen Hörminderung und Fremdkörpergefühl im Vordergrund; das Trommelfell erscheint intakt, kann aber eine weißlich-perlmuttartige Raumforderung durchscheinen lassen.
Im Spätstadium können kombinierte sensorineurale Schwerhörigkeit, Vestibulopathie oder neurologische Symptome (z.B. Kopfschmerz, Doppelbilder, Vigilanzminderung) auf weitere Komplikationen hinweisen.
Komplikationen
Das Cholesteatom ist aufgrund seiner chronisch-destruktiven Wachstumsweise eine potenziell schwerwiegende Erkrankung des Felsenbeins. Komplikationen entstehen sowohl durch direkte ossäre Erosion als auch durch Fortleitung der Entzündung in benachbarte Strukturen des Mittel- und Innenohrs, des Schädelbasisbereichs oder des intrakraniellen Kompartiments.
Intratemporale Komplikationen
Die häufigsten intratemporalen Komplikationen betreffen Strukturen des Mittel- und Innenohrs:
- Destruktion der Gehörknöchelchen: führt zur Schallleitungsschwerhörigkeit. Der Amboss ist in bis zu 90 % der Fälle betroffen, gefolgt von Hammer und Steigbügel.
- Labyrinthfistel: Durch Knochenabbau im Bereich des lateralen Bogengangs entsteht eine pathologische Verbindung zwischen Perilymphe und Mittelohr. Klinisch äußert sich dies durch Schwindel, Nystagmus und druckabhängige Drehschwindelattacken (Hennebert-Zeichen). Fisteltests und hochauflösende CT-Aufnahmen sichern die Diagnose.
- Fazialisparese: Entzündlich-toxische oder erosive Schädigung des Canalis nervi facialis kann zu einer peripheren Fazialisparese führen. Die Läsion liegt meist im tympanalen Segment. Eine plötzlich einsetzende Parese gilt als dringlicher Operationsgrund.
- Mastoiditis und subperiostale Abszesse: Übergreifende Entzündung der Mastoidzellen mit periostaler Durchbruchstendenz kann subperiostale Abszesse, selten auch retroaurikuläre Fistelgänge verursachen.
- Petrositis: Eine Ausbreitung in den Apex partis petrosae führt zur persistierenden Otorrhoe, retroorbitalen Schmerzen und Abduzensparese (Gradenigo-Syndrom).
- Tegmen-Defekte: Erosion der Tegmen tympani oder Tegmen antri kann Liquorleckagen (Otoliquorrhoe) und das Risiko einer sekundären Meningitis verursachen.
Intrakranielle Komplikationen
Die intrakranielle Ausbreitung entsteht über venöse oder osteitische Fortleitung und ist potenziell lebensbedrohlich. Typische Formen sind:
- Epiduraler Abszess: Lokalisierte Ansammlung zwischen Dura und Schläfenbein, meist sekundär zu einem Tegmen-Durchbruch. Er äußert sich durch Kopfschmerz, Fieber und lokale Druckdolenz, oft ohne fokal-neurologische Ausfälle.
- Subdurales Empyem: Diffus ausgebreitete eitrige Entzündung zwischen Dura und Arachnoidea, oft mit Bewusstseinsstörungen, Meningismus und fokalen Defiziten.
- Hirnabszess: Meist temporaler oder zerebellärer Abszess durch direkte Ausbreitung oder hämatogene Streuung. Frühzeichen sind Kopfschmerz, Fieber und fokal-neurologische Symptome, später Bewusstseinsstörungen oder Krampfanfälle.
- Meningitis: Entsteht durch direkte bakterielle Penetration oder Liquorfistel. Typisch sind Nackensteifigkeit, Fieber und Vigilanzminderung.
- Sinusvenenthrombose: Thrombose des Sinus sigmoideus oder Sinus transversus durch fortgeleitete Entzündung. Klinisch finden sich Kopfschmerz, Fieber, Papillenödem, abnorme venöse Druckverhältnisse und potenziell septische Embolien.
