Hypophysenapoplex
Synonyme: Hypophysenapoplexie, Hypophyseninfarkt, Hypophysentumor-Infarkt
Englisch: pituitary apoplexy
Definition
Als Hypophysenapoplex bezeichnet man ein klinisches Syndrom, das durch eine akute Blutung oder einen ischämischen Infarkt der Hypophyse verursacht wird. In den meisten Fällen ist ein bereits vorbestehendes Hypophysenadenom ursächlich.
Terminologie
Der Begriff wird uneinheitlich verwendet. Einige Autoren verwenden ihn im Zusammenhang mit Hypophyseninfarkten im Rahmen eines Sheehan-Syndroms. Im deutschsprachigen Raum ist meist die Infarzierung und/oder Einblutung eines Hypophysenadenoms gemeint.[1]
Viele Hypophysenadenome zeigen asymptomatische Infarzierungen oder Einblutungen. Daher wird von einigen Autoren nur der symptomatische Hypophysenapoplex als solcher bezeichnet.[2][3]
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erkrankung. Epidemiologische Studien beziffern die Prävalenz mit 6,2 Fällen pro 100.000 Einwohner, die jährliche Inzidenz auf 0,17 Fälle pro 100.000 Einwohner.[4][5] Etwa 2 bis 12 % der Patienten mit einem Hypophysenadenom erleiden einen Hypophysenapoplex.[4][6][7] Häufig ist dies zugleich die Erstmanifestation des Adenoms.[2][3][7] In den meisten Erhebungen sind Männer häufiger betroffen als Frauen.[2][3][7]
Ätiologie
In ca. 90 % der Fälle liegt ein Hypophysenadenom zugrunde.[3] Prinzipiell kann jeder Adenomtyp einen Apoplex hervorrufen, mit Abstand am häufigsten tritt das Krankheitsbild jedoch bei Makroadenomen bzw. hormoninaktiven Adenomen auf, gefolgt von Prolaktinomen.[2]
Seltener basiert der Apoplex auf anderen Pathologien der Hypophyse, z.B. auf Rathke-Zysten, hypophysären PNET, Kraniopharyngeomen oder Metastasen anderer Tumoren.[2][3]
Bei bestehender Hypophysenveränderung gelten folgende Faktoren als auslösend oder prädisponierend:[2][7][8]
| Faktor | (vermuteter) Mechanismus | Latenz zum Apoplex |
|---|---|---|
| Angiographie, insb. der Carotiden oder Hirnarterien | Blutdruckschwankungen/Vasospasmen | sofort bis wenige Stunden |
| chirurgische Eingriffe , insbesondere Herzchirugie mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine | Hypotonie, peri- oder intraoperative Antikoagulation, Mikroembolien, physischer Stress mit vermehrter ACTH-Synthese und erhöhtem Energiebedarf | sofort bis zu 5 Tage |
| endokrinologische Stimulations- oder Suppressionstests mit Hormongabe, therapeutische Gabe von GnRH-Analoga | erhöhter Energiebedarf der Hypophyse mit Missverhältnis zur Blutversorgung | sofort bis zu 9 Tagen |
| Antikoagulation oder Blutungsneigung | Begünstigung hypophysärer Einblutungen | teils kurz nach Beginn einer Antikoagulation, teils nach langdauernder Therapie |
| Schädel-Hirn-Trauma | intrakranielle Druckveränderungen | sofort bis zu einer Woche |
| Schwangerschaft | hypophysäre Volumenzunahme, vermehrte Hormonsynthese mit erhöhtem Energiebedarf | letztes Trimenon |
Die Rolle von Dopaminagonisten als auslösender Faktor ist umstritten, einige Autoren vermuten eine protektive Wirkung.[7]
Pathogenese
Der Hypophysenapoplex entsteht durch Blutungen, Ischämien oder deren Kombination im Hypophysen- bzw. Tumorgewebe. Die genauen Gründe für die Neigung von Hypophysentumoren zu Ischämie und Blutung sind derzeit (2025) nicht vollständig geklärt. Diskutiert werden:[2][7][9]
- geringe Vaskularisierung von Tumorgewebes verglichen mit regulärem Hypophysengewebe, gleichzeitig hohes Gewebevolumen und hoher Energiebedarf
- Kompression der hypophysären Pfortadergefäße am Diaphragma sellae durch raumfordernde Effekte (allerdings wird die Mehrzahl der Hypophysenadenome unter Umgehung des Portalsystems durch die Arteria hypophysialis inferior versorgt)
- Tumorvaskularisierung durch abnorme, fragile oder zur Thrombosierung neigende Gefäße
Die Infarzierung oder Hämorrhagie kann zu einer abrupten intrasellären Druckzunahme führen. Die Symptomatik resultiert dann aus der Kompression benachbarter Strukturen, wie dem Chiasma opticum, dem Tractus olfactorius oder der im Sinus cavernosus verlaufenden Hirnnerven (III, IV, VI und V1-2).[2][7][9]
Das Eintreten von Blut oder nekrotischem Material in den Subarachnoidalraum kann einen Meningismus auslösen.[9] Im Verlauf können zudem zerebrale Ischämien auftreten. Diese entstehen durch eine direkte Kompression der Arteria carotis interna oder durch Vasospasmen, vermittelt durch den subarachnoidalen Blutaustritt.[2][7]
Klinik
Typische Symptome eines Hypophysenapoplex sind:[2][3][7][9]
- abrupt stärkster retroorbitaler Kopfschmerz (84 bis 100 % der Fälle, "Donnerschlag-", "Vernichtungskopschmerz"), teils auch bifrontal oder diffus
- Übelkeit (80 % d.F.), Erbrechen (40 % d.F.)
