Visusminderung
Synonyme: Sehverschlechterung, Visusverschlechterung, Visusstörung
Definition
Bei einer Visusminderung handelt es sich um eine akut oder langsam progredient auftretende Verminderung der optimalen Sehschärfe (Visus) bis hin zum Visusverlust.
Pathophysiologie
Die Sehschärfe ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, z.B. vom Zustand der Pupille, der Brechkraft der Linse sowie der Umgebung des anvisierten Gegenstandes (Licht, Form, Farbe, etc.). Für eine Visusminderung sind folgende Faktoren hauptverantwortlich:
- Störungen des dioptrischen Apparats (z.B. Hornhaut, Augenlinse, Glaskörper)
- Störung der Retina
- Affektion des Sehnervs, der Sehbahn oder des Sehzentrums
Ätiologie
Es gibt eine Vielzahl an möglichen Ursachen einer Visusminderung, wobei eine gewisse Abnahme der Sehschärfe im Alter unter anderem aufgrund der geringeren Elastizität und Brechkraft der Linse physiologisch ist. Die folgende Gliederung ist nicht trennscharf, da einige Ursachen sich in mehrere Kategorien einordnen lassen.
Visusminderung durch gestörte Refraktion
Refraktionsanomalien sind die häufigste Ursache einer Visusminderung. Diese Form der Visusminderung lässt sich aber auch am einfachsten korrigieren.
- Kurzsichtigkeit (Myopie)
- Weitsichtigkeit (Hypermetropie)
- Astigmatismus
Degenerativ bedingte Visusminderung
Eine degenerativ bedingte Visusminderung entsteht durch meist altersbedingte Gewebeveränderungen des dioptrischen Apparats oder der Retina.
- Altersabhängige Makuladegeneration
- Erworbener Katarakt (grauer Star)
- Alterssichtigkeit (Presbyopie)
- Glaskörperabhebung
- Hornhautdystrophie
Visusminderung durch erhöhten Augeninnendruck
Ein Augeninnendruck über 21 mmHg wird auch als okuläre Hypertension bezeichnet. Sie entsteht meist durch verstärkte Produktion oder verminderten Abfluss des Kammerwassers.
Vaskulär bedingte Visusminderung
Vaskulär bedingte Visusminderungen entstehen durch pathologische Veränderungen der Gefäße, welche das Auge und den Sehnerven versorgen.
- Zentralarterienverschluss: Insbesondere durch arterielle Thrombembolie
- Zentralvenenverschluss
- Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION): Ischämisch oder arteriitisch (z.B. Riesenzellarteriitis)
- Posteriore ischämische Optikusneuropathie (PION)
Neurologisch bedingte Visusminderung
Neurologisch bedingte Visusminderungen haben häufig ebenfalls vaskuläre Ursachen. Da sie aber nicht unmittelbar das Auge betreffen, werden sie hier eingeordnet.
- Amaurosis fugax im Rahmen einer transitorischen ischämischen Attacke
- Schlaganfall beispielsweise bei Basilaristhrombose, Gefäßdissektion oder intrazerebraler Blutung
- Neuritis nervi optici: Zum Beispiel bei multipler Sklerose
- Stauungspapille: Durch erhöhten intrakraniellen Druck z.B. bei einer Idiopathischen intrakraniellen Hypertension)
- Okuläre Migräne
- Hypophysenapoplexie
Metabolisch bedingte Visusminderung
Metabolisch bedingte Visusminderungen entstehen durch Stoffwechselstörungen. Die häufigste Ursache ist der Diabetes mellitus.