Langzeitfolgen
Chronisch fortschreitende oder rezidivierende Cholesteatome führen unbehandelt zu irreversibler Schalleitungsstörung, Vestibulopathie und rezidivierender Otorrhoe. Bei kongenitalen Formen können Spätkomplikationen, insbesondere ossäre Destruktion des Promontoriums oder Labyrintherosion, auch nach Jahren auftreten, wenn das Cholesteatom lange unbemerkt bleibt.
Diagnostik
Die klinische Diagnostik bildet die Grundlage der Cholesteatomabklärung.
- Im Vordergrund stehen Otoskopie und Ohrmikroskopie. Typisch ist eine Retraktion der Pars flaccida oder ein Randdefekt der Pars tensa mit weißlich-gelbem, schuppigem Belag. Häufig imponiert eine granulationsreiche Läsion mit persistierender, übelriechender Sekretion. Bei intaktem Trommelfell kann insbesondere beim kongenitalen Cholesteatom eine weißlich-perlmuttartige Raumforderung durchschimmern. Die pneumatische Otoskopie zeigt meist ein unbewegliches Trommelfell.
- Der Valsalva- oder Politzer-Versuch bleibt negativ.
- Ein Fistelsymptom kann bei Verdacht auf Labyrinthbeteiligung auslösbar sein.
- Audiometrisch zeigt sich typischerweise eine Schallleitungsschwerhörigkeit mit einer Luft-Knochen-Lücke von 20 bis 40 dB, abhängig vom Ausmaß der Gehörknöchelchenzerstörung. Bei fortgeschrittener Erkrankung kann eine kombinierte Schwerhörigkeit bestehen.
- Tympanometrisch besteht meist ein flacher oder unterdruckverschobener Kurvenverlauf (Typ B oder C), während der Stapediusreflex aufgehoben ist.
Diese klinischen und audiologischen Verfahren dienen der Verdachtsdiagnose und präoperativen Beurteilung, reichen aber nicht zur definitiven Diagnosesicherung. Dafür ist die Bildgebung entscheidend.
Bildgebung
Die radiologische Diagnostik dient der Darstellung von Ausdehnung, Knochendestruktion, Komplikationen und Rezidiven. Sie umfasst die hochauflösende Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT).
CT
Das CT des Felsenbeins ist die Methode der Wahl für die präoperative Diagnostik. Es erlaubt die exakte Beurteilung der räumlichen Ausdehnung des Cholesteatoms, die Identifikation von ossären Destruktionen und die Planung des operativen Zugangs. Die Beurteilung erfolgt in axialer und koronarer Schichtung mit isotropen Voxelgrößen um 0,4-0,6 mm. Multiplanare Rekonstruktionen in schrägen Ebenen entlang der lateralen Bogengangsebene und des Nervus facialis verbessern die Beurteilbarkeit der feinen Strukturen.
Typische CT-Befunde sind eine Weichteilverdichtung im Mittelohr oder Mastoid in Kombination mit osteodestruktiven Veränderungen. Besonders charakteristisch ist die Erosion der lateralen Attikwand beim Pars-flaccida-Cholesteatom. Der Befund ist nahezu pathognomonisch, wenn gleichzeitig eine Unterbrechung der Kontinuität des Ambosses oder eine Blockade des Aditus ad antrum besteht.
Die Destruktion der Gehörknöchelchenkette betrifft bevorzugt den Amboss, gefolgt vom Hammerkopf und der Steigbügelfußplatte. Der lange Fortsatz des Ambosses und das Incudostapes-Gelenk sind am häufigsten betroffen. Bei fortgeschrittenem Befall kann die Matrix bis an die Steigbügelfußplatte heranreichen und deren Mobilität aufheben.
Die Facialiswand im tympanalen Abschnitt sollte sorgfältig auf Ausdünnung oder Dehiszenz geprüft werden, da hier der Übergang in den Sinus tympani häufige Residualnischen bildet. Der laterale Bogengang ist die am häufigsten betroffene labyrinthäre Struktur. Eine Unterbrechung der kortikalen Begrenzung weist auf eine Fistel hin. Ebenfalls zu beurteilen sind das Tegmen tympani und die Sigmoidplatte, deren Defekte auf eine durale Beteiligung oder venöse Komplikation hindeuten können.
