Trigeminusneuralgie
Synonym: Tic douloureux
Englisch: trigeminal neuralgia
Definition
Die Trigeminusneuralgie ist ein Gesichtsschmerz im Versorgungsbereich des Nervus trigeminus.
- ICD-Code: G50.0
Epidemiologie
Die Inzidenz der Trigeminusneuralgie beträgt ca. 10/100.000 Einwohner pro Jahr. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Eine Trigeminusneuralgie kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei der Häufigkeitsgipfel zwischen 70 und 80 Jahren liegt.
Einteilung
Nach der Klassifikation der International Headache Society unterscheidet man im ICHD-3 (2018) ätiologisch drei Formen der Trigeminusneuralgie:
Klassische Trigeminusneuralgie
Die klassische Trigeminusneuralgie beruht auf einen pathologischen Gefäß-Nerven-Kontakt. In ca. 80 % d.F. wird der Nervus trigeminus durch die Arteria cerebelli superior komprimiert (Jannetta-Mechanismus). Seltener sind Venen, die Arteria cerebelli posterior inferior (PICA), die Arteria cerebelli anterior inferior (AICA), die Arteria vertebralis oder die Arteria basilaris beteiligt. Die entsprechenden Gefäße sind häufig arteriosklerotisch verändert und elongiert. Durch Kompression des Nerven kommt es zu einer lokalen Demyelinisierung, in deren Folge ektope Impulse an den demyelinisierten Fasern generiert werden. Diese führen zu einer Hyperexzitation und Signalübertragung zwischen demyelinisierten sensiblen und nozizeptiven Fasern (ephaptische Signalübertragung). Im Spätverlauf kann auch ein axonaler Schaden entstehen, der oft zu Dauerschmerzen führt.
Symptomatische Trigeminusneuralgie
Ursachen der selteneren symptomatischen Trigemusneuralgie sind z.B.:
- Multiple Sklerose (MS)
- Raumforderungen (z.B. Meningeome, Vestibularisschwannome, Syringobulbie)
- Hirnstammischämien
Idiopathische Trigeminusneuralgie
Als weitere Form wird eine idiopathische Trigeminusneuralgie abgegrenzt, deren Pathophysiologie ungeklärt ist. Symptomatisch unterscheidet sie sich nicht von der klassischen Form. Teilweise wird sie in der Literatur auch mit der klassischen Trigeminusneuralgie gleichgesetzt.
Klinik
Die Patienten berichten über einseitige, plötzlich auftretende, heftigste Schmerzen, die meist nur wenige Sekunden (maximal 2 Minuten) anhalten. Sie treten meist im Versorgungsgebiet des Nervus maxillaris (V2) und Nervus mandibularis (V3) auf. Bei der symptomatischen Form können auch beidseitige Beschwerden auftreten, jedoch nicht gleichzeitig. Die Schmerzen erreichen auf einer Schmerzskala von 0-10 (NRS) in der Selbsteinschätzung durch den Patienten fast immer den höchsten Wert. Sie werden als heftig, scharf, oberflächlich oder stechend beschrieben.
Die Attacken können spontan entstehen oder durch bestimmte Ereignisse "getriggert" werden. Als Auslöser kommen z.B. Kauen, Sprechen, Berührungen sowie Kälte- oder Wärmereize in Frage.
Begleitend zu den Schmerzen können reflektorische Spasmen der Gesichtsmuskulatur, Hautrötung und Augentränen (Epiphora) auftreten. Bei länger bestehenden Trigeminusneuralgien kommt es in Folge der massiven Schmerzen häufig zu depressiven Verstimmungen, die bis zum Suizid führen können. Im Verlauf der Erkrankung können dumpfe Dauerschmerzen zwischen den Attacken vorliegen.
Diagnostik
Die Trigeminusneuralgie wird primär klinisch diagnostiziert, wobei symptomatische Formen identifiziert werden müssen. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie sind Hyperalgesien im Trigeminusgebiet während der Schmerzattacke möglich. Hinweisend auf eine symptomatische Form sind zusätzliche Sensibilitätsstörungen (z.B. Hypästhesien), weitere fokal-neurologische Defizite sowie ein bilaterales Auftreten.