- Sehstörungen
- Gesichtsfeldausfälle (34 bis 70 % d.F.), meist bitemporale Hemianopsie, seltener andere Skotome oder Amaurose
- reduzierte Sehschärfe (56 % d.F.)
- äußere Augenmuskellähmungen (25 bis 57 % d.F.), meist Okulomotoriusparese, seltener Abduzensparesen
- Bewusstseinsstörungen (13 bis 30 % d.F.) bis hin zum Koma
Seltenere Symptome sind:[7]
- Fieber (16 % d.F.)
- Anosmie
- Epistaxis
- Rhinoliquorrhoe
- trigeminal-faziale Neuralgie
- Meningismus[7]
Als Komplikationen sind möglich:[7]
- Hypophysenvorderlappeninsuffizienz (70 bis 80 % d.F.), initial teils lebensbedrohlicher hypophysärer Hypocortisolismus, im Verlauf häufig sekundärer Hypogonadismus und sekundäre Hypothyreose
- Steigerung der Hormonsekretion durch hormonaktive Adenome (Verschlechterung von Hyperprolaktinämie, Akromegalie, Morbus Cushing)
- zentraler Diabetes insipidus (< 5 % d.F.)
- weitere zerebrale Ischämien
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt mittels bildgebender Verfahren:[7][9]
| Modalität | Typische Befunde | Einsatzzweck |
|---|---|---|
| cCT |
|
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| cMRT |
|
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Differentialdiagnosen
Wichtige Differentialdiagnosen sind:[7][9]
- Subarachnoidalblutung
- Meningitis, (Meningo-)Enzephalitis
- Sinusvenenthrombose
- Hypophysenabszess
- Migräne
- andere zerebrale Apoplexien
Therapie
Der Hypophysenapoplex ist ein neurologischer Notfall, der häufig intensivmedizinischer Versorgung bedarf.
Insbesondere bei schweren Verläufen ist die Therapie der Wahl eine sofortige neurochirurgische Versorgung der Blutung mit operativer Entlastung der komprimierten Hirnstrukturen.[7] Der operative Zugangsweg wird durch die Lage und Ausdehnung des Befundes bestimmt. Inwieweit in milderen Fällen konservativ therapiert werden kann, ist umstritten.[7][9]
Zudem muss in jedem Fall bei Diagnosestellung Hydrocortison substituiert werden, um einem Hypocortisolismus zuvorzukommen. Liegt bereits ein durch Cortisolmangel bedingter Schock vor, ist eine Volumensubstitution mittels isotoner Kochsalzlösung sowie eine Gabe von Glucoselösung empfohlen.[7]
Quellen
- ↑ Wolfsberger et al., Hypophysenapoplexie, J Neurol Neurochir Psychiatr, 2012
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9 Muthukumar, Pituitary Apoplexy - A Comprehensive Review, Neurology India, 2020.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Jho et al., Pituitary Apoplexy: Large Surgical Series with Grading System, World Neurosurgery, 2014.
- ↑ 4,0 4,1 Fernandez et al., Prevalence of pituitary adenomas: a community-based, cross-sectional study in Banbury (Oxfordshire, UK), Clinical Endocrinology, 2010.
- ↑ Raappana et al., Incidence of Pituitary Adenomas in Northern Finland in 1992–2007, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 2010.
- ↑ Zhu et al, Incidence of Pituitary Apoplexy and Its Risk Factors in Chinese People: A Database Study of Patients with Pituitary Adenoma, Plos One, 2015.
- ↑ 7,00 7,01 7,02 7,03 7,04 7,05 7,06 7,07 7,08 7,09 7,10 7,11 7,12 7,13 7,14 7,15 7,16 Briet et al., Pituitary Apoplexy, Endocrine Reviews, 2015.
- ↑ Jemel et al., Gestational pituitary apoplexy: Case series and review of the literature, Journal of Gynecology Obstetrics and Human Reproduction, 2019.
- ↑ 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 9,6 Bi et al., Pituitary apoplexy, Endocrine, 2014.