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Sehschärfe

(Weitergeleitet von Sehvermögen)

Synonyme: Visus, Sehstärke, Sehleistung, Sehvermögen, Minimum separabile
Englisch: visual acuity, VA

1. Definition

Unter der Sehschärfe versteht man das Potenzial eines Lebewesens, durch das Sehorgan diverse Umweltstrukturen mit hohem Detailgrad wahrzunehmen und dadurch schnell und präzise zu erkennen. Ein Maß für die (zentrale) Sehschärfe im Hellen ist der Visus, der als diagnostischer Parameter herangezogen wird.

2. Nomenklatur

Als Sehschärfe im engeren Sinne (Visus cum correctione) bezeichnet man die Fähigkeit des Auges, zwei Objektpunkte bei optimaler Korrektur von Refraktionsfehlern getrennt wahrzunehmen.

Das Auflösungsvermögen des Auges ohne Korrektur von Refraktionsfehlern wird als Sehleistung (Visus naturalis, Visus sine correctione) bezeichnet.

3. Einteilung

  • Minimum visibile: Hier liegt die Grenze des Sichtbaren. Ein anvisierter Gegenstand o.ä. grenzt sich nicht mehr als Kontrast von dem ihn umgebenden Medium ab. Die Leuchtdichte scheint keinen Unterschied mehr zwischen Umwelt und anvisiertem Objekt zu besitzen.
  • Minimum discriminibile: Dies bezeichnet die Erkennbarkeitsschwelle für kleinste bestehende Unterschiede zwischen anvisiertem Objekt und Umgebung.
  • Minimum separabile: Enthält die Trennung eng benachbarter Konturen von sehr eng aneinanderliegenden Objekten. Die Trennung dieser Objekte kann gerade noch so wahrgenommen werden, da die beiden geringfügig unterschiedliche Leuchtdichten besitzen.
  • Minimum legibile: Hierbei handelt es sich um die Lesesehschärfe. Neben dem eigentlichen physiologischen Sehvorgang kommt hier noch der Faktor Gedächtnis hinzu, in dem gespeicherte Wortbestandteile in einen logischen Kontext gebracht werden.

4. Winkel-Sehschärfe

Zentrale Betrachtung bei der Ermittlung und Festlegung der allgemeinen Sehschärfe hat die sogenannte angulare Sehschärfe, auch als Winkel-Sehschärfe bezeichnet. Diese gibt das Vermögen an, zwei Objekte oder Punkte gerade noch als voneinander getrennt wahrnehmen zu können (Auflösungsvermögen). Einheit ist dabei die Winkelminute (Bogenminute). Eine Winkelminute entspricht 1/60 eines Winkelgrads und wird ausgeschrieben als 1'.

Wenn man sich das Auge als Mittelpunkt eines Kreises vorstellt, so lässt sich der Kreis, auf dem sich auch das visuelle Feld befindet, in 360° bzw. in 21.600 Winkelminuten (360° x 60) einteilen. Der Radius des Kreises entspricht dem Abstand zum betrachteten Objekt.

Bei einem Abstand zum Objekt von 5 m entspricht eine Winkel-Sehschärfe von 1 Winkelminute einer Ortsauflösung von etwa 1,5 mm. Das bedeutet, dass zwei Punkte, die 1,5 mm voneinander entfernt sind, aus 5 m Entfernung noch voneinander differenziert werden können:

wobei:

Eine Winkel-Sehschärfe von 1 Winkelminute (also die Fähigkeit zur Diskrimination von 1,5 mm Abstand bei einer Distanz von 5 m) ist als ein Visus von 1 definiert. Je kleiner die Winkel-Sehschärfe ist, desto besser ist die Sehschärfe.

Der Visus ist eine dimensionslose Größe und wird berechnet, indem die individuelle Winkel-Sehschärfe mit einer Winkel-Sehschärfe von 1' in Relation gesetzt wird:

Wenn eine Person beispielsweise bei einer Distanz von 5 m erst 2 Punkte im Abstand von 3 mm, also 2', voneinander differenzieren kann, dann beträgt der Visus 0,5. Bei einem 20-jährigen Menschen liegt der Visus physiologischerweise zwischen 1,0 und 1,6.

