Englisch: complement system
Das Komplementsystem ist ein Teil des unspezifischen humoralen Immunsystems, das zur Eliminierung von zellulären Antigenen (z.B. Bakterien) beiträgt.
Das Komplementsystem besteht aus mehr als 40 verschiedenen Proteinen im Blut und auf der Zelloberfläche, die überwiegend in der Leber synthetisiert werden.[1] Diese Proteine werden in Anwesenheit von Pathogenen oder Antikörpern aktiviert.
Die meisten der Komplementfaktoren sind Proteasen, die inaktiv als Zymogen synthetisiert werden. Der Aktivierungsmechanismus ist der Blutgerinnung ähnlich: Aktivierte Komplementfaktoren bewirken kaskadenartig eine Proteolyse und damit Aktivierung weiterer Komplementfaktoren. Das Ergebnis der Komplementreaktion ist die Abtötung des Pathogens, entweder direkt durch Bildung eines Membranangriffskomplexes (MAC, lytischer Komplex) oder indirekt durch Stimulation proinflammatorischer Reaktionen (Chemotaxis, Histaminfreisetzung) und Erleichterung der Phagozytose (Opsonierung).
Der MAC ist morphologisch als Pore innerhalb der Zellmembran der zu lysierenden Fremdzelle zu verstehen. Durch Aufhebung der Zellintegrität ermöglicht sie die Destruktion der Zelle.
Neben der Funktion bei der unspezifischen Immunabwehr beeinflusst das Komplementsystem auch das spezifische Immunsystem: Die Opsonierung von Pathogenen durch Komplement erleichtert die Phagozytose durch antigenpräsentierende Zellen, die Komplementrezeptoren (CRs) besitzen. Diese präsentieren anschließend die pathogenen Antigene den T-Zellen. Die B-Zell-Reaktion und das immunologische Gedächtnis werden ebenfalls durch Komplement beeinflusst.[2][3] Außerdem modulieren viele Komplementfragmente die Zytokinproduktion.
Die meisten Komplementfaktoren werden mit "C" und einer nachfolgenden Nummer abgekürzt wiedergegeben (z.B. C1). Die Zahl spiegelt nicht die Abfolge der Kaskade wieder, sondern ergibt sich aus der Reihenfolge ihrer Entdeckung:
Spaltprodukte der Komplementfaktoren erhalten einen Buchstaben als Suffix. Dabei erhält das kleinere Fragment den Suffix "a", das größere den Suffix "b". Dabei sind folgende Ausnahmen zu beachten:
Weitere Komplementfaktoren, die erst später entdeckt werden, sind z.B. Komplementfaktor B oder Komplementfaktor D. Deren Spaltprodukte erhalten ebenfalls die Sufixe a und b (z.B. Bb).
Funktion | Faktor |
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Bindung an Antigen-Antikörper-Komplex und Pathogenoberfläche |
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Bindung an Kohlenhydrate auf mikrobieller Oberfläche |
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Aktivierung von Enzymen |
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Membran-bindende Proteine und Opsonine |
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proinflammatorische Mediatoren |
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Membranangriffskomplex |
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Komplementrezeptoren |
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regulatorische Proteine |
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Das Komplementsystem kann auf drei verschiedenen Wegen aktiviert werden:
Alle drei Aktivierungswege enden in der Bildung der C3-Konvertase. Dieser Enzymkomplex kann aus unterschiedlichen Proteinen bestehen, katalysiert jedoch immer den entscheidenden Schritt der Komplementkaskade, die Spaltung von C3 in C3a und C3b.
