Kraniomandibuläre Dysfunktion
Synonyme: craniomandibuläre Dysfunktion, funktionelles Schmerzsyndrom, Costen-Syndrom, Myoarthropathie des Kausystems, temporomandibuläre Störung, TMS, temporomandibuläre Dysfunktion, TMD
Englisch: temporo-mandibular-joint-disease, temporomandibular disorder
Definition
Als kraniomandibuläre Dysfunktion, kurz CMD, bezeichnet man eine schmerzhafte Fehlregulation des Kauapparates, die durch ein gestörtes Zusammenspiel verschiedener Muskeln, Sehnen und Gelenke ausgelöst wird. Diese basiert auf psychischen, strukturellen, funktionellen und biochemischen Faktoren.
Epidemiologie
Etwa 3–12 % der erwachsenen Bevölkerung leiden an CMD.[1] In der Literatur findet sich auch höhere Angaben von bis zu 40 %. Verschiedene Prävalenzen bestehen auch zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Sie sind auf genetisch bedingte anatomische Unterschiede zurückzuführen. So sind Zentralafrikaner mit einem breiteren Unter- und Oberkiefer seltener von CMD betroffen, als Japaner mit schmaleren Kiefern.[2] Frauen im gebärfähigen Alter sind etwa doppelt so häufig betroffen, die Symptome bessern sich meist während des Klimakteriums. Kinder sind nur selten betroffen, die Erkrankungshäufigkeit steigt jedoch bis zur Pubertät an.[1]
Ätiologie
Durch lange bestehendes Knirschen der Zähne (Bruxismus), Pressen oder festes Zusammenbeißen kommt es zu einer Myoarthropathie (myofaszialer Schmerz, Diskusverlagerungen des Kiefergelenkes, Arthralgie, Arthritis, Arthrose). Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Mögliche Einflussgrößen sind genetische Faktoren, Hormone, Entwicklungsstörungen, Haltungsstörungen, Stress, Trauma, Schlafstörungen, Schlafapnoe, Refluxkrankheit, Depression, PTSD, Hypervigilanz und Sympathikusaktivierung, Zahnfehlstellung, Zahnextraktionen oder Okklusionsstörungen.
Symptome
- diffuse Schmerzen im Bereich des Kiefergelenks und der Kaumuskulatur, sowohl in Ruhe als auch in Bewegung
- Schmerzqualität: meist dumpf, beständig oder wellenförmig
- eingeschränkte Kieferöffnung
- Knack- und Reibegeräusche beim Öffnen und Schließen des Kiefers
- Schmerzausstrahlung in Mund, Nacken, Kopf, Stirn, Orbita, Schläfe, Wange, Schulter, Rücken, HWS
- Probleme bei der Passung der Zähne
- Ohrenschmerzen, Tinnitus, Schwindel, Kopfschmerzen
- Zungen- oder Mundbrennen
- Beeinträchtigung der Lebensqualität
Diagnose
- Ausführliche Anamnese (Aufbissbehelfe, Kronen, Brücken, Psychopharmaka, psychosomatische Erkrankungen, psychosoziale Beeinträchtigungen, Traumata)
- körperliche Untersuchung (Kieferöffnung (Abweichung des Unterkiefers bei Öffnung oder Schluss, Deviation, Deflexion), Druckschmerz der Kiefergelenke, odontogene Entzündungen, Verhärtungen der Kaumuskulatur (m. masseter, m. temporalis), Instabilitäten, Schmerzen beim Zusammenbeißen der Zähne, Gelenkgeräusche, Schlifffacetten auf Zähnen, Zungenimpressionen)
- apparative Untersuchung (Panoramaröntgen, CT, MRT, Tumorausschluss)
Differentialdiagnosen
- Erkrankungen aus dem psychosomatischen Formenkreis
- Trigeminusneuralgie
- Tumore
- Migräne, Clusterkopfschmerz
- Frakturen
- atypischer Gesichtsschmerz
- Entzündungen (MS, Zahnbeherdungen, chronische Nasennebenhöhlenentzündung)
Therapie
Die Behandlung der kraniomandibulären Dysfunktion ist in der Regel konservativ und multimodal:
- Psychoedukation (Aufklärung und Verhaltenstherapie hinsichtlich Stressbewältigung, Vermeidung von Parafunktionen)
- weiche Nahrung
- Wärme- und Kälteanwendungen
- Stressmanagement, Entspannungsübungen (Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation)
- Biofeedback
- Okklussionsschiene zur Kieferrelaxation
- Physiotherapie (Dehnübungen und Triggerpunkttherapie)
- Medikamentöse Therapie (Schmerztherapie nach WHO- Stufenschema, muskelentspannende Medikamente, Schlafmittel, Antidepressiva (Amitriptylin), GABA-erge Medikamente (Gabapentin, Pregabalin)
- TENS
- Psychotherapie
- Zahnsanierungen, kieferchirurgische und kieferorthopädische Maßnahmen, z.B. Arthrozentese oder Arthroskopie bei therapierefraktären Fällen
- Hypnose
- Akupunktur
Prognose
Die Prognose ist meist günstig, da die Mehrheit der Patienten auf konservative Maßnahmen anspricht. Eine Chronifizierung ist möglich, insbesondere bei psychosozialer Belastung und fehlender Therapieadhärenz.
Quellen
Literatur
- Dapprich J: Interdisziplinäre Funktionstherapie, Kiefergelenk und Wirbelsäule 2. Auflage 2018 Deutscher Ärzteverlag Köln