Das CT erlaubt darüber hinaus die Unterscheidung der typischen topographischen Varianten:
- Pars-flaccida-Cholesteatom: Erosion des Scutums, Blockade des Aditus ad antrum, häufige Beteiligung des Antrums und der lateralen Mastoidzellen.
- Pars-tensa- oder mesotympanales Cholesteatom: Weichteilmasse medial der Pars tensa, oft Kontakt zum Promontorium, zur Nische des ovalen und des runden Fensters sowie zum Sinus tympani, bei meist intaktem Scutum.
- kongenitales Cholesteatom: rundlich begrenzte Weichteilformation hinter intaktem Trommelfell im anterosuperioren Quadranten, ohne Anzeichen chronischer Osteitis oder Trommelfellperforation.
MRT
Die MRT ergänzt das CT insbesondere in der Weichteilcharakterisierung und bei Fragestellungen nach Rezidiven oder Komplikationen. Die entscheidende Sequenz ist die nicht-echo-planare Diffusionswichtung (non-EPI-DWI), die Cholesteatomgewebe aufgrund der dichten Keratinlamellen in Form einer Diffusionsstörung darstellt. Bereits Läsionen ab ca. 3 mm können so zuverlässig nachgewiesen werden.
Auf T1-gewichteten Sequenzen erscheint das Cholesteatom signalarm bis isointens, auf T2-gewichteten Sequenzen meist signalreich.
Eine Kontrastmittelaufnahme fehlt in der Regel, allenfalls zeigt sich ein dünner peripherer Saum durch reaktive Entzündung.
Insgesamt unterscheidet sich das Cholesteatom klar von Granulationsgewebe, das deutlich Kontrastmittel aufnimmt, jedoch keine Diffusionsrestriktion zeigt.
Die MRT ist auch für den Nachweis intrakranieller Komplikationen unentbehrlich. Epidurale Abszesse und subdurale Empyeme, Sinusvenenthrombosen, Hirnabszesse und entzündliche Veränderungen der Dura lassen sich mit hoher Sensitivität erfassen.
Bei Verdacht auf eine Sinusbeteiligung sollte zusätzlich eine venöse MR-Angiographie durchgeführt werden. In der Nachsorge dient die non-EPI-DWI dem Nachweis von Residual- oder Rezidivcholesteatomen. Nach einer Canal-Wall-Up-Sanierung wird sie frühestens nach 9 bis 12 Monaten empfohlen. Bei kleinen unklaren Signalherden sind serielle Kontrollen in jährlichem Abstand sinnvoll. So kann die invasive Second-Look-Operation in vielen Fällen ersetzt werden.
Röntgen
Die Röntgenaufnahme nach Schüller oder nach Stenvers hat in der modernen Diagnostik keine Bedeutung mehr und wurde vollständig durch die hochauflösende CT des Felsenbeins ersetzt.
Pathologie
Makroskopie
Makroskopisch zeigt sich das Cholesteatom als weißlich-gelbe, perlmuttartig glänzende, bröckelige oder lamellär geschichtete Masse im Mittelohr oder Mastoidraum. Das Material besteht aus abgeschilferten Keratinlamellen, die in einer bindegewebigen Höhle liegen. Die umgebenden Strukturen sind häufig durch chronische Entzündung verändert und zeigen eine irreguläre, erodierte Oberfläche. Bei fortgeschrittenen Prozessen finden sich ausgedehnte Knochenresorptionen im Bereich des Scutums, der Gehörknöchelchenkette oder der lateralen Bogengangswand. Im Gegensatz zu granulationsreichem Entzündungsgewebe ist die Cholesteatom-Matrix meist trocken, fest anliegend und klar von der Umgebung abgegrenzt.
