Hypophysenadenom
Synonyme: neuroendokriner Hypophysentumor, PitNET
Englisch: pituitary adenoma, pituitary neuroendocrine tumor
Definition
Hypophysenadenome, kurz PitNET, sind benigne neuroendokrine Tumore der Adenohypophyse. Diese Hypophysentumoren können sich durch endokrine Störungen und lokal raumfordernde Komplikationen präsentieren.
Einteilung
Hypophysenadenome lassen sich hinsichtlich verschiedener Kriterien klassifizieren.
...nach der Größe
- Mikroadenome: Größe < 10 mm, ca. doppelt so häufig als Makroadenome
- Makroadenome: Größe > 10 mm
Obwohl diese Unterscheidung weitgehend willkürlich ist, hat sie eine klinische Relevanz. Mikro- und Makroadenome unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Bildgebung als auch der Therapie.
...nach freigesetzten Hormonen
- Hormoninaktive Adenome (35 %): in den meisten Fällen Makroadenome
- Hormonaktive Adenome (65 %)
- Prolaktinome: produziert Prolaktin und ist das häufigste endokrin aktive Hypophysenadenom (48 %)
- GH-produzierendes Adenom (13 %)
- Gonadotropes Adenom (produziert FSH und LH) (10 %)
- ACTH-produzierendes Adenom (6 %)
- TSH-produzierendes Adenom bzw. Thyreotropinom (1 %)
...anhand der HE-Färbung
- Azidophile Adenome (Prolaktin, GH, FSH und LH)
- Basophile Adenome (ACTH und TSH)
- Nullzelladenome
Epidemiologie
Hypophysenadenome machen ca. 10 % aller intrakraniell wachsenden Tumoren und 30 bis 50 % der Hypophysentumore aus. Die Prävalenz beträgt ca. 0,1 %, in Autopsien sogar ca. 15 %. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr.
Frauen erkranken bevorzugt an Prolaktinomen und ACTH–sezernierenden Tumoren, Männer weisen eher GH–produzierende sowie hormonell inaktive Tumoren auf.
Überdurchschnittlich häufig (4 bis 7 % der Fälle) bestehen nebenbefundlich intrakranielle Aneurysmen.
Lokalisation
Hypophysenadenome können auch extrasellär auftreten. Zu den häufigsten ektopen Lokalisationen zählen:
Ätiologie
Die genaue Ätiologie der Transformation von der normalen Drüsenzelle zur ungehemmten Proliferation ist derzeit (2022) noch unklar und wird intensiv erforscht. In seltenen Fällen besteht ein syndromales Auftreten im Rahmen von
- Multipler endokriner Neoplasie (MEN) Typ I und IV
- Carney-Komplex
- McCune-Albright-Syndrom
Maligne Transformation
Sehr selten kommt es zu einem Übergang von atypischen Hypophysenadenomen in anaplastische Adenome oder Hypophysenkarzinome. Sie können u.U. mit Fernmetastasen in der Sellaregion verwechselt werden, die dann fälschlich als hypophyseneigen diagnostiziert werden.
Klinik
Dysregulation des Hormonsystems
Die Tumorzellen können eine inadäquate eigene Sekretion von Hormonen aufweisen. Weiterhin kann durch verdrängendes Wachstum die Synthese und Sekretion von Hormonen im nicht erkrankten Anteil der Hypophyse gestört sein, wobei sich meist ein Abfall der Hormonlevel zeigt (Hypopituitarismus). Dabei ist in der Regel folgende Reihenfolge zu beobachten: zunächst nimmt GH ab, gefolgt von LH und FSH, danach TSH, ACTH, Prolaktin, Oxytocin und ADH.
CAVE: Durch Quetschung des Hypophysenstiels kann es auch bei Adenomen, die kein Prolaktin produzieren zu einer Begleit-Hyperprolaktinämie kommen. Grund hierfür ist eine verminderte Freisetzung von Dopamin, welches normalerweise die Prolaktinproduktion hemmt ("Prolaktin-Inhibiting-Hormon). Man spricht vom so genannten "Stalk-Effekt".
Überproduktion von Hormonen
- Prolaktinom: Die betroffenen Frauen leiden an einer sekundären Amenorrhoe sowie Galaktorrhoe, Männer beklagen Impotenz und eine erniedrigte Libido.
- GH-positive Adenome: Kinder fallen durch Gigantismus auf, Erwachsene leiden unter Akromegalie.
- ACTH-positive Adenome: Beide Geschlechter erkranken an Morbus Cushing. Sind die Nebennieren bereits entfernt worden, spricht man vom Nelson-Syndrom.
- FSH- und LH-positive Adenome sind meistens bei älteren Patienten zu finden und verursachen die meisten Symptome durch Kompression der Nachbarstrukturen.
