Septischer Schock
Englisch: septic shock
Definition
Der septische Schock ist ein Schockzustand, der durch eine fehlgesteuerte Immunreaktion auf Krankheitserreger (Sepsis) ausgelöst und unterhalten wird.
Hintergrund
Epidemiologie
Der septische Schock ist ein wichtiges und häufiges Krankheitsbild der Intensivmedizin. Basierend auf einer Auswertung von Abrechnungsdaten deutscher Krankenhäuser lässt sich die Inzidenz der Sepsis in Deutschland mit etwa 158/100.000 Einwohner angeben.[1] Bei etwa 15% dieser Patienten entwickelt sich ein septischer Schock.[2] Die 30-Tages-Sterblichkeit bei septischem Schock in Deutschland wird mit 30,5 % angegeben.[3]
Die Häufigkeit des septischen Schocks zeigt einen zweiphasigen Verlauf mit einer Spitze im Kindesalter und einem erneuten Anstieg ab dem 5. Lebensjahrzehnt. Die meisten Erkrankten sind ≥ 65 Jahre alt.
Risikofaktoren
Die Entwicklung eines septischen Schocks wird durch verschiedene Grunderkrankungen und Risikofaktoren begünstigt. Dazu zählen u.a.:
- Immundefizienz bzw. Immunsuppression
- Diabetes mellitus
- chronische Nierenerkrankung (CKD)
- chronische Lungenerkrankungen
- Lebererkrankungen
- Malignome
- Alkoholabusus
Chirurgische Eingriffe, offene Wunden, invasive Katheter oder Implantate steigern das Sepsisrisiko und damit auch das Risiko für einen septischen Schock. In Studien konnte außerdem gezeigt werden, dass eine Assoziation mit dem männlichen Geschlecht besteht.
Pathogenese
Auslöser einer Sepsis sind i.d.R. Bakterien, seltener Viren, Pilze oder Parasiten. Letztere kommen vor allem bei immungeschwächten Patienten in Betracht. Eine hohe Erregerzahl bzw. Erregerbestandteile wie Lipopolysaccharide/Endotoxine, Exotoxine oder DNA, die als Pathogen associated molecular Patterns (PAMPs) bezeichnet werden, lösen eine starke Immunantwort des Körpers aus. Sie betrifft sowohl das Komplementsystem, als auch das zelluläre Immunsystem.
Über spezifische Rezeptoren (z.B. Toll-like-Rezeptoren) kommt es zu einer Aktivierung von Immunzellen wie Monozyten und neutrophilen Granulozyten sowie Endothelzellen. In der Folge werden Zytokine wie IL-1 oder TNF-α freigesetzt. Sie aktivieren kaskadenartig proinflammatorische Signalwege, die zur Ausschüttung weiterer Zytokine bzw. Chemokine (z. B. IL-6, IL-8, IL-12, IL-25, MIF) führen. Systemisch löst diese Immunreaktion eine Erhöhung der Körpertemperatur (Fieber), eine Kontraktilitätsabnahme des Herzmuskels und durch die generalisierte Endothelaktivierung zahlreiche vaskuläre Effekte aus. Dazu zählen die Vasodilatation und eine Permeabilitätssteigerung der Gefäße mit Ödembildung.
Die vermehrte Bildung des Tissue Factors durch Endothelzellen und Monozyten aktiviert das Gerinnungssystem. Die Konsequenz ist eine vermehrte Thrombinbildung und eine Störung der Fibrinolyse, was eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) auslöst.
Die Folge ist eine Mikrozirkulationsstörung, welche die Organdurchblutung verschlechtert. Infolge der konsekutiven Hypoxie steigt die anaerobe Energiegewinnung und damit die Laktatkonzentration, was sich in Form einer metabolischen Azidose äußert.
Der Körper reagiert kompensatorisch mit einer Steigerung von Atemfrequenz, Herzfrequenz und Herzzeitvolumen. Es entsteht ein hyperdynamer Kreislaufzustand.[4] In präkapillären Gefäßen führen vasodilatatorisch wirkende Stoffwechselprodukte sowie der pH-Abfall zu einer weiteren Dilatation. Es kommt schließlich zu einer Verteilungsstörung des Blutes und zu einem relativen Volumenmangel, der eine Hypotension und schließlich einen Schock verursacht.
Klinik
Die Klinik des septischen Schocks ist komplex und kann von Symptomen der ursächlichen Infektion überlagert sein. Bei Patienten mit Immunsupression oder bei postoperativen Patienten ist die Erkennung eines septischen Schocks besonders anspruchsvoll.
Der septische Schock ist durch einen Schockindexwert > 1, sowie das Symptombild des SIRS gekennzeichnet. Typische Sepsiszeichen sind Tachykardie, Tachypnoe und Fieber. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine Hypotonie, die trotz adäquater Volumensubstitution persistieren kann. Das Abgleiten in den Schock ist meist mit Vigilanzminderung und Verwirrtheit verbunden. Aufgrund des Fiebers und der peripheren Vasodilatation kann sich die Haut zu Beginn – im Gegensatz zu anderen Schockformen – paradoxerweise warm anfühlen. Erst im späteren Verlauf zeigt sich eine periphere Zyanose mit kühlen und blassen Extremitäten sowie marmorierter Haut.