Histopathologie
Histologisch ist das Cholesteatom durch eine charakteristische dreischichtige Struktur definiert:
- Matrix: mehrschichtig verhorntes Plattenepithel, das dem Hautepithel des äußeren Gehörgangs entspricht. Die Zellschichten zeigen eine ausgeprägte Proliferationsaktivität mit erhöhter Mitosefrequenz.
- Perimatrix: bindegewebiges, granulationsreiches Stroma mit Entzündungszellen, Fibroblasten, Kapillaren und Makrophagen. In dieser Zone finden sich Osteoklasten, die über RANKL-vermittelte Mechanismen den Knochenabbau steuern.
- Keratindebris: zentrales Lager abgeschilferter Hornlamellen, häufig mit bakteriellen Einschlüssen und Biofilmformation.
Immunhistochemisch zeigen sich eine Überexpression von Ki-67, p63 und EGFR in der Matrix sowie erhöhte Konzentrationen von MMP-2, MMP-9, IL-1β, TNF-α und RANKL in der Perimatrix. Diese Befunde erklären die aggressive, osteolytische Aktivität trotz histologisch benigner Struktur. Im Gegensatz zur chronischen Otitis media ohne Cholesteatom fehlt das zylindrische Flimmerepithel, und die Submukosa ist durch die keratinisierte Matrix ersetzt.
Klassifikationssysteme
Zur einheitlichen Beschreibung und stadiengerechten Therapieplanung werden international standardisierte Klassifikationen verwendet.
EAONO/JOS-Klassifikation
Die European Academy of Otology and Neurotology/Japanese Otological Society (EAONO/JOS)-Klassifikation von 2017 beschreibt Ausdehnung und Schweregrad eines Mittelohrocholesteatoms anhand von vier Stadien:
- Stadium I: begrenztes Cholesteatom ohne ossäre Destruktion
- Stadium II: Ausbreitung auf Nachbarräume oder Beteiligung der Gehörknöchelhenkette
- Stadium III: Komplikationen im Bereich des Labyrinths, des Nervus facialis oder der Dura
- Stadium IV: extratemporale Ausdehnung, insbesondere intrakranielle Beteiligung
Die Klassifikation berücksichtigt zusätzlich den Entstehungstyp (Pars flaccida, Pars tensa, kongenital, sekundär) und ist heute das gebräuchlichste System in der europäischen und asiatischen Literatur.
STAM- und SAMEO-ATO-Systeme
Ergänzend werden operative Klassifikationssysteme eingesetzt, um den chirurgischen Eingriff standardisiert zu dokumentieren. Das STAM-System bewertet die Lokalisation des Cholesteatoms (Supratympanon, Tympanon, Antrum, Mastoid). Das SAMEO-ATO-System beschreibt detailliert die chirurgische Technik, einschließlich Zugang, Mastoidektomie-Typ, Exzision, Obliteration und Ossikuloplastik. Beide Systeme dienen der Vergleichbarkeit chirurgischer Ergebnisse und der Qualitätssicherung in klinischen Studien.
Differenzialdiagnosen
Die wichtigsten Differenzialdiagnosen des Cholesteatoms umfassen entzündliche, zystische und neoplastische Läsionen des Mittelohres und Felsenbeins. Sie unterscheiden sich in Entzündungsaktivität, Signalverhalten und Destruktionspotenzial.
- Chronische Otitis media ohne Cholesteatom: Persistierende muköse Otorrhoe bei zentraler Trommelfellperforation, ohne epitheliale Matrix und ohne Knochenabbau. CT: Schleimhautverdickung, glatte Konturen. MRT: homogene Kontrastmittelaufnahme, keine Diffusionsrestriktion.
- Granulationsgewebe/Mukositis: Hypervaskularisiertes Entzündungsgewebe mit homogener Kontrastmittelaufnahme, kein destruktives Wachstum. Non-EPI-DWI: keine Diffusionsrestriktion.
- Granulationspolyp: Polypoide, blutreiche Formation im Trommelfelldefekt oder Gehörgang; reagiert auf lokale Therapie. CT: glatt begrenzt, kein Knochenabbau, starke Kontrastmittelaufnahme.