Der Visus wird häufig in Prozent angegeben. Dies ist jedoch irreführend, da der Eindruck entsteht, dass der Verlust von 1 % Sehkraft in jedem Bereich der Skala gleiche Auswirkungen hat. In den unteren Bereichen hat jedoch der weitere Verlust eines Prozents deutlich höhere Auswirkungen, als bei einem guten Visus.

4.1. Beispiel

  • Ein Abfall des Visus von 1 auf 0,5 bedeutet, dass die betroffene Person auf 100 m statt einem Gegenstand von knapp 3 cm Größe jetzt nur noch einen Gegenstand von etwa 6 cm Größe erkennen kann. Die Reduktion des Visus um "50 %" hat also "nur" eine Auswirkung von einigen cm.
  • Vergleicht man jedoch einen Visus von 0,5 mit einem Visus von 0,01, so steigt die Größe des gerade noch erkannten Gegenstands bei einer Entfernung von 100 m von 6 cm auf fast 3 m! Der Verlust weiterer "50 %" hat hier eine deutlich größere Auswirkung von mehreren Metern.
Beispielwerte für die Ortsauflösung in Bezug zu Winkelminuten und Visus
Ortsauflösung bei Abstand von 5 m Ortsauflösung bei Abstand von 100 m Winkel-Sehschärfe in Winkelminuten Visus (dimensionslos) Visus in % Kommentar
1,455 mm 2,91 cm 1' 1 100
2,91 mm 5,82 cm 2' 0,5 50
7,275 mm 14,55 cm 5' 0,2 20
14,55 mm 29,1 cm 10' 0,1 10
29,1 mm 58,2 cm 20' 0,05 5 blind laut WHO
72,75 mm 145,5 cm 50' 0,02 2 blind laut SGB
145,5 mm 291 cm 100' 0,01 1

4.2. Beispielwerte

Die Winkel-Sehschärfe verschiedener Lebewesen ist sehr unterschiedlich:

  • Elefant: 10,3'
  • Mensch: 0,4 – 1'
  • Wanderfalke: 0,4'
  • Katze: 5'
  • Frosch: 7'
  • Ratte: 40'

5. Bestimmung des Visus

Ein Visus wird in der Regel immer einseitig (monokular) und nur bei bestimmten Fragestellungen beidäugig (binokular) erhoben. Hierfür misst man zunächst den Visus ohne Korrektur (sc = sine correctione) danach den Visus mit der besten Korrektur (cc = cum correctione). Die ermittelte Sehschärfe wird in der Regel als ein nummerischer Wert, z.B. als Dezimalzahl von 0,05 - 1,6 angegeben. Zur Bestimmung des Visus werden Schrifttafeln und Landolt-Ringe genutzt. Fällt die Sehschärfe auf unter 0,05, wird sie anderweitig getestet.

5.1. Landolt-Ringe

Bei der Verwendung der Landolt-Ringe werden dem Patienten unterschiedlich große Ringe gezeigt, die eine Lücke aufweisen, deren Lage vom Patienten angegeben werden muss. Die Breite der Lücke beträgt abhängig von Größe und Entfernung eine oder mehrere Winkelminuten. Ein emmetroper Patient sollte eine Lücke, die eine Breite von einer Winkelminute besitzt, wahrnehmen können, um über einen Visus von 1 zu verfügen. Wenn die Lücke erst bei doppelter Breite erkannt wird, beträgt der Visus 0,5.

5.2. Schrifttafeln

Bei der Bestimmung des Visus mit Schrifttafeln muss der Patient Zahlen- oder Buchstabenreihen ablesen. Für jede Zahlenreihe ist eine bestimmte Entfernung von den Schrifttafeln vorgegeben, für die der Visus 1 beträgt. Liest der Patient eine Schriftreihe, für die der Visus bei einer Entfernung von 6 m 1 beträgt, nur in einer Entfernung von 3 m korrekt ab, beträgt der Visus 0,5. Der Visus stellt den Quotienten aus Istentfernung und Sollentfernung dar.

5.2.1. Metervisus-Tafeln

Fällt die Sehschärfe auf unter 0,1 oder unter 0,05, wird sie im Abstand von einem Meter mit einer sogenannten Metervisus-Tafel getestet. Die Angabe der Sehschärfe erfolgt dann als Bruch, z.B. 1/50. Sind keine Optotypen auf der Metervisus-Tafel mehr erkennbar, wird nach Fingerzählen (FZ) und Handbewegungen (Hbw) gefragt.