Um eine Raumforderung oder eine multiple Sklerose auszuschließen, wird eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels durchgeführt. In der 3D-CISS-Sequenz kann ein ggf. vorliegender Gefäß-Nerven-Kontakt dargestellt werden.
Als fakultative Zusatzdiagnostik kommen u.a. in Frage:
- Somatosensorisch evozierte Potentiale (SEP) des Nervus trigeminus
- Lumbalpunktion bei V.a. entzündlicher Genese bzw. zum Ausschluss einer MS
Differentialdiagnosen
- Cluster-Kopfschmerz: Starke einseitige Schmerzen im Bereich von Auge, Stirn oder Schläfe, v.a. nachts, gehäuft in Clusterperioden. Meist 30-45 Minuten anhaltend. Mit autonomen Begleitsymptomen (Tränenfluss, Miosis, Rhinorrhö). Keine Triggerfaktoren.
- paroxysmale Hemikranie: einseitige, periorbitale Schmerzen für mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde mit autonomen Begleitsymptomen (Tränenfluss, Gesichtsrötung, Schwitzen, Miosis). Ansprechen auf Indometacin. Häufig keine Triggerfaktoren.
- SUNCT-Syndrom: einseitige Gesichtsschmerzen (v.a. periorbital) mit autonomen Begleitsymptomen (Augenrötung, Tränenfluss). Attacken für mehrere Sekunden bis einige Minuten. Keine Refraktärphasen zwischen Attacken. Kein Ansprechen auf Carbamazepin.
- anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz: Täglich dumpfe Schmerzen, ggf. auch bilateral. Keine Sensibilitätsstörungen. Therapieversuch mit Amitriptylin.
- Andere Neuralgien
- Pseudo-Trigeminusneuralgie
- Paratrigeminales Syndrom
- Sonstige
Therapie
Medikamentös
Medikamentös werden Trigeminusneuralgien prophylaktisch durch Gabe von Carbamazepin (bis 1.200 mg/d) oder Oxcarbazepin (bis 1.800 mg/d) behandelt. Als Mittel der 2. Wahl gelten:
Häufig kommt es nach initial gutem Ansprechen langfristig zu einer Wirkabschwächung. Bei Nichtansprechen auf verschiedene Monotherapien kann auch eine Kombinationstherapie erwogen werden.
Zur Akuttherapie kann Carbamazepin als Suspension oder in besonders schweren Fällen Phenytoin i.v. eingesetzt werden. Nichtsteroidale Antiphlogistika sind bei der Trigeminusneuralgie wirkungslos.
Blockadetherapie
Die Blockadetherapie umfasst die temporäre medikamentöse Ausschaltung des Ganglion gasseri durch Lokalanästhetika oder mittels ganglionärer lokaler Opioidanalgesie (GLOA).
Operativ
Bei Versagen der medikamentösen Therapie (nach 3 Monotherapien oder erfolgloser Kombinationstherapie) oder untolerierbaren Nebenwirkungen kommt bei der klassischen Trigeminusneuralgie eine operative Therapie in Frage. Dabei existieren verschiedene Methoden:
- Mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta: Mikrochirurgische Dekompression der Nervenwurzel, bei der ein kleines Materialstück (z.B. Teflon) zwischen Gefäß und Nerv eingebracht wird
- Perkutane Verfahren zur Schädigung des Ganglion trigeminale: v.a. bei erhöhtem Operationsrisiko
- Radiofrequenzthermokoagulation
- Injektion von Glycerol
- Ballondilatation
- radiochirurgische Therapie: v.a. bei erhöhtem Operationsrisiko und bei MS. Stereotaktische Bestrahlung durch Gamma-Knife oder Linearbeschleuniger.
Prognose
Etwa ⅓ der Patienten haben nur eine Episode im Leben. Bei anderen ist der Verlauf häufig progredient, wobei auch oft Phasen mit spontaner Remission vorkommen.
Weblinks
- S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Trigeminusneuralgie, AWMF Registernummer 030 - 016, abgerufen am 22.08.32024
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