- Cholesterolgranulom: Chronisch-hämorrhagische Läsion mit Cholesterinkristallen und Hämosiderin, meist im Antrum oder petrosalen Apex. T1- und T2-hyperintens, keine Diffusionsrestriktion, keine KM-Aufnahme, flüssiger Inhalt ohne Schichtung in CT.
- Epidermoid: Glatt begrenzte, avaskuläre Einschlusszyste aus Plattenepithel und Keratindebris, ohne Entzündung oder Osteolyse. MRT: homogen hyperintens in DWI, signalerniedrigt in ADC, keine KM-Aufnahme.
- Dermoid: Ähnliche Morphologie, jedoch mit Fettanteilen und Hautanhangsgebilden. T1-hyperintens durch Fett, keine Diffusionsrestriktion, keine Entzündungsreaktion oder Destruktion.
- Glomustumore: Vaskuläre Paragangliome mit pulsatiler Raumforderung. CT: erosive Erweiterung des Bulbus jugularis. MRT: intensive Kontrastmittelaufnahme, "Salt-and-pepper"-Muster. Klinisch pulsatiler Tinnitus, keine fötide Otorrhoe.
- Postoperative Veränderungen/Granulationsrezidiv in Resektionshöhle: Weichteildichte Resthöhle nach Canal-Wall-Down-Mastoidektomie, häufig mit Sekret und Granulation; kann Residualcholesteatom imitieren. Verlaufskontrolle und non-EPI-DWI zur Abgrenzung erforderlich.
- Neoplasien (Plattenepithelkarzinom, Adenokarzinom, Metastasen): Destruierendes, unregelmäßig infiltratives Wachstum, heterogene Kontrastmittelaufnahme. Diagnosesicherung durch Biopsie.
Therapie
Die Behandlung des Cholesteatoms ist grundsätzlich chirurgisch. Eine konservative Therapie kann lediglich vorübergehend bei akuter Superinfektion oder bei inoperablen Patienten erfolgen, hat aber keinen kurativen Effekt. Ziel der operativen Behandlung ist die vollständige Entfernung der Cholesteatom-Matrix, die Sanierung des entzündlich veränderten Mittelohres und die Wiederherstellung einer stabilen Belüftung und Hörfunktion, sofern anatomisch möglich.
Präoperative Maßnahmen
Die präoperative Diagnostik umfasst die genaue otologische, audiologische und radiologische Diagnostik. Akute Infektionen oder eitrige Sekretionen werden zunächst antibiotisch und lokal gereinigt behandelt, um das Operationsfeld zu stabilisieren. Bei Kindern oder Patienten mit rezidivierender Tubendysfunktion ist eine gleichzeitige Adenotomie oder Tubendilatation in Erwägung zu ziehen.
Chirurgische Therapie
Die operative Sanierung des Cholesteatoms erfolgt in Abhängigkeit von Typ, Ausdehnung und Belüftungsverhältnissen. Grundsätzlich wird zwischen Canal-Wall-Up- und Canal-Wall-Down-Techniken unterschieden. Die Wahl des Verfahrens richtet sich nach Lokalisation, Rezidivneigung, Ausdehnung auf das Mastoid und intraoperativen Befunden.
Canal-Wall-Up-Tympanomastoidektomie
Bei der Canal-Wall-Up-Technik (CWU) bleibt die hintere Gehörgangswand erhalten. Sie wird bevorzugt bei begrenzten Läsionen, intakter Belüftung und zuverlässiger Nachsorge eingesetzt. Ziel ist eine anatomisch möglichst natürliche Rekonstruktion des Mittelohres bei gleichzeitiger vollständiger Exzision des Cholesteatoms.
Nach sorgfältiger Entfernung der Matrix erfolgt die Rekonstruktion der Gehörknöchelchenkette (Ossikuloplastik) unter Verwendung autologer (z.B. Amboss, Knorpel) oder alloplastischer Materialien (Titanprothesen). Der Vorteil dieser Technik liegt in der Erhaltung der normalen Gehörgangsarchitektur und der besseren Hörprognose. Nachteil ist die Möglichkeit von Residualresten, insbesondere in schlecht einsehbaren Regionen wie dem Sinus tympani, dem Recessus facialis oder dem Antrum mastoideum. Daher ist eine postoperative Kontrolle mittels non-EPI-DWI in der MRT essenziell; früher wurde hierfür routinemäßig eine Second-Look-Operation nach 6 bis 12 Monaten durchgeführt, die heute zunehmend durch bildgebende Nachsorge ersetzt wird.