- TSH-positive Adenome sind sehr selten und verursachen eine sekundäre Hyperthyreose.
Unterproduktion von Hormonen
Hormonausfälle durch druckbedingte Ausfälle des nicht erkrankten Anteils der Hypophyse können sich unter anderem durch folgende Symptome äußern:
- Mangel an Wachstumshormonen: Führt unter anderem zu Wachstums- bzw. Entwicklungsstörungen bei Kindern.
- Mangel an FSH und LH: Mögliche Symptome sind eine verminderte Libido und Infertilität.
- Mangel an TSH: Resultiert unter anderem in einer Gewichtszunahme, Kälteintoleranz und vermehrter Müdigkeit.
- Mangel an ACTH: Kann eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz zur Folge haben.
Raumfordernde Effekte
Neben der Beeinflussung des Hormonsystems können insbesondere Makroadenome Nachbarstrukturen komprimieren, insbesondere das Chiasma opticum. Durch Kompression des zentralen Chiasma opticums entsteht eine klassische bitemporale Hemianopsie. Bei 20 % der Menschen befindet sich das Chiasma opticum weiter anterior über dem Tuberculum sellae oder weiter posterior über dem Dorsum sellae. In diesen Fällen oder wenn ein Makroadenom asymmetrisch wächst, können auch der Nervus opticus oder Sehbahnen komprimiert werden.
Eine Invasion in den Sinus cavernosus ist möglich, am häufigsten bei Prolaktinomen. Diese Tumore können nur schwer vollständig reseziert werden. Im Sinus kann der Nervus oculomotorius und seltener der Nervus abducens komprimiert werden. Neben Gesichtsfeldausfällen sind auch Kopfschmerzen möglich.
In seltenen Fällen führt der Tumor durch Kompression des Mesencephalons oder Verlegung des dritten Ventrikels zu einem Hydrozephalus. Auch orbitale oder sinonasale Beschwerden sind möglich. Ein Hypophysenapoplex ist eine sehr seltene Komplikation.
Diagnostik
Klinisch fallen die Patienten entweder durch Störungen im Hormonhaushalt oder durch die raumfordernde Wirkung des Tumors auf benachbarte Hirnstrukturen auf. Zur Diagnosestellung werden primär bildgebende Verfahren eingesetzt.
Radiologie
Mikroadenome
Mikroadenome sind in der Computertomografie (CT) kaum erkennbar. Zur Diagnosestellung dient die Magnetresonanztomographie (MRT). Mit Hilfe spezieller MRT-Sequenzen kann eine Sensitivität von 90 % erreicht werden. Eingesetzt werden primär dünnschichtige dynamische Kontrastmittelserien. Auch in den nativen Sequenzen können subtile Veränderungen erkannt werden, wie z.B. eine Verdickung im Bereich des Mikroadenoms, subtile Veränderungen des Sella-Bodens oder eine Verlagerung des Hypophysenstiels weg vom Adenom. Das Mikroadenom zeigt folgende Signalveränderungen:
- T1w: Meist isointens zur normalen Hypophyse.
- T1w-KM: In der Dynamik rundliche Region verzögerter Kontrastmittelanreicherung im Vergleich zur restlichen Drüse. In der späteren Kontrastmittelphase variiert das Enhancement: meist hypointens, seltener iso- oder hyperintens zur restlichen Drüse.
- T2w: Variabel, oft leicht hyperintens.
Makroadenome
Makroadenome dehnen sich meist nach oben in die Cisterna suprasellaris aus. Eine bilaterale Einziehung des weichen Tumors durch das Diaphragma sellae führt zur hantelförmigen bzw. "Schneemann-Konfiguration". Das meist langsame Wachstum bedingt eine Vergrößerung der Sella turcica mit Ausdünnung und Remodeling des Knochens.
Computertomographie
Makroadenome zeigen sich in der CT als solider Tumor mit einer häufig Hirn-isodensen Dichte (30 bis 40 HU) und moderatem Kontrastmittel-Enhancement. Die Dichte variiert je nach Vorhandensein von hämorrhagischen, zystischen oder nekrotischen Anteilen. Verkalkungen sind selten.
Magnetresonanztomographie
Bei Makroadenomen ist die MRT ebenfalls Methode der Wahl. Sie erscheinen sowohl in T1w als auch in T2w isointens zur grauen Substanz, wobei das Signalverhalten je nach Vorhandensein von hämorrhagischen, zystischen oder nekrotischen Anteilen deutlich variieren kann. Solide Anteile zeigen ein moderates bis deutliches Kontrastmittel-Enhancement. Mikroblutungen erscheinen in SWI- bzw. GRE-Sequenzen hypointens.
