Autosomal-dominante Optikusatrophie
nach dem dänischen Ophthalmologen Poul Kjer
Synonyme: Kjer-Optikusatrophie, Optikusatrophie Typ Kjer, Optikusatrophie Typ I
Englisch: autosomal dominant optic atrophy, dominant optic atrophy, Kjer-type optic atrophy, Kjer's optic neuropathy
Definition
Bei der autosomal-dominanten Optikusatrophie, kurz ADOA, handelt es sich um eine primäre Mitochondriopathie, die zu einer progredienten, schmerzlosen Degeneration der retinalen Ganglienzellen führt. Neben dem autosomal-dominanten Erbgang treten auch de novo-Mutationen auf.
Geschichte
Die Erkrankung wurde durch Poul Kjer erstmals im Jahr 1959 beschrieben.[1]
Epidemiologie
Die Prävalenz wird auf etwa 1:12.000 bis 1:35.000 geschätzt, wobei sie in Dänemark aufgrund eines Gründereffektes am höchsten ist.
Ätiopathogenese
Ursächlich für ADOA sind Mutationen im OPA1-Gen an Genlokus 3q29, von denen bisher über 400 bekannt sind. Das Gen kodiert für ein Protein der inneren Mitochondrienmembran, dessen Verlust zu einer Beeinträchtigung der mitochondrialen DNA-Replikation, der Verschmelzungs- und Teilungsprozesse ("fusion and fission") und der ATP-Synthese führt.[2] Gleichzeitig entstehen vermehrt freie Radikale. In Folge kommt es zur Apoptose der retinalen Ganglienzellen, die besonders anfällig für ATP-Defizite und oxidativen Stress sind.
Symptome
Die Krankheit ist durch eine in der Regel langsam fortschreitende, beidseitige Verschlechterung des Sehvermögens gekennzeichnet. Typische Anzeichen sind ein reduziertes zentrales Gesichtsfeld (Zentralskotom), (Gelb-Blau-)-Dyschromatopsie und eine verminderte Sehschärfe.[3][4] Auch das Sehen bei schlechten Lichtverhältnissen bereitet Probleme. Die Patienten zeigen erste Symptome im Kindes- oder Jugendalter, oft bereits in der ersten Lebensdekade.[5]
Bei ca. 20 % der ADOA-Patienten treten extraokuläre Symptome auf, vorwiegend in Geweben mit hohem Energiebedarf (Muskulatur, Gehirn).[6][7] Dieses sogenannte autosomal-dominante Optikusatrophie plus-Syndrom zeichnet sich durch sensorineuralen Hörverlust und andere Neuropathien, Ataxien und/oder Myopathien aus. Zu beachten ist, dass diese Symptome in der Regel erst im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt auftreten. In seltenen Fällen kann der Hörverlust vor der Optikusatrophie auftreten.[7]
Diagnostik
- Augenuntersuchung: Bestimmung der Sehschärfe, Funduskopie, Farbsehtest
- Perimetrie: Prüfung auf Gesichtsfeldausfälle
- Optische Kohärenztomografie: zeigt eine Ausdünnung der Ganglienzellschicht und Reduktion der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL)
- Visuell evozierte Potenziale (VEP): Nachweis der verzögerten Sehnervfunktion
- Relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD): unauffällig
- Molekulargenetischer Nachweis der auslösenden Mutation
Differentialdiagnose
Therapie
Eine Therapie für ADOA existiert derzeit (2024) nicht. Die Off-label-Einnahme von Idebenon, einem Therapeutikum der ätiopathogenetisch und symptomatisch ähnlichen LHON, konnte bei einigen Patienten begrenzte positive Effekte erzielen.[8][9][10]
Studien
Mehrere Firmen arbeiten an der Entwicklung von RNA-Therapeutika.
Prognose
Bei der ADOA handelt es sich um eine langsam fortschreitende Erkrankung mit mildem bis moderatem Sehverlust (Sehschärfe in der Regel zwischen 20/80 und 20/120).[2] Eine völlige Erblindung ist selten. Die Krankheit ist nicht lebensverkürzend.
Charakteristisch ist eine hohe Variabilität in der Ausprägung und Schwere der Symptome bzw. des Symptomkomplexes,[6] die eine Prognose für den Verlauf der Optikusatrophie bzw. das Auftreten von "Plus-Symptomen" deutlich erschwert.
Quellen
- ↑ Kjer, Infantile optic atrophy with dominant mode of inheritance: a clinical and genetic study of 19 Danish families, Acta Ophthalmol Suppl, 1959
- ↑ 2,0 2,1 Lenaers, et al., Dominant optic atrophy: Culprit mitochondria in the optic nerve, Progress in Retinal and Eye Research, 2021
- ↑ Lenaers et al., Dominant optic atrophy, Orphanet J. Rare, Dis. 2012
- ↑ Delettre et al., Nuclear gene OPA1, encoding a mitochondrial dynamin-related protein, is mutated in dominant optic atrophy, Nature genetics, 2000
- ↑ Yu-Wai-Man et al., Pattern of retinal ganglion cell loss in dominant optic atrophy due to OPA1 mutations, Eye, 2011
- ↑ 6,0 6,1 Yu-Wai-Man et al., The prevalence and natural history of dominant optic atrophy due to OPA1 mutations, Ophthalmology, 2010
- ↑ 7,0 7,1 Leruez et al., Sensorineural hearing loss in OPA1-linked disorders, Brain, 2013
- ↑ Barboni et al., Idebenone treatment in patients with OPA1-mutant dominant optic atrophy, Brain, 2013
- ↑ Romagnoli et al., Idebenone increases chance of stabilization/recovery of visual acuity in OPA1‐dominant optic atrophy, Annals of clinical and translational neurology, 2020
- ↑ Valentin et al., Idebenone Treatment in Patients with OPA1-Dominant Optic Atrophy: A Prospective Phase 2 Trial, Neuro-Ophthalmology, 2023
Links
- Orphanet - Optikusatrophie, autosomal-dominante, klassische Form, abgerufen am 14.11.2024
- Orphanet - Optikusatrophie plus-Syndrom, autosomal-dominantes, abgerufen am 14.11.2024
- OMIM - Optic Atrophy 1, abgerufen am 14.11.2024
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