Während C3a als inflammatorischer Mediator wirkt, unterzieht sich C3b nun einer Konformationsänderung. Dadurch kann die Thioesterbindung von C3b mit Hydroxy- oder Aminogruppen der mikrobiellen Oberfläche reagieren. Die nun entstehende kovalente Bindung an das Pathogen dient der Opsonierung. Außerdem kann C3b an die C3-Konvertase binden und somit die C5-Konvertase bilden. Dieser Enzymkomplex sorgt für die Spaltung von C5:
Viele Mikroorganismen besitzen Kohlenhydratstrukturen, die auf menschlichen Zellen nicht zu finden sind. Diese zu den PAMPs (pathogen-assoziierte molekulare Muster) gehörenden Strukturen werden vom Körper durch folgende, im Blut und extrazellulärer Flüssigkeit zirkulierende Pattern-Recognition-Rezeptoren erkannt:
MBL und Ficoline bilden im Plasma einen Komplex mit inaktiven Enzymen, den MBL-assoziierten Serinproteasen MASP-1 und MASP-2. Wenn MBL bzw. Ficolin an die Pathogenoberfläche bindet, sorgt eine Konformationsänderung in MASP-2 für die Aktivierung eines weiteren MASP-2-Moleküls. Diese Protease spaltet dann C4 in C4a und C4b. Wie bei C3 besitzt C4 auch eine Thioesterbindung, die nun im C4b-Molekül freiliegt. Das Resultat ist eine kovalente Bindung von C4b an die Pathogenoberfläche, wo es C2 bindet. C2 wird durch die MASP-2 gespalten, sodass C2b mit C4b einen Komplex eingehen kann: C4b2b, die C3-Konvertase des Lektin-Wegs.
Die Funktion von MASP-1 ist derzeit (2020) nicht endgültig geklärt. Vermutlich kann sie C3 direkt spalten.
Der klassische Weg ähnelt dem Lektin-Weg, wobei er statt MBL-MASP-Komplex den C1-Komplex beinhaltet. Dieser besteht aus C1q und den zwei Serinproteasen C1r und C1s.
C1q besteht aus 6 Trimeren, die jeweils eine globuläre Kopfregion besitzen. Diese Region bindet:
Wenn mindestens zwei der globulären Köpfe mit dem Liganden interagieren, kommt es zur Konformationsänderung im C1r-C1s-Komplex. Dies führt zur autokatalytischen Aktivierung von C1r, welches dann C1s spaltet. Das nun aktivierte C1s spaltet C4 zu C4a und C4b. C4b bindet C2, das durch C1s in C2a und C2b gespalten wird. Somit entsteht die gleiche C3-Konvertase wie beim Lektin-Weg (C4b2b).
Faktor | Funktion |
---|---|
C1q | bindet an Pathogenoberfläche oder an Antikörper-Antigen-Komplex |
C1r | aktiviert C1s |
C1s | spaltet C4 und C2 |
C4b | bindet kovalent an das Pathogen (Opsonierung), bindet C2 |
C4a | schwacher proinflammatorischer Mediator |
C2a | Präkursor des vasoaktiven C2-Kinin |
C2b | Bestandteil der C3- und C5-Konvertase zur Spaltung von C3 und C5 |
C3b | bindet kovalent an das Pathogen (Opsonierung), bindet C5, induziert die Amplifikation auf dem alternativen Weg (s.u.) |
C3a | proinflammatorischer Mediator |
Trotz des Namens ist der alternative Signalweg für ca. 80 % der Komplementaktivierung verantwortlich.[1] Er wird auf zwei Wegen aktiviert:
C3b bindet den Faktor B und sorgt für seine Konformationsänderung. Dadurch kann Faktor B durch den Faktor D in Ba und Bb gespalten werden. Somit entsteht die C3-Konvertase des alternativen Wegs (C3bBb).
C3(H2O) bindet ebenfalls den Faktor B, der dann durch Faktor D gespalten wird. Dadurch entsteht die sog. "fluid-phase C3-Konvertase" (C3(H2O)Bb). Sie spaltet ebenfalls C3 zu C3a und C3b.[4]
Ingesamt sorgt der alternative Weg also für eine Akkumulation von C3b, das kovalent an das Pathogen bindet und seine Oberfläche bedeckt. Da die C3-Konvertase sehr kurzlebig ist, wird sie durch Properdin (Faktor P) stabilisiert. Properdin wird von neutrophilen Granulozyten produziert und nach Aktivierung freigesetzt.
Faktor | Funktion |
---|---|
C3b | bindet kovalent an das Pathogen (Opsonierung), bindet Faktor B zur Spaltung durch Faktor D, bildet die C3-Konvertase (C3bBb) und C5-Konvertase (C3b2Bb) des alternativen Wegs |
Ba | unklare Funktion |
Bb | Bestandteil der C3- und C5-Konvertase |
D | spaltet Faktor B |
P | stabilisiert die C3-Konvertase C3bBb |
Die Bildung der C3-Konvertase (C4b2b im Lektin- und klassischen Weg bzw. C3bBb im alternativen Weg) führt zur Spaltung von C3 in C3b und C3a.
Anschließend kommt es zur Bildung der C5-Konvertase:
Die C5-Konvertase bindet C5 und spaltet es in C5b und C5a. Wie bei C3 und C4 beinhaltet C5 eine Thioesterbindung, die nun freigelegt wird. Somit kann C5, wenn auch in geringerem Umfang, an die Pathogenoberfläche binden.
C3b und in geringerem Ausmaß C4b fungieren als Opsonin, indem sie an Komplementrezeptoren auf Phagozyten binden.
C4a und C5a binden an spezifische Rezeptoren auf Endothel- und Mastzellen und bewirken eine lokale Entzündungsreaktion. Diese Fragmente werden daher auch Anaphylatoxine bezechnet. Sie induzieren eine Kontraktion der glatten Muskulatur und eine Erhöhung der Gefäßpermeabilität. Außerdem wird die Bildung von Adhäsionsmolekülen auf Endothelzellen stimuliert und Mastzellen zur Histaminfreisetzung angeregt.
C4a und C5a wirken auch als Chemokine, d.h. sie rekrutieren Phagozyten zum Ort der Infektion. C5a wirkt weiterhin direkt auf Neutrophile und Monozyten und erleichtert die Phagozytose von Pathogenen.
Nachdem die C5-Konvertase C5 in C5a und C5b gespalten hat, bindet C5b an C6. Der C5b6-Komplex nimmt anschließend das amphiphile Molekül C7 auf, welches durch eine Konformationsänderung in die Zellmembran eingebaut wird. Der C5a67-Komplex bindet dann C8, das eine Polymerisation von 10 bis 16 C9-Molekülen induziert. Dadurch bildet C9 eine Pore in der Zellmembran mit einer hydrophoben Außenseite und einem hydrophilen Kanal. Der Durchmesser beträgt ca. 10 Nanometer. Das Resultat ist ein Verlust der zellulären Homöostase und die Störung des transmembranären Gradienten. Die Zelle wird somit lysiert.
Die dauerhafte Komplementaktivität durch den alternativen Singalweg bietet zwar eine schnelle Immunantwort bei Infektionen, kann aber unreguliert zu Schädigungen des Körpers führen. Daher ist eine Regulation des Komplementsystems zwingend notwendig.
Binden C3b und C4b nicht an die pathogene Oberfläche, wird der Thioester schnell hydrolysiert und damit inaktiviert. Außerdem schützen sich gesunde Zellen vor einer fehlerhaften Aktivität des Komplementsystems durch Oberflächenproteine ("fluid-phase-Regulatoren").[5] Zu den regulatorischen Proteinen gehören u.a.:
Genetische Defekte können Anlass zur Bildung fehlerhafter Komplementfaktoren sein. Komplementdefekte sind für fast jeden Faktor beschrieben. Im Allgemeinen begünstigen sie bakterielle Infektionen, insbesondere mit Kokken. Defizite der terminalen Komplementfaktoren des klassischen Aktivierungsweges (z.B. C9) führen zu einer erhöhten Anfälligkeit für den Genus Neisseria.
Ein spezieller Mangel an C1-Esterase-Inhibitor führt zum hereditären Angioödem.
Im Rahmen eines SLE aktivieren Immunkomplexe das Komplementsystem und haben so einen wesentliche Anteil an der Pathogenese. Auch bei einigen Formen der Glomerulonephritis (z.B. membranoproliferative Glomerulonephritis) tragen fehlgeleitete Aktivierungen des Komplementsystems zum Fortschritt der Erkrankung bei.
Weitere Beispiele für Komplementsystem-vermittelte Erkrankungen sind:
Diagnostisch können Komplementdefekte durch den CH50-Test (klassischer Weg) oder den APCH50-Test aufgedeckt werden.
Tags: Blut, Immunsystem, Komplementsystem
Fachgebiete: Immunologie, Physiologie
Diese Seite wurde zuletzt am 6. Februar 2020 um 18:11 Uhr bearbeitet.
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