Die MRT dient auch der Beurteilung einer ggf. vorhandenen Invasion in den Sinus cavernosus. Die Wahrscheinlichkeit ist umso größer, je mehr der Tumor die kavernöse Arteria carotis interna umschließt. Bei einem Winkel von weniger als 90° ist eine Beteiligung des Sinus sehr unwahrscheinlich, während bei einem Winkel von mehr als 270° eine Beteiligung fast sicher ist. Alternativ kann das Knosp-Klassifikation verwendet werden.
Angiographie
Bei Patienten mit Verdacht auf ein Mikroadenom trotz unauffälliger MRT kann mittels digitaler Subtraktionsangiographie eine Blutprobe aus dem Sinus petrosis inferior gewonnen werden.
siehe Hauptartikel: Inferior Petrosal Sinus Sampling
Nuklearmedizin
Makroadenome zeigen einen Hypermetabolismus, während die normale Hypophyse kein FDG-Uptake im PET-CT aufweist.
Labor
Prolaktinom
Der Serumprolaktin-Spiegel ist erhöht und bis zu einer gewissen Größe des Tumors proportional zur Zellmasse. Aufgrund des erwähnten Stalk-Effekts kann es bei Quetschung des Hypophysenstiels auch bei Adenomen, die kein Prolaktin produzieren, zu einer Begleit-Hyperprolaktinämie kommen.
GH-positive Adenome
Erhöhte GH-Werte werden in 40 % der Fälle von erhöhten Prolaktin- und TSH-Spiegeln begleitet.
ACTH-positive Adenome
Eine ACTH-Erhöhung ist schwer nachzuweisen, beweisend sind jedoch ein erhöhter Cortisol-Spiegel und eine fehlende Suppression der Sekretion nach externer hochdosierter Kortisolgabe.
siehe auch: Morbus Cushing (Diagnostik)
TSH-produzierende Adenome
Auffallend sind erhöhte fT3- und fT4-Werte bei hohen TSH-Werten, die nicht durch externe Hormongabe supprimierbar sind.
Pathohistologie
ACTH-produzierende Adenome verursachen in den gesunden Hypophysenanteilen eine Crooke's Hyalin-Ansammlung in den corticotropen Zellen. Durch den erhöhten Steroidspiegel im Blut degenerieren die Zellen. Sie verlieren ihre spezifische Granulation und weisen im Zytoplasma Akkumulationen von Intermediärfilamenten auf.
Differenzialdiagnosen
Radiologische Differenzialdiagnosen von Mikroadenomen
Differentialdiagnose | Eigenschaften |
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Rathke-Zyste |
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Kraniopharyngeom |
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Metastasen |
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Radiologische Differenzialdiagnosen von Makroadenomen
Differentialdiagnose | Eigenschaften |
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Metastase |
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Hypophysenkarzinom |
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Meningeom |
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Papilläres Kraniopharyngeom |
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Adamantinöses Kraniopharyngeom |
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Lymphozytische Hypophysitis |
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Sakkuläres Hirnaneurysma |
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Therapie
Die Therapie eines Hypophysentumors ist abhängig von der Art und Größe des Tumors. Mögliche Behandlungsoptionen sind die operative und medikamentöse Therapie sowie eine Strahlentherapie.
Operative Therapie
Die Operation kann dabei mikrochirurgisch durch einen transnasalen oder transsphenoidalen Zugang erfolgen. Sind die Tumore suprasellär gelegen, muss in der Regel eine Kraniotomie durchgeführt werden. Hormoninaktive Mikroadenome, die asymptomatisch sind, sollte man in regelmäßigen Abständen kontrollieren. Kommt es im Verlauf zu einer Größenzunahme des Adenoms, kann eine chirurgische Entfernung diskutiert werden.
Medikamentöse Therapie
Prolaktinome werden in erster Linie medikamentös mit Dopaminagonisten wie beispielsweise Bromocriptin behandelt. Eine mögliche Behandlungsoption für GH-positive Adenome sind Somatostatin-Analoga wie Octreotid. Bei einem Therapieversagen kann das Medikament Pegvisomant eingesetzt werden. Bei TSH-produzierenden Tumoren muss die Hyperthyreose behandelt werden.
Weitere Therapieoptionen
Bei einem erneuten Wachstum werden sowohl hormoninaktive als auch hormonaktive Adenome durch eine gezielte stereotaktische Strahlentherapie behandelt.
Prognose
Die Prognose hängt entscheidend vom Zeitpunkt der Diagnosestellung ab.
Literatur
- Pschyrembel - Hypophysenadenom, abgerufen am 29.09.2022
- Neurochirurgie Inselspital - Hypophysenadenom, abgerufen am 29.09.2022
- Krebsgesellschaft - Hypophysentumoren, abgerufen am 29.09.2022
- Maldaner et al. Modernes Management von Hypophysenadenomen – gegenwärtiger Stand in Diagnostik, Therapie und Nachsorge, Research Gate, 2018