Canal-Wall-Down-Tympanomastoidektomie
Bei fortgeschrittenen Cholesteatomen mit ausgedehnter Mastoidausbreitung, destruierter Gehörgangswand oder wiederholten Rezidiven wird eine Canal-Wall-Down-Technik (CWD) durchgeführt. Hierbei wird die hintere Gehörgangswand abgetragen, wodurch eine offene Mastoidhöhle (Radikalhöhle) entsteht. Diese wird mit dem äußeren Gehörgang verbunden und erlaubt eine direkte postoperative Inspektion. Ziel ist eine sichere Sanierung, auch bei unübersichtlichen Rezessusstrukturen oder Facialisnähe. Der Nachteil liegt im Verlust des normalen Gehörgangsvolumens, erhöhter Infektanfälligkeit und häufigem Reinigungsbedarf. Moderne Varianten wie die modifizierte Bondy-Radikalhöhle oder Cavity-Obliterationstechniken mit Knorpel, Faszie oder Knochenspänen verbessern die Langzeitpflege und minimieren die Rezidivrate.
Ossikuloplastik
Nach vollständiger Sanierung erfolgt, soweit möglich, die Rekonstruktion der Gehörknöchelchenkette (Ossikuloplastik). Ziel ist die Wiederherstellung einer funktionellen Schallleitung zwischen Trommelfell und ovalem Fenster. Abhängig von der verbleibenden Ossikelstruktur kommen partielle (PORP) oder totale (TORP) Titanprothesen, autologer Amboss oder Knorpelspäne zum Einsatz. Die Entscheidung erfolgt intraoperativ. Bei fraglicher Tubenbelüftung wird häufig zunächst auf die definitive Rekonstruktion verzichtet und diese in einem zweiten Eingriff nachgeholt.
Trommelfellrekonstruktion
Die Deckung des Trommelfelldefekts erfolgt mittels Myringoplastik oder Tympanoplastik Typ I-III nach Wullstein. Autologe Transplantate wie Knorpel, Perichondrium oder Fascia temporalis werden je nach Defektgröße gewählt. Knorpeltransplantate bieten eine höhere Stabilität bei retraktionsgefährdeten Trommelfellen und werden bevorzugt bei persistierender Tubendysfunktion verwendet.
Postoperative Nachsorge
Die Nachsorge ist integraler Bestandteil der erfolgreichen Therapie. Nach CWU-Operation erfolgt die erste mikroskopische Kontrolle nach 2 bis 3 Wochen, danach regelmäßige Ohrreinigungen und klinische Kontrollen alle 3 bis 6 Monate. Eine Diffusions-MRT wird nach 9 bis 12 Monaten empfohlen, um Residuen auszuschließen. Nach CWD-Operation erfolgt die Höhlenpflege dauerhaft in regelmäßigen Abständen; die Reepithelialisierung dauert mehrere Monate. Bei Cavity-Obliteration ist ebenfalls eine bildgebende Kontrolle erforderlich. Audiologische Nachuntersuchungen dokumentieren den Hörerfolg und dienen der Indikationsstellung für eine sekundäre Ossikuloplastik oder Hörgeräteversorgung. Bei Kindern oder Patienten mit persistierender Tubendysfunktion muss zusätzlich eine Belüftungsverbesserung (z.B. Adenotomie, Tubendilatation) sichergestellt werden.