5.2.2. Fingerzählen und Handbewegungen

Für das Fingerzählen präsentiert der Untersucher seine Finger vor dem zu untersuchenden Auge des Patienten in 2-3 verschiedenen Konstellationen. Werden die gezeigten Finger korrekt benannt, so zählt dies als Fingerzählen positiv (+). Werden die Finger nicht korrekt gezählt (FZ -), so testet der Untersucher auf korrekt erkannte Handbewegungen. Dafür wird vor dem zu untersuchenden Auge des Patienten die Hand des Untersuchers z.B. von oben nach unten oder rechts nach links bewegend präsentiert. Bei korrekt benannter Handbewegung wird die Sehschärfe dann als Handbewegung (Hbw) positiv (+) dokumentiert.

5.2.3. Lichtwahrnehmung

Sind Handbewegungen nicht mehr sicher zu erkennen (Hbw -), erfolgt die Testung von Lichtwahrnehmung. Hierbei wird zunächst zwischen Licht erkannt (Lux positiv) oder Licht nicht erkannt (Lux negativ) unterschieden. Bei positiver Lichtwahrnehmung testet der Untersuchung zusätzlich die Lichtprojektion. Hierzu wird die Lichtquelle für den Patienten in unterschiedlicher Richtung (temporal, inferior, superior und nasal) präsentiert und bei korrekt angegebener Richtungen als Lichtprojektion korrekt (Lp recta) dokumentiert. Werden die Richtungen nicht korrekt benannt, wird dies als Lichtprojektion inkorrekt (Lp falsa) dokumentiert.

6. Beeinflussung des Visus

Der Visus kann durch mehrere Faktoren beeinflusst werden.

6.1. Größe des rezeptiven Feldes

In der Fovea centralis kommt es zu einer 1:1-Verschaltung von Zapfen auf Bipolar- und Ganglienzellen. Daraus resultiert eine sehr gute Sehschärfe. Im extrafovealen Bereich der Retina konvergieren viele Stäbchen auf eine Ganglienzelle, was zu einer verschlechterten Sehschärfe führt.

6.2. Rezeptorendichte

Die Zapfendichte ist in der Fovea centralis am größten. Der Visus beträgt bei Emmetropen und Menschen, die unter einer Hypermetropie leiden, für das photopische Sehen 1. Bei kurzsichtige Menschen ist er kleiner als 1. Beim skotopischen Sehen ist der Visus 0.

In den extrafovealen Bereichen der Retina ist die Stäbchendichte am größten. Hier ist der Visus für das photopische Sehen kleiner als 1 und für das skotopische Sehen kleiner als 0,1.

In der Papilla nervi optici, in der sich keine Photorezeptoren befinden, ist der Visus 0.

6.3. Dioptrischer Apparat

Die Qualität des dioptrischen Apparates spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Strahlen, die auf den Rand der Cornea treffen, werden stärker gebrochen als achsennahe Strahlen (sphärische Aberration). Dies kann zu unscharfen Bildern führen.

Da es sich bei dem Auge um ein inhomogenes Medium handelt, wird das Licht gestreut. Dies kann dazu führen, dass Dinge unscharf abgebildet werden. Die Abbildungsqualität des Bildes auf der Netzhaut wird unter anderem durch Kammerwasser, Glaskörper, Linse und Hornhaut beeinflusst.

Die Hornhautoberfläche weist in vertikaler Richtung eine stärkere Krümmung auf als in horizontaler Richtung (Astigmatismus). Sind diese Unterschiede sehr groß, kann es zu unscharfen Bildern kommen.

Auch Kurzsichtigkeit (Myopie) führt zu einem verminderten Visus, während Altersweitsichtigkeit (Presbyopie) und Weitsichtigkeit (Hyperopie) keinen Einfluss auf den Visus haben.

6.4. Weitere Faktoren

  • Optische Beschaffenheit von Objekt und Umgebung (vorliegender Kontrast, Helligkeit, Farbe, Umweltbedingungen)
  • Form des Objektes: Bestimmte Formen, wie z.B. rechte Winkel, vermag das Zentralnervensystem noch einmal stärker aufzulösen, als es der optische Apparat selber kann.
Stichworte: Optik, Retina, Winkelminute
Fachgebiete: Physiologie

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