Entzündlich bedingte Visusminderung
- Konjunktivitis
- Keratitis: Beispielsweise bei Chlamydieninfektion (Trachom, Zoster ophthalmicus oder bei Infektion mit Herpes-simplex-Virus Typ 1
- Skleritis: Zum Beispiel bei Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis, SLE, Polyarteriitis nodosa, Granulomatose mit Polyangiitis)
- Uveitis: Zum Beispiel bei Sarkoidose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), Psoriasis, Syphilis, Lyme-Borreliose, Tuberkulose, Toxoplasmose, Histoplasmose, Candidose, CMV-Infektion
- Endophthalmitis
- Intrauterine Infektionen: Röteln, Masern, Toxoplasmose
Traumatisch bedingte Visusminderung
Genetische bedingte Visusminderung
- Lebersche Optikusatrophie (LHON)
- Retinopathia pigmentosa
- Fuchs-Endotheldystrophie
- Autosomal-dominante Optikusatrophie (ADOA)
Nutritiv-toxisch bedingte Visusminderung
- Toxische Optikusneuropathie: Ethambutol, Methylalkohol, Ethylenglykol, Kohlenmonoxid, Disulfiram, Chloramphenicol, Amiodaron, Ciprofloxacin, Digitalis, Streptomycin, Blei, Arsen, D-Penicillamin, Isoniazid, Sildenafil oder Sulfonamide
- Unterernährung, Malresorption
- Alkoholismus
- Mangel an Thiamin, Vitamin-A Vitamin-B12 oder Folsäure
Visusminderung durch eine Raumforderung
- Aderhautmelanom
- Metastasen im Auge z.B. bei Mamma- oder Bronchialkarzinom
- Optikusgliom
- Meningeom
- Hypophysenadenom
- Retinoblastom
Weitere Ursachen
Einteilung
...nach zeitlichem Verlauf
- Akute Visusminderung: Tritt plötzlich auf. Die häufigsten Ursachen einer akuten Visusminderung sind retinale Zentralarterien- oder Zentralvenenverschlüsse, eine anteriore ischämische Optikusneuropathie, eine Glaskörperblutung (zum Beispiel im Rahmen einer diabetischen Retinopathie) sowie Traumen. Eine akute Visusminderung kann passager sein oder in eine chronische Visusminderung übergehen.
- Chronische Visusminderung: Entwickelt sich über einen längeren Zeitraum. Eine chronische Visusminderung tritt insbesondere beim Katarakt, bei der altersabhängigen Makuladegeneration sowie beim chronischen Offenwinkelglaukom auf.
...nach Umfang
- einseitige (unilaterale) Visusminderung: Nur ein Auge ist betroffen.
- beidseitige (bilaterale) Visusminderung: Beide Augen sind betroffen.
Symptome
Die Wahrnehmung einer Visusminderung ist interindividuell sehr unterschiedlich. Manche Patienten schildern eine Sehverschlechterung als erhebliche Reduktion des Sehvermögens, obwohl der Visus in der Untersuchung nicht oder nur gering verändert ist. Umgekehrt gibt es Patienten, die eine erhebliche Visusminderung subjektiv nicht bemerken. Klinisch ist vor allem die Unterscheidung zwischen schmerzloser und schmerzhafter Visusminderung relevant. Begleitsymptome können je nach Erkrankung zum Beispiel Kopfschmerzen, Parästhesien, Kaumuskelschmerzen oder weitere neurologischen Symptome sein.
Je nach Ursache kann die Visusminderung plötzlich auftreten oder chronisch verlaufen. Dabei kann ein Visusverlust nur die Fernsicht, die Nahsicht oder beides betreffen. Desweiteren sind Lücken im Gesichtsfeld (Skotome) möglich. Auch das Verzerrtsehen mit einem Auge (Metamorphopsie) oder die anfallsweise Wahrnehmung von Schleiern, Nebel oder Farbringen um Lichter kann als Visusminderung bezeichnet werden.
Bei einigen Erkrankungen findet sich eine isolierte Visusminderung in der Nacht (Nyktalopie).
Diagnose
Eine Visusminderung muss immer abgeklärt werden, insbesondere wenn sie plötzlich auftritt. Zu den möglichen Untersuchungsmethoden zählen u.a.:
- Anamnese
- Sehtest
- Mesoptometrie
- Gesichtsfeldmessung
- Ophthalmoskopie
- Spaltlampenuntersuchung
- Fundusautofluoreszenz
- Tonometrie
- Neurologische Untersuchung mit Testung der Pupillenreaktion (Swinging-Flashlight-Test) und der Augenmotilität
Der genaue Einsatz dieser Techniken richtet sich nach der Verdachtsdiagnose.
Differenzialdiagnostik
Visusminderung ohne Schmerzen
Tritt die Sehverschlechterung plötzlich ein und betrifft nur das Lesevermögen, muss eine Akkomodationsstörung in Betracht gezogen werden. Bei Patienten ab dem 40. Lebensjahr tritt eine langsame Sehverschlechterung für das Nahsehen ein (Presbyopie). Bei älteren Menschen muss man bei einer Sehverhschlechterung für die Nähe und Ferne an ein Katarakt, die oft mit Blendungserscheinungen einhergeht, oder eine Makulaadegeneration denken.