Adjuvante Therapie
Eine Antibiotikatherapie erfolgt präoperativ bei akuter Superinfektion sowie postoperativ bei Zeichen sekundärer Entzündung oder eitriger Sekretion. Mittel der Wahl sind Ciprofloxacin-Ohrentropfen oder systemische Breitspektrumantibiotika mit Abdeckung gegen Pseudomonas aeruginosa. Eine längerfristige antibiotische Dauertherapie ist nicht indiziert. Bei persistierender Otorrhoe ohne Nachweis residueller Matrix sollte eine mikrobiologische Kontrolle erfolgen. Glukokortikoide kommen nur zur Behandlung einer sekundären Labyrinthitis oder Fazialisparese infrage. Adjuvant kann bei radikalhöhlenbedingter chronischer Sekretion eine topische, antiseptische oder austrocknende Therapie (z.B. Ethanol-Glycerol, Boralkohol) angewendet werden.
Behandlung von Komplikationen
Komplikationen wie Fazialisparese, Labyrinthfistel, Sinusvenenthrombose oder intrakranielle Abszesse erfordern eine sofortige chirurgische und antibiotische Intervention. Bei Fazialisparese ist eine Dekompression des Nervus facialis im tympanalen Segment zu erwägen. Labyrinthfisteln werden in der Regel nach Cholesteatomentfernung mit autologem Gewebe verschlossen. Intrakranielle Komplikationen bedürfen einer interdisziplinären neurochirurgischen und infektiologischen Behandlung.
Prognose
Die Prognose des Cholesteatoms wird im Wesentlichen durch Entstehungstyp, Ausdehnung, Belüftungsverhältnisse, Operationstechnik und Qualität der Nachsorge bestimmt. Entscheidend ist, ob die Cholesteatom-Matrix vollständig entfernt und eine dauerhaft belüftete, epithelisierte Paukenhöhle wiederhergestellt werden kann. Die Residualrate liegt bei 10–25 % nach Canal-wall-up-Operationen (CWU) und bei 3–10 % nach Canal-wall-down-Techniken (CWD). Die Rezidivrate beträgt bei CWU 5–15 %, bei CWD unter 5 %. Kinder zeigen aufgrund persistierender Tubendysfunktion etwa doppelt so hohe Raten wie Erwachsene. Ein funktionell gutes Ergebnis mit einer Luft-Knochen-Lücke unter 20 dB wird in rund der Hälfte der Fälle erreicht, vorausgesetzt, die Gehörknöchelchenkette kann rekonstruiert werden. Dauerhafte Schallleitungsschwerhörigkeit bleibt jedoch häufig bestehen. Während die Hörprognose bei der CWU-Technik günstiger ist, bietet das CWD-Verfahren eine höhere Sanierungssicherheit.
Das primär erworbene Cholesteatom weist die ungünstigste Langzeitprognose auf, da die komplexe Epitympanonanatomie Residualreste begünstigt und bei persistierender Tubendysfunktion häufig erneute Retraktionen der Pars flaccida auftreten. Das sekundär erworbene Cholesteatom verläuft meist lokal begrenzt, mit geringerer Rezidivneigung und günstigerer Hörentwicklung. Das kongenitale Cholesteatom besitzt die beste Prognose: Wird es frühzeitig erkannt und vollständig entfernt, ist in über 80 % der Fälle eine dauerhafte Heilung mit stabilem Hörvermögen zu erwarten; bei Spätdiagnose verhält es sich jedoch destruktiv wie die erworbenen Formen.
Für die Langzeitprognose ist die postoperative Kontrolle mittels nicht-echo-planarer Diffusions-MRT (non-EPI-DWI) entscheidend. Untersuchungen nach 9 bis 12 Monaten und anschließend jährlich über mindestens 3 Jahre ermöglichen den Nachweis von über 90 % aller Residualcholesteatome unter 5 Millimetern und haben die routinemäßige Second-Look-Operation weitgehend ersetzt. Nach erfolgreicher Sanierung gilt das Cholesteatom als geheilt, bleibt jedoch rezidivgefährdet. Etwa 10-15 % der Patienten entwickeln innerhalb von fünf Jahren ein Residual- oder Rezidivcholesteatom; eine persistierende Hörminderung oder intermittierende Sekretion besteht bei rund einem Drittel der Fälle fort.
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