Synonym: Nervi craniales
Englisch: cranial nerves
Als Hirnnerven bezeichnet man Nerven, deren Fasern direkt aus dem Gehirn hervorgehen bzw. in das Gehirn einstrahlen. Dadurch unterscheiden sie sich von den Spinalnerven, die aus dem Rückenmark entspringen. Die meisten Hirnnerven stehen mit spezialisierten Nervenzellansammlungen des Hirnstamms in Verbindung, den Hirnnervenkernen. Hirnnerven besitzen immer mindestens eine Durchtrittstelle innerhalb der knöchernen Struktur des Schädels.
Die Hälfte der Hirnnerven sind gemischte Nerven, die verschiedene Faserqualitäten führen. Das bedeutet, dass ein Nerv zum Beispiel gleichzeitig für die Steuerung von Muskeln und die Weiterleitung von Empfindungen verantwortlich sein kann. Die andere Hälfte führt nur eine Faserqualität. Man unterscheidet:
Vereinfacht gesprochen bedeutet "allgemein", dass die Faserqualitäten den Verhältnissen im übrigen peripheren Nervensystems entsprechen, während "speziell" Faserqualitäten beschreibt, die nur bei den Hirnnerven vorkommen (sensorische Wahrnehmungen, Versorgung der Kiemenbogenmuskulatur).
Die 12 Hirnnerven werden mit römischen Ziffern in der Reihenfolge ihres Austritts aus dem Gehirn von rostral nach kaudal nummeriert. Die Systematik ist nicht einheitlich.
Als 1. Hirnnerv werden überwiegend die Fila olfactoria, die in den Bulbus olfactorius einstrahlen, angesehen. Abweichend davon wird auch das beim Menschen rudimentär vorhandene Jacobson'sche Organ als 1. Hirnnerv bezeichnet. Der 2. Hirnnerv ist der Nervus opticus.
Heute besteht darüber Einigkeit, dass der 1. und der 2. Hirnnerv vorgelagerte Teile des Gehirns sind. Daher sind sie nicht als Nerven im eigentlichen Sinne anzusehen, werden aber nach wie vor so bezeichnet.
Ein weitere Sonderstellung unter den Hirnnerven hat der Nervus accessorius (XI), weil ein Teil seiner Fasern (Ramus externus) aus dem Rückenmark stammt.
Nervus | Bezeichnung | Funktion | Faserqualitäten |
---|---|---|---|
I | Nervus olfactorius (Riechnerv) | Leitet Signale von der Nase zum Gehirn | SVA (sensorisch) |
II | Nervus opticus (Sehnerv) | Leitet die Signale der Netzhaut zum Gehirn | SSA (sensorisch) |
III | Nervus oculomotorius | Steuert Augenbewegungen, den Lidheber sowie die Regenbogenhaut (Iris) | GSE, GVE |
IV | Nervus trochlearis | Steuert den schrägen oberen Augenmuskel | GSE |
V * | Nervus trigeminus | Untergliedert sich in den Nervus ophthalmicus, den Nervus maxillaris und den Nervus mandibularis. Er leitet sensible Informationen aus dem ganzen Gesichtsbereich zum Gehirn und innerviert die Kaumuskulatur. | GSA, SVE |
VI | Nervus abducens | Innerviert den lateralen Augenmuskel | GSE |
VII * | Nervus facialis (Gesichtsnerv) | Steuert die Muskulatur der Mimik und Musculus stapedius, vermittelt auch die Geschmackswahrnehmung in den vorderen zwei Dritteln der Zunge, innerviert alle Kopfdrüsen außer der Ohrspeicheldrüse | SVE, GVE, GSA, SVA (sensorisch) |
VIII | Nervus vestibulocochlearis (Hörnerv) | Zuständig für die Weiterleitung der Informationen von der Hörschnecke und vom Gleichgewichtsorgan | SSA (sensorisch) |
IX * | Nervus glossopharyngeus | Leitet die Signale des hinteren Zungenabschnittes zum Gehirn und innerviert die Muskeln des Rachens. Wichtig für den Schluckakt. Innerviert auch die Ohrspeicheldrüse. | GSA, GVE, SVE, GVA, SVA (sensorisch) |
X * | Nervus vagus | Hauptnerv des Parasympathikus und an der Regulation der Tätigkeit vieler innerer Organe beteiligt | GSA, GVE, SVE, GVA, SVA (sensorisch) |
XI (*) | Nervus accessorius | Versorgt motorisch den Musculus trapezius und den Musculus sternocleidomastoideus. | GSE, (SVE) |
XII | Nervus hypoglossus | Steuert die Zungenbewegung | GSE |
*) embryologisch: Kiemenbogennerven |
Die Hirnnerven V, VII, IX und X klassifiziert man aufgrund ihrer embryonalen Entwicklungsgeschichte auch als Kiemenbogennerven. Ihre motorischen Faserqualitäten werden als speziell-viszeromotorisch bzw. branchiomotorisch bezeichnet. Sie versorgen Muskeln, die sich aus Muskelanlagen der Kiemenbögen entwickelt haben.