Mit dem Auftreten eines multiplen Organversagens (z.B. Nierenversagen, Leberversagen, Lungenversagen) treten weitere Symptome hinzu, z.B. Oligurie oder Dyspnoe. In mehr als der Hälfte der Fälle kommt es zu einem akuten Nierenversagen, das mit einer hohen Letalität assoziiert ist.
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Vigilanzprüfung: Zur Einschätzung wird u.a. die Glasgow Coma Scale verwendet. Im Scoring-Verfahren werden das Öffnen der Augen, sowie die verbale und motorische Reaktion des Patienten geprüft. Ab einem Score von < 8 liegt eine schwere Bewusstseinsstörung vor.
- Herzfrequenz- und Blutdruckmessung: Der Schockzustand geht mit einem Blutdruckabfall und einer Tachykardie einher. Orientierend kann auch der Schockindex herangezogen werden, also der Quotient aus Puls zu systolischem Blutdruck. Ein Schockindex > 1 weist auf einen manifesten Schock hin.
- Bestimmung der Rekapillarisierungszeit: Die Rekapillarisierungszeit gibt Aufschluss über die periphere Durchblutung und die Mikrozirkulation. Sie kann mittels der Fingernagelprobe geprüft werden.
- Atemfrequenz und Temperaturmessung: Bei einem septischen Schock kommt es zu systemischen Reaktionen. Diese gehen häufig mit einer Hyper- oder Hypothermie und einer gesteigerten Atemfrequenz einher.
- Haut und Schleimhäute: Untersuchung der Haut und Schleimhaut (Mottling-Score, Petechien)
- Wundinspektion: Wundinspektion im Rahmen der Fokussuche
Mikrobiologie und Virologie
Bei unbekanntem Fokus sollten vor Einleitung einer antiinfektiven Therapie Proben aus allen erreichbaren und/oder verdächtigen Kompartimenten zur mikrobiologischen Diagnostik gesichert werden. Der Therapiebeginn darf durch die Probenentnahme bzw. mikrobiologische Diagnostik nicht verzögert werden.
- Blutkulturen: Die Abnahme von mind. zwei Blutkulturpaaren zur Bestimmung des Erregertyps und der Resistenzprofile. Dies ermöglicht ggf. eine gezielte Antibiotikatherapie.
- Virologische Tests: Bei Verdacht auf eine virale Ursache sind spezifische Tests wie PCR-Untersuchungen erforderlich.
Labordiagnostik
- Blutbild, Differentialblutbild: Eine Leukozytose mt Linksverschiebung ist ein (unspezifischer) Entzündungsmarker, auch Leukopenien kommen vor. Eine Thrombozytopenie tritt als Zeichen der Verbrauchskoagulopathie bzw. Mikrozirkulationsstörung auf.
- Hämoglobin, Hämatokrit
- Gerinnungsparameter: INR, aPTT, Fibrinogen, AT-III, D-Dimere
- Entzündungsparameter: Procalcitonin (PCT) ist der beste Sepsismarker und insbesondere bei bakteriellen Infektionen sensitiv. Auch C-reaktives Protein (CRP) kann im Rahmen von bakteriellen Infektionen erhöht sein, ist aber weniger spezifisch und sensitiv als PCT.
- Elektrolyte: Calcium-, Chlorid-, Kalium-, Magnesium-, Natrium- und Phosphat-Spiegel können verändert sein und müssen korrigiert werden, um weitere Komplikationen zu vermeiden.
- Kreatinin
- Arterielle Blutgasanalyse (Laktat): Laktat ist ein Indikator für Störungen der Mikrozirkulation und eine Gewebehypoxie. Es führt zu einer metabolischen Azidose. Im Rahmen eines septischen Schocks liegen die Laktatwerte bei > 2 mmol/L.
Bildgebende Diagnostik
- Abdomensonografie: Dient der Suche nach abdominellen Infektionsherden.
- Echokardiografie: Die Echokardiografie ermöglicht die Beurteilung der Herzfunktion und Identifikation von Herzklappenläsionen. Eine TEE ist bei Verdacht auf eine Endokarditis oder beim Nachweis einer Bakteriämie mit Staphylococcus aureus indiziert.
- Thoraxröntgen: Dient der Fokussuche, speziell bei Verdacht auf Pneumonien, Pleuraempyem oder andere pulmonale Komplikationen.
- Computertomographie (CT): Zur weiteren Fokussuche, sollten andere Verfahren keine Hinweise gegeben haben.
Therapie
Die Therapie des septischen Schocks erfordert ein rasches und strukturiertes Vorgehen, da Verzögerungen die Überlebensrate signifikant mindern.
Initiale Therapie
Die wesentlichen Schritte der initialen Therapie sind im "1-Hour-Bundle" zusammengefasst und umfassen:
- Laktat messen
- Blutkulturen abnehmen
- Gabe eines Breitspektrumantibiotikums:
- Die antiinfektive Therapie muss innerhalb einer Stunde nach Probenentnahme für Mikrobiologie/Virologie beginnen.
- Verzögerungen mindern die Überlebensrate um etwa 8 % pro Stunde.
- Die Therapie soll kalkuliert oder gezielt nach Antibiogramm bei Erregernachweis gewählt werden.
- Volumenersatz
- Gabe von 30 ml/kgKG kristalloidem Volumenersatz mit balancierter Vollelektrolytlösung
- Zielparameter: Schlagvolumenvariation < 12 %, mittlerer arterieller Druck (MAP) ≥ 65 mmHg, zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) ≥ 70 %, Urinausscheidung ≥ 0,5 ml/kgKG/h, Laktat < 2 mmol/L.
- Kreislaufstabilisierung
- Bei Nichterreichen des Ziel-MAP trotz Volumengabe kommen Katecholamine (Noradrenalin), Vasopressin und Dobutamin (bei eingeschränkter Pumpfunktion) zum Einsatz.
Weitere Therapieschritte
- Transfusion und Hämodynamik:
- Transfusion von Erythrozyten ab einem Hb < 7 g/dl erwägen (Ausnahme: vorliegen anderweitiger individueller Faktoren, die eine Transfusion erforderlich machen). Die Datenlage zu ist uneinheitlich.
- Gefrorenes Frischplasma nur bei Blutung oder Operation
- Thrombozytentransfusion ab Thrombozytenzahlen von 20.000–100.000/µl bei zusätzlichen invasiven Maßnahmen, aktiven Blutungen oder Einnahme von Medikamenten mit Wirkung auf die Thrombozytenfunktion. Ohne weitere Risikofaktoren erst ab 10.000/µl.
- Fokussanierung:
- Entfernen von Fremdmaterial wie ZVK, PVK, Port, Harnblasenkatheter etc.
- Sofortige Sanierung bei vermutetem Fokus, chirurgisch-operative Behandlung (z.B. bei Abszessen, infizierten Wunden, Peritonitis, etc.)
- Weitere Maßnahmen:
- Temperaturmanagement: Hypothermie vermeiden, Fieber nicht zwangsläufig senken, Studien zeigen eine erhöhte Letalität bei Temperaturextremen (< 35°C, > 39,5°C)
- Sauerstoffgabe: Zielbereich SPO2 > 90 %
- Blutzucker-Management
- Thromboseprophylaxe: eine Kombination aus mechanischer und medikamentöser Prophylaxe
- Angepasste Ernährung: vorsichtige orale oder enterale Ernährung, bei Kontraindikationen parenteral
- Nierenersatzverfahren: sofern indiziert, möglichst kontinuierliche Verfahren bevorzugen
Prognose
Durch eine adäquate und zeitnahe Therapie lassen sich Patienten mit septischem Schock stabilisieren. Dennoch liegt die 90-Tages-Sterblichkeit in Deutschland noch immer bei 38 %.[3]
Literatur
- Intensivmedizin. Marx G, Zacharowski K, Kluge S, Hrsg. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020. doi:10.1055/b-006-160290
Quellen
- ↑ Fleischmann-Struzek C, Schwarzkopf D, Reinhart K. Inzidenz der Sepsis in Deutschland und weltweit : Aktueller Wissensstand und Limitationen der Erhebung in Abrechnungsdaten. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2022 May;117(4):264-268. German. doi: 10.1007/s00063-021-00777-5. Epub 2021 Jan 28. PMID: 33507316; PMCID: PMC7841759.
- ↑ Siddharth Dugar, MD, Chirag Choudhary, MD, MBA and Abhijit Duggal, MD, MPH, MSc, FACP: Sepsis and septic shock: Guideline-based management Cleveland Clinic Journal of Medicine January 2020, 87 (1) 53-64; DOI: https://doi.org/10.3949/ccjm.87a.18143
- ↑ 3,0 3,1 Bauer M, Groesdonk HV, Preissing F, Dickmann P, Vogelmann T, Gerlach H. Sterblichkeit bei Sepsis und septischem Schock in Deutschland. Ergebnisse eines systematischen Reviews mit Metaanalyse. Anaesthesist. 2021 Aug;70(8):673-680. German. doi: 10.1007/s00101-021-00917-8. Epub 2021 Feb 9 PMID: 33559687; PMCID: PMC7871311.
- ↑ Larsen R. Sepsis und septischer Schock. Anästhesie und Intensivmedizin für die Fachpflege. 2016 Jun 14:958–63. German. doi: 10.1007/978-3-662-50444-4_66. PMCID: PMC7531315.
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