Kalkulierte Antibiotikatherapie
Synonyme: empirische Antibiotikatherapie, ungezielte Antibiotikatherapie (obsolet), blinde Antibiotikatherapie (obsolet)
Definition
Bei der kalkulierten Antibiotikatherapie wird ein unbekanntes, erwartbares Keimspektrum mit einem Antibiotikum therapiert, das dieses Keimspektrum möglichst passend abdeckt. Die kalkulierte Antibiotikatherapie kommt z.B. bei unkomplizierten Infektionen ohne Erregerdiagnostik zum Einsatz. Eine weitere Anwendung ist die Initialtherapie, d.h. eine Behandlung vor dem Ergebnis der Erregerdiagnostik.
Die kalkulierte Antibiotikatherapie sollte regelmäßig reevaluiert und entsprechend eskaliert bzw. deeskaliert werden. Ihr steht die gezielte Antibiotikatherapie gegenüber.
Terminologie
Die Begriffe "kalkulierte" und "empirische" Antibiotikatherapie werden häufig synonym verwendet.
Einige Autoren differenzieren jedoch zwischen der kalkulierten und der empirischen Antibiotikatherapie bei unbekanntem Keimspektrum. In diesem Fall bezeichnet die empirische Antibiotikatherapie das Vorgehen bei schweren Infektionen, bei denen weder Erreger noch der Fokus des Infekts bekannt sind. Dabei kommen häufig sogenannte Breitbandantibiotika zum Einsatz. Dieser Ansatz ist nur selten indiziert. Die kalkulierte Antibiotikatherapie hingegen basiert auf der statistischen Wahrscheinlichkeit von Erregern bei einem konkreten klinischen Infektfokus (z.B. Harnwegsinfekt).[1][2]
In beiden Fällen wird die Therapie im Verlauf reevaluiert, sobald mehr Informationen über den Erreger vorliegen.
Hintergrund
"Kalkuliert" bedeutet in Zusammenhang mit der Antibiotikatherapie, dass man aufgrund des klinischen Bildes, aber noch vor der exakten Erregerdiagnose, mit einer bestimmten Auswahl an Erregern "rechnet" und gegen diese ein Antibiotikum einsetzt, was erfahrungsgemäß in ähnlichen Fällen wirksam ist.
Welches Antibiotikum bzw. welche Kombination verwendet wird, hängt von verschiedenen Variablen ab, die in die Kalkulation eingehen.
- Art und Schwere der Erkrankung – lebensbedrohliche Infekte werden oft mit anderen Antibiotika behandelt als harmlose
- Krankengeschichte und Vorbefunde des Patienten mit Hinweisen auf Resistenzkeime – eine Rezidivpneumonie bei einem COPD-Patienten wird anders behandelt als eine einfache, ambulant erworbene Pneumonie (CAP); eine Sepsis bei einem Patienten mit bekannter MRSA-Besiedlung anders als eine Sepsis ohne multiresistente Erreger in der Anamnese
- Umgebung, in der die Erkrankung erworben wurde – dies betrifft das Thema Krankenhausinfektion vs. ambulant erworbene Infektion, es spielen aber auch geografische Faktoren eine Rolle, z.B. die wesentliche höhere Wahrscheinlichkeit, im Mittelmeerraum oder in Indien hochresistente Bakterien anzutreffen
Zur richtigen kalkulierten Antibiotikatherapie existieren viele Leitlinien und Richtlinien, herausgegeben unter anderem durch die Paul-Ehrlich-Gesellschaft. Hierin fließen auch aktuelle epidemiologische Gesichtspunkte ein.
Krankenhäuser sind angehalten, aufgrund eigener Resistenzstatistiken angepasste Leitlinien für ihre Behandlungssituationen zu erstellen ("listen to your hospital").
Bei Vorliegen einer Erreger- und Resistenzbestimmung muss die kalkulierte Antibiotikatherapie überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Wenn möglich, sollte eine Deeskalation vorgenommen werden. Schmalspektrumantibiotika wirken, sofern der Erreger sensibel ist, oft besser als Reserveantibiotika, die vor allem dazu gedacht sind, Resistenzen zu umgehen.
Klinisches Beispiel
Besteht zum Beispiel ein Verdacht auf eine bakterielle Meningitis wird eine sofortige Antibiose mit einem Cephalosporin der 3. Generation (z.B. Cefotaxim oder Ceftriaxon) und Ampicillin eingeleitet. Die Cephalosporine wirken gegen die häufigsten Erreger der Meningitis (Meningokokken, Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Staphylokokken, Streptokokken) und Ampicillin wirkt zusätzlich gegen Listerien.
Vor- und Nachteile
Durch den schnellen Therapiebeginn soll die Infektion effektiver behandelt werden und unter anderem das Risiko für das Auftreten von Komplikationen verringert werden. Weiterhin ist bei einigen Infektionen eine Erregerdiagnostik nicht indiziert und somit eine kalkulierte Antibiotikatherapie nötig und ausreichend.
Nachteile sind unter anderem eine mögliche Selektionierung und Förderung von Resistenzen durch die kalkulierte Antibiose sowie ein erhöhtes Auftreten von UAWs.
Quellen
- ↑ LGL Bayern – Infektionsdiagnostik und orale Antibiotikatherapie bei Erwachsenen, Ein Leitfaden für den ambulanten Bereich, abgerufen am 25.11.2024
- ↑ Robert Koch Institut – Grundsätze der Antibiotika-Therapie, abgerufen am 25.11.2024