In einigen Lehrbüchern wird auch der Nervus XI (Nervus accessorius) zu den Kiemenbogennerven gerechnet. Das trifft aber nur für seinen kranialen Teil ("Ramus internus") zu, der eine Fortsetzung des Nervus vagus (Nervus X) darstellt.
Zum 7. Hirnnerven: Auch seine Systematik ist nicht einheitlich. Zuweilen wird nämlich ein Teil des 7. Hirnnerven, der Nervus intermedius, als "13. Hirnnerv" bezeichnet. Diese Auffassung ist für das Verständnis der Funktion des Parasympathikus im Kopfbereich nützlich.
Neben den o.a. 12 Hirnnerven kann auch der erst 1913 entdeckte Nervus terminalis als "nullter Hirnnerv" (Nervus 0) zu den Hirnnerven gerechnet werden.
Alle Hirnnerven sind paarig angelegt. Nach ihrem Austritt aus der Nervenzellmasse des Gehirns verlaufen die Fasern der Hirnnerven zunächst intrakraniell und treten dann über unterschiedlich dimensionierte Kanäle (Foramina, Fissuren) aus dem Schädel aus. Danach beginnt ihr extrakranieller Abschnitt.
Nerv | Passage |
---|---|
Nervus olfactorius (I) | Lamina cribrosa |
Nervus opticus (II) | Canalis opticus |
Nervus oculomotorius (III), Nervus trochlearis (IV), Nervus ophthalmicus (V1), Nervus abducens (VI) | Fissura orbitalis superior |
Nervus maxillaris (V2) | Foramen rotundum |
Nervus mandibularis (V3) | Foramen ovale |
Nervus facialis (VII) | Canalis nervi facialis |
Nervus vestibulocochlearis (VIII) | Meatus acusticus internus |
Nervus glossopharyngeus (IX), Nervus vagus (X), Nervus accessorius (XI) | Foramen jugulare |
Nervus hypoglossus (XII) | Canalis nervi hypoglossi |
Tabelle: Durchtrittsstellen der Hirnnerven im Schädel
Hirnnerven im engeren Sinn mit afferenten Anteilen (V, VII, VIII, IX, X) führen sensible bzw. sensorische Fasern, deren Zellkörper in Nervenzellansammlungen (Ganglien) außerhalb des Gehirns liegen. Diese Hirnnervenganglien entsprechen den Spinalganglien der Spinalnerven. Dazu zählen:
Ferner führen einige Hirnnerven Fasern von Nervenzellen aus den parasympathischen Kopfganglien:
Hirnstamm mit Hirnnerven
Schädelbasis mit Hirnnerven
Den Ausfall eines Hirnnerven bezeichnet man als Hirnnervenparese. Ursache dafür sind Läsionen, z.B. durch Traumata, Infektionen, Tumoren oder Ischämien. Die Läsion kann zentral, d.h. im Hirnnervenkern, oder peripher, d.h. im Verlauf des Nerven, lokalisiert sein. Beispiele sind die Fazialisparese und die Okulomotoriusparese.
Von den sensiblen Hirnnerven können Schmerzsyndrome ausgehen, deren prominentester Vertreter die Trigeminusneuralgie ist. Weitere Formen sind die Glossopharyngeusneuralgie und die Intermediusneuralgie.
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Eselsbrücken für die 12 Hirnnerven:
Eselsbrücke für die 12 Faserqualitäten der Hirnnerven (s=sensibel; m=motorisch; b=beides):
Fachgebiete: Zentralnervensystem
Diese Seite wurde zuletzt am 7. Juni 2022 um 12:38 Uhr bearbeitet.
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