Visusminderung mit Schmerzen
Bei heftigen Schmerzen findet sich oft ein Glaukomanfall im Rahmen einese Winkelblockglaukoms, bei dem die Patienen auch über Übelkeit klagen können. Eher moderate Kopfschmerzen finden sich bei leichten Augeninnendruckerhöhungen, bei einer Uveitis sowie bei inadäquat korrigierten Refraktionsfehlern. Bei der Neuritis nervi optici treten vor allem retrobulbäre Schmerzen auf. Auch eine Keratokonjunctivitis sicca kann zur Visusminderung führen, die meist von einem Fremdkörpergefühl und Schmerzen begleitet wird.
Verzerrungen
Verzerrungen sind ein typisches Symptom von Erkrankungen der Makula. Bei plötzlichem Auftreten muss man an eine Blutung denken. Insbesondere bei Patienten über 50 Jahren ist eine altersbezogene Makuladegeneration wahrscheinlich, bei Patienten unter 50 Jahren eine Chorioretinopathia centralis serosa, die oft mit einer Mikropsie verbunden ist. Wenn ein Diabetes mellitus als Vorerkrankung vorliegt, kann auch ein Makulaödem vorliegen. Weitere möglichen Ursachen sind ein Netzhautforamen, eine epiretinale Membran oder eine starke Myopie.
Sehphänomene
Schmerzlose Sehphänomene sind zum Beispiel wandernde Flecken (Spinnen, Fliegen), die vor allem vor einem hellen Hintergrund gesehen werden. Ursächlich sind dann Glaskörpertrübungen. Wird ein ganzes "Spinnennetz" beschrieben, liegt manchmal eine Glaskörperabhebung vor. Auch Lichtblitze können dann auftreten, wobei man dann an Netzhautforamina denken und eine Netzhhautablösung ausschließen muss.
Visusverlust
Eine plötzliche, beidseitige Erblindung kann bei einem Schlaganfall mit Beteiligung der Sehrinde vorkommen, aber auch bei Intoxikationen oder hypertensiver Krise. Bei einer plötzlichen akuten Erblindung muss man auch an einen Zentralarterienverschluss denken, insbesondere wenn kardiovaskuläre Risiken oder Symptome einer Arteriitis temporalis vorliegen. Ähnliche Beschwerden treten bei der anterioren ischämischen Optikusneuropathie auf. Bei jungen Patienten ist eine Neuritis nervi optici denkbar, typischerweise mit stark reduziertem Visus und afferenter Pupillenstörung bei sonst normalem Augenbefund. Wenn eine Erblindung langsam auftritt, ist eine Netzhautablösung oder Glaskörperblutung wahrscheinlich.
Leitsymptom | Charakteristik | Mögliche Diagnosen |
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Erblindung | Plötzlich und beidseitig |
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Plötzlich einseitig mit Kopfschmerzen, Kauschmerzen |
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Schmerzlos |
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Schmerzhafte Visusminderung | Heftige Schmerzen im Auge |
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Mäßige Augenschmerzen |
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Mit Kauschmerzen und Parästhesien der Kopfhaut |
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Mit mäßigen retrobulbären Schmerzen bei Augenbewegungen und afferenter Pupillenstörung |
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Mit mäßigen, bei Akkomodation zunehmenden retrobulbären Schmerzen |
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Schmerzlos | Akut, in der Nähe |
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Intermittierend |
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Chronisch, in der Ferne |
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Chronisch, in der Nähe |
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Chronisch, in dere Nähe und Ferne |
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Lücken im Gesichtsfeld |
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Verzerrtsehen mit einem Auge | Akut |
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In einigen Tagen entstanden |
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Seit Wochen |
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Nachtblindheit |
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Anfallsweise Wahrnehmung von Schleiern, Nebel oder Farbringen um Lichter |
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Mouches volantes |
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Plötzlicher einseitiger roter Schleier |
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Schmerzlose Lichtblitze, Rußregen, Vorhang von unten/oben |
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Blendungsgefühl bei Sonneneinstrahlung |
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Therapie
Die Therapie einer Visusminderung ist abhängig von ihrer Ursache. Bei den weit verbreiteten Refraktionsanomalien und anderen Visusminderungen ist eine Sehhilfe die Therapie